Gothisches Musterbuch 1
Forfatter: G. Ungewitter, D. Statz
År: 1856
Forlag: T.O. Weigel
Sted: Leipzig
Sider: 34
UDK: 723
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Verirrungen des Geistes lind Herzens, keine moralische Wiederver-
geltnng, keine Sühne anerkennen, die Männer des Erdengenusses
und der Selbftanbetnng, für welche die Sphäre, worin die Seelen
leben, mit derjenigen zlisammenfällt, in welcher das irdische Dasein
hinfließt — sie alle werden jeder entgegenstehenden Dednction im-
zngänglich sein, so wie Ihnen Robespierre und Barras gleichberech-
tigt sind mit dem heiligen Ludwig, niib die Revolutionen mit allen
ihren Gräueln Fortentwicklung der „Tradition", geschichtliche That-
sachen, in Bezug auf welche die Einzelmenschen keine Rechenschaft
abzulegen haben. Vergebens wird man ihnen entgegenhalten, was
die Stimme des Gewissens, der Individuen wie der Nationen,
dagegen sagt — man erkennt ja eben diese Thatfache \ü wenig,
als überhaupt eine moralische Weltordnung und deren Forum
an; vergeblich wird man nachzulveiscn sich beinühen, wo und wie
die edeln Metallgänge in den Bergzügen der Geschichte sich ver-
worfen und taubes Gestein dazwischen getreten ist, und wie es
demnach gelte, jene Adern wieder ausfindig zu machen, nachdem
man sich überzeugt, daß sie in einer andern als der bis dahin
befolgten Richtung streichen; vergeblich wird man ihnen entgegen-
halten, wie insbesondere auch die Kunst des Mittelalters blos um
deswillen untergegangen sei, weil diejenigen, welchen ihre
Pflege oblag, von den rechten Principien abgelasfen,
weil sie in dieser Pflege mehr und mehr nur sich selbst zu su-
chen, sich zn dienen beflissen waren, weil sie die Ideen, die Leit-
sterne, weil sie das eigentliche Endziel aller geschaffenen Geister
ans den Augen verloren, daß aber doch nicht abzusehen fei, warunr
nicht die gegenwärtige Generation, durch den Erfolg und durch
reiflicheres Nachdenken belehrt, das, was die Vergangenheit ver-
sehen, wieder solle gut und anders machen können. Dein Allein
wird man einfach dadurch begegnen, dap man achselzuckend von
„Obscurantismus, Bußpredigten, Capuzinaden" u. dgl. etwas vor
sich hin murmelt und seine Straße in stolzem Selbftbewußtfein
weiter zieht. Allenfalls läßt man sich noch dazu herbei, vor dein
„aufgeklärten" PnblikUin diejenigen, welche die Eillkür bekämpfen
nnd vor den Irrwischeli warnen, als Feinde der Freiheit und des
Lichtes zu denunziiren.
Doch cs hieße schweres Unrecht üben, wollte man alle Geg-
ner der Gotbik unter die eben bezeichnete Kategorie stellen, wie
man denn überhaupt in dieser Materie vor der Uebertreibung sehr
ans seiner Huth sein muß. Man hat sich derselben vielfach, auf
der einen sowohl, als auf der anderen Seite schuldig gemacht nnd
dadurch eine Gereiztheit hervorgerufen, welche die Verständigung
wenig fördert und die eigentlichen Streitpunkte verschiebt. Den
mittelalterlich Gesinnten stehen indeß dabei doch gewisse mildernde
Umstände zur Seite, welche der billige Beurtheiler nicht außer
Betracht lassen wird. Montesquieu sagt irgendwo, um einen
krummen Stab wieder gerade zu bekommen, sei es nöthig, ihn
erst nach der entgegengesetzten Seite hin krumm zu biegen. Und
wahrlich, er war von den Renaissancisten nnd den Akademikern
gewaltig fnnmii gereckt. Volle drei Jahrhunderte hindurch hat
ihnen das Mittelalter nnd was dasselbe geschaffen, förmlich als
Zielscheibe gedient; der Schimpf und Hohn, womit es und die,
so ihm das Wort zu reden wagten, angelassen wurden, wollte
kein Ende nehmen, und selbst zur Stunde noch wird man min-
destens als Fanatiker verschrieen, wenn man dem Wesen nnd der
Klinst der Jahrhnnverte das Wort redet, in welchen der deutsche
Name und das deutsche Genie so zu sagen weltherrscbend waren,
wenn man darauf dringt, da wieder anznknüpfen, wo wir jene
Kunst noch einheitlich, rein, unverfälscht durch fremdartige Elemente
finden. Trotz alle dein wäre es gewiß edler, vielleicht auch klüger
gewesen, nach wie vor geduldig den Rücken hinzuhalten unD all
solchem Gebühren und Reden nur durch Th a ten zu antworten;
allein den Gegnern geziemt es wenigstens nicht, Langmuth in An-
spruch zu nehmen, während sie selbst, schon seit den Pamphleten Ulrichs
von Hutten her, die Rücksichtslosigkeit aufs Aeußcrste treiben, eine
Rücksichtslosigkeit, welche in dem neuesten Lobredner der Renaiffance,
I. Michelet, mit solcher Anmaßung und Selbstüberschätzung ge-
paart erscheint, daß sie förmlich ins Possirliche umschlägt.
