Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Vierter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1851
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 296
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der wirbellosen Thiere
Mit 1558 Ubbildungen
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Spinnenthiere.
Erfte Vrbnung.
(Fig. 2789.) wieberholt fich mit im Ganzen nicht sehr
erheblichen Abanberungen bei ben meisten Gattungen,
einige ben Tropenl^nbern angehbrenbe auSgenommen,
roo bie Bebeckungen sehr hart unb bie zwei Korperhalf-
ten wohl auch in sonberbare Stacheln unb Vorsprunge
auSgezogen stub. In ber Grope herrscht mehr Ver-
schiebenheit; bie grotten Vogelspinnen messen auSgebrei-
tet an 5 Zoll, bie kleinsten Spinnen anberer Orbnungen
nur 2—3 Linien. Die Mehrzahl trågt, minbestens
anf bem Bruststucke, eine kurze anliegenbe ober abstehenbe
Behaarung; toenige zeichnen burch lebhafte Farbung sich
auS. Zarte, gleichsam getuschte Zeichnungen zieren oft
ben Hinterleib. Die an ber Unterseite bes Kopfbrust-
stuckeS angebrachten Freptoertzenge stehen burch getoal-
tige Enttoickelung oft taunt im gewohnlichen Verhalt-
nisse zu bem ubrigen Korper, entsprechen aber ber Be-
stimmung bes RaubthiereS. An ber Wurzel bes Ober-
kiefers (Fig. 2788. aa) liegt ein Gift bereitenbes Sack-
chen (b b), bessen Ausgangseanal sich bis in baS sehr
Harte unb spitzige Enbglieb fortsetzt. Hinter ber Spitze
beS letzteren befinbet sich eine feine Oeffnung, burch
toelche bas Gift in ben Korper beS erfapten Jnseets
bringt. Von seiner lahmenben unb betanbenben , aber
sehr starten Wirksamkeit zeugt bie nach bem Bisse fast
sogleich eintretenbe RegungSlostgkeit bes Opfers. Man
hat, nicht mit Unrecht, in bieser Einrichtung einen Aus-
bruck ber Gute zu sehen gemeint, bie auch sonst in ber
Natur sich vielfach offenbart; ber zur Erhaltung ber
einen Thierelasse unvermeibliche Untergang ber anberen
soll minbestens nicht mit anperstem Schmerz unb langer
Qual verbunben sein. Der NahrungSeanal ber Spin-
nen zeigt nicht bie bei ben meisten anberen Glieberthie-
ren gewohnlichen Ertoeiterungen unb ist burch Kurze
unb geraben Verlauf ber Nahrung angemessen, bie aus
ausgesogenen unb baher geringer Verbauung beburfen-
ben thierischen Saften besteht. Im Kopsbruststucke liegt
ber erste Magen (c), ber, in ber Mitte gespalten, einem
Muskel (e) ben Durchgang gestattet unb im Umfange
mit mehreren Anhangen (d d) versehen ist; am Vorber-
enbe bes Hinterleibes zeigt sich ber ztoeite toeit kleinere
Magen (f), unb von biesem auS verlauft ber Darm (g)
vollkommen gerablinig bis zum After. Unmittelbar
vor seinem Enbe nimmt er einen Blinbbarm (h) auf, in
ben fich bie vielverztoeigten Gallengefape (i i) ergiepen,
von toelchen auf ber Abbilbung nur baS unterste Ende
bargestellt ist. Bei ber Leichtigkeit unb Schnelligkeit
ber Verbauung toirb ztoar grohe Gefrapigteit als natur-
liche Eigenschaft ber Spinnen erscheinen mussen, inbeffen
toirb von ihnen Nahrungsmangel geraume Zeit ertra-
gen. Einen gropen Theil bes Hinterleibes erfutit ein
zelliges Getoebe, ber fogenannte Fetttorper, in toelchem
ber zum Verbrauche eben nicht nbthige NahrungSstoff
fich ansammelt. Tritt aus irgenb einer Ursache Mangel
an Bente ein, so toerben jene Massen langsam vom Or-
ganismuS aufgesogen. Spinnen tonnen baher tn ber
Gefangenschaft geraume Zeit ohne alle Nahrung aus-
bauern, magern aber enblich bis auf ben vierten Theil
ber Leibesgrope ab. Gesattigt ziehen sie fich in ben
