Gothisches Musterbuch 1
Forfatter: G. Ungewitter, D. Statz
År: 1856
Forlag: T.O. Weigel
Sted: Leipzig
Sider: 34
UDK: 723
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solche Gegenstände in die Kunstregion zu heben, zu stylisiren sind,
mit) um zugleich Geist, Auge und Hand in solcher Übertragung
zu üben. Ein gar feiner und sicherer Tact gehört dazu, um zwi-
schen dein Naturalism, welcher nur auf eine möglichst getreue
Reproduction der äußeren Erscheinung Bedacht nimmt, und dein
starren, ein- für allemal pikten Typ ns die rechte Mitte einzu-
halten.
In dieser Vermahlung von Geist und Natur, in diesem Jn-
einanderspielen von Gesetz und Freiheit, von Gegebenem und Wer-
dendem, Abstraktem und Concretem, beruht hauptsächlich der Reiz
der Kunst und nicht minder ihre Würde; dieses stete Strömen
erhält sie lebendig und frisch, dadurch verrichtet sie zugleich ihr
Theil an der großen Aufgabe des menschlichen Geistes, das äußer-
lich sich Widersprechende in Harmonie und Einheit zn setzen, welche
die Wahrheit ist.
Die alten Meister eigneten sich jenen Tact in der Schule
des Lebens, des eigenen und des sie umgebenden, dadurch an, daß
Hand und Kopf gleichzeitig thätig waren, daß sie aus einem gro-
ßen Ganzen heraus für dasselbe arbeiteten, daß endlich all' ihr
Neben und Wirken unter der Herrschaft einer großen Idee stand.
Die philosophische Speculation kann nie und nimmer den Maßstab
oder den Gradmesser dafür an die Hand geben, eben so wenig,
wie von den Cathedern herab eine neue Befruchtung des sterilen
Bodens Unserer heutigen Kunstübnng vermittelt werden wird —
falls man nicht etwa dieselben zuvor in die Domsteinmetzenhütten
verpflanzen sollte.
Eine weitere Gefahr ergibt sich aus den zum Zwecke der
artistischen Ausbildung angelegten Modellsammlungen dadurch, daß
dieselben, der Natur der Sache nach, aus zerstreuten Gliedmaßen
verschiedener Organismen bestehen. An dem wahren Kunst-
werke bedingt das Ganze die Theile; jedes Ornament, jedes Bei-
werk zieht seine Eigentümlichkeit aus dein Grundgedanken; inso-
fern gibt es in der Kunst keine absolut schönen Formen, das
„Wo?" imb „Zu welchem Zwecke?" treten immer bedingend da-
zwischen. Jene Gefahr ist aber um so größer, als unsere moderne
Bildung ohnehin der Geschniacksmengerei nur allzu sehr huldigt
imb darum etwas so Fragmentarisches, Potpourriartiges hat und
mehr auf das Vielerlei, als auf das Viel anszagehen pflegt.
Hauptsächlich darin haben alle die krankhaften Erscheinungen im
Bereiche der Architektur, namentlich auch die moderne Aftergothik,
ihren Grund, daß man zu viel auf. die änßere Erscheinung imD
die Details, zu wenig ans das generirende Gesetz und die Gruub-
verhältnisse achtet, daß man Unzusammengehöriges zusaminenfügt,
allerhand hier und dort aufgelesene Lappen zu einem Kleide ver-
arbeitet, dessen Schnitt sich noch dazu nicht selten nach der Gestalt
der Lappen zu richten hat, daß man, statt prinzipiell, ans eigener,
selbstbewußter Kraft heraus zu schaffen, macht und compilirt.
Bei dem Unterrichte sollte daher stets auf jenen Zusammenhallg
hingewicsen, ja derselbe, wo möglich, auch äußerlich, wie z. B.
dlirch Abbildungen der Architekturen, welchen die einzelnen Bild-
werke entnommen sind, dal gestellt werden. Alles nicht aus der
Construction gleichsam erwachsene, parasitische Ornament sollte we-
nigstens beim Kunstunterrichte, wo es gerade gilt, den Sinn für
das Gesetzmäßige zu wecken und zu schärfen, möglichst ferne gehal-
ten werden; das Leben schwemmt Derartiges schon von selbst mehr
als zu viel an uns heran, und ist cs ein Leichtes, sich, wo es
erfordert wird, frei zu bewegen, wenn man die härtere Probe
bestanden hat.
