Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Vierter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1851
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 296
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der wirbellosen Thiere
Mit 1558 Ubbildungen
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Fweite Vr-nung. Gcradstugler.
K e rs e.
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Erste Familie.
Schaben.
Halsschilb vorn abgerunbet, den Kops fiberbachenb.
Flfigelbecken lederartig, vieladerig, den Hinterleib fiber-
ragend oder kurzer als derselbe. Hinterleib obenher
flach, an der Spitze jederseitS mit einem gegliederten Grif-
fel. Ffihler sehr lang, borstenformig, vielgliederig,
mit start verbicktem Grundgliede (Sig. 3016. A). Keine
Nebenaugen. Beine verlangert, mit grohen, scharf-
kantigen Hfiftgliebern, dornigen Schienen und sehr klei-
nem vorletzten Fuhgliede (B).
Schon die Alten kannten mehrere Arten dieser Fa-
milie, die lichtscheu fich am Tage verbergen, aber in mi-
sere Wohnungen fich eindrangen und in mehrfacher
Weise uns belfistigen. Nicht bloS diese aus Afien ge-
kommenen, sondern auch viele in der neuen Welt gemeine
Schaben greifen gleichmfihig Zucker, trockene vegetabi-
lische Vorrfithe und trockenes Fleisch an, zernagen, wo
bessere Nahrung fehlt, sogar wollene und baumroollene
Kleidungsstucke und verstehen fich uberall einzuschleichen,
wo sorgffitlige Verschliehung unterblieb. Sobald Licht
und Feuer im Hause erloschen, verlafsen sie die Spalten
und unzugfinglichen Winkel, die ihnen als Versteck die-
nen, verbreiten fich gerfiuschios uber Tische und Schranke
und fallen heerdenweis die unverwahrten Speisen an.
In manchen Gegenden Amerikas sind sie so gefrfihig,
dah man auf vielfache Vorkehrungen denten muh, um
die ost karg zugemessenen LebenSmittel vor der innerhalb
einer Nacht moglichen voltigen Zerstorung zu schfitzen.
Sie gehoren bort zu den Landplagen, welche tein Mittel
zu vertilgen vermag, denn Gifte vermeiden sie entweder
mit scharfem Jnstincte oder werden von ihnen nicht be-
rfihrt. Was Bory St. Vincent auf Mauritius be-
obachtete, dah Schaben die rothen, aus Zinnober beste-
Henden Tuschfarben ohne Schaden verzehrten, sindet
auch in Amerika Bestfitigung, denn in den Negerhospi-
talern greifen jene daS rothe Queckfilberpracipitat vor-
zfiglich gern an, welches als fettige Salbe ein dort bc-
liebtes Mittel darstellt. Bficher, Papiere und Oellam-
pen sind vor ihnen nirgends sicher, und haufig sindet
man sie in Tintenffihern ertrunken. Berfihrt oder gar
zerquelfcht verbreiten sie einen Hochst ekelhaften Wanzen-
geruch, fliegen des AbendS Herum und wohl gar in
das Gesicht der Menfchen, wenn Helles Licht sie vlotzlich
blendet, und bringen immer Schreck hervor durch die
Berfihrung mit ihren dornigen Ffihen. Manche Arten
Vermogen ein trommelndes Gerfiusch zu machen und Ho-
ren jeden einer solchen Nachtmufik ungewohnten Schlfifer.
Gern suchen sie Kranke und Sterbende auf und beihen
sie in die Enden der Zehen und Finger. So schlimm
Wie die amerikanische Riesenschabe (Blatta gigantea
Fig. 2017 a Mfinnchen, b Nymphe) erweist fich al.
lerdings nicht die europfiische schwarze Schabe (B. orien«
talis), welche durch Schiffe aus der Levante zu unS ge-
kommen sein foU und vorzfiglich gern in Gast- und
Speisehausern fich aufhalt, wo an Ehwaren Ueberfluh
Herrscht, doch kann auch ste sehr lastig werden, obgleich
fie nicht fiberall gleichformig vorkommt. Man sagt,
dah ihr der gefleckte Schierling, im frischen Zustande ge-
frefsen, unfehlbar todtlich sei. Eine andere in den Wfil-
dern einheimische Art (B. germanica) ist von ihr auS
den Hausern vertrieben worden. Die ungestfigelten
Weibchen der Schaben legen zwei kapselfLrmige, ovale
Kbrper, von welchen jeder sechSzehn Eier enthfilt, und die
eine Zeitlang von der Mutter wShrenb ihrer Streiszfige
Herumgeschleppt werden. Die ziemlich zahlreichen Ar-
ten der linneischen Gattung Blatta sind jetzt in viele
Gattungen zerffillt und, wenige auSgenommen, auslfin-
disch.
Zweite Familie.
