Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
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HANOMAG, HANNOVER
LINDEN
Fahrt. Da „Richard Wagner“ nur einen Zug von der
Gebirgsstation holen sollte, so fuhr man bei dieser ersten
Tour ganz allein ohne jedes Zuganhängsel, und das war
ein besonderer Vorteil. Hei, wie sauste die kleine Maschine
schon durch das Gleisgewirr des Hauptbahnhofes, wie
sandte sie zu jeder Weichenstellbude freudig einen Gruß
flockigen Dampfes hinauf, wie herrlich war’s, als nach dem
Poltern über hundert Weichen und Herzstücke die Gleis-
anlage immer schmäler wurde und endlich der schlanke
Bahnkörper mit den zwei blanken Eisenwegen frei dalag.
Im hellen Sonnenschein ging die Reise durch ein blühendes
Land dahin. Vorüber an den Villen der reichen Leute,
die in den luftigen Vororten der Großstadt wohnten,
vorüber an den Dörfern, von deren Türmen freundlicher
Glockenton klang, vorbei an Landgasthöfen mit bunten
Fahnen, schwankenden Schaukeln, kreisenden Karussells
und fröhlichen, festlich gekleideten Menschen, immer lustig
durch Felder, Wiesen und kleine Waldbestände, deren
Stämme vor freudigem Erstaunen zu tanzen schienen,
vorüber an kleinen Haltepunkten mit vielen wartenden
Menschen, die der allein durchpolternden Lokomotive mit
verwunderten Blicken nachschauten — wir haben keine
Zeit für euch, ihr Leute, wir müssen weiter bis zur
Gebirgsstation, wo man uns sehnlichst erwartet — nur
ein fröhlicher, keck schmetternder Pfiff bei der Durch-
fahrt und dann brausend weiter, immer an dem
blanken Strome entlang, von dem die freundlichen weiß-
grünen Dampfer wimpelgeschmückt und mit Menschen
beladen herübergrüßen — vorüber an all dieser Herr-
lichkeit des prangenden Lebens, umspielt vom herz-
haften Luftzuge der raschen Fahrt. Ja, das war Frei-
heit, das war Glück!
Bald kam die Gebirgsstation in Sicht, viel zu schnell
für die Lokomotive, die gern noch weiter gelaufen wäre,
am liebsten mitten in die Berge hinein, die jetzt auf-
tauchten. Aber es half nichts, die Fahrt war zu Ende
— nun, sie war über alles Ahnen schön gewesen. Noch
ganz atemlos, pustend, berauscht von dem Glücke er-
füllter Sehnsucht, stand die Lokomotive vor dem Bahn-
hofsgebäude. Der Führer lachte zufrieden und ging
hinein; „Richard Wagner“ aber schaute sich beifall-
verlangend um, während die geschwärzten Arbeiter aus
leeren Wagen einen langen Zug zusammenstellten. War
denn gar niemand hier, der sie in ihrer neuen Würde
bewundern konnte?
0 ja, da war schon jemand. Nämlich eins der ganz
kleinen Baulokomotivchen, die immer nur auf notdürftig
gelegten Interimsgleisen laufen, wie Spielzeug aussehen
und doch eine gar schwere und nützliche Arbeit zu leisten
haben, indem sie an jedem Tage hundertmal die mit
Erde oder Steinen beladenen Bauzüge hin- und herziehen,
ohne dabei über den engen Bezirk des Bauplatzes hinaus-
zukommen. Heute war auch für das winzige Loko-
motivehen ein Feiertag, und so schaute es mit bescheidener
Ehrfurcht zu „Richard Wagner“ empor, der auf hohem
Bahndamm stolz und vom Erfolge verschönt dastand
und auf das zarte Dingelchen herabsah wie ein Riese
auf einen Zwerg.