Mittelpunkt ober bie rohrige Zelle ihres GespinnsteS
zuruck, bleiben enttoeber gleichgultig gegen bie fich fan-
genben Jnseeten, ober begnugen fich, fie zu tobten unb zu
nmspinnen, um fie bei Wieberkehr bes Hungers auszu-
saugen. Fuhlen fie jeboch ben letzteren, so entwickeln
fie bie hschste Energie; fie verbinben bann ben tnhnen
Angriff bes Sitoen mit bem schnellen unb grimmigen
Sprunge beS Tigers unb lauernbe Gebulb mit anper-
orbentlicher Geschicklichkeit. Athmung geschieht burch
bie schon oben ertoLhnten Lungensacke, beren W^nbe
vielfache gefapreiche Falten barbieten, unb zu toelchen
burch vier, am Vorberenbe bes Hinterleibes liegenbe
Locher bie Luft tritt. In ber Mitte beS Hinterleibes
liegt bas langgebehnte Herz, toelches mit Verschiebenen
Gesapen in Verbinbung steht, uber beren eigentliche Na-
tur man noch nicht Getoipheit besitzt. Im Nerven-
systeme erreicht bie Centralifirung einen viel hoheren
Grab als bei ben Krustern; im Bruststucke liegt ein
groper Nervenknoten, bessen vorberer Theil Ztoeige fur
bie Augen unb Freptoertzenge abgiebt, toahrenb ber Hin-
tere unb toeit gropere Ztoeige nach ben Fupen senbet
unb nach Hinten in ztoei Strange fich verlangert, bie un-
mittelbar nach bem Uebertritte in ben Hinterleib in sehr
viele Aeste zerfallen. Bei allen Spinnen scheint bas
Nervensystem ungemein empfinblich, bie Muskelfaser
sehr reizbar zu sein, benn bie Bewegungen tonnen mit
toahrhaft erschreckenber Plotzlichteit eintreten, unb tein
burch Sinne toahrnehmbarer Einbruck geht, toie schwach
er auch sein moge, unempfunben vvruber. Sonberbar
bleidt es freilich, bap ber Mensch, ber bie Bahnen ber
Sterne gemessen, bisher noch nichtvermocht hat, sammt-
liche SinneSorgane an einem so gemeinen Thiere, toie
ber Kreuzspinne, nachzutoeisen. Nur bie Augen stub
genau untersucht worben, toahrenb uber bas Hororgan
nicht einmal Vermuthungen bestehen. Dap Spinnen
Horen unb sogar fur musitalische Tbne Empfanglichteit
befitzen, geht aus mehreren zuverlasstgen Beobachtungen
Hervor. Auch uber baS Riechorgan herrschen bieselben
Zmeifel, obgleich seine Thaiigteit nicht abgeleugnet toer-
ben tann. Zufolge ber Beobachtungen von Straup,
Durtheim verlaufen in ben Fupen sehr viele, aber un-
enblich feine Nervenztoeige unb verleihen biesen eine un-
gemein scharfe Tastfahigteit unb Empfinblichteit. Die
leiseste Beruhrung beS entferntesten Fabens bes GetoebeS
toirb von ber Spinne unb ztoar nur burch bie Enbglieber
bit auSgespreizteu Fupe empfunben. Als Ausbruck
feinster Empfinbung mup wohl auch bas unverteunbare
Vorgefuhl fur WitterungSwechsel gelten, burch welcheS
Spinnen beruhmt getoorben. Jhre Stellung im Netze,
ihre Thaiigteit ober Zuruckgezogenheit stehen offenbar
in Verbinbung mit bem Wetier. Die ersten genauen
Beobachtungen uber biese Erscheinungen verbantt man
einem Offizier ber ersten franzostschen Republit, Quatre-
ntére b'JSjonval, ber toahrenb einer langeren Kriegsge-
fangenschafi aus Langeweile fich mit ben Spinnen be-
schpftigie. Spatere Forscher haben bie Richtigteit sener
Angaben im Allgemeinen ztoar bestatigt, allein auch Hin-
zugesetzt, bap man bie Deutung nicht zu toeit auSbehnen,
geringe atmospharische Veranberungen nicht immer mit
bem Verhalien ber Spinnen in Verbinbung bringen
burfe. Zivischen mannlichen unb toeiblichen Spinnen
finben nur turz vorubergehenbe Beruhrungen statt; bie
gegen alles Lebenbe gerichteie Feinblichteit ihres Cha-
ratters verhinberi bie Geselligteit unter ben meisten.