An die Sammlllngen von Modellen und Abgüssen reihen sich
vorbereitend und ergänzend die Vorlegeblätter. Dieselben sind
insofern von überwiegender Bedentung, als durch sie gewöhnlich
der erste Gumd zur künstlerischen nicht blos, sondern auch zur
gewerblichen Ausbildung gelegt wird und sie den Leitfaden für
den Lehrer, lvie für den Schüler an die Hand geben. Soll die
Kunst sich wieder ins Volk hineinleben, so mnß schon in den un-
teren Schulen die Reform beginnen. Welcher Art ist der dort
durchgängig ertheilte Zeichnenunterricht? Es werden dein. Schüler
Köpfe, Nasen, Ohren (natürlich meist griechischen Styles), antike
Säulen, Sparrenköpfe, Urnen, Grabsteine, fabelhafte — in jebein
©inne des Wortes — Thiere lind Blumen vorgelegt, oder man
beschäftigt ihn mit der Nachbildung streng geometrischer FigUren,
die im Grunde nur das Lineal in Anspruch nehmen. Die so ge-
sammelten Eindrücke uno Fertigkeiten werden ins Leben, in die
Werkstatt mit hinnbergenommen, wo sie sich denn gar bald, mit
alleiniger Ausnahme etwa der letztgedachten, rein mechanischen
Uebung, als völlig untzlos erweisen.
Hinsichtlich der Auswahl der Vorlegeblätter haben die Zeich-
nenlehrer in der Regel ganz freie Hand, da die Schnlvorstände
um Derartiges sich nicht zu kümmern pflegen. Indes würde auch
die sorgfältigste Auswahl nicht sonderlich viel fruchten; höchstens
könnte es sich von gewissen Abstufungen in der U n branchbarkeit
handeln. Soweit mir das betreffende Material bekannt ist, ver-
dient nur Eine Sammlung der in Rede stehenden Art mit einer
gewissen Auszeichnung genannt zu werden, die von Eisenlohr
nemlich, unterbrochen durch den Tod des redlich strebenden, talent-
vollen Künstlers nnd fortgesetzt von seinen früheren Collegen.
Allein sie nimmt doch zn wenig aus das eigentliche Bedürsniß
Rücksicht Und bringt viel zusammenhangsloses Detail mit nutzlosem
Aufwande; namentlich aber siecht sie an einer falschen Gr lind-
et n sicht, indem der Herausgeber allsgesprochenermaßen davon au3=
geht, daß die Formgebung von Einem Materiale ans sedes beliebige
andere ohne Weiteres übertragen werden könne. Diese Ansicht
rührt wohl hauptsächlich daher, daß unsere Künstler sich so sehr
daran gewöhnt haben, nur für das Papier zu denken, zu entwer-
fen und zu zeichnen. Anderen Falles wäre es kaum möglich, die
in dec That fast handgreifliche Wahrheit zu übersehen, daß der
Stoff auf die Art dcr Formgebung den wesentlichsten Einfluß zu
üben hat und daß ein jeder seine besonderen VedingUngen darbietet,
der Stein, das Holz, das Metall. Za selbst die verschiedenen
Gattungen eines solchen Materiales erfordern eine verschiedene Be-
handlung: der Backstein muß seine besondere Natur gegenüber dein
Hausteine auf jedem Schritte so zu sagen geltend machen, von dcr
Conception des Planes an bis zum unscheinbarsten Detail und
Profile hin, wie solches auch bei allen Bauten ans der guten Zeit
wirklich der Fall ist. Der schönste Altaranfsatz aus Steinwerk
würde geradezu ins Häßliche Umschlagen, wenn man ihn in Holz
eopiren wollte; selbst Eisen und Messing sind verschiedenartig zu
behandeln. Daß die Verehrer dcr Steinpappe und des Gußeisens