Fangheuschrecken.
Korper langgestreckt, ungeflfigelt oder gestugelt. Kopf
fiber das Halsschild vorgestreckt, auch kegelformig ver-
langert. Vorderes Fuhpaar Raubffihe.
Mehr abenteuerliche Gestalten als in dieser und der
nachsten Familie dfirfte man im Bereiche der Jnsecten-
welt schwerlich aufstnden. Ost erscheint der Korper
bei groher Dfinne und drehrunder Gestalt sowie grauer
nicht aufffilliger Ffirbung mehr einem trockenen Aest-
chen als einem Thiere fihnlich, und die dfinnen wenig
bewegten Beine vermehren die Tauschung. Allein
die Fangheuschrecken besitzen in ihren Raubffihen ge-
waltige Wasfen, die sie zum Haschen und Festhalten an-
derer Jnsecten anwenden. Dah sie diese zum schnellen
Gebrauche bereit vor fich aufrecht und eingeknickt Halten,
haben freilich bie Bewohner Sfideuropas anders gedeu-
tet, lndem ste solche Stellung den emporgehobenen Hånden
eines Betenden verglichen und daher der dort Heimischen
Art entsprechende Namen verliehen. Alle Fangheu-
schrecken find gefrahig und grausam und fressen, zusam-
mengesperrt, cinanderauf. Sierichten hierbei und ebenso
bei Vertheidigung das ungemein verlangerte, drehrunde
Bruststfick senkrecht auf, lauern wohl auch in dieser Stel-
lung auf ihre Beute. Mit den an der innern Seite
scharfgezfihnten Raubffihen schlagen fie kraftig um fich
und vermsgen weichere Jnsecten mitten durch zu schnei-
ben; des Gegners Schlag oder Bih fangen fie mit dem
Rficken desselben Gliedes auf. Unter fich verrathen ste
die auherste Unvertrfiglichkeit. Sfideuropa befitzt von
geflfigelten Arten die sogenannte betende Mantis (M.
religiosa) Fig. 3018. Die grfine Mantis (M. gon-
gylodes) Fig. 3019. lebt in Indien und Hat an den Hin-
terschenkeln grohe meist Hornige Lappen.
Dritte Familie.
Gespenstheuschrecken.
Kopf fiber daS Halsschild vorgestreckt mit nach vorn
gewendetem Munde. Alle Ffihe Gangffihe.
Im allgemeinen Ansehen geben diese Thiere den
Fangheuschrecken nichtS nach, manche sind sogar noch
abenteuerlicher gebildet als diese. Der Bau und die
Verhaltnifse der Leibestheile bleiben ohngefahr diesel-
ben; das Vruststfick erreicht eine ansehnliche Lange, der
Hinterleib ist drehrund, felten breit und platt, der ganze
Korper meist stabformig. An den Beinen finden fich
bei vielen dieselben Erweiterungen, deren bei den Man-
tiden Erwfihnung geschah, aber Raubffihe kommen nie
vor. Vielen Arten fehlen die Flfigel ganz, bei ande-
ren erlangen sie einen grohen Umfang, gleichen aber
hinsichtlich ihreS Gewebes denjenigen der Geradflfigler
fiberhaupt. Bei den Blattheuschrecken hat das Mann-
chen Vorder- und Hinterstfigel, dem Weibchen fehlen
die letzteren. Dieses besitzt eine Legescheide, durch welche
eS die ziemlich kugeligen, mit einer Art von Deckel ver-
sehenen Eier an ficheren Orten unterbringt. Die ge-
nauer beobachteten Arten nahren sich von Pflanzenblfit-
tern, verhalten fich als Nachtthiere, bewegen sich lang-
sam, stellen in Gefahr sich todt, haben ein zaheS Leben
und bewohnen, paarweis zusammenhaltend, trockne und
sonnige Orte deS Unterholzes. Wenige kommen in
Sfideuropa, keine nordlicher vor, die grshten und son-
derbarsten gehoren den Tropenlandern an; cinige wer-
den im sfidlicheren Sfidamerika und Sfidanstralien ge-
funden. Zu den europaischen gehfirt Rossi's Ge-
spenstheuschrecke (Phasma Bossii) Fig. 3020., die,
im Leben von grasgrfiner Farbe, nach dem Tode, folg-
lich auch in Sammlungen, grau erscheint und etwaS fiber
2 Zoll miht. Die sogenannten wandelnden Blfitter le-
ben in Indien und bilden die Gattung Phyllium, von
welcher eine Art (Ph. siccifolium) unter Fig. 3021. ab-
gebildet ist. Sie sollen am Tage ruhig an Baumen
sitzen, Wegen ihrer Gestalt und schongrfiner Farbe vom
Baumlaube kaum zu unterscheiden sein, erhalten aber
nach dem Tode die Farbung abgefallener Blfitter.
