Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1847
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 312
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der Säugethiere
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Saugethicre.
Ncimte (Ørdnung.
auf Jager und Hunde los und bringt sie durch Stose
mit dem schaufelformigen Geweih und durch furchtbar
Heftiges Ausschlagen in groste Gefahr. Trifft es, in
eine Fallgrube sturzend, auf ein gefangenes Raubthier,
so trampelt es dasselbe zu Tode. Die grotte Leidenschaft
entwickelt es zur Zeit der Begattung im September. Die
Mannchen liefern sich dann furchtbare Kampst und ver-
treiben die Bestegten, die, in ohnmachtigem Zorn und
alle Furcht vor dem Menschen vergessend, bisweilen ihr
Waldasyl verlassen und in angebaueten Gegenden Herum-
streifen. So warnt auch Llohb, der enthusiastische Be-
fchreiber Hochnordischer Jagdscenen, vor dem Zusaittmen-
treffen mit dem erzurnten Elenn, das, mit gestraubter
Mahne auf den Feinb losgehend, auch den Kaltblutigsten
zu schrecken vermag. Sein gewohnlicher Gang ist eine
Art von kurzem, ungeschickten Trott; erschreckt oder ver-
folgt vermag es sich in reisend schnellen Galopp zu ver-
setzen und klappert dabei weithin horbar mit den After-
klauen. Die Huse kann es nach Willkuhr von einander
entfernen und somit eine breitere Unterlage erlangen,
die ihm auf fumpfigerem Boden von Nutzen sein mus.
Kaum giebt es fur dasselbe ein Hindernis des Lansens, benit
uber die breitesten Gewasser schwimmt es mit eben so
groser Schnelle als Ausdauer, springt zwar nicht, steigt
aber leicht und fluchtig uber Baumstamme und Fels-
stiicke und gelangt sogar uber tiefe Moore, die kein
anderes Saugethier betreten darf, indeni es sich auf die
Seite legt und durch schnelle Bewegung der Fuse sich
fortschiebt. Auch kreuzt es grofie Eisflachen, vor deren
Betreten es sich furchtet, auf gleiche Art. Die dabei
stattfindende zuekende Bewegung der Glieder ist von Un-
wissenden fur eine epileptische gehalten worden. Zufolge
einer sehr verkehrten, bei den amerikanischen Jndiern
und in der arabischen Medicin sich gleichmahig wieber-
Holenden Ansicht, das kranke thierische Organe Heilmittel
derselben Krankheilen des Menschen seien, hat man ehe-
bem Elennklauen gegen Epilepsie angewenbet und sogar
in Slpothekengefuhrt. Dem Masser ist das Elenn sehr zu-
gethan und verbringt, wie manche andere Hirscharten,
im Sommer bie Heisesten Tagesstunben stehend in Flus-
sen ober Teichen. Als Nahrung bienen ihm im Sommer
viele Krauter, unter welchen bie Butterblume (Caltha
pallisiris) besonbers gefucht Wirb, im Winter bie jungen
Triebe ber Birken unb bie saftige Rinbe verschiebener
Walbbaume.. Den Walbern geschieht hierburch vieler
Schaben, mehr noch ben jungeren Anpstanzungen, bie
mit breitem Fus zertreten iverden, unb baher eignet sich
bas Elenn nicht fur Gegenben, luo man Walbcultur Ivis-
senschaftlich betreibt.