Nur bie eben ausgetrochenen Jungen bleiben eine turze
Zeit bei einanber unb bilben toohl einen mit sehr feinen
Faben uberzogenen Klumpen, ber bei Beruhrung fich
burch allgemeine Flucht anflost, balb aber fich von
Neuem formt. Die bistoeilen auf fliegenben Faben in
Mehrzahl angetroffenen ertoachsenen, toenn auch meist
tleinen Spinnen sinb burch Zufall ober Getoalt zusam-
mengebrangt toorben. Alle legen Eier unb hullen bie-
selben in ein Gespinnst, toelcheS, bick genug, um Fench-
tigteit unb K^lte abzuhalten, bie Gestalt einer Kugel
ober einer Glocke, manchmal auch einer stachen Halb-
tugel besttzt unb enttoeber irgenbtoo angetlebt, ober an
GraShalmen, Pflanzenstangeln u. s. to. mittelS eines
StielS angehLngt (Fig. 2791.), in Spalten unb Erb-
lochern verborgen ober wohl auch von ber Mutter Her-
umgetragen toirb. Von bem letzteren Verfahren giebt
bei uns eine in ben Garten sehr gemeine Wolfspinne
(Lycosa saccata) ein getoohnlicheS Beispiel; baS Weib-
chen erfapt ben kugeligen, mit vielen Giern angefullten
Coeon mit ben Hinterfupen, schleppt ihn uberall mit fich
Herum, giebt benselben nicht her ohne Wiberstand, bleibt
in seiner Nahe, tehrt, ohne bie sonstige Scheu zu ver-
rathen, bei erster Gelegenheit zuruck, um ihn rasch zu
erfaffen unb eiligst zu entstiehen, unb tragt sogar bie
ausgetrochenen Jungen eine Zeit lang auf bem Rucken
herum. Eine anbere, in Aeghpten, Dalmatien unb
Subfrantreich lebenbe Spinne (Clotho Durandii) verfer-
tigt in Felsspalteu mit betounbernStourbiger Kunst eine
Art von Zelt, um ihre Jungen auszubruten unb in ber
ersten Lebenszeit zu schutzen. Die Gier erscheinen bei
starter Vergroperung nicht immer glatt, sonbern getbrnt,
gestreift, tantig ober sonst gezeichnet, Haben eine perga-
mentharte Schaale unb toiberstehen mapigen Kaltegraben.
Jhre Enttoickelungsgeschichte haben besonbers Deutsche
mit groptem Fleipe unb Gluck stubirt. In ben Haupt-
stufen erscheint zuerst bas Ei einer Kreuzspinne (Fig.
2792. a naturliche Grope) mit ber glatten, toeipen Narbe,
bem sogenannten Hahnentritte ber Vogeleier (B), n-ei-
terhin (C) ertennt man nach theilweiser Wegnahme ber
Schaale ben Kopf (a) unb ben Leib (b) ber jungen
Spinne, bie sogleich nach bem AuStritte aus bem Gie
(d) fich Hautet. Es bebarf nicht ber Verficherung, bap
bie streng wissenschaftliche Verfolgung bieseS Herganges
eine grope Menge Zwischenstufen bargestellt unb bie
grabweise Ausbilbung ber inneren Organe nachgewiesen
hat. Uebrigens erreicht bie Fruchtbarteit ber Spinnen
eine sehr bebeutenbe Hbhe, benn bie Eierstocke (Fig.
