Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Vierter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1851
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 296
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der wirbellosen Thiere
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Krustenthiere.
Linleitung.
An den fibrigens bminhautigen Magen schlietzt sich ein
dunner, langer, geradeaus laufender Darm, der in fei-
ner vorderen Halfte mit der grohen, zu beiden Seiten
des Magens gelegenen, mehrlappigen und sehr zusam-
mengesetzten Leber (Fig. 2546 f. f.) in Verbinbung steht.
— Die Mehrzahl der Krustenthiere ernahrt sich von
thierischen Stoffen, wenige fressen Pflanzen; die ei-
gentlicheu Parasiten tilden nicht allein eine zahlenarnie
Gruppe, sondern bleiben ohne Unterschied sehr klein.
Von dem gemeinen Fluhkrebse weitz man mit Sicherheit,
bah er faulende Reste von Thieren gern verzehre, und
daher trifft man ihn haufig in der Nfihe Ertrunkener
und wohl auch beschaftigt, hervorstehende Theile, Na-
senspitze, Ohren und Finger, zu benagen. Alle Kru-
stenthiere verrathen gtohe Gefrfihigkeit und fallen sich
sogar gegenseitig an, wenn Hunger fie qualt. Die
franzosischen Fischer wissen dieses und stohen Hummern,
welche fie mit anderen in Korten unter dem Waffer ein-
gesperrt auftewahren wollen, einen Nagel oder Dorn
in daS Daumengelenk. Ohne diese Lahmung der Zan-
gen toutben die st^rkeren die schwficheren todteu und
auffressen. Grohere im Meere letende Krebse spielen
eine toirkliche Raubthierrolle, lauern andern Seegescho-
pfen auf und scheinen nicht minder die Hartschaaligen
Seeigel, als andere Krustenthiere und Fische zu fressen.
Die kleinsten der unvollkommeneren Ordnungen tegnu-
gen fich mit mikroskopischen Organismen, von welchen
alle Gewasser toimmeln; die Buschelfuher unserer Teiche
unb Sumpfe scheinen arge Vertilger von Jnfusorien
zu sein.
Die Krustenthiere bieten ein schoneS Beispiel von
Verbindung zwischen den Organen der Athmung und
denjenigen der Ortstewegung. Nur die kleinsten und
dabei einfacher organifirten scheinen deutlicheAthmungS-
werkzeuge zu entbehren; bei dem sehr geringen Umfange
ihreS Korpers und der Dunne der Bedeckungen kommt
das Blut aller Orten dem Wasser so nahe, bah beson-
dere Kiemen uberflusfig toerden. In den etwas Hther
stehenden Familien vertreten die mit Wimpern umgebe-
nen und gegen daS Vorderende verbreiterten Fuste die
Kiemen, z. B. bei den Vlattffihen und Flossenfusteu
(Fig. 2736. 2737.). Bei den Asseln findet Aehnliches
Statt, allein wenngleich die Athmungsorgane an den
Futzen befestigt find, so erscheinen fie doch schon als ge-
sonderte kleine Blattchen (Fig. 2716 c.) und nicht mehr
als eigentliche Fortbetoegungstoerkzeuge; bei den Kehl-
futzern stehen an der Wurzel der Gangfutze ein Paar
Blasen (Fig. 2703.), welche die Athmung besorgen;
bei den Maulfutzern fugen sich kiemenartige Fransen an
daS Wurzelglied oder die Endglieder der Hinterleibsffitze
(Fig. 2697 a. 2688.). Zu innerlichen toerden die Ath-
mungsorgane bei den zehnsutzigen Schaalenkrebsen, den
vollkommensten der ganzen Classe, indeni fie da in be-
sonderen seitlichen Hohlen des Kopfbruststfickes liegen
(Fig. 2547 e.). Einzeln genommen erscheint fede Kieme
toie eine vierseitige Pyramide; an den unter Wasser
sorgfattig auseinandergebreiteten latzt fich die Zusam-
mensetzung aus zahllosen schmalen , mit einem Gefatz-
netze durchzogenen Blstttchen leicht erkennen. Jede ist
an einen Stiel befestigt, der auS einer Arterie und el-
ner Vene besteht, die toeiterhin mit andern gleichnami-
geii fich zu zwei grohen Geffihstammen verbinden. In
die Kammern der Kiemen erhalt das Wasser Zutritt
und Abstutz durch ztoei Oeffnungen. Damit jedoch daS
Wasser nicht stehen bleibe, sondern alS ein dauernder
Strom uber die Kiemen hinspfihle, ist an der inneren
Wurzel jedes Kicferfutzes eine Hautige und getoimperte
Platte befestigt, toelche, durch jede Betoegung der erste-
ren ebenfallS in Betoegung gesetzt, das Wasser Hin-
und hertreiben rvird. Obgleich die Kruster toesentlich
Wasserthiere sind, so vermogen doch viele geraume Zeit
auf dem Trocknen auszudauern, vor allen die Landkrab-
ben (Fig. 2589.). Es toird bei solchen, toie bei ge-
toissen, oben erwahnten Fischen darauf ankommen, datz
die Kiemenhhhle eng genug geschloffen sei, run die Kie-
men mindestens feucht zu erhalten, indeffen toird auch
eine getoifse Fahigkeit zur Luftathmung nicht vbllig ent-
behrt toerden konnen. Kruster deS hohen MeereS, z.B.
die Plagusien (Fig. 2593.), befitzen folche nicht und
sterben bald nach Entfernung aus dem Wasser. Der
Umlauf ist, mindestens in den hhhern Ordnungen, ein
vollstandiger. Ein Herz fehlt niemals; bei den Krebs-
thieren stellt cS einen ovalen Sack dar (Fig. 2546c.