Das Elenn besitzt feine Sinne unb last sich nicht
leicht vom Jager im Lager uberraschen. Es ist nirgenbs
sehr haufig, was theils aus ben Berfolgungen burch
bie Menschen, theils aus ber ungewohnlich kurzen Le-
bensbauer, welche nur auf achtzehn Jahre geschatzt wirb,
Herzuleiten sein mag. In Scanbinavien hat man ber
Ausrottung burch strenge Jagbgesetze vorzubeugen ge-
sucht; in Schweben war eine Zeitlang bie Jagd auf Elenn
ganz verboten, in Norwegen barf sie nur vom 1. Juli
bis 1. November stattsinben unb nicht mehr als eine
bestimmte Anzahl geschossen iverben. Auf ber Uebertre-
tung bes norwegischen Gesetzes steht bie nach bortigen
Gelboerhaltnissen autzerorbentlich schwere Gelbstrafe von
ziemlich 140 Thalern. Das Fleisch ist, besonbers junge-
rer Thiere, sowohl frisch als gerauchert, sehr schmack-
Haft; Zunge, Maul unb Knochenmark gelten in Scanbi-
navien sur stiliste Leckerbissen. Die bicke Haut liefert ein
vortreffliches, einer Pistolenkugel fast undurchbringliches
Leber nnb war ehebem von Solbaten sehr gefucht.
Gustav Abolph von Schweben trug an stinem Tobes-
tage ein Koller von Elennhaut, welches, wenn Erinne-
nerulig nicht trugt, noch jetzt im Wiener Zeughause auf-
bewahrt wirb. Das beste Elennleber kommt unter bent
Slanten Polowinki aus Sibirien. Die reifett Geweihe
sinb snp kechtiische Ztvecke noch vorzuglicher als Hirsch-
geweihe unb bie Knochen desser als Elsenbein, weil sie
nicht vergelbett. In Schweben soli man in alten Zeitett
nicht nur gelungene Bersuche ber Zahtttttng gemacht,
sottbertt Elenn sogar zttttt Schlittettziehen abgerichtet
Habeit. Man sagt, bah ein noch vorhanbeites, aber ver-
altetes Gesetz biest Anwenbung bes Elenn barum verdjete,
weil es, schneller als Pferbe, ben Berbrechern bas Ent-
kommen moglich machte. Unter ber Regierung Karl's IX.
bebiente man sich zur Beforberung von Staatscourieren
bes Elenit, welches taglich 36 schwebische Meilen zuruck-
legte.
2. DaS amerikanische Elenn. (Cerrus Alces americanus.^ig.877. 878.
Die Frage, ob zwischen bent europaischen unb bem
norbamerikanischen Elenit ein specifischer Unterschieb be-
stehe, ist noch immer streitig. Man hat als solchen bie
bunklere Farbung unb bie ties getrennten Sprossen,
welche bas Geweih bes amerikanischen Eleitn auszeich-
iien, angesuhrt, inbesseit nicht beachtet, bas bie erstere
je nach ber Jahreszeit auch am europaischen bem Wechstl
unterworfen sti, bas bie Geweihe bes Hirsches uberhaupt
keineswegs bon ganz unveranberlicher Bilbung. sinb.
Mahrscheinlich wirb sich bei genauer Vergleichung Her-
ausstellen, bas deibe nur als klimatische Abanberung ber-
selben Art gelten kSnnen. Das amerikanische Elenn
(Moose-beer ber Anglo - Amerikaner unb Orignal ber
sranzostschen Canabier) war ehebem dis an ben Ohio
verbreitet, bewohnt aber jetzt allein bie kalken unb bunn
bevolkerten Gegenben zwischen bem 44—650 n. Br. von
ber Bai von Fnnbh uber Cattaba bis dit bas Eismeer unb
bis zttnt Fuse bes Felsgebirges. In Gestalt gleicht es
bem europaischen unb soll in feinett naturlichen Wilb-
nissen ein intponireitbes, ben grosartig ernsten Uittge-
bungett angettiessenes Schauspiel barbieten. Sowohl im
Sommer- als im Winterkleibe ist es etivas attbers ge-
farbt als bie ostliche Abart, ber es ubrigens auch in Sit-
ten nahe kommt. Alan siitbet es fast immer vereinzelt,
