Gothisches Musterbuch 1
Forfatter: G. Ungewitter, D. Statz
År: 1856
Forlag: T.O. Weigel
Sted: Leipzig
Sider: 34
UDK: 723
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beruht, daß dieselbe aus der Religion, der Sinnesweise
und dem Tacte des Volkes hervorgegangen und weder
durch Denker und Gelehrte auf der Stnd irstube erson-
nen, noch durch Gesetze erzwungen worden ist. Dieser
Mahmlng folgend, wird man dann die ans dem Herzen des Bol-
tes in fast unwillkürlichem Lebenstriebe erwachsene Kunst in das-
selbe sich wieder eiupflanzen und zu neuer gedeihlicher Entwickelung
bringen lassen. Fürchte inan nicht, aus Einer Einseitigkeit in eine
andere zu fallen, indem man die einheimische Kunst zum Aus-
gangspunkte nimmt: die christliche Bildung schließt die vorchriftliche
in sich; keineswegs aber hat auch das Umgekehrte statt. Wer ein
gothisches Portal auszutragen, zu zeichnen oder zu modellireu vel-
steht, braucht vor Voluten, Akanthusblättern, Palmetten und Akro-
tcricn nicht zurückzuschrecken, wohingegen Ersteres eine ganz spezielle,
tief eingehende Hebung erfordert. Einem jeden Menschen ist nur
eine Spanne, und zwar eine recht kurze Spanne Zeit zugemepen;
es erscheint daher räthlich, sein Thnll gleich von vorne herein auf
einen bleibenden Griuid zu legen und nicht gar zu weit ailszu-
holen; man könnte sonst leicht nicht über das Vorbercitungsstadium
hiuauskommen. Wenn die bis dahin befolgte Methode die rechte,
wenn die bloße historische Zeitfolge maßgebend wäre, so müßte
man auch die Jugend erst in die alte Götterlehre und in die heid-
nischen Mysterien einweihen, bevor ihnen der christliche Katechismus
in die Hand gegeben würde. Oder haben etwa die griechischen
Kunstschulen, die uns ja als Muster dienen sollen, die Style
Egyptens und des Orients ihrer Theorie Und Praxis zum Grunde
gelegt, weil ihre Kunst von dorther stammte? —
Nicht blos für die geistige, sondern auch für die stoffliche
Welt hat die Offenbarung den Blick erweitert und geschärft; dnrch
die Erlösung ist Uns der Weg gezeigt, auf welchem die Herstellung
auch der gefallenen Natur in ihrer ursprünglichen Schönheit zu
erstreben ist. In dem Maße, in welchem harmonische Einheitlich-
keit in den menschlichen Geist zurückkehrt, wird auch die Zerr if sc u-
heit in der Natur schwinden, vermöge des dieselben verbindenden
geheimnisvollen, sympathetischen Zuges nicht blos, sondern auch,
weil Schauendes und Geschautes sich stets wechselseitig bedingen.
Einem Fiesole ist die Natur eine ganz andere, als einem Byron,
Und diesem wieder eine andere, alö einem (Suvicv. Richt ohne
tiefen Sinn berichtet schon die älteste Sage, wie durch die Har-
monie des Lautenspieks wilde Bestien gezähmt und Steine zum
Bauwerk zilsammengefügt worden; nicht minder bedeutungsvoll ist
es, daß der Held jener Sage, Orpheus, den ersten Christen als
ein Symbol für Christus, den Hirten und Erlöser, galt, wie
denn auch der letzte Dichter, welcher vor dem Hereinbrechen der
„Aufklärung" noch im vollen Lichte des Christenthums stand,
Calderon be la Barca, ihn feine geliebte Emidice (Die menschliche
Natur) aus der Unterwelt, dem Orte der Verschuldung und Ver-
bannung, befreien läßt.