2788. b) erfullen ben Hinterleib ber Weibchen zum grop-
ten Theile. Als eines ber merttourbigsten Erzeugnisse
bes Thierreiches verbient bas Getoebe ber Spinnen be-
sonbere Beachtung. Der im frischen unb flusfigen Zu-
stanbe einer Losung von Leim ober arabischenl Gummi
vergleichbare Spinnensaft lLst fich toeber im Waffer
noch im Weingeiste auf, bricht im auSgetrockneten Zu-
stanbe toie ein Glasfaben unb toirb in einigen zusammen-
gebrehten ober getounbenen GefSpen bereitet, toelche im
Hinterleibe liegen unb fich mit ben sogenannten Spinn-
toarzen verbinben. Sårbung ber Spinnflusfigteit, Zahl
ihrer Gefape unb aupere Gestalt ber Spinntoarzen an-
bern je nach ben Gattungen. Von ben letzteren
(Fig. 2794), allezeit vor bem After angebrachten er-
tennt man bei ben Vogelspinnen nur vier, beren obere
toie tleine ztoeispaltige Schtoanzanhange aussehen, bei
anberen Gattungen sechS. In jebem Falle finb bieselben
mit unzahligen feinen Poren versehen, von toelchen jebe
einem einzelnen mitrostopisch feinen Faben ben Aus-
tritt gestattet (Fig. 2795.), ber mit anbern theils burch
eigene Klebrigteit fich verbinbet, theils burch Antoenbung
ber Hinterfupe zu einem einzelnen bitteren Faben (Fig.
2796.) zusammengebreht toirb. DaS Enbglieb jener
tragt immer ztoei Klauen, mit tammartig gestellten ZSH-
nen, bisweilen noch einen unpaarigen, entgegengestell-
ten, gleichfallS gezahnten Sporn unb auperbem viele
Haare, Stacheln ober Hornige Hocker (Fig. 2793.).
Zwischen bieser zusammengesetzten Vorrichtung laufen
bie einzelnen Faben Hinbnrch unb erhalten, znmal bei
bem Weben, bie nothige Richtung. Die Gewebe be-
stehen, toie bicht fie anch erscheinen niégen, boch nur anS
zahlreichen, nach mannichfachsten Gesetzen fich trenzen-
ben ober uberlagernben Faben, bie, obtoohl anS mehre-
ren znsammengesetzt, bennoch haufig so bunn finb , bap
man fie im Schatten gar nicht, im Sonnenlichte nur
toegen ihres SilberglanzeS unterscheibet, unb von toelchen
14,000, zusammengebreht, bie Dicke eineS starten Ztoirn-
fabenS haben tourben. Jebe Familie ber Spinnen be-
folgt im Weben mit Unveranberlichteit einen besonberen
Plan. Die Getoebe bestehen auS eoneentrischen, uber
ausgespannte Strahlen laufenben Kreisen bei ben soge-
nannten geometrischen ober Rabspinnen , einer Familie,
toelche nicht viele, aber sehr interessante Gattungen,
z. B. bie Kreuzspinnen, umfapt; bei ben Netzspinnen er-
scheinen fie scheinbar unregelmåpig, erreichen aber vielen
Umfang; bei ben Webspinnen finb fie bunn, Horizontal
unb aus sehr engen Maschen znsammengesetzt, bei ben
Rohrenspinnen gleichen sie seibenartigen Rohren, bei
ben Trichterspinnen haben fie eine Kegel- ober Glocken-
gestalt, bei ben Zellenspinnen Lhneln sie tleinen, engen
Sackchen, bie zur Wohnung bienen, bei ben Tapezier-
spinnen tleiben fie baS Jnnere von Felsspalten ober
Erblochern aus, unb bei ben vortoarts unb feittoårtS