Gothisches Musterbuch 1

Forfatter: G. Ungewitter, D. Statz

År: 1856

Forlag: T.O. Weigel

Sted: Leipzig

Sider: 34

UDK: 723

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Side af 232 Forrige Næste
- Verirrungen des Geistes lind Herzens, keine moralische Wiederver- geltnng, keine Sühne anerkennen, die Männer des Erdengenusses und der Selbftanbetnng, für welche die Sphäre, worin die Seelen leben, mit derjenigen zlisammenfällt, in welcher das irdische Dasein hinfließt — sie alle werden jeder entgegenstehenden Dednction im- zngänglich sein, so wie Ihnen Robespierre und Barras gleichberech- tigt sind mit dem heiligen Ludwig, niib die Revolutionen mit allen ihren Gräueln Fortentwicklung der „Tradition", geschichtliche That- sachen, in Bezug auf welche die Einzelmenschen keine Rechenschaft abzulegen haben. Vergebens wird man ihnen entgegenhalten, was die Stimme des Gewissens, der Individuen wie der Nationen, dagegen sagt — man erkennt ja eben diese Thatfache \ü wenig, als überhaupt eine moralische Weltordnung und deren Forum an; vergeblich wird man nachzulveiscn sich beinühen, wo und wie die edeln Metallgänge in den Bergzügen der Geschichte sich ver- worfen und taubes Gestein dazwischen getreten ist, und wie es demnach gelte, jene Adern wieder ausfindig zu machen, nachdem man sich überzeugt, daß sie in einer andern als der bis dahin befolgten Richtung streichen; vergeblich wird man ihnen entgegen- halten, wie insbesondere auch die Kunst des Mittelalters blos um deswillen untergegangen sei, weil diejenigen, welchen ihre Pflege oblag, von den rechten Principien abgelasfen, weil sie in dieser Pflege mehr und mehr nur sich selbst zu su- chen, sich zn dienen beflissen waren, weil sie die Ideen, die Leit- sterne, weil sie das eigentliche Endziel aller geschaffenen Geister ans den Augen verloren, daß aber doch nicht abzusehen fei, warunr nicht die gegenwärtige Generation, durch den Erfolg und durch reiflicheres Nachdenken belehrt, das, was die Vergangenheit ver- sehen, wieder solle gut und anders machen können. Dein Allein wird man einfach dadurch begegnen, dap man achselzuckend von „Obscurantismus, Bußpredigten, Capuzinaden" u. dgl. etwas vor sich hin murmelt und seine Straße in stolzem Selbftbewußtfein weiter zieht. Allenfalls läßt man sich noch dazu herbei, vor dein „aufgeklärten" PnblikUin diejenigen, welche die Eillkür bekämpfen nnd vor den Irrwischeli warnen, als Feinde der Freiheit und des Lichtes zu denunziiren. Doch cs hieße schweres Unrecht üben, wollte man alle Geg- ner der Gotbik unter die eben bezeichnete Kategorie stellen, wie man denn überhaupt in dieser Materie vor der Uebertreibung sehr ans seiner Huth sein muß. Man hat sich derselben vielfach, auf der einen sowohl, als auf der anderen Seite schuldig gemacht nnd dadurch eine Gereiztheit hervorgerufen, welche die Verständigung wenig fördert und die eigentlichen Streitpunkte verschiebt. Den mittelalterlich Gesinnten stehen indeß dabei doch gewisse mildernde Umstände zur Seite, welche der billige Beurtheiler nicht außer Betracht lassen wird. Montesquieu sagt irgendwo, um einen krummen Stab wieder gerade zu bekommen, sei es nöthig, ihn erst nach der entgegengesetzten Seite hin krumm zu biegen. Und wahrlich, er war von den Renaissancisten nnd den Akademikern gewaltig fnnmii gereckt. Volle drei Jahrhunderte hindurch hat ihnen das Mittelalter nnd was dasselbe geschaffen, förmlich als Zielscheibe gedient; der Schimpf und Hohn, womit es und die, so ihm das