Gothisches Musterbuch 1
Forfatter: G. Ungewitter, D. Statz
År: 1856
Forlag: T.O. Weigel
Sted: Leipzig
Sider: 34
UDK: 723
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nicht selten ausgesprochen, daß, ungeachtet alle Gläubigen eine
Einheit bilden, ein jeder derselben doch seine JndividUalität be-
wahrt: ans Viel stärkeren Gründen aber gilt dies für jedes christ-
liche Volk. Sie gestattet die größte Mannigfaltigkeit in Bezug
ans die christliche Sitte sowohl, als ans die äußere Erscheinung
des Cilltus. Dadurch eben ergiebt sich jenes herrliche harmonische
Spiel, welches das Christenthllm in seiner Totalität hervorbringt,
daß eine jede Nation zu dem Accorde gleichsam einen Ton an-
schlägt. Eine jede hat in den gemeinschaftlichen Haushalt ihre
Aussteuer cinznbringen: sollte nicht etwa unter Anderenr der
architektonische Gedanke als die Mitgift der germanischen Race er-
achtet werben können? Indes die Katholiken, welche cs doch Wohl
zunächst angeht, erheben, wie gesagt, und theilen auch unseres
Wissens obiges Bedenken nicht, so daß wir dasselbe wohl Unbe-
denklich auf sich beruhen lassen können, um uns Alle, ohne Unter-
schied der Konfession, darin zn einigen, worin wir, nach wie vor,
einig sein könnten und sollten. Dies Gemeinsame aber ist das
Stammesbewußtsein, welches nicht weniger in der Kunft,
als in der Sprache seinen Ausdruck findet. Stand es doch um
letzere lange Zeit hindurch kanin weniger schlimm, als derzeit um
die edle Baukunst! Hatte nicht auch auf dein Gebiete unserer
Sprache die Ausländerei, die Vornehm- and Gelehrtthuerei Alles
bis zur äußersten Verkümmerung abwelken lassen? war nicht aus
dem stattlichen Königsgewande, dlirch Flicken, Placken und Be-
schneiden, nacbgerade eine Harlekinsjacke geworden, deren sich alle
Gebildeten lind Höherstehenden schämten? Was würde man wohl
vom demjenigen gesagt haben, der zur Zeit des Opitz einen Lessing,
einen Friedrich Schlegel oder Görres vorherverkülidet hätte? —
Und doch konnte man damals gewiß mit nicht weniger Fug und
Recht unserer Sprache nachsagen, sie sei ausgelebt, ihre Lebens-
geister seien erschöpft, sie müsse einem universelleren Id io nie Platz
machen, als man hentzntage der Gothik nachsagt, sie sei eines na-
türlichen Todes gestorben. Natürlich, sehr natürlich war es
allerdings, daß diese Kunstweise, „die deutsche Art'', unterging,
aber noth wen dig — mit Nichten; so wenig, als es im Leben
der Jndividnen jeinals nothwendig ist, daß sie vom Rechten und
Wahren abfallcn. Zn nicht minder natürlicher Weise ist es
anch dahin gekommen, daß die danialigen Tonangeber in Spanien
den Genius ihrer Calderone und Lope de Vega verläugnen und
dein christlichen Heldengeifte der Sieger von Lepanto untren ge-
worden sind; allein darum ist doch fürwahr die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, wieder in die alten Bahnen einzulenken, falls nicht
der Glaube an die menschliche Freiheit ein Aberwitz ist.
Allerdings ist die wahre Kinist, ihrem Wesen nach fließend,
in steter Bewegung begriffen, wie. alles Geistige überhaupt; eines-
theils aber bleibt doch der Flnß derselbe, wie sehr auch seine
Wellen miD selbst feine Ufcrländer wechseln, uni) andenttbeils
kann in der ästhetischen wie in der moralischen Welt zeitweise
eine Verstockung, eine Verstumpfnug eiutreten, welcher alsdann mit
Macbt entgegengelvirkt werden muß, damit der ursprüngliche, na-
türliche Drang sich wieder geltend zu machen vermag. Und in
der That, man sieht schon, wie allerwärts Quellen sich öffnen
und Bäche sich bilden, um in dem alten Strome sich zu vereini-
gen uni? ein neues Leben ihm einzuflößen.
