Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Vierter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1851
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 296
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der wirbellosen Thiere
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Gifte Classe.
W eichthiere.
Einleitung.
(Scnaue Begrdnzung einer Thierelasse gehort zu den
Unmoglichkeiten, so lange nicht die bestimmenden Merk-
male mit Hinreichender Scharfe festgesetzt sind. Wenn
dieses in den oberen Classen ohne Schwierigkeit ge«
schieht, so Verhdlt eS fich nicht ebenso in den nieberen,
indem ihre charakteristischen Kennzeichen der Mehrzahl
nach innere sind und sonach anatomische Zerlegung des
ThierkorperS erheischen. Bei Gliederthieren gewahrt
die dupere Hulle und die Einrichtung der Fuhe Hinrei-
chenden Anhalt zur Erkennung der grohen Abtheilung
int Allgemeinen; bei den Wurmern steigert sich grab-
tveis die Schwierigkeit der Aufstellung leicht fahlicher
auherer Kennzeichen; bei den Weichthieren werden die
lesteren so schwankend, bah uberall passende sich kaum
auffinden lassen. Da sonach Anatomie in dieser Classe
der einzige fichere Leitfaden bleibt, diese aber Hinfichtlich
der Thiere der untersten Abtheilungen erst in verhalt-
nihmahig neuen Zeiten auf eine hohe Stufe gelangte,
so wird es erklarlich, warum altere Forscher die Auf-
stellung einer besonderen Classe der Weichthiere nicht
unternehmen konnten. Selbst bei Linne und seinen
nachsten Nachsolgern bildeten diese Geschhpfe nur einige
Abtheilungen der grohen und fibelgeorbneten Classe der
Wfirmer; sie wurden theils mit Fremdartigem unter-
mengt, theils auch einzeln an entlegenen Orten des Sy-
stems untergebracht. Nach jetzt geltenden Anfichten
gehoren zu den eine grohe Classe bildenden Weichthieren
oder Mollusken alle ruckgratslose oder wirbellose Thiere,
deren Nervensystem ans einem den Schlund umgebenden
Ringe und asymmetrisch durch den Korper verstreueten
Nervenknoten oder Ganglien besteht, und welche Glieb-
maahen entbehren. Das einzige gemeinsame, wenn auch
nicht auSnahmelos vorhandene auhere Kennzeichen giebt
die Bekleidung mit einer lose anhangenden, weichen,
schlupfrigen Haut; von ihm ward der Claffenname ent-
lehnt. Jrgend eine bestimmte, unter allen Abande-
rungen immer wieder erkennbare, daher allen gemein-
same Korpergestalt ist nicht vorhanden. In den mei-
sten Ordnungen erscheint diese alS asymmetrische und
auherdem haufiger Veranderung an bemselben Jndivi-
duum schon darum unterworfene, weil innere feste Theile
fehlen und die Muskeln sich an die Haut anheften, die
niemals, wie jene der Gliederthiere, zum festen und
shmmetrischen Panzer wird. Viele Weichthiere tragen
ein kalkiges, einfaches oder auch zweischaliges Gehdus,
welcheS jedoch mit der Hulle der Gliederthiere nichts
gemein hat. Jrgend eine Normalgrhhe Idpt fich nicht
nachweisen, nicht einmal innerhalb der engeren Grdnzen
einer Ordnung oder Familie; eS fehlt hier ein mittle-
reS bestandiges Verhdltnih. Gegenuber den Wirbel-
thieren wurden jedoch MolluSken klein zu nennen sein,
denn der grohte der genau bekannten Kopfffiher miht,
ohne Arme, hochstens vier Fuh, der Korper der grshten
Riesenmuschel etwa vier Fuh. Sehr viele sind sehr
klein oder sogar mikroskopisch, wie die zu den Nautili-
ten gehorenden Camerinen oder andere Seesandeonchy-
lien. In deutliche Abtheilungen zerfallt der Karper bei
sehr wenigen. Nur bei den Kopfffihern ist der Kops
scharf unterschieden; bei Schnecken verflieht er mit dem
Korper, bei allen in der zweiten grohen Untertheilung
stehenden fehlt er ganz. Noch viel weniger burchffihr-
bar ist die Trennung des Korpers in Hals, Bauch u.s.w.
