Die Holzbaukunst Norwegens
In Vergangenheit Und Gegenwart
Forfatter: L. Dietrichson, H. Munthe
År: 1893
Forlag: Schuster & Bufleb
Sted: Berlin
Sider: 205
UDK: st.f. 72(481) die
Mit Einer Übersichtskarte Und 31 Tafeln Nach Alten Denkmälern Und Nach Ausführungen Von H. E. Schirmer, G. Bull, Thrap-Meyer, B. Lange, V. Hannosen. Und H. Munlhe, Sowie Über 220 Textabbildungen
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ZWEITER THEIL.
DER PROFANE HOLZBAU DER VERGANGENHEIT.
(Mit Benutzung der von R. Keyser, Eilert Sundt, N. Nicolaysen u. a. gesammelten Materialien und der von der
Gesellschaft für die Erhaltung der Alterthümer Norwegens veröffentlichten Zeichnungen.)
ERSTES BUCH.
DIE KONSTRUKTIVEN FORMEN.
I. Kapitel.
Die älteste Periode der „Arestube“.
Schriftquellen und erhaltene Reste.
Keine Baureste sind uns aus der ältesten Periode der
profanen Holzarchitektur Norwegens erhalten, die uns eine
Autopsie häuslicher Einrichtung gewähren könnten; denn die
Forderungen späterer Zeiten an bequemere Anlagen haben
jede Spur jener ältesten Häuser vertilgt und die Privathäuser
waren weit mehr als die Kirchen dem Untergang durch Fäulnifs
und Feuer ausgesetzt. Indessen brauchen wir uns aber auch nicht
gewagten Spekulationen hinzugeben, um die ältesten Holzbau-
formen der historischen Zeit in grofsen Zügen zu rekonstruiren.
Denn von der Bauart jener verschwundenen Anlagen können
wir uns eine genauere Vorstellung bilden, als von den meisten
entsprechenden Formen anderer Länder, weil uns theils die
geschichtlichen Berichte der Saga, bei denen wir freilich nicht
unmittelbar aus den reichen isländischen Quellen schöpfen
dürfen, theils viele Holz-Gebäude des späteren Mittelalters
erhalten sind, die so vollständig den Sagaberichten der vorher-
gehenden Periode entsprechen, dafs wir, von ihrer thatsächlichen
Ähnlichkeit mit den Beschreibungen der alten Literatur aus-
gehend, Schlüsse über die Formen ziehen können, welche die
Saga uns nicht enthüllt. Denn wenn wir sehen, wie ununter-
brochen die Traditionen des späteren Mittelalters sogar fast
bis in unsere Zeit hinein in den Wohnhäusern der norwegischen
Bauern fortgelebt haben, so dürfen wir mit voller Sicherheit
das Dasein dieser Formen auch für die Zeit des früheren
Mittelalters behaupten, und können so einen deutlichen Einblick
in die Bauformen der ältesten christlichen Jahrhunderte des
norwegischen Volkes und vielleicht noch älterer, uns völlig
verborgener Zeiten gewinrien. Von den isländischen Formen
sehen wir also hier so gut wie vollständig ab, indem wir für
dieselben auf Valthyr Gudmundssons: „Die Privatwohnung auf
Island“ (Koph. 1889) verweisen; was von Island gilt, gilt nicht
immer auch für Norwegen. Dagegen wollen wir Alles, was
wir unten von den älteren Privatwohnungen berichten — so
weit es möglich ist — den bis auf unsere Zeit erhaltenen Bau-
resten in Norwegen entnehmen, um nicht durch falsch ver-
standene oder entstellte literarische Quellen irre geleitet zu
werden. Nur wo es absolut nothwendig ist, werden wir zur
Literatur unsere Zuflucht nehmen.
Das Bauernhaus als Grundtypus der ältesten
Wohnhäuser.
Von Alters her waren die Norweger, die Bewohner eines
waldreichen Landes, ein holzbauendes Volk, und ganz be-
sonders waren die Profanbauten bis tief ins 12. Jahrhundert
hinein — soweit uns bekannt — immer Holzbauten. Hören
wir doch sogar von Befestigungen, die aus Holz ausgeführt
waren und „Holzkastelle“ bildeten — wohl eigentlich nur Block-
häuser mit Pallisaden.
Ebenso unveränderlich wie die Holzkirche des mittelalter-
lichen Norwegens eine Stabkonstruktion, also Fachwerk war,
ebenso unveränderlich war das Wohnhaus eine Laftkonstruktion,
Blockbau (siehe oben S. 5).
In jenen frühen Zeiten, die in der kirchlichen Baukunst
als unter dem Einflufs des romanischen Stils stehend sich
erweisen, im 11. und 12. Jahrhundert, scheint der Unterschied
zwischen der Wohnung des Reichen und der des Unbemittelten,
zwischen dem Königsbau und dem Hofe des Bauern nur durch
die gröfsere Ausdehnung und reichere Ausstattung des ersteren
bezeichnet gewesen zu sein, während die Bauart und die Form
der Anlagen, so lange noch der König wie der Bauer aus
Holz bauten (d. h. bis gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts)
im wesentlichen übereinstimmten. Der einen wie der anderen
Baugruppe war es, so weit unsere Erfahrung zurückreicht,
eigenthümlich, dafs sie aus verschiedenen, zerstreut liegenden,
jedoch immer Um einen Hof (Tun) gruppirten Gebäuden bestand,
deren jedes hauptsächlich ein Haupt-Zimmer, zum Theil mit
Flur (Vorstube) und eigener Bestimmung hatte. Namentlich
unterscheiden wir schon früh drei Häuser in jedem Hof:
Wohnhaus, Kochhaus und Speicher — zugleich als Schlafraum
benutzt. Wenn sich auch schon früh eine Tendenz, die ver-
schiedenen Häuser unter ein Dach zusammen zu ziehen, kund
giebt, so tragen doch noch heute viele Gehöfte norwegischer
Bauern mit den vielen zerstreuten kleinen Häusern in ihrem
ganzen Gepräge deutliche Spuren dieser herkömmlichen,
uralten Eigenthümlichkeit. Darum ist noch heute bei den
norwegischen Bauern „Stube“ und „Haus“ ein fast identischer
Begriff. Natürlich brauchte der König mehr Häuser als der
Bauer oder der städtische Bürger; das war aber auch der
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