Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Dritter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 150
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Reptilen und der Fische
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Lurche oder Reptilien.
Dttlte Vrbnung.
f^nitfen mit unwiderstehlicher Gewalt bie wogenben
Gewasser und verbrelteten Schrecken und Tob unter
ihren wehrlosen Bewohnern. Die ode Stille warb nicht
durch frohliche Tsne der meist harmlosen und lebens-
muthigen Thierwelt unterbrochen, welche an benselben
Orten uns jetzt nmgiebt, sonbern nur burch bas Zischen
unb Gebrull jener grausenhaften Reptilien. In ber
Mitte einer solchen SchLpsnng bot sich bem Menschen
keine passende Statte; er wurbe, kaum erschaffen, seinen
Untergang gefunben haben unb trat , als letztes Werk
ber Naturkraft, erst bann auf, als nicht nur jene Schre-
ckenwesen unb ihre ganzen Umgebungen schon lange ver-
schwunben, sonvern sogar eine fpatere auf fie gefolgte
Schhpfung von ber noch bauernben verbr^ngt worben
war.
Writte Ordnung.
Schlangen.
Die Schlangen besttzen in ihrer Gestalt einen Cha-
rakter, ber eine Verwechselung mit anberen Reptilien,
einige ber oben erwfihnten fnglosen Echsen ausgenommen,
unmoglich macht. Sie Haben stets einen Korper, bessen
Lange ben Querburchmesser 40 — 100 Mal ubertrifft,
ber viele Beweglichkeit befitzt, einen Hals nicht wahrneh-
men lagt unb weber paarige Flossen noch Gliebmaagen
tragt. Der Kopf ist nie fehr grog, bie Rachenoffnung
behnbar, ber Gehorgang augerlich nicht unterscheidbar,
ber Scheitel mit Schilbern, feltener mit Schuppen be-
kleibet, bie jeboch bie behnbare Haut auf ber Ruckenseite
bei ben meisten uberziehen. In bem Maage als bie
augere Gestalt ber Schlangen Hochst einfach erscheint,
zeigt auch bas Knochengerust einen minber zusammenge-
setzten Bau (Fig. 2216.). Es besteht nur aus Schabel,
Wirbelsaule unb Rippen. Der Mangel an Fugen be-
bingt elite eigenthumliche, bei kelner lebenben Thierfa-
milie sonst vorkommenbe Einrichtung ber Wirbelsaule.
Bestimmt, vom Raube fich zu nahren, aber ber Fuge
unb Krallen beraubt, welche zur Erhaschung unb Fest-
Haltung ber Bente bienen, muffen Schlangen bie Hochste
Gelenkigkeit unb Schnelle entwickeln konnen, um anberen
Thieren auf ber Flucht zu folgen ; fiemuffen bas Hochste
Maag von Muskelkraft besitzen, um ihr eingeholtes
Opfer, bem sie an Groge oft nicht gleichkommen, mit
vielfachen Winbungen zu umstricken, es burch Erbrnckung
zu tobten ober boch wehrlos zu machen. Die Wirbel
haben baher eine Gestalt etnpfangen, welche ber ganzen
Saule eine fast unbeschrankte Fahigkeit zum Drehen,
Wenben unb Krummen verleiht. An jebem bemerkt
man (Fig. 2217.) zwischen ber Gestalt ber vorberen unb
Hiuteren Gelenkflache einen Wesentlichen Unterschieb.
Jene (a) ist hemispharisch ausgehohlt, biese verengert sich
zn einem kurzen Stiele, ber in eine Kugel anschwitlt,
bie ihren Platz in ber Vertiefung bes nachstfolgenben
Wirbels finbet. An ber Stelle, wo beibe Wirbel in
einanber eingreifen (b), liegt ein starkes Kapselbanb, bei
Riesenschlangen sogar eine Erhohung (b), welche ben
gewaltigen Muskeln zum Orte ber Anheftung bient.
Es bebarf nicht ber Erlauterung, bag ein so gestaltetes
Kugelgelenk bie freieste mit ber Sicherheit bes Rfickep-
marks vereinbare Bewegung zulassen muffe. Die Wirbel
lassen sich nicht, wie sonst gewohnlich, nach ben verschie-
benen Korpergegenben in Claffen eintheilen. Da schon
ber zweite ein Rippenpaar tragt, so hort bie Unterschei-
bung ber Halswirbel anf, moglich zn sein; bie Schwanz-
wirbel erkennt man Hingegen am Mangel von Rippen.
Ihre Zahl anbert sich je nach ber Species ober boch ber
Gattnng ber znr Untersuchnng vorliegenben Gattnng.
Riesenschlangen haben bis 400, selten werben weniger
als 100, unb zwar nur bei einigen Blinbschlangen, ge-
funben. Mit ben Wirbeln finb bie Rippen (cc) in ge-
wohnlicher Art verbnnben ; ba biese nach unten nicht an ein
Brustbein angeheftet finb, so konnen sie mit ihren Spi-
tzen sich einanber nahern, also Abplattung bes Leibes
hervorbringen ober auch abwechselnb nach vorn ober
nach Hinten schieben unb Werben auS letzterem Grunbe
zu BewegungSorganen, waS fie bei kelner anberen Wlr-
belthlerelasse finb. Elnejebe ist namlich mit ihrer Spltze
an baS eutsprechenbe Schilb ber Bauchhaut (Fig. 2222.)
mittelS elneS Knorpels unb elniger Muskeln befestigt
unb wirb burch anbere