Eigentliche Gliedmaasien fehlen allezeit, indeffen treten
an ihre Stelle mannichfache, Ortsbewegung und Ernah-
rung vermittelnde Anhange. Die Haut zeichnet sich
aus durch weiches, schwammigeS Gewebe, besonders aber
durch die Art, wie ihre unteren Schichten mit den Mus-
kelfibern verschmelzen. Bald ist fie sehr dunn, bald
lederartig, manchmal warzig, bisweilen mit schuppen-
ahnlichen Furchen oder Vertiefungen uberzogen, niemalS
aber mit eigentlichen Haaren bekleidet. Ihre meist
schleimige und schlupfrige Oberflache deutet auf das
Vorhandensein vieler Schleimdrufen, die man nicht im-
mer nachzuweisen vermag, die indessen mit Deutlichkeit
an dem Halsbande, dem verdickten Mantelrande vieler mit
einem Kopfe versehener Familien, gewahrt werden. Diese
Haut umgiebt meistenS die Eingeweide wie ein dehnba-
rer loser Sack oder Schlauch und reicht nach verschiede-
nen Seiten uber die Eingeweidehohle Hinaus in Ge-
stalt mannichfacher Ausbreitungen. Man nennt diesen
Hautsack oder diese allgemeine Hfille den Mantel, und
zwar auch dann, wenn er glatt und faltenlos anliegt.
Der Mantel bietet endlose Verschiedenheiten der Form ;
er kann ganz geschlossen sein wie bei den Schnecken und
Seescheiden oder nur oben durchbohrt wie bei den Kopf-
ffihern, mag fifigelsfirmig die Seiten fiberragen wie bel
den Flossensfisiern oder zwei mehr oder minder tief ge-
trennte Blatter bilden wie bei den Zweischaligen. Oef-
ters ist er am Rande gelappt, eingeschnitten oder ge-
franst, nicht felten lebhaft gefarbt, zumal da, wo er eine
kalkige Schule zu bilden nicht vermag, wie bei den soge-
nannten Nacktschnecken. Immer entfiehen aus ihm durch
besondere Gestaltung einzelner Theile die BewegungS-
organe. Der sogenannte Fuh ist nichts Anderes als
eine Verdickung und Verlangerung deS Mantels; er
erscheint alS verdickte, ebene Sohle an der Unterseite
der Bauchffiher; als flossenfhrmige Hervorragung fugt
er fich an die Mitte des langstreckigen RumpfeS bei den
Kielffihern, wird zum ausstreckbaren, bisweilen sacksor-
mig hohlen, innerlich mit vielfach gekreuzten Muskelfa-
fern verwachsenen Gebilde bei den Zweischaligen, nimmt
bei den Herzmuscheln bie Umriffe des MenschensusieS an,
gleicht bei den VenuSmuscheln einem Beile und bei den
Loripeden einer dicken Schnur. Den in einen lederar-
tigen oder knorpeligen Sack eingeschlossenen und an an-
dere Korper angewachsenen Mantelthieren (Seeschei-
den oder Ascidien) fehlt er ganz. Zur schnellen Fort-
bewegung befitzen wenige Weichthiere bie Fahigkeit.
