Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Vierter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1851
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 296
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der wirbellosen Thiere
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©liebermurmer.
Erste tØrdnung. Dorstcnwiirmcr.
geschehende Theilung aus einem Jndividuum zwei macht.
Bei den zu dieser Vermehrungsart nicht geschickten Gat-
tungen kommen sowohl getrennte Geschlechter alS auch
Zwitterbildung vor. Die meisten legen Eier, einige ge-
baren lebendige Junge. Form und Grohe der Eier
scheint an eine Regel nicht gebunden; kleine Arten legen
bisweilen unverhftltnitzmatzig grotze Eier und umgekehrt.
Warzenegel (Pontobdella) legen einen Haufen gestiel-
ter Eier, die mittels der Stiele an Seekorpern feststtzen;
Blutegel umgeben die ihrigen mit besonderen Kapseln
oder Hullen, und der Regenwurm legt Hftufig Doppel-
eier oder doch solche, aus welchen zwei Junge stch ent-
wickeln. Um die gelegten Eier oder die Jungen bekurn-
mern stch die Mutter in der Regel nicht weiter. Nur
von Saugegeln weitz man, datz fie einige Wochen lang
in der Nahe ihrer Eier verweilen, und datz das Weib-
chen die am Bauche angesogenen Jungen mit stch fuhrt
und gegen Gefahr dadurch, datz es stch selbst zusammen-
rollt, zu schutzen sucht. Welche die Lebensdauer der
grotzeren und der Beobachtung zuganglicheren Ringel-
wurmer sei, hat noch Niemand durch Versuche festzu-
stesten unternommen; man weitz nur soviel, datz Regen-
wurmer, indeni fie in geschutztcn Tiefen uberwintern, ihr
Leben aus zwei Sommer bringen konnen, Blutegel sehr
langsam wachsen und zur vollen Entwickelung lange
Zeit — man sagt funs bis scchs Jahre — branchen. Hin-
gegen Hat die Lebenszahigkeit einiger Aufmerksamkeit aus
fich gezogen; Blutegel konnen langere Zeit autzerhalb
deS Wassers eristiren, in nicht athembaren Gasen lange
auSdauern, sterben in etwas verdunniem Weingeiste ost
erst nach ciner Viertelstunde und werden sogar im
menschlichen Magen durch gewohnliche Einwirkung nicht
leicht vernichtet. Sowohl fie als die Regenwurmer be-
sitzen einige Fahigkeit, verloren gegangene Theile wie-
derzuersetzen, die vielleicht bei den langstreckigen Kiefer-
Wurmern der See und bei den Meerscolopendern noch
bedeutender sein mag. PhoSphorisches Licht zu verbrei-
ten vermogen mehrere, sogar der Regenwurm, wenn
auch dieser nur wahrend der Fortpflanzungszeit. Man-
chen hat man einen Antheil an dem schsnen Phaenomen
deS MeereSleuchtens zugeschrieben. Mit wenigen AuS-
nahmen bewohnen fie das Masser, vorzugsweise das
Meer; einige wenige fuhren ein amphibischeS Leben,
z. B. jene Blutegel Heitzer Lander, die, in feuchten Ur-
waldern herumkriechend, zu ciner grotzen Plage der
Menschen werden konnen. Regenwurmer wohnen unter
der Erde, andere Murmer verbringen das ganze Leben
versenkt in den Schlamm der Meereskusten. Jrgend be-
deutenden Nutzen fur den Menschen befitzt, mit Aus-
nahme deS Blutegels, kein Thier dieser allerdingS nicht
sehr grotzen Classe. Einige der grbtzeren konnten viel-
leicht zur Nahrung dienen, indefsen findet unter den
europaischen keine diese Anwendung. Grotze Nereiden,
Sanvwurmer und Sipunkel dienen als Koder an den See-
kusten ebenso wie Regenwurmer im Binnenlande und wer-
den von Fischern sorgfaltig ausgesucht; von gewifsensonst
vorstchtigen Fischen weitz man, datz fie der Lockung eineS
am Angelhaken fich windenden Sandwurmes nicht wider-
stehen kininen. Regenwurmer, welche die ungeheure
Fruchtbarkeit anderer Ringeltourrner nicht zu theilen
scheinen, gelten gemeinhin fur schadliche Thiere, ob-
gleich fie durch ihre LebenSweise viel zur Auflockerung
deS Bodens beitragen und hierdurch die Entwickelung
der Pflanzen fbrdern mogen.
Die systematische Eintheilung beruht auf Vorhanden-
sein oder Mangel einer deutlichen Gliederung deS Kor-
pers, auf der Freiheit der Bewegung und damit verbun-
dener Organisation oder der Einschliehung in eine Rhhre,
endlich auf der Beschaffenheit der AthmungSorgane und
des MundeS, sowie auf der Korpergestalt.
