Die Holzbaukunst Norwegens
In Vergangenheit Und Gegenwart
Forfatter: L. Dietrichson, H. Munthe
År: 1893
Forlag: Schuster & Bufleb
Sted: Berlin
Sider: 205
UDK: st.f. 72(481) die
Mit Einer Übersichtskarte Und 31 Tafeln Nach Alten Denkmälern Und Nach Ausführungen Von H. E. Schirmer, G. Bull, Thrap-Meyer, B. Lange, V. Hannosen. Und H. Munlhe, Sowie Über 220 Textabbildungen
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Das Material der Stabkirchen bestand hauptsächlich aus
den gewaltigen Tannenbäumen, welche die norwegischen Wälder
im Mittelalter in so grofsem Reichthum besafsen (Malmfurn).
Nur im inneren Sogn, am Lysterfjord, benutzte man die hier
reichlich wachsenden Ulmen für den Kirchenbau (Urnes-
Kirche). Im südlichen Norwegen wird die Eiche wohl auch
hie und da als Baumaterial sich nachweisen lassen.
Die Geräthe, die zur Bearbeitung des Holzes in den Stab-
kirchen angewendet wurden, scheinen sich auf die Axt, den
Hobel, den Meifsel und den Bohrer beschränkt zu haben, wäh-
rend das Messer und der Meifsel, besonders der sogenannte
Geifsfufs, fast die einzigen Geräthe der prachtvollen Schnitzwerke
der Kirchen gewesen zu sein scheinen. Die Säge dagegen
ist den Erbauern der Kirchen gar nicht bekannt gewesen. Sehr
spät, im Jahre 1745, erzählt de Fine in seiner „Beschreibung
des Amtes Stavanger“ (fol. 31 b. und fol. 45 b, cfr. „Norske
Magazin“ III p. 145 und 160): „Die übrigen Kirchen sind aber
alle Holzkirchen und die ältesten unter diesen aus Stäben ge-
baut; denn in den uralten und katholischen Zeiten kannte man
nicht wie in späteren und jetzigen Zeiten die Invention, Säge
genannt, durch welche das Holz nun in viele dünne und kurze
Theile geschnitten werden kann; damals wurden die Stämme,
grofs und dick wie sie waren, nur einmal nach der Mitte ge-
spaltet, an beiden Seiten flach gehauen und so zu den nöthigen
Arbeiten und Bauten benutzt“ (p. 145). „In den einzelnen Ge-
genden des Siredal fügten die Einwohner sich selbst und
ihren Wäldern grofsen Schaden zu, indem sie die Stämme, die
für Särge und zu anderem Gebrauche im Gehöft benutzt
wurden, nur einmal mit Äxten spalten konnten und somit
von einem Stamme, der 7 bis 8 Bohlen hätte geben können, nur
2 Bohlen erhielten“ (p. 160). In Nordland und Finmarken soll
es, wenn dort geborene Leute mich richtig unterrichtet haben,
noch heutigen Tages nicht ungewöhnlich sein, das Holz in
dieser Weise zu behandeln.
Somit bestanden die Bohlen der Stabkirchen, die in das
Rahmenwerk eingespundet wurden, aus einmal gespaltenen
und auf der anderen Seite flachgehauenen Stämmen. Zu
den Säulen und Wandsäulen (Stolper und Stav) wurde der
ganze runde Stamm verwendet, bisweilen auf zwei Seiten
ein wenig flachgehauen. Erst in zwei kreuzförmigen Kirchen
späten Ursprunges kennen wir viereckige Wandsäulen als
Rahmen. Dagegen wurden alle horizontalen Theile des
Rahmens, Schwellen, Sparren, Balken u. a. m., viereckig
zugehauen.
Der Meifsel wurde — aufser für Ornamentik — für Zapfen,
Zapfenlöcher, Spundrinnen, der Hobel für das Leistwerk an-
gewandt; letzteres wurde öfters mit einer dunklen Farbe an-
gestrichen, die sich als eine Mischung von lheer und Kienrufs
hat nachweisen lassen. Der Bohrer wurde für die Löcher be-
nutzt, durch welche die in einander greifenden Konstruktionstheile,
welche zur Festigung der Konstruktion dienen, gezogen
wurden.
Eisen findet man in diesen Kirchen fast gar nicht; nur
selten sieht man eiserne Nägel, jedoch keine Anker oder Be-
schläge von Eisen. Nur Angel, Schlüssel, Schild und Ring
an den Thüren waren von Eisen; die Thürbeschläge sind so
wie die eisernen Turmspitzen gewifs spätere Zuthaten. Dagegen
sind die verschliefsenden Theile des Gebäudes — und das ist
die erste Eigenthümlichkeit der norwegischen Stab-
kirche — ausschliefslich durch Einspunden und Ein-
zapfen zusammengesetzt. Das Einspunden soll später be-
schrieben werden; das Einzapfen geschieht oft so, dafs das
Ende eines Balkens zugehauen, durch einen anderen Balken ge-
führt und an der Aufsenseite durch einen hölzernen Querriegel test-
gehalten wird, wie das Ochsen- oder Pferdegeschirr durch den
sogenannten Hochnagel oder 'Vorstecher befestigt ist. Die
Querriegel haben konische Form.