,,Hm, das nennt sich nun auch Lokomotive,“ dachte
„Richard Wagner“ mit jenem Mitleid, das so oft die
Tochter der Selbstüberhebung ist. „Na, da wollen wir
mal zeigen, was wir leisten können. Respekt soll das
armselige Ding bekommen, wenn’s mich mit meinem
Zuge davonfahren sieht.“
Die Wagen waren unterdessen zusammengekoppelt
worden, und „Richard Wagner“ sollte den Zug nun in
Bewegung setzen. Aber da die Station über keine Dreh-
scheibe verfügte, wurde die Maschine so vorgelegt, daß
sie rückwärts laufen mußte wie ein Krebs. Das behagte
ihr gar nicht; sie fühlte, daß es ein wenig lächerlich aus-
sah — Und vor den Augen des winzigen Baulokomotivchens
lächerlich zu werden, das war doch sehr unangenehm.
Aber es half nichts; man mußte sich nur beim Anziehen
fest ins Zeug legen, damit die Abfahrt recht pompös vor
sich ginge.
Aber auch damit hatte es Schwierigkeiten. Denn als
der Führer auf das schrille Pfeifen des Oberschaffners
den Hebel langsam drehte, da brachte „Richard Wagner“
trotz aller Anstrengung den Zug nicht von der Stelle.
Dreimal, viermal wurde der Versuch wiederholt, doch ohne
Erfolg. Das Personal lachte und schimpfte durcheinander,
der Führer schämte sich und rief ärgerlich, daß seine
Maschine „ihre Mucken“ habe, es aber schon leisten könne.
Doch auch ein weiterer Versuch hatte nur das Ergebnis,
daß durch das harte, scharfe Anziehen eine Kupplung
riß. Da wurden die meisten Waggons wieder abgehängt,
so daß nur drei Wagen den „Zug“ bildeten. „Die paar
Dinger wird sie wohl schleppen können“, riefen die Männer
höhnisch und gaben das Zeichen zur Abfahrt. Langsam,
mühevoll — denn es war gleich eine beträchtliche Steigung
zu überwinden — zog „Richard Wagner an. Ach, das
war keine stolze Ausfahrt. Hoffentlich schaute das Bau-
lokomotivchen nicht her! Keuchend und fauchend ging
es weiter. An jeder Haltestelle nahm man Reisende auf,
so daß die Wagen immer schwerer wurden. Die Sonne
schien noch ebenso strahlend, und der Wind wehte noch
ebenso lustig, im gleichen Festschmuck glänzte die ganze
Gegend — aber „Richard Wagner“ achtete so wenig
darauf wie ein Lastpferd, das vor einem schweren Ziegel-
wagen gehen muß. Mühsam und beschwerlich war diese
Tour; ein Kilometer ward zur Ewigkeit, und die Erkenntnis
der eigenen Schwäche nahm jeden Mut und jede hreude.
Ja, an manchen schwierigen Stellen der Strecke konnte
man erst nach einer kleinen Ruhepause weiterfahren,
und die Fahrgäste steckten die Köpfe zum Fenster hinaus,
schimpften über die Bummelei oder machten ihre schlechten
Witze über die lungenlahme Lokomotive.
Endlich, endlich war die Residenz erreicht. Die Strecke
wurde eben, und mit leidlichem Anstand fuhr der kleine
Zug in die’Halle des Hauptbahnhofs ein — allerdings
mit einer Verspätung von fünfzehn Minuten.
Am Abend tat „Richard Wagner“ wieder seinen alt-
gewohnten Dienst und ist seitdem nicht mehr hinaus-
gekommen. Er hat auf Ehren und Erfolge in der großen
Welt verzichtet. Und wenn sich bisweilen doch noch
Anwandlungen von Bitterkeit und Ehrgeiz einstellen, so
denkt „Richard Wagner“ nur an seine Pfingstwanderung
und an die dabei gemachte Erfahrung, daß draußen auf
der freien Strecke ganz andere Kraft und Leistungsfähig-
keit nötig sind, als in einem so kleinen Kessel wohnen.
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