wettigstens in ben kalteren Breiten, luo allein bie Ufer
bes Mackenzie unb anberer groser Flusse fruchtbarer unb
mit Ellern unb Weiben, ben vorzugsweis Futter liefern-
beit Baumen, bcivachstn sinb. Aeltere Schriftsteller spre-
chett zivar von amerikanischen Elennheerbeii, allein Wahr-
scheinlich liegt biesen Angaben eine Verwechstlung mit
bem Wapiti ober canabischen Hirsche ztt Grttnbe. Auf
ben burreren Haiben, welche eiiten grohett Theil bes
norblichsten Amerika uberziehen, itahrt sich, wie Lewis
unb Clark versichern, bas Elenn von ben iittmergrunen
Blattern elites ben Heibelbeeren verwanbten Strauches
(Gualthiera Shallon) unb ben Zweigen einer Art von
Hartriegel (Cornus allia). Es ift mit so scharsen Sin-
tteit versthen unb so aufmerksatn, bah bie Jubier feine
Jagb als eigentliclM Probesteitt eittes ersahretteit unb
gewanbten Jagers betroet )ten unb bie Krihs sich rithntett,
alle anbere Jagervolker ztt ubertrefsen, weil sie unter
allen allein bas Elenn mit gleichbleibenbem Erfolge anf-
znfiitben unb zu erlegen verstehen. Itu Sommer wirb
bieses von Alucken unb anberett Jnsecten bergestalt ge-
qualt, bah es ben Herbeischleichenbeit Jager gering achtet,
allein im Winter bemerkt es bas leistste Rattschen eines
burren Blattes ober bas Knicken eines bunneit Zweiges
unb tauscht burch schleunige Flucht bie Hosfnung bes
lauernben Feinbes. Llngeschossene alte Maunchen Wen-
ben sich wuthenb gegen ben Jager, ber hinter eiitem
BaumeZustucht suchett mus. Richarbson horte Ntaitches
Beispiel von so gesahrlichen Zusamnientreffeit unb ben
erbitterten Angrifsen bes Thieres auf ben Bauitt, von
welchetit bie Rinbe burch geivaltige Hiebe ber Vorber-
fuhe rings umher unb hoch Hinattf abgerissen Wurbe.
Auf festgefrorenen Schneeflachen halt es eine lange Ver-
folguitg aus, inbetit es, bie breiten Hufe von einaitber
entfernenb, ohtte einzusinken, aber unter klappernbem
Gerausche schnell bahinlauft. Franklin erzahlt bie Ge-
fchichte einer solchen, von einigen auf Schiteeschudett latt-
fenoen Jagerit sechs Tage hinburch fvrtgesttzten Verfol-
gung. Obgleich bie blutige Spttr schon am vierten Tage
bie Berletzuitg bes Elenn verrieth, setzke biests stinen
Weg fort ttitb ermubete feine Feittbe bis auf Eiiten, ber,
nachbent er zwolf Stunben geruht, bas Thier enblich
einholte unb erlegte. Die Jitbier tobten bisweilett bas
Aloosethier, wahrenb es uber Flusse schwimmt; bie
Jungen sittv so einfaltig, bah sie bas Herbeirubern ber
Jager erwarten, unb Hearne war Zeuge, bas ein solches
sich gebulbig bei ber Nase fassen lies unb ben Kahn mit
berselben uitschulbigen Furchtkosigkeit begleitete, wie es
kaum ein zahnies Latitnt gethatt haben Wurbe. Keitte an-
bere Art von Hirschen ist so zahmbar unb gewohnt sich
mit fo groper Leichtigkeit an ben Menschen. Denttoch
Habeti bie auf Fleischnahrung vorzugsweis Hingewiestnen
norbamerikanischen Jitbier ttie versucht, sich solche Heer-
beti ztt erziehen, fonbern begnugen sich. mit bent Ertrage
einer eben so muhsamen als unsichereii Jagb. Ob bas
Fleisch wirklich so schmackbaft sti, wie jene behaupten,
steht ztt bezweifeln, benn iie 9foth unb ber Hunger mag
bent tobtmuben Jager Blanches vortrefflich erscheiiten
lasfett , was er, gewohnt an bie Beguemlichkeiten eines
georbneten Haushgltes unb Hauslichen Lebens, ver-
schmahen wurbe.