Bei der Schilderung der Konstruktion der in Rede stehen-
den Kirchen müssen die tragenden, die umschliefsenden und
die getragenen Glieder der Gebäude unterschieden werden.
A. Die tragenden Glieder (der Rahmen).
Auf eine Reihe grofser auf oder theilweise in der Erde
liegender Steine, welche in ihrer Lage die oblonge Form der zu
errichtenden Kirche zeigen (die Schwellenmauer), legte man
4 einander rechtwinklig kreuzende mächtige Stämme, die un-
teren Grundschwellen (altnorw. syllostokkar, Abbild. 5 ab, cd,
ef, gh), welche, indem sie in einiger Entfernung von den End-
punkten (bei nop q) zusammengefügt
werden, einen festen, liegenden Rahmen
und 8 über diesen hinausragende End-
stücke (an, gn, fp, bp, dq, eq, ho, co)
bilden. Über das äufserste Ende dieser
Endstücke legte man den zweiten
Horizontalrahmen ik1m (in der Zeich-
nung punktirt), die obere Grund-
schwelle, deren Enden im Fufse der
auf ihnen errichteten Eckstäbe zusammen-
gesetzt werden. Der Abstand dieses äufseren, oberen Rahmens
von dem inneren, unteren giebt die Breite der Seitenschiffe,
der innere Rahmen die Gröfse des Mittelschiffes dei zu ei-
richtenden Kirche an.
Auf diesem Unterbau errichtete man nun über den Punkten
ikI m die vier Eckstäbe (altnorw. hornstafar, altd. winkilsuh,
gewaltige Mastbäume, deren unteres Ende oft einen Umfang
von 1,50 m hat (Reinli 1,30, Hedal 1,37, Hurum 1,45, Hopper-
stad 1,50, Urnes NW-Ecke 2,00 m, der gewaltigste Eckstab,
den ich überhaupt gefunden habe). Die Schwellen werden
gegeneinander geschnitten und in das unterste Ende des mit
einem Einschnitt versehenen Eckstabes eingeführt, wo sie mit
eingetriebenen Holznägeln befestigt werden. Der Eckstab,
der wichtigste Träger des ganzen Gebäudes, reitet folglich auf
dem äufsersten Ende der oberen Schwelle und wird dadurch
verhindert, mit der Feuchtigkeit der Erde in Berührung zu
kommen. Diese 4 Eckstäbe bilden die 4 äufsersten Ecken der
Seitenschiffe.
Auf den 4 Punkten, wo sich die inneren unteren Schwellen
schneiden (also in nop q) werden 4 nicht so dicke, aber weit
höhere Mastbäume, die Eckstäbe des Mittelschiffes, auf-
gerichtet; diese inneren Eckpfeiler reiten jedoch nicht auf den
Schwellen, sondern werden in diese eingezapft, wie auch die
übrigen Pfeiler, welche, das Mittelschiff von den Seitenschiffen
trennend, auf den inneren Schwellen aufgerichtet werden.
Die inneren Säulen werden in ihrem unteren Theile nicht
vorbunden, nehmen aber zwischen sich das Tiiforium und in
ihrem oberen Theile die Oberwand des Mittelschiffes auf, die
äufseren Eckstäbe dagegen nehmen die Bohlen der Aufsen-
wand zwischen sich auf und der Rahmen wird, wenn diese
aufgestellt sind, oben durch einen liegenden viereckigen Balken
(altnorweg. Staflägja, Abbild. 3 n) geschlossen. Eine ähnliche
Staflägja legt sich auch über die innere Reihe — immer
in einen Einschnitt der Eckstäbe versenkt. Soll die Kirche
so grofse Abmessungen erhalten, dafs eine Grundflächenlänge
und eine Staflägja- Länge nicht ausreichend sind, so erweitert
sich das System zu einer doppelten oder vervielfältigten Grund-
schwelle und nimmt eine verdoppelte oder vervielfältigte
Staflägja auf. Die Konstruktion der tragenden lheile giebt
somit durch ihr massives, horizontales und vertikales Rahmen-
werk die festen Stützpunkte der künftigen Arbeit ab. Dieses
System von Stämmen und Balken, in der altnordischen Sprache
„Staf“ genannt, hat unseren Kirchen den Namen „Stabkirchen
gegeben.
In Verbindung mit den Grundschwellen betrachten “wir
gleichzeitig die Diele der Kirche. Um die Grundschwellen zu