Erste Ordnung.
Borstenwurmer.
Borstenwurmer mussen als die vollkommensten der
Gliederwurmer darum angesehen werden, weil fie noch
fuhformige, wenn gleich stark verkummerte Betoegungs-
organe befitzen. In diesen, sowie in der deutlichen
Gliederung deS mit Borsten besetzten Korpers liegt zu-
gleich das Kennzeichen ihrer Ordnung. Der Kbrper ist
gewohnlich verlangert wurmformig, seltener eiformig,
wie bei den Seeraupen, wo der Ouerdurchmeffer in der
Lange zwei- bis dreimal enthalten sein kann; er ist end-
lich in eineZahl von Glieder getheilt, welche, nur durch
Hautsurchen mehr oder weniger angedeutet, daS Erken-
nen besonderer Korpergegenden, den Kops etwa ausge-
nommen, nicht zulaffen. Bon ihrer Biegsamkeit Hangt
die sast immer ansehnliche Beweglichkeit ves KorperS ab.
Mit Ausnahme der vordersten und hintersten tragt ein
jeder Ring ein oder zwei Paar Anhange, welche, gleich-
viel ob von einfacherem oder zusammengesetztem Baue,
stch auf die Bewegung beziehen, und von welchen keiner
jenialS auS mehr als drei Theilen bestehen kann. Sind
zwei Paare, alfo an jever Seite zwei Anhange vorhan-
den, fo heitzt der obere der Ruckenstummel (Fig. 3339.
3340. a), der untere der Bauchstummel (c). Diese
Fuhhocker tragen Buschel mannichfach gestalteter Haare
(Fig. 3340. l )d), die man Pfriemenborsten heitzt, wenn
sic spitzig, dolch- oder pfeilformig gestaltet sind, in
Buscheln stehen und weit Hervorragen, oder Stachelbor-
sten nennt, wenn sie einzeln stehen und glatte Spitzen
zeigen. Von beiden unterscheiden fich die kurzen, plat-
ten Hakenborsten durch Hakige Zahne ihrer Spitzen und
ihre Stellung in einer oder zwei Querreihen an dem
Bauche, seltener den Ruckenstummeln. Wahrend diese
Borsten die Bewegung vermitteln, beziehen stch die so-
genannten Gliedfaden oder Cirrhen mehr auf das Taften.
Selten fehlen sie ganz, biSweilen sind mehrere vorhan-
den, in der Regel steht einer neden dem Ruckenstummel
(Fig. 3339. und 3342. b), einer neben dem Bauchstum-
mel (Fig. 3342. c). Man bemerkt an ihnen eine fchwache
Gliederung und rohrigen Bau. Sie entwickeln stch be-
fonders nach vorn, wo die Stummel kleiner, die Bor-
sten seltener und kurzer werden, und erhalten dort die
Bedeutung von Fuhlern, ohne jevoch jeinals den bei
Gliederthieren gewohnlichen Bau zu theilen. Beschaf-
fenheit und Lage der Athmungsorgane und Gestalt der
Mundtheile andern je nach den Familien, ebenso die
Zahl der Augen und der Fuhler, die auch ganz fehlen
konnen, zumal da, wo der Kopf nicht deutlich geschieden
ist. Wenige im feuchten Erdreiche lebende auSgenom-
men, bewohnen die Borstenwurmer daS Waffer, vor-
zugsweis daS Meer.
Erste Unterordnung.
Fuhlerwurmer.
Kopf meist deutlich abgesetzt, fast immer mit Augen
und Fuhlern versehen. Mund am Ende eineS vorstulp-
baren, meist mit Kiefern bewaffneten Rufsels, oft mit
ungegliederten Tastern umgeben. Entlang den Seiten
zuruckziehbare, einzelne oder paarige Futzhocker mit
Gliedfaden, der Mehrzahl nach mit verschieden gestalie-
ten Kiemen verbunden. NiemalS Hakenborsten.
Erste Familie.
Seeraupen.
Karper langlich, flach. Obere Gliedfaden mit Hau-
tigen Schuppen abwechselnd. Kopf mit zwei bis vier
Augen und Fuhlern, Mund meist mit vier Kiefern und
ebensoviel ungegliederten Tastern oder Barteln.