Sie kriechen mittelst abwechselnder Ausbehnung unb
Zusammenziehung beS FuheS ober fchwimmen burch
wellenformige Bewegung bes Mantelranbes. Kopf-
ffiher helfen fich auf bem Stranbe vorwarts, inbem fie
ben Korper an ben stellenweiS angezogenen Armen nach-
ziehen, unb fchwimmen theils burch biefelben Werkzeuge,
theils burch Aufnahme unb plotzlicheS Heraustreiben
von Waffer aus ber Korperhhhle. Ein Theil ber
Weichthiere ist unbeweglich angewachsen; manche Zwei-
schalige, wie Austern, konnen fich nicht wieber losma-
chen von bem Orte, an welchen fie in ber Jugenb fich
anhefteten. Solche Befestigung ist inbeffen zur Erhal-
tung bes Lebens nicht unumganglich nothwenbig, ob-
wohl gewohnlich. Bei aller Formlosigkeit unb sonsti-
ger Unvollkommenheit bes Aeuheren befitzen Mollusken
boch sehr ausgebilbete Berbauungswerkzeuge. Eine ein-
fache, bisweilen nur als Spalt erscheinenbe Munboff-
nung Haben bie Kopflosen, einen ausstfilpbaren Rfissel
viele Bauchffisier, sormliche Kiefern bie Kopfffisier. In
ben hoheren Orbnungen finben fich oftmals knorpelige,
mit Harteren Zahnchen besetzte Leisten im Munbe, welche
scharf schneiben unb eine rduberische Lebensart msglich
machen. Es scheint, bah alle im Meere wohnenbe
Weichthiere auf thierische NahrungSstoffe angewieseu
finb unb nur bie Lanb- unb Sfihwasserschnecken von
Pfianzen sich nahren. Die bekannte Gesrahigkeit ber
letzteren gestattet einen Schluh auf anbere Weichthiere,
minbestens jene ber hoheren unb vollkommen organifir-
ten Orbnungen. Tintenfische (Sepien) finb nicht al-
lein unersditliche, sonbern auch grimmige Raubthiere
unb stfirzen fich auf anbere, ost viel grohere Bewohner
bes MeereS. Verhaltnihmahig toenigere Weichthiere
leben auf bem Lanbe unb athmen Luft burch lungenar-
tige Sacke; alle anbere besitzen Kiemen, bie nicht allein
burch mannichfaltig toechselnbe Gestalt, sonbern auch
burch Gruppirung unb Ort sehr gute Mittel systemati-
scher Begrdnzungen abgeben. Immer ist ein Herz vor-
Hanben, welches bei wenigen auS mehr als zwei Abthei-
lungen besteht. Dah ber Umlauf beS BluteS nicht, wie
sonst angenommen warb, nur in geschloffenen Gefahen
geschehe, sonbern bah basselbe bei gewissen Familien auch
in Hhhlen fich ansammeln unb zeitweilig stagmren konne,
hat man in neuesten Zeiten entbeckt. Ueber bie Sin-
nesthdtigkeiten urtheilt man nur mit auherster Schwie-
rigkeit. Die einzige burch Versuche unmittelbar nach-
toeisbare ist jene bes FfihlenS an ber Oberflache; Jeber-
mann weih, bah bie leichteste Berfihrung bie Schnecke
veranlaht, fich in ihr HauS zurfickzuziehen; Riesen-
muscheln, obgleich ber minber begfinstigten Abtheilung
ber Classe angehdrenb, follen im Augenblicke ber Be-
rfihrung burch frembe Korper bie offenen Schalen mit
solcher Energie schliehen, bah ein Knall wie von einem
Pistolenschuffe erfolgt unb selbst ein Mannesarm un-
ter bem Schlage zersplittern tofirbe. Tastfinn fehlt
zwar wohl felten, allein fo vollkommen ber Willkfir
unterworsen, wie in ben hoheren Thierefassen, scheint er
kaum zu sein; bie Taster ober Teniakeln werben offen-
bar nicht ausschliehlich fur bie ihnen zugeschriebenen
Ztoecke ober minbestens nicht als alleinige Ffihrer ge-
braucht. Unverkennbare Augen befitzen nur bie Kopf-
mollusken, manche, wie bie Kopfffiher, haben fie fogar in
groher Vollkommenheit; lange blieb es unentfchieden,
ob gewisse am Mantelranbe ber Zweischaligen befinbliche
Punkte als Sehorgane bienen. Ein Hororgan, toenn
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