Wort zu reden wagten, angelassen wurden, wollte kein Ende nehmen, und selbst zur Stunde noch wird man min- destens als Fanatiker verschrieen, wenn man dem Wesen nnd der Klinst der Jahrhnnverte das Wort redet, in welchen der deutsche Name und das deutsche Genie so zu sagen weltherrscbend waren, wenn man darauf dringt, da wieder anznknüpfen, wo wir jene Kunst noch einheitlich, rein, unverfälscht durch fremdartige Elemente finden. Trotz alle dein wäre es gewiß edler, vielleicht auch klüger gewesen, nach wie vor geduldig den Rücken hinzuhalten unD all solchem Gebühren und Reden nur durch Th a ten zu antworten; allein den Gegnern geziemt es wenigstens nicht, Langmuth in An- spruch zu nehmen, während sie selbst, schon seit den Pamphleten Ulrichs von Hutten her, die Rücksichtslosigkeit aufs Aeußcrste treiben, eine Rücksichtslosigkeit, welche in dem neuesten Lobredner der Renaiffance, I. Michelet, mit solcher Anmaßung und Selbstüberschätzung ge- paart erscheint, daß sie förmlich ins Possirliche umschlägt. An der Arguinentation durch T halen, allerdings der schla- gendsten Gattung, fehlt es übrigens zum wenigsten auch nicht. Zeugniß dafür geben die Hunderte von gothischen Bauwerken, die in Unserem Vaterlande, namentlich aber in den westlichen Nachbarländern, aufsteigen oder doch binnen Kurzem sich erheben werden, an ihrer Spitze ein Monument wie der Parlamentspalast in London, das an Groß- artigkeit kanin von irgend einem Bauwerke des Mittelalters über- troffen wird, und dessen Formen, wie viel Angriffspunkte sie auch immer der Critik darbieten mögen, doch jedenfalls beredtes Zeugniß für die BildUNgsfähigkeit des gothischen Styles und vor Allem für den in dein Volksgeiste sich regenden Drang nach Emancipa- tion von der Herrschaft des Asterclassizismiis ablegen. Bei den in Wien, Lille und Hamburg eröffneten großen künstlerischen Wett- kämpfen wird (miD zwar am letztgenannten Orte nun schon zum zweiten Male) der Siegespreis Gothikern überreicht; ja sogar in Preußens Hauptstadt, wo die Modernantike so ziemlich am tiefsten lvurzelt und am höchsten gipfelt, hat ein akademischer Professor miD Hofbaurath nicht umhin gekonnt, der Knnstweise des Mittel- alters durch eine stattliche gothische Kirche seine Huldigung darzu- bringen. Es muß doch in der That eine gewaltige Lebenskraft und ein mächtiger Lebenstrieb in dieser Kunstweise liegen, daß sie so immer wieder neue Schößlinge auf jedem, auch dem ungünstig- sten Boden treibt! Der oben bereits erwähnte Schriftsteller*) läßt das Mittelalter nicht Einmal, sondern zu vier verschiedenen Malen sterben: im 12ten Jahrhundert an Abälard, im 13ten am Mystizismus, im 14ten an Dante, im 16ten endlich an der Buch- druckerkunft und der Entdeckung von Amerika — und jetzt, im vollen Lichte des neunzehnten Jahrhunderts, sehen wir es wieder frisch und kräftig unter uns umherwandern und das unterbrochene Tagewerk rüstig fortsetzen, trotz aller inmittelst eingetretenen Wand- lungen, trotz aller sich entgegenstemmenden natürlichen sowohl, als künstlichen Hemmnisse, und will es scheinen, daß die Todesurtheile noch eine geraume Zeit auf den Vollstrecker zu warten hätten. Die feudale Staatsordnung ist nntergegangen, der Enthusiasmus, welcher die Kreuzfahrer in Bewegung setzte, mehr oder weniger erkaltet, die Lebensgewohnheiten sind durchweg ganz andere gewor- den, die Wissenschaften und die Sprachen haben sich universalisirt, J. Michelet, liisloire de France au seiziémc Siede. VII. Renais- sance. p. V.