In dieser Familie entfernt fich die Gestalt am Mei-
sten von der eigentlichen Wurmform, denn statt lang-
gestreckt und mehr oder weniger drehrund zu sein, wird
ste zur ovalen und ziemlich platten. Langes Haar oder
Pfriemenborsten uberragen bei vielen Arten den Korper
nach mehreren Richtungen und befitzen einen Metall-
schiller, dem AehnlicheS nur etwa bei tropischen Vogeln
oder bei Jnsecten gefunden wird. Als Vertheidigungs-
werkzeug dienen die Pfriemenborsten, die bisweilen an
der Spitze ruckwarts gezahnelt, sehr spitzig und Hart
find (Fig. 3341. a). Damit Abstumpfung nicht statt-
finde, muh es moglich sein, sie weit zuruckzuziehen; Hier-
bel tourben sie die umgebenden toeichen Theile zerreihen,
toare nicht eine zweiklappige Scheide vorhanden, die zu-
mal bei der stacheligen Hermione (Fig. 3341. b), einem
der gemeinen Seeraupe im Ganzen Lhnlichen Wurme,
sehr deutlich erkannt wird und fich vollkommen uber die
Borste zusammenlegt, sobald diese nach innen zuruckzu-
weichen beginnt. Ausnehmend feine und lange, sei-
denglanzende, an den Seiten der Futzstummel entsprin-
gende Haare bilden auf dem Rucken der achten Seerau-
pen einen dichten, dem anatomischen Messer toiderstehen-
den, nur durch vie Scheere trennbaren Filz. Unter
diesem liegen ztoei Reihen groher hftutiger Schuppen,
(Fig. 3340. a Ruckenstummel mit feinen Borsten, b
Bauchstummel mit dem Gliedsaden d, c Ruckenschuppe
der Seeraupe), toeiche von den mit Gliedfaden nicht ver-
sehenen Segmenten entspringen, mit den Randern fich
gegenseitig decken und, weil fie ein feineS Gefatznetz ent-
halten, als Athmungsorgane angesehen werden, obwohl
autzer ihnen auch noch innere Athemhohlen vorhanden
find. Bei den Hermionen liegen diese Blotter frei, und
dem Rucken fehlt die Filzdecke. In allen bis jetzt lebend
untersuchten Arten dieser Familie sand man kein rotheS,
sondern nur farbeloseS oder gelbliches Blut. Der
Darmcanal lauft geradlinig vom Alunde zunt Asier; an
dem Magen der eigentlichen Seeraupen sttzen seitwarts
zahlreiche, fadenformige Blinddarme. Sehr sonderbar
gestaltet sich der Mund. Ein in der Ruhe nach innen
gewendeter und Haufig fur einen Kropf angesehener
Theil stulpt fich namlich so vollstandig um, dah er Halb-
kugel- oder keulenfhrmig Hervortritt. Kiefern oder
vielmehr knorpelige, mit rauhcn Zahnen uberzogene Lei-
sten sind an verschiedenen, in jeder Gattung unveran-
derlichen Orteti angebracht und werden zum Erfaffen
oder Zerreiben der Beute, bisweilen auch zur Herskel-
lung der Gftnge im Sande oder Schlamme des MeereS
gebraucht, die zur Wohnung dienen. Ungeachtet ihrer
Langsainkeit scheinen die Seeraupen anoere kleine See-
thiere ohne Muhe zu ergreifen und zu bestegen und
uberhaupt sehr gefrfthig zu sein. Die alS Muster un-
ter Fig. 3338. abgebildete gemeine Seeraupe
(Aphrodita aculeata) lebt in den europiiischen Meeren,
Hat goldgrun und kupferroth schillernde Haare und Bor-
sten und wird gegen 5 Zoll lang.
Zweite Familie.
Kiemenwurmer.
Korper flach. Kiemen astig an allen Korperringen.
Alle Hockerpaare mit Gliedfaden, mit Borsten, aber nic
mit Stacheln versehen (Fig. 3339. 3342.). Mund ohne
Kiefer und Bertel.
Die Kiemenwurmer haben noch einige Aehnlichkeit
mit den Seeraupen, unterscheiden fich aber wesentlich
durch ihre geficderten oder buschelformigeii, immer ziem-
lich tief eingeschnittenen und astigen Kiemen, die an al-
len Korpergliedern seitwarts stehen. Sie haben einen
kurzen, der Lange nach gegen vorn gespaltenen Russel,
dem aber Kiefern und tastende Anhange fehlen, zwei bi8
vier Augen und funs Fuhler. Als Kennzeichen der
Gattungen dienen die Kiemen, die z. B. bei Chloeia
dreifach gefiedert find, bei Pleione (Fig. 3342. a) alS
kleine, neben den Ruckenhockern stehende Buschel crschei-
nen; auch kommen die Fuhler in Betrachtung. Die
ziemlich grohe gelbe Chloeia (Fig. 3343.) zeichnet
fich aus durch lange Bundel goldgelber, sehr glanzender