Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Seite 474 BayeriFche Subildums-kandes-HusRellung 1906 Nr. 22
Dom Rejfen einft und jeht.
Plauberei von Dr. €mil Reicke. (Jortje^ung.)
So gut wie Nicolai hatten es die wenigsten Neisenden.
Die meisten mutzten sich bequemen, mit der „ordinaren
Post" zu reisen, was billiger, aber auch weit beschroer-
licher und zeitraubender roar. Da Hietz es, sich in Geduld
zu uben und das enge Zusammengepserchtsein mit fremden
Menschen, roomoglich bei stickiger und rauchiger Luft —
in der Hegel durste nur mit 3ustimmung aller Reisenden im
Postroagen geraucht roerden - das Durchgestuker auf schlechten
tvegen, das Haufige Umlaben des Gepacks, die langen, oft
ganz unnutzen Rufenthalte auf den Stationen mit guter
Laune zu ertragen. Und roenn es noch immer gedeckte
Ivagen geroesen roaren, die den Reisenden roenigstens vor
Ralte und Regen schutzten. R6er noch zu Nicolais 3eiten
roaren die Postroagen im Preutzischen und Hannoverschen
nur auf den Hauptkursen gedeckt. Besser stand es damit
in den suddeutschen und osterreichischen Landern, roo man
stets im gedeckten Postroagen, den franzosischen Diligencen
ahnlich, mit matziger Bequemlichkeit und roegen der besseren
tvege auch ziemlich geschroind reisen Konnte. Rm ver-
rusensten in dieser Beziehung roar Niederdeutschland. Dort
gab es nur offene Postroagen und die tvege roaren meist
entsetzlich. „Iver Keine Frau hat, folglich die Geduld roe-
niger Kennt," schreibt ein roeitgereister humorist jener Tage,
„reise aus mein lvort nach dem Norden," namlich damit
er die Geduld Kennen lerne. „Deutschland ist in vielen
Gegenden ein beschroerliches Land sur Reisende, in Rucksicht
auf Posten, Postillions, Stråben usro.," lautete damals das
Urteil der Englander. Das Umsteigen von einem Post-
roagen in den andern — aus Eisenbahnen ist es ja auch
nichts angenehmes — schuf viel Ungelegenheit und Ver-
drutz- Nicolai ruhmt es schon als einen Vorzug, datz
in Preutzen nur alle 20 Meilen umgepackt zu roerden
brauchte. Nach Geroitter und starken Regengussen roaren
die tvege grundlos, so datz nur im Schritt gefahren roerden
Konnte. Besser roar es, roenn im lvinter Schnee lag, von
Schlitten scheint aber die Post in Deutschland nur roenig Ge-
brauch gemacht zu hoben. Bei Tauroetter roar dann
die Ralamitat nur um so grotzer. Erst 1790, schreibt
Georg Forster, sei man mit dem Gedanken umgegangen,
in preutzen roie in „anderen gesitteten Landern" Thausseen
anzulegen.
Die Rlage uber zusammengeruttelte Rnochen nach einer
Postsahrt roar daher in den Briefen jener 3eit eine stereotyp
roiederkehrende. Es erinnert sich vielleicht mancher unserer
Leser, roenn er auf einer Landpartie von einem tuchtigen
Geroittergutz uberrascht rourde, roie der tvagen danach auf
den aufgeroeichten tvegen immer aus einem Loch ins ondere
geriet, roie er roohl gar mit einem grotzen im Geleise
liegenden Stein zusammenprallte und roie die Snsassen nur
immer aus ihrer hut sein mutzten, datz sie nicht unsanft
mit den Rapsen zusammenschlugen. Nun roohl, roas sur
uns hente ein Extravergnugen ist, roar damals auf Reisen
an der Tagesordnung. Geschrei und Gelachter gab's genug,
aber so ganz harmløs ging die Sache doch nicht immer
ab, und roenn der postillon den Gang seiner Pserde auch
noch so sehr zum langsamsten Schneckentempo Herabsetzte,
so roar das Umroerfen eines Postroagens doch nichts un-
geroohnliches, und man Konnte froh sein, roenn es dabei
mit einigen Beulen und ganzlich in Unordnung geratenen
Sachen abging.
Aber noch ein anderes, roeit unangenehmeres Gefuhl
der Nnsicherheit gab es, die Furcht vor dem Beraubt-
roerden, die in manchen Gegenden Deutschlands, roie z. B.
in der Tucheler heide und namentlich auch in Bayern, zu
3eiten durchaus nicht ganz grundlos roar. Erst 1771 ver-
stel der bayerische Hiesel, 1803 der Schinderhannes am
Rhein dem verdienten Strafgericht. Jm Sahre 1780 rourde
in der Nahe von llugsburg ein Postroagen angegriffen und
geplundert. Hauffs allbekanntes „tvirtshaus im Spessart"
versetzt uns so recht in die Romantik jener Tage, die die
Schauer des ohnehin unheimlichen, einsamen lvaldes, durch
den man roohl Tage lang zu reisen hatte, noch durch die
hinter jedem Busch geargroohnten Gestalten blutdurstiger
Rauber vermehrte. Daher empfiehlt auch eine Rnroeisung
fur Rejsende vom Sahre 1791: „Des Nachts mutz man
nie, ohne die nothigen Vorstchtsregeln anzuroenden, durch
grohe Ivalder reisen, -uberhaupt ist es sehr rathsam, in ge-
fahrlichen Gegenden lieber zu gehen, als zu fahren, roeil
man sich bey einem Rngriffe, roenn man zu Futze ist, viel
besser vertheidigen Kann." Gegen nachtliche llberfalle im
Gasthaus schutzte man sich durch eigens mitgenommene und
an jede Tur passende Nachtriegel. Noch 1813 roar die
Furcht vor Raubern im Bayerischen ziemlich lebhaft. Jm
Dezember dieses Jahres schreibt eine sachsische Dame aus
Nurnberg an ihre Freundin: „Mit Recht, liebe Schroester,
hobe ich mich vor der Reise von Manchen hierher gesurchtet.
Jch håbe Dir schon gesagt, datz roir der Sicherheit und des
grundløsen tveges roegen mit der Post zu gehen uns ent-
schløssen. Es ist roahr, die Postroagen sind sehr schon und
bequem (es roar allmahlich damit besser geroorden, roenigstens
in Bayern), fiber roenn mehrere Personen zusammen reisen,
ist es auch viel Kostbarer, als roenn man einen eigenen
tvagen nimmt und ob man roohl der Sorge fur alles roeitere
Fortkommen enthøben ist, ist man doch auch manchen Un-
annehmlichkeiten unterroorfen und nur im autzersten Noth-
fall rourde ich mich roieder dazu entschliehen, mit der Post
zu gehen. Der tveg roar so grundlos von dem vielen
Regen, datz roir trotz unserer acht (!) Pferde oft aussteigen
mutzten und lange Strecken zu Futze zu roandern genothigt
roaren, dazu Kam, datz naturlich im jetzigen INonat die
bestandige Zinsternitz, roo man nur Schritt fur Schritt
fahren Konnte, die Reise verlangerte. Doch sind roir, einen
blinden Schreck ausgenommen, ohne allen Nachtheil auch
fur unsere Gesundheit hier angekømmen. Jn der Nacht
gegen 11 Uhr roaren roir gerade in einem Ivalde, mit
einmal erhob sich ein furchterliches Geschrei um hulfe und