Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Seite 100
Bayerifche ^ubHciums »handes-HusIfellung 19)6
Nr. 5
ZUM Siege verhalf! Hier leuchtete den Deutschen einmal
ein glucklicher Stern, den ihre Geschichte an entscheidenden
IDendepunkten so ost vermissen laht. So paradox es Klingt:
die gluckliche Losung hals gerade der Bestand einer starken
Partei in Bayern Herbeifuhren, in der die fibneigung gegen
Preuhen und die Nngst vor Vorherrschaft des Protestantismus
das Bedurfnis nationaler Einigung und Stærke, soweit dies
uberhaupt vorhanden war, uberroog. Denn Napoleon III.
Hatte nie den Krieg erklart, hatte er nicht auf die Macht
dieser Stromung in Suddeutschland gerechnet. Utit Sicher-
heit erwartete er, dah die Rnerkennung des Bundnisfalles
daran scheitern wurbe. Konig Ludwig II. erwies sich in
seiner nationalen Gesinnung als der echte und wurdige
Enkel Ludwigs I., als der echte und wurdige Sohn Maxi-
milians IL, der das IDort gesprochen hatte : wir roolien
Deutsche sein und Bayern bleiben ! 3n deutscher Treue
und Begeisterung und ruckhaltlos, nicht, roie man uns jungst
glauben machen roollte, in Kuhler Berechnung eines er-
roarteten Lohnes, stellte sich der Konig auf die Seite
Preuhens, und die Raschheit seines schroerroiegenden Lnt-
schlusses trug viel dazu bei, das ; der Krieg sosort mit ent-
scheidenden Schlagen eroffnet roerden Konnte. Weihenburg
und lvorth, Sedan, Paris und Grleans fugten dem Kriegs-
ruhme der bayerischen Fahnen aus der napoleonischen Seit
einen gesunderen und mindestens ebenso glanzenden Hinzu,
und aus der Grundlage unvergleichlicher Kriegserfolge
konnte nun ein Staatsmann von einer Grohe und Kraft,
roie Deutschland noch keinen besessen hatte, den Lau des
neuen deutschen Reidjs zimmern. Ein Kompromis; zroischen
dem Einheitsdrange der Nation und den berechtigten For-
derungen der Einzelstaaten, eine eigentumliche Staatssorm,
die sich in keine der bisherigen Staatsrechtstheorien ein-
zwangen laht und die doch die Festigkeit ihres Gefuges
seit einem Ntenschenalter trefflich beroahrt hat! 3n Keiner
Periode unserer Geschichte bestand bei den Fursten eine
solche Stetigkeit und Einmutigkeit reichstreuer und opfer-
roilliger Gesinnung roie seit der Begrundung des neuen
Neichs. IDieder vergonnt ist uns allen nun der freudige
Nationalstolz, diese grohe Empfindung, die die Deutschen
seit dem 16. Sahrhundert fast verlernt hatten. Und als
Rngehoriger des machtigen Deutschen Neichs genieht der
Bayer im Nuslande Schutz und Nnsehen, roie sie roeder
seinen Rhnen unter dem deutschen Bunde, noch vor Hundert
3ahren dem Reichsstadter oder dem Kurpfalzbayerischen,
dem bischoflich wurzburgischen oder bambergischen Unter-
tanen zuteil geroorden roaren. Dankbar geniehen roir die
lange ersehnte Linheit des Nechtes, der Munze, in Mah
und Geroicht, die Fruchte der sozialen Neichsgesehgebung.
Dankbar erkennen roir an, roelche Verbesserung unser Heer-
roesen durch den Nnschluh an Preuhen ersuhr, roelche Fulle
trefflicher Ligenschaften die allgemeine Wehrpslicht im Valke
verbreitet, aus roelcher Hilflosigkeit unsere junge deutsche
Flotte uns rettet. Und Bayerns Einflutz im Neiche ist jetzt
groher, als er im deutschen Bunde und in den letzten Zahr-
hunderten des alten Neichs geroesen. Hervorragende Posten
in der Neichsregierung, roie in den letzten Iahrzehnten,
hatte Bayern nur im fruheren Ntittelalter innegehabt. Die
uber Beschneidung der Souveranitat Klagen, magen nicht
vergessen, datz die Ghnmacht Deutschlands in den Tagen
des seligen deutschen Bundes Hauptsachlich in den 38 un-
beschrankten Souveranitaten seiner Bundesfursten begrundet
lag. Nbgesehen vom deutschen Bunde aber mussen roir,
um aus die sehr Kurzen und sparlichen Episoden einer
roahren bayerischen Souveranitat zu stotzen, die fernsten
Seiten aufsuchen, die Regierungen einiger Rgilolsinger und
die finsange des Liutpoldingers Rrnulf. Die Souveranitat
der Rheinbundsperiode roar in Wahrheit strenger Dasallen-
dienst, die sogenannte Souveranitat, die der Westfalische
Friede aussprach, schon desroegen eine Fiktion, roeil das
Lehensverhaltnis zum Kaiser sortbestand. 3m ganzen acht-
zehnten Sahrhundert hatte Bayern mit seinen Dersuchen
einer selbstandigen ausroartigen Politik nur eine Klagliche
Rolle gespielt, nichts als Demutigungen und Derderben aus
sich herausbeschrooren. Max Emanuels Ruflehnung gegen
Kaiser und Reich suhrte zu seiner Rchtung, zur Derroustung
und Kaiserlichen Rdministration des Landes. Unter Max III.
und Karl Theodor folgten die unrourdigen Subsidienvertrage
mit Frankreich und England.
Man muh diese Erinnerungen lebendig vor sich
erroecken, um aus der Tiese seiner Seele den lDunsch
aufsteigen zu lassen, dah nie mehr die alte Serrissenheii
und Swietracht in der Nation Raum geroinnen moge. Dies
zu verneinen sind die Nee und Nein sprechenden Deutschen
einig. Dah aber die Einheit noch vollstandiger durch-
gefuhrt roerden solite, Konnte nur rounschen, roer die Urt
und Geschichte des Deutschen verkennt. 3u fest rourzelt in
allen Stammen und insbesondere bei den Bayern die Liebe
zu ihren alten Dynastien, zu verschieden sind ihre Eigenart,
ihre Geschichte und ihre Bedurfnisse. Ein Staatsroesen,
dessen Beamte von Lindau oder Berchtesgaden nach Stallu-
ponen oder Eydtkuhnen versetzt roerden Konnten, rourde
einem Teile der Bevolkerung nur als eine Strafanstalt
erscheinen.
Freilich, unsere junge Machtstellung zu behauplen sordert
schroere Gpser. fiber die politische Linigung hat auch den
schon vom Zollverein angebahnten Wohlsland gebracht, der
uns besahigt, sie zu tragen. Mit roahrer Beklommenheit
denken roir, roelches Schicksal uns erroartet hatte, roaren
roir in die Periode des heihen Wettberoerbs der Nationen
im Welthandel nicht als ein geeinigtes, finsehen gebietendes
Dolk eingetreten. Die Kluft zroischen unserem Wohlstande
und dem der Westmachte, die sich alterer politischer Macht,
ausgedehuter Kustenentroicklung, reichen Kolonialbesitzes und
aus diesen Grunden einer alteren handelsblute und alterer
Kapitalsbildung erfreuen, roare in diesem Falle statt sich
auszugleichen verbreitert roorden. Damit kommen roir aus
das Gebiet der Fortschritte, das der grohen Masse am
meisten einleuchtet, aus das materielle.
(Saluts folgt.)