An der Arguinentation durch T halen, allerdings der schla-
gendsten Gattung, fehlt es übrigens zum wenigsten auch nicht.
Zeugniß dafür geben die Hunderte von gothischen Bauwerken, die in
Unserem Vaterlande, namentlich aber in den westlichen Nachbarländern,
aufsteigen oder doch binnen Kurzem sich erheben werden, an ihrer Spitze
ein Monument wie der Parlamentspalast in London, das an Groß-
artigkeit kanin von irgend einem Bauwerke des Mittelalters über-
troffen wird, und dessen Formen, wie viel Angriffspunkte sie auch
immer der Critik darbieten mögen, doch jedenfalls beredtes Zeugniß
für die BildUNgsfähigkeit des gothischen Styles und vor Allem
für den in dein Volksgeiste sich regenden Drang nach Emancipa-
tion von der Herrschaft des Asterclassizismiis ablegen. Bei den
in Wien, Lille und Hamburg eröffneten großen künstlerischen Wett-
kämpfen wird (miD zwar am letztgenannten Orte nun schon zum
zweiten Male) der Siegespreis Gothikern überreicht; ja sogar in
Preußens Hauptstadt, wo die Modernantike so ziemlich am tiefsten
lvurzelt und am höchsten gipfelt, hat ein akademischer Professor
miD Hofbaurath nicht umhin gekonnt, der Knnstweise des Mittel-
alters durch eine stattliche gothische Kirche seine Huldigung darzu-
bringen. Es muß doch in der That eine gewaltige Lebenskraft
und ein mächtiger Lebenstrieb in dieser Kunstweise liegen, daß sie
so immer wieder neue Schößlinge auf jedem, auch dem ungünstig-
sten Boden treibt! Der oben bereits erwähnte Schriftsteller*)
läßt das Mittelalter nicht Einmal, sondern zu vier verschiedenen
Malen sterben: im 12ten Jahrhundert an Abälard, im 13ten am
Mystizismus, im 14ten an Dante, im 16ten endlich an der Buch-
druckerkunft und der Entdeckung von Amerika — und jetzt, im
vollen Lichte des neunzehnten Jahrhunderts, sehen wir es wieder
frisch und kräftig unter uns umherwandern und das unterbrochene
Tagewerk rüstig fortsetzen, trotz aller inmittelst eingetretenen Wand-
lungen, trotz aller sich entgegenstemmenden natürlichen sowohl, als
künstlichen Hemmnisse, und will es scheinen, daß die Todesurtheile
noch eine geraume Zeit auf den Vollstrecker zu warten hätten.
Die feudale Staatsordnung ist nntergegangen, der Enthusiasmus,
welcher die Kreuzfahrer in Bewegung setzte, mehr oder weniger
erkaltet, die Lebensgewohnheiten sind durchweg ganz andere gewor-
den, die Wissenschaften und die Sprachen haben sich universalisirt,
J. Michelet, liisloire de France au seiziémc Siede. VII. Renais-
sance. p. V.