Die Frage von dein Verhältuiß der Natur zur Kunst schließt
die wichtigsten und beziehungsreichsten Probleme in sich, deren Er-
örterung hier zu sehr ins Allgemeine führen würde. Was die,
uns zunächst interessirende, practische Seite der Frage betrifft, \o
ist es immer ein Zeichen, oder doch ein Vorbote der Stagnation
und des Verfalles der Kunst, wenn das Studium der Natur vcr-
nachlässigt wird. Aber die Natur ist für die Kunst nicht Zweck,
sondern mir Mittel; sie darf nicht als Götze auf den Llltal ge-
stellt werden: sie muß, mit Einem Worte, der Kunst dienen,
wie diese der ewigen Wahrheit zu dienen hat. Ill ihren Erscbei-
nungen soll der Künstler das höhere Gesetz, den göttlichen Lebeus-
funken, gleichsam den Schöpfungsgedanken heranszuahnen streben,
nm solche in seine Gebilde niel?erzulegen und dadurch anregend,
erhebend, lautem auf Andere zu wirken, zugleich aber auch, um
selbst dein Höchsten einen Tribut darzubringen, ein Gebet, ein
Opfer ini Heiligthume. Weil man diese Grundbedingnngen aus
dem Auge verlor, weil man das Nebending znr Hanptsaehe machte,
deshalb ist die Kunst schon mehr als einmal, von Stufe zu Stufe
herabsinkend, schrankenloser Ausartung verfallen; und es wird iwth-
lvendig immer so wieder ko mm en: die Gottvergefsenheit hat stets
unausbleiblich die Gottverlaffenheit zur Folge. Mit solcher Ein-
schränkung also soll die Kunst immer ein Verständnis Oci Na-
tur nicht blos, sondern Freude an ihr zu erkennen geben. Diese
freudige Naturauffassung charakterisirt denn auch die Blüthenperiode
des christlichen Mittelalters, wo die Architektur zuerst aus der Er-
starrung erwachte, welche sie lange gefangen gehalten hatte, und ein
neuer Lebenstrieb durch ihre Glieder und Ornamente pulsirte. Aus
den anspruchlosestcn Blumen und Blättern, die (yclb und Ä>nlb
boten, wand sie sich Kränze zum Schmuck, welche den höchsten Adel
des Kunstschönen ansstrahlen. Auch die höhere Bildnerei gibt sich
bald jener treuen, ungeschminkten Naturauffassung hin, welche sich
im Verfolge bis zm schärfsten Jndividualisirung steigert, so baß
die Schönheit der Form, das Allgemeine, nicht selten allzu sehr
hinter das Concrete znrücktritt. Im Uebrigen ist die lebensvolle
und mannichfaltige Charakteristik, das feine Verständniß des in der
Physiognomie hervortretenden Seelenlebens, die, bei aller Demuth,
Anspruchlosigkeit und typischen Festigkeit, doch ausdrucksvolle,
selbstbewußte Haltung, überhaupt die Geltung und Würde des
Menschen, als solches, eine der hervorstechendsten Eigenthümlichkeiten
der christlichen Kunst im Gegensatz zur heidnischen, welche in den
Idealfiguren ihren Triumph feiert. Der tiefere Grund dieses
Unterschiedes braucht, für den Christen wenigstens, nicht erst näher
dargelegt zu werden: er wurzelt bekanntlich an der Stätte, wo das
Erlösungswerk vollbracht ward. Ich wollte hier nur darauf hin-
deuten, um die Nothwendigkeit eines steten Verkehrs des Künstlers
mit der Natur, anderseits aber auch Zweck und Gränze dieses Ver-
kehrs in etwas klarer hervortreten zu machen. Eine servile Nach-
bildung, auch der besten Modelle, wird niemals ein Kunstwerk
ergeben; sie wird im Gegentheil den Künftlertrieb nur schwächen
und die Hand lähmen. Unsere so gern und viel sammelnde Zeit
bereitet dadurch der Kunstübung eine große Gefahr, vor welcher
nicht eindringlich genug gewarnt werden kann, besonders für das
UnterrichtsstadiUm. Es ist räthlich, für Bilowerkssaunnlungen, die
zunächst Unterrichtszwecken dienen sollen, besonders auf solche Ge-
genstände Bedacht zu nehmen, welche sich enge an die Natur an-
schließen, und mit steter Rücksicht auf letztere nachbilden zu lassen.
Soll z. B. gothisches Blätterornament nach Abgüssen gezeichnet
werden, so lege man das betreffende natürliche Eichen-, Linden-
oder Kleeblatt, das Wein- oder Maaßholderlaub u. s. w. daneben,
um sich mit der Art und Weise vertraut zu machen, in welcher