2547 c.), der in der Mittellinie deS Korpers, Hart vor
dem Hinterrande des Kopfbruststfickes, liegt, sehr muS-
kulos ist und kraftig pulfirt.
Den Jnsecten stehen die Krustenthiere nach, nicht
allein hinstchtlich volligcn Mangels an Kunsttrieb, son-
dern fiberhaupt geringerer Thatigkeit, auch kommen ste
ihnen an Sinnesscharfe geroih nicht gleich und getoahren
daher dem Beobachter ein weit toeniger anziehendes
Schauspiel. Die Mvglichkeit feinen Ffihlens schlietzt
schon die mehrentheilS Harte Bedeckung aus, und das
Tasten, obtoohl es geschieht, kann aus ahnlichein
Grunde nur fur sehr allgemeine Eindrficke Hinreichen.
Wahrscheinlich hat der Tastsinn seinen Sitz in den so-
genannten Ffihlern oder Antennen, die in den unteren
Ordnungen ganz sehlen, nur angedeutet oder Hochstens
zu ztoeien vorhanden sind, in den oberen Hingegen von
zusammengesetztem Baue und zu ztoei Paaren gefunden
toerden und dann autzere (Fig. 2548 a.a.) und innere
(b.b.) Heitzen. Man unterscheidet an ihnen ein Wur-
zelglied und mehrere Mittelglieder, toelche zusammen den
sogenannten Stiel bilden, und ein vielgliederiges Enb-
glieb, neben welchem, roenn es der auheren Antenne
angehort, nicht selten eine Art von Taster steht (Fig.
2550b.), roelcher der inneren (a.) fehlt. Bei zehnffi-
tzigen Schaalenkrebsen konnen diese Organe ungemeine
Lange haben (Fig. 2674.), und die inneren konnen sich
in zwei und sogar drei fadenfhrmige Verlfingerungen
spalten (Fig. 2687.), die man Geiseln nennt. Vis-
roeilen sind ste astig und dienen als Werkzeuge der Be-
roegung, endlich selbst deS Greifens, roenn fie eine
scheerenartige Spitze haben. Versuche, roelche Milne
EdroardS angestellt, lassen die Fahigkeit deS Schmeckens
bei Krustern unzroeifelhaft erscheinen, obgleich ein be-
sonderes Schmeckorgan nicht aufzufinden ist. Dasselbe
gilt auch vom Riechen, benn nur durch biefen Sinn
konnen Hummer bes Nachts zu ben aus Fischen unb
Krabben bestehenben Kobern geleitet roerben, roelche
bie Fischer in tief versenkten Fangkorben befestigen.
Wo bas Riechorgan liege, hat noch kein Anatom mit
Sicherheit zu beantroorten vermocht, benn ob geroiffe
Vertiefungen in ber Nahe der Ffihler dasselbe vertreten,
bleibt noch zu beweisen. Wenige Kruster entbehren
Augen; sie gehsren den Familien an, die als Schma-
rotzer auf anderen Thieren, also auf ihrer Nahrung selbst
leben und folglich den Gesichtsfinn missen konnen. Die
Augen liegen bald oben, bald vorn, bald an den Sei-
ten deS Kopfes und bieten die drei bei den Glieberthie-
ren fiberhaupt vorkommenden Formen; sie heitzen ein-
fache Augen, roenn sie sich im Allgemeinen toie
bei ben Wirbelthieren verhalten, zusammengehaufte,
roenn mehrere an fich einfache Hart neben einan-
ber stehen, zusammengesetzte, toenn sie aus einer
Menge kegelfbrmiger Krystallkorper bestehen, fiber
toelche eine enttoeber glatte ober facettirte gemeinsame
Hornhaut sich spannt. Alle einfache ober gehfiufte
Augen fitzen, hingegen stehen bie zusammengesetzten im-
mer auf Stielen, toelche von verschiebener, ost auch sehr
grotzer Lange sinb (Fig. 2551. 2568.) ober auch fiber baS
Auge selbst hinausreichen, immer aber in Vertiefungen
ober Rinnen ber Stirn so zurfickgelegt toerben konnen
(Fig. 2552.), bag bas Ange Schutz finbet. Diese
Einrichtung ist eine nothwenbige Folge ber Unbeweg-
lichkeit beS Kopfes, es ist sogar ber Gesichtskreis bes
gestielten Auges ein noch weit grotzerer als jener eines
auf betoeglichem Kopfe festsitzenben. Datz bie Krusten-I
thiere hsren, betoeisen toissenschaftliche Versuche unb
Erfahrungen bes taglichen LebenS. Auch in Deutsch-
lanb weitz ber gemeine Mann, batz ber Flutzkrebs burch
plotzlichen Knall sehr erschrecke, unb setzt wohl auch
Hinzn, bah in Folge bes Schreckens unb einer kram-
pfigen Zusammenziehung die Scheeren fortgeschleubert
werben. Obgleich nun auch Norbseefischer vom Hum-
mer Aehnliches erzahlen, so bfirfte an biesem Hergange
boch zu zweifeln sein. Das Hororgan besteht in einer
Grube am Wurzelgliebe beS zweiten Ffihlerpaares, bie
mit einer bfinnen Haut fiberspannt mit Flfissigkeit er-
ffillt ist unb einige Nervenzweige erhalt, aber mitvoller
Deutlichkeit nur bei ben hoheren Orbnungen (Fig.