Ziveite Gruppe. Nennthiere. Geweih
plaltgebruckt, vorwartS gebogen, Augensprosse schaufel-
forntig,
3, Das enropaische Nennthier. (Cervus Tarandus.) Fig. 879—882.
• Die Rennthiere weichen in mehr als einer Beziehuttg
von ben eigentlichen Hirschen ab unb bilben, menu auch
keitte befonbere Gattiing, iniiibestetts eine beutliche Gruppe.
Beibe Geschlechter Haben Geweihe unb entivickelte Eck-
zdhne, eine behaarte, ttur zwischen ben schiefsteheitben
Nastitlochem ttackte Schnauze, langen unb bickett Kops,
kurzen unb biden, Horizontalen Hals ttitb Geweihe, bie,
zuitial am Bock, eine bebeutenbe Grohe erlangen, zwar
in ntaitcher Beziehung sehr Veranberlich sinb, inbessen
burch zitsantmengebruckte Gestalt, Biegung nach oden
1111! ) vorn, Hanbformig getheilte, eiitfache ober auch bop-
pelte, auf bie Schnauze Herabhangenbe Augeitsprosse
unb bie iveite Ausbreitung unb fiiigerformige Theiluitg
ber Enbfprossen sich sehr auszeichnen. Ihr Korperbau
ist gebrungen unb kraftig, ber Leib Walzeitformig, bie
Statur nicht hoch; bie kurzen, aber sehnigen Ftthe, bie
muskelreichen Schultern, bie ritnoen, nitten sehr conca-
ven, im Untfange scharfen Httfe, bie bei raschent Tritte
sich ausbreiten (Fig. 879a) unb ini Erheben sich mit
klappernbem Gerausche wieber schliehen (Fig. 879b), be-
zeichnen ein zum ausbatternben Laufe auf Schneeflachen
geschicktes Thier. Die Behaaruttg beutet die Bestint tit titt g
an ytr bas Leben im kalken Norben; sie ist boppelk unb
bestehk aus stiitem, bichten, wolligen Grunbhaar unb
rauhent, etivas abstehenden, Harten unb druchigen Grott-
nenhaar, welches am Unterhalse eine kurze, steif abwarks
gerichtete Mahne bilbet. Im Winter geivinnt bieser Pelz
an Dicke unb nimmt, wie Aehitliches fast an allett Po-
larthieren geschieht, hellere Farbung an, bie in Sibirien
sogar in reines Weis ubergehen kann (Fig. 882.), iin
Anfange bes Jahres braun unb vom Juli an gran ist unb
niti bie Augen Heruin in allen Jahreszeiten schwarzlich
bleibt. Die vollig zalimen Rennthiere anbern in ber
Farbe maitnichfach ab unb sinb bisweilen sogar geschacht,
selten groher als Damhirsche, bie wilben Hitigegen blei-
ben in ber Farbung sich gleich unb erreichen eine anfehn-
liche Grohe. Die Jungen sind niemals gefleckt wie bie-
jenigen vieler anberen Hirsche, sonberit lichtbraun, selten
weis. Sie bringen kleine Stirnhocker auf bie Welt unb ■
haben schon 14 Tage nach ber Geburk zollhohe Geweihe.
Rennthierbocke haben stets grohere Geweihe als Renn-
thierkuhe, zumal bie russtschen. Jene iverfen bie Ge-
weihe nach per Paarung im November, biest itu Mai
ab, vorausgesetzt, bas sie trochtig ivaren. Die netten
Geweihe sinb erst in acht Monaten (August) vollig ent-
wickelt. Gewohnlich werbcn zivei Junge bei jebent Wtirfe
geboren. Die Lebensbatter betragt gegen 16 Jahre.