ForsideBøgerDie Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur

Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur

År: 1922

Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft

Sted: Hannover-Linden

Sider: 170

UDK: 625.282(06) Han

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Side af 170 Forrige Næste
HANOMAG, HANNOVER LINDEN Fahrt. Da „Richard Wagner“ nur einen Zug von der Gebirgsstation holen sollte, so fuhr man bei dieser ersten Tour ganz allein ohne jedes Zuganhängsel, und das war ein besonderer Vorteil. Hei, wie sauste die kleine Maschine schon durch das Gleisgewirr des Hauptbahnhofes, wie sandte sie zu jeder Weichenstellbude freudig einen Gruß flockigen Dampfes hinauf, wie herrlich war’s, als nach dem Poltern über hundert Weichen und Herzstücke die Gleis- anlage immer schmäler wurde und endlich der schlanke Bahnkörper mit den zwei blanken Eisenwegen frei dalag. Im hellen Sonnenschein ging die Reise durch ein blühendes Land dahin. Vorüber an den Villen der reichen Leute, die in den luftigen Vororten der Großstadt wohnten, vorüber an den Dörfern, von deren Türmen freundlicher Glockenton klang, vorbei an Landgasthöfen mit bunten Fahnen, schwankenden Schaukeln, kreisenden Karussells und fröhlichen, festlich gekleideten Menschen, immer lustig durch Felder, Wiesen und kleine Waldbestände, deren Stämme vor freudigem Erstaunen zu tanzen schienen, vorüber an kleinen Haltepunkten mit vielen wartenden Menschen, die der allein durchpolternden Lokomotive mit verwunderten Blicken nachschauten — wir haben keine Zeit für euch, ihr Leute, wir müssen weiter bis zur Gebirgsstation, wo man uns sehnlichst erwartet — nur ein fröhlicher, keck schmetternder Pfiff bei der Durch- fahrt und dann brausend weiter, immer an dem blanken Strome entlang, von dem die freundlichen weiß- grünen Dampfer wimpelgeschmückt und mit Menschen beladen herübergrüßen — vorüber an all dieser Herr- lichkeit des prangenden Lebens, umspielt vom herz- haften Luftzuge der raschen Fahrt. Ja, das war Frei- heit, das war Glück! Bald kam die Gebirgsstation in Sicht, viel zu schnell für die Lokomotive, die gern noch weiter gelaufen wäre, am liebsten mitten in die Berge hinein, die jetzt auf- tauchten. Aber es half nichts, die Fahrt war zu Ende — nun, sie war über alles Ahnen schön gewesen. Noch ganz atemlos, pustend, berauscht von dem Glücke er- füllter Sehnsucht, stand die Lokomotive vor dem Bahn- hofsgebäude. Der Führer lachte zufrieden und ging hinein; „Richard Wagner“ aber schaute sich beifall- verlangend um, während die geschwärzten Arbeiter aus leeren Wagen einen langen Zug zusammenstellten. War denn gar niemand hier, der sie in ihrer neuen Würde bewundern konnte? 0 ja, da war schon jemand. Nämlich eins der ganz kleinen Baulokomotivchen, die immer nur auf notdürftig gelegten Interimsgleisen laufen, wie Spielzeug aussehen und doch eine gar schwere und nützliche Arbeit zu leisten haben, indem sie an jedem Tage hundertmal die mit Erde oder Steinen beladenen Bauzüge hin- und herziehen, ohne dabei über den engen Bezirk des Bauplatzes hinaus- zukommen. Heute war auch für das winzige Loko- motivehen ein Feiertag, und so schaute es mit bescheidener Ehrfurcht zu „Richard Wagner“ empor, der auf hohem Bahndamm stolz und vom Erfolge verschönt dastand und auf das zarte Dingelchen herabsah wie ein Riese auf einen Zwerg. ,,Hm, das nennt sich nun auch Lokomotive,“ dachte „Richard Wagner“ mit jenem Mitleid, das so oft die Tochter der Selbstüberhebung ist. „Na, da wollen wir mal zeigen, was wir leisten können. Respekt soll das armselige Ding bekommen, wenn’s mich mit meinem Zuge davonfahren sieht.