2781. a. a.) nachgewiesen Werben kann.
Die Bewegungen ber Kruster geschehen meist mit
Kraft, bie zumal in den hoheren Ordnungen Verwun-
derung erregen kann. Ein einziger starker Ruderstotz
des HinterleibeS vermag den Hummer zehn und mehr
Flttz weit durch das Wasser zu treiben. Bei den kurz-
fchwanzigen KrebSthieren bienen bie Ffitze allein zur
Ortsbewegung; wo sie breit unb schanfelformig sich er-
weitern, erklart fich bas Schwimmen leicht genug, nicht
aber, wo fie schnial unb spitzig finb; wirklich gleicht bie
Bewegung einer mit solchen Ffitzen versehenen Krabbe
einem Lanfen im Wasser, geht aber trotzbem schnell
genug von Statten. Unter ben Lanbkrabben giebt eS
mehrere, bie man im raschesten Schritte nicht einholt.
Bei ben langschwfinzigen Krebsen wirkt ber an bie Brust
vorwarts geftummte unb plotzlich gerabe gestreckte Hin-
terleib als eigentlicheS Schwimmwerkzeug. Seine Ober-
flache toirb babei vergrotzert durch AuSbreitung ber am
hintersten Enbe stehenben Platten. Schlage, in unige-
kehrter Richtung gegeben, veranlassen baS Schwimmen
mit bent Schwanze vorauf, eine Richtung ber Ortsbe-
wegung, welche ber gemeine Flutzkrebs vorzieht; auch
gestattet bie Gelenkbewegung ber Ffitze vielen Krabben,
mit Schnelligkeit seitwarts zu laufen. Die Kruster ber
nieberen Orbnungen wohnen allein im Wasser, sinb ba-
her ausschliehlich zuln Schroimmen ausgerfistet unb bie-
ten weit mehr Mannigfaltigkeit in der Form ihrer Be-
wegungsorgane als die zum Laufen befahigten der ho-
heren Abtheilungen. Manche Kruster sind im Stande,
sowohl auf dem Lande als im Wasser Weite Sorfinge
auSzuffihren. Alle beweisen viele Ausdauer, indessen fiber-
trifft wohl keiner bie westinbischenManberkrabben, welche,
ohne zu ermfiben, einige Meilen in geraber Linie zurfick-
legen. Von ihrer Muskelkraft zeugt auch bas Fest-
halten ber mit ben Scheeren ergriffenen Gegenstanbe,
bas Anstammen ber Einfieblerkrebse (Fig.2655 — 2660.)
gegen bieWanbungen ihreS erborgten Hauses, bie Schnel-
ligkeit, mit welcher viele spinnenartig auf bent nassen See-
stranbe Herumlaufen.
Alle Krustenthiere psianzen sich burch Eier fort unb
find getrennten GeschlechtS. Jhre inneren Geschlechts-
werkzeuge zu unterscheiben, ist nicht immer leicht; fle
liegen bei den eigentlichen Krebsen in der Mitte des
Kopfbruststfickes zwischen Magen und Herz^ sind stets
paarig und symmetrisch (Figg. 2546. b.2547. b.) unb
mfinben nach Autzen entweber burch Spalten ober Lscher
(Weibchen Fig. 2554. k. k.) ober bei bent Mannchen
(Fig. 2553.) burch besonbere autzere Anhange. In
den niedriger stehenden Familien ergeben fich in dieser
Beziehung viele Abweichungen. Das Zusammentre-
ten behufs der Fortpflanzung geschieht periodisch und
veranlaht bei gewissen meist nuf bent Festlande leben-
den Arten wirkliche Wanderungen nach ben Seekfisten,
inbem bie Ausbrutung ber Eier bei ben meisten Krustern
nur im Wasser geschehen kann. Die grotze Fruchtbar-
keit bieser Thiere beweist fchon bie Menge von Eiern,
welche an ben Afterffitzen eineS gemeinen Flutzkrebses
Hangen; sie fcheint in ben niebrigsten Abtheilungen,
ben Kieferffitzen, bisweilen alle Granzen zu fiberschrei-
ten, inbem bergleichen theilweiS mikroskopische Geschopfe
in einzelnen Jahren in wahrhaft ungeheueren Mengen