Zweite Unterordnung.
Springende Geradslugler.
Hinterbeine meist verlfingert, immer mit sehr starken
Schenkeln und zum Springen dienend.
Vierte Familie.
Grabheuschrecken
Flfigel horizontal aufliegenb. Fuhler borstensfir-
mig, lang, vielgliederig. Vorverschienen an der Spitze,
Hinterschienen an der Hinterseite dornig.
Zu dieser leicht unterscheidbaren Familie gehort die
fiber einen grohen Theil von Europa verbreitete Dlaul-
wurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris) Fig. 3022. An
ihren Vorderbeinen ist grohe Zweckmfihigkeit der Ge-
stalt nicht zu verkennen. Wie am Maulwurfe diesel-
ben Theile eine zum Graben besondcrS geschickte Ein-
richtung erhalten haben, so erscheinen sie auch bei dem
in Rede stehenden Kerfe gleicher Abficht entsprechend,
obwohl fie sonst durch inneren und fiuheren Bau abwei-
chen. Sie find sehr stark und dick, auS kurzen, seiilich
plattgedrfickten Gliedern zusammengesetzt und an den
Schienen und Tarsen mit starken und Harten Zfihnen be-
wehrt und dienen ebenso zum Wfihlen und Auflockern
deS Erdreiches, alS zum Wegschaufeln desselben nach
Hinten. Mittel- und Hinterbeine haben bie gewohn-
liche Bilbung. Die Flfigel find unglcich, die vordercn
kfirzer alS der Leib, die Hinteren dichtgefaltet und mit
feinen Netzadern durchzogen, die Mundtheile nicht stark.
Dem Weibchen fehlt die Legershre, indessen stehen am
Ende des HinterleibeS zwei fadenformige Anhfinge. Mit
Ausnahme der angeffihrten Art gehoren alle andere
fremden Welttheilen an. Keine zeichnet fich durch leb-
Hafte Ffirbung aus, einige bleiben allezeit ungeflfigelt,
alle ffihren ein unterirdstches Leben. Die europfiische
MaulwurfSgrille sindet fich bis an den Kaukasus, wohnt
in trockenen Feldern, zieht fich im Herbste nach Wiesen
und fiberwintert einige Fuh unter der Oberflfiche bersel-
ben. Sie grfibt mit ziemlicher Schnelligkeit Horizontale
Gfinge, entfernt fich dabei wenig von der Oberflfiche,
zernagt alle feinen Wurzelfafern, die fie am Vordringen
hindern, friht die abgebiffenen Stficken und kann Hier-
durch, zumal in Gfirten, vielen Schaden anrichten. Bei
trfibem Wetter verlfiht fie bisweilen ihr Versteck auf
kurze Zeit. Das Weibchen wfihlt etwa % Fuh tief im
Wiesenboden eine rundliche Hfihle (Fig. 2899.), legt im
Juni in diese gegen 300 gelbliche, mit lederartiger Schaale
bekleidete Eier; die bald auskommenden Jungen nfihren
fich von Graswurzeln, bie burch Graben zahlreicher seit-
licher Gfinge erlangt roerben, hfiuten fich zweimal in ben
ersten drei Monaten ihres Lebens, zerstreuen fich gegen
Mitte Septembers, erleiben ben britten Hfiutungsproceh
im October unb suchen bann in etroas groherer Tiefe
Zufluchtsorte zum Ueberrointern. 3m Mfirz ober
April kommen fie hervor, hfiuten fich zum vierten Male
unb gehen nun an bas Geschfift ber Fortpflanzung. Im
Juni lfiht bas Mfinnchen feinen Lockton, ein schwaches
Schtvirren, hLren, roelcheS burch Reibung beS stark ver-
bickten Mitteltheiles ber Flfigel entsteht. In manchen
Gegenben und in geroissen Jahren nehmen MaulwurfS-
grillen so fiberhand, dah fie dem Feldbau betrfichtlichen
Schaden zuffigen. Die von ihnen unterwfihlten Saa-
ten werden gelb und sterben ab. Als nfichtliche und
nicht fliegende Kerfe entgehen sie ohne Mfihe den Ver-
folgungen der Landleute. Unter den zahlreichen Ge-
genmitteln gewfihrt nur eines einigen Erfolg. Es be-
steht in dem Feststampfen der vergelbten und offenbar
unterwfihlten Grasplfitze wfihrend des Monats August;
viele der noch zusammenhaltenden und zu Hunderten in
einem der ganz oberflfichlichen Hohlen eingeschloffenen
Larven werden durch jenes Verfahren vernichtet. Un-
i geachtet des bedrohlichen AnsehenS sind sene Grillen
ganz wehrlose Thiere; fie vermLgen weder zn beihen,
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