“ Die Wagen waren unterdessen zusammengekoppelt worden, und „Richard Wagner“ sollte den Zug nun in Bewegung setzen. Aber da die Station über keine Dreh- scheibe verfügte, wurde die Maschine so vorgelegt, daß sie rückwärts laufen mußte wie ein Krebs. Das behagte ihr gar nicht; sie fühlte, daß es ein wenig lächerlich aus- sah — Und vor den Augen des winzigen Baulokomotivchens lächerlich zu werden, das war doch sehr unangenehm. Aber es half nichts; man mußte sich nur beim Anziehen fest ins Zeug legen, damit die Abfahrt recht pompös vor sich ginge. Aber auch damit hatte es Schwierigkeiten. Denn als der Führer auf das schrille Pfeifen des Oberschaffners den Hebel langsam drehte, da brachte „Richard Wagner“ trotz aller Anstrengung den Zug nicht von der Stelle. Dreimal, viermal wurde der Versuch wiederholt, doch ohne Erfolg. Das Personal lachte und schimpfte durcheinander, der Führer schämte sich und rief ärgerlich, daß seine Maschine „ihre Mucken“ habe, es aber schon leisten könne. Doch auch ein weiterer Versuch hatte nur das Ergebnis, daß durch das harte, scharfe Anziehen eine Kupplung riß. Da wurden die meisten Waggons wieder abgehängt, so daß nur drei Wagen den „Zug“ bildeten. „Die paar Dinger wird sie wohl schleppen können“, riefen die Männer höhnisch und gaben das Zeichen zur Abfahrt. Langsam, mühevoll — denn es war gleich eine beträchtliche Steigung zu überwinden — zog „Richard Wagner an. Ach, das war keine stolze Ausfahrt. Hoffentlich schaute das Bau- lokomotivchen nicht her! Keuchend und fauchend ging es weiter. An jeder Haltestelle nahm man Reisende auf, so daß die Wagen immer schwerer wurden. Die Sonne schien noch ebenso strahlend, und der Wind wehte noch ebenso lustig, im gleichen Festschmuck glänzte die ganze Gegend — aber „Richard Wagner“ achtete so wenig darauf wie ein Lastpferd, das vor einem schweren Ziegel- wagen gehen muß. Mühsam und beschwerlich war diese Tour; ein Kilometer ward zur Ewigkeit, und die Erkenntnis der eigenen Schwäche nahm jeden Mut und jede hreude. Ja, an manchen schwierigen Stellen der Strecke konnte man erst nach einer kleinen Ruhepause weiterfahren, und die Fahrgäste steckten die Köpfe zum Fenster hinaus, schimpften über die Bummelei oder machten ihre schlechten Witze über die lungenlahme Lokomotive. Endlich, endlich war die Residenz erreicht. Die Strecke wurde eben, und mit leidlichem Anstand fuhr der kleine Zug in die’Halle des Hauptbahnhofs ein — allerdings mit einer Verspätung von fünfzehn Minuten. Am Abend tat „Richard Wagner“ wieder seinen alt- gewohnten Dienst und ist seitdem nicht mehr hinaus- gekommen. Er hat auf Ehren und Erfolge in der großen Welt verzichtet. Und wenn sich bisweilen doch noch Anwandlungen von Bitterkeit und Ehrgeiz einstellen, so denkt „Richard Wagner“ nur an seine Pfingstwanderung und an die dabei gemachte Erfahrung, daß draußen auf der freien Strecke ganz andere Kraft und Leistungsfähig- keit nötig sind, als in einem so kleinen Kessel wohnen. 34