Betrachtungen so allgemeiner Natur klingen vielleicht etwas
befremdlich in einer Einleitung zu schlichten Vorlegeblättern, die
keinen anderen Anspruch machen, als ein Elementar--Studienbuch
für angehende Künstler und Handwerker zu werden. Ich kann
nun aber einmal von der Absicht nicht lassen, daß es gerade bei
künstleriscben Bestrebungen vorzugsweise ans die Grmldanschaunn-
gen und Principien ankommt, daß hier, auch bei den reichsten
Mitteln, nichts gedeihen kann, was nicht vom Geiste der Wahrheit
belebt wird; und so mögen denn die Abschweifungen von dem
eigentlichen Gegenstände dieser Zeilen Entschuldigung, wenn auch
nicht Billigung, finden.
Wenn immerfort die Rückkehr zum Alten angerathen wird,
so drängt es mich, hier ohne Verweilen hinzuzufügen, daß dem
Alten nichts weniger entspricht, als eine unselbstständige Nach-
ahmerei desselben, daß von einem naturgemäßen, fruchtbringenden
Anknüpfen an die große Kunst des Mittelalters nur in der Art
die Rede sein kann, das man mit den Eildungsgesetzen der-
selben sich innig vertraut macht, und aus ihnen heraus Neues,
Lebendiges schafft. Diese Bilolingsgesetze aber liegen am klarsten
und einfachsten in der Knnst des dreizehnten Jahrhunderts zu
Tage, deren Schöpfungen gleichsam die Blüthe der ganzen Ver-
gangenheit sind, aus welcher sie in durchaus naturgemä-
ßer Weise sich allmälig entwickelt haben, was auch
immer von gelehrten und ungelehrten kritischen Forschern in dieser
Beziehung imaginirt und zn Markte gebracht worden sein inag.
Die^ genaue Vergleichung einer größeren Anzahl von Bauwerken
der verschiedenen Länder ergiebt in der That bis zur Evidenz, wie
der Sieg des Spitzbogenstyls und dessen eben so großartige, als
rasche Entwicklung auf Gründen beruhen, die, wenngleich allerdings
zum Theil auch moralischer, doch jedenfalls vorzugsweise techni-
scher Natur sind; Alles weist darauf hin, daß die Wiege dieses
Styls in den Steinmetzenhütten zu suchen ist. Dem Principe
nach spricht in der Gothik die Architektur ihr letztes Wort, wie
denn bis jetzt sich auch noch nicht einmal ein Keimpnnkt für
einen neuen Styl hat blicken lassen wollen. Denjenigen, welchen
eine solche, der Zukunft vorgreifende BehaUptinig etwa parador
oder vermessen vorkommen möchte, sei bemerkt, wie fast allen
Gebieten des Könnens und Wissen derartige Marksteine, mit dein
nee plus ultra daraus, anzutreffen sind. Das Gesetz der Schwere,
Die musikalische Harmonielehre, so viele physikalische oder mathe-
matische Grundformeln können hier angeführt werden, die gleich-
falls erst nach langem Suchen und Ringen, man kann wohl
sagen: nach langem Kreisen ans Licht sprangen. Weit entfernt,
der Productivität Eintrag zu thun oder die Freiheit des Schaffens
Und der Speculation auszuschließen, sind solche Entdeckungen viel-
mehr höchst förderlicher nach beiden Richtungen hin, indem sie feste
Ausgangs- und Zielpunkte darbieten, Maaß und Regel, überhaupt
einen Compaß an die Hand geben. Ich bin überzeugt, daß Beet-
hoven, Glich im feurigsten Schöpfungsdrange, nie über die Fesseln
Klage geführt hat, welche der Generalbaß dem Componisten an-
(eßt; nie hat derselbe ihn wenigstens daran gehindert, neu und
original, im eminentesten Sinne des Wortes, zn sein. Aber um
von diesen Grundregeln nicht gehemmt zu werden, muß man sie
freilich genau kennen gelernt haben, theoretisch und praktisch; sie