Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Seite 54
Bayerifche 3ubilaums = Landes«Hushellung 1^06
fir. 3
Lrstarkung, zur Schwachung der Grotzmachle Vsterreich und
preutzen gedacht. In Munchen hatte man recht, sich aus
die alte Historische Grotze Bayerns zu berusen. Und Iahre
lang, da die weitz-blauen Grenzpsahle am Garbasee und
in den Gasteiner Tauern standen, da Bayern Tirol, Salz-
burg und das Innviertel wieder umschlotz, mochte man
glauben, ba^ der junge Staat zu seinen Finfangen zuruck-
Kehren, das; er, wie im sruheren Mittelalter, wieder den
grotten Teil des baiuwarischen Stammes in sich sammeln
werde. Doch der unselige Tiroler Flusstand, geweckt durch
vorzeitige Durchsuhrung der Konskription und schonungs-
lose Verletzung der religiosen Volksgesuhle, fuhrte dazu,
batz Bayern das Gebirgsland des baiuwarischen Stammes
ohne viel Strauben preisgab, und Tirols Verlust zog den
Salzburgs und des Innviertels nach sich. Lrst 1816 ward
diese Wendung endgiltig entschieden - noch im Sommer 1816
schrieb Westenrieder aus Gastein seine Briefe, ohne zu ahnen,
batz die Tage der bayerischen Herrschast uber das schone
Tal gezahlt seien. Nicht altbayerische, sondern frankische,
pfaIzische und schroabische Territorien dienten zur Vergrotze-
rung und Flbrundung des Konigreichs. Von diesen Hatten
die Psalzer zwar seit dem Beginn des 13. Iahrhunderts
dieselbe Dynastie, aber bis 1777 eine van den Bayern sehr
disparate Lnlroickelung gehabt, ja nicht selten waren sich
die Vettern seindlich gegenubergestanden. Fluch die Reichs-
stadte Flugsburg und Nurnberg und die hohenzollerischen
Furstentumer in Franken Hatten in dem bayerischen Herzog-
tume meistens Keinen befreundeten Nachbarn erblickt. Ver
Heidnische Bogenschutze, den Holbein d. a. aus seinem Mar-
tyrium des hl. Sebastian in die bayerischen Farben gekleidet
hat, ist sinnbildlich sur die uberwiegende Stimmung, die in
den Reichsstadten sruher gegen Bayern Herrschte. Dah
man dart der Vereinigung mit Bayern, das uberdies bis
vor Kurzem als hort der finstersten Nuckstandigkeit galt,
entgegenjubeln und die vorgeschriebene weih-blaue Kokarde
mit Begeisterung tragen wurde, war nicht zu erwarten.
Fiber es waren Keine ublen Seichen fur die Flnziehungs-
und llssimilationskraft des jungen Staates, datz Max Ioseph
bei seinem zweiten Linzuge in Wurzburg schon viel Herz-
licher empsangen wurde als das erstemal, datz die Ulmer,
als sie nach sleben Iahren bayerischer herrschast losgerissen
wurden, sich hartnackig gegen die Trennung straubten, datz
sogar die Bozener unmittelbar nach dem Tiroler Flufstande
baten, bei Bayern belassen und nicht zu Italien geschlagen
zu werden. Schon Max Ioseph, der erste Bayernkonig -
wenn wir von dem Karolingischen Konigreich Bayern und von
den altesten Flgilolfingern absehen, deren Konigsrourbe boch
nicht ganz zweifellos seststeht —, hat burch sein echt sub-
beutsches Wesen, seine herzlichkeit unb Gutmutigkeit aufs
gunstigste aus bie Stimmung eingewirkt, unb was bie ge-
meinschastliche Dynastie seit brei Menschenaltern fur bas Su-
sarnmenwachsen ber Bayern unb Franken, Schwaben unb
Psalzer bebeutete, hat Furst Bismarck in seinen Gebanken unb
Trinnerungen ruhmenb anerkannt. Fluch Konnten bie Franken,
in bem neuen Staate nahezu so zahlreich wie bie Bayern,
balb innewerben, batz ihnen an bessen Regierung grotzerer
Flnteil beschieben war als bem namengebenben Stamme.
Mitten im Vrang unb Larm fast unablassiger Kriege
unb unter Staatserschutterungen, welche bie Lhrwurbigkeit
bes Rechtes unb Besitzes in Frage stellten, loste nun ein
gemaler Staatsmann bie Riesenausgabe, ben mittelalterlichen
Feubalstaat nieberzureitzen unb aus bisparaten Teilen einen
Harmonischen Neubau aufzufuhren. Wenn bie wertvollen
Lrrungenschasten ber sranzosischen Revolution Bayern zugute
Kamen, ohne batz hier als Preis bie entsetzlichen Gpfer
gesorbert wurben, welche Frankreich bie Wiebergeburt seines
Staates kostete, so verbanken wir bies Montgelas, bem
ersten revolutionaren Minister, wie ihn harbenberg nannte.
Vieles stotzt ja ben mobernen Beobachter ab, worin bieser
Staatsmann ben Geist seiner Seit nur zu getreu roiber-
spiegelt: seine Pietatlosigkeit gegen bas geschichtlich Uber-
lieserte, sein einseitig utilitaristisches, rabikales, zuweilen
bespotisches Verfahren. Voch alles bas bilbet sichtlich nur
bie Kehrseite seiner Vorzuge unb bars uns nicht abhalten,
anzuerkennen, batz Bayern im ganzen Verlause seiner neueren
Geschichte Keinem Manne mehr Vank sur ausgiebigen Fort-
schritt schulbet.
Fim Lingange ber Reformen steht bie Sakularisation
ber Kloster, eine Nachwirkung ber burch ben Frieben von
Luneville herbeigesuhrten Sakularisation ber Bistumer.
Sakularisation heitzt Verweltlichung. Sie gab bas Uber-
matz bessen, was bie Kirche von Gutern bieser Welt an sich
gezogen hatte, weltlichen hanben zuruck, war also ber Ruck-
schlag gegen eine Verweltlichung ber Kirche in anberem
Sinne. Die Notwenbigkeit bieses Ruckschlages wirb niemanb
leugnen, ber ben Urnfang bes Kirchlichen, besonbers Kloster-
lichen Besitzes unb bie Folgen bieser Guteranhaufung in
ber „toten Hanb" uberschaut. Lrstreckte sich boch in Fllt-
bayern bas Gbereigentum ber Kirche auf 56 Prozent ber
Bauernguter im £anbe! Der Vollzug ber Klosteraushebung
war sreilich, ba man zur Bezahlung einer schweren Kriegs-
kontribution schleunigst bes Gelbes beburfte, ubereilt unb
unpraktisch unb gestaltete sich, ba nicht uberall ehrenwerte
unb taktvolle Beamte bamit betraut wurben, zuweilen sogar
zu einem Fikte von abstotzenber Brutalitat.
Datz in ben kirchlichen Territorien wie Wurzburg,
Bamberg, Freising, Kempten bas ganze Staatsleben von
Kirchlicher. Fluffassung beherrscht unb burchtrankt war, oer-
steht sich von selbst. In Ritbayern waren bie Herzoge unb
Kurfursten van jeher auf bie Wahrung ihrer lanbesfurst-
lichen Rechte gegenuber ber Kirche bebacht gewesen, roas
boch nicht ausschlotz, batz bie Kirche auch hier autzerorbentliche
Macht besatz. Die Kirche hatte keine Flnbersglaubigen im
£anbe gebulbet unb ber Staat hatte ihr bazu seine Hanb
geliehen. Ietzt zog eine protestantische £anbesfurstin in
Munchen ein, Provinzen mit protestantischer Bevolkerung
rourben Bayern angegliebert, an Stelle ber Glaubenseinheit
unb Unbulbsamkeit trat bie Gleichstellung ber christlichen
Konfessionen unb Toleranz. Unter Fllbrecht V. Hatte ber
Munchener Stabtrat in Herzergreifenben Tonen gegen bie
£anbesverweisung ber vielen Munchener, bie nicht vom Keich
beim Flbenbmahl lassen roollten, protestiert. Ietzt mutzte
Max Joseph personlich eingreisen, um ben Wiberstanb bes
Munchener Magistrats gegen bie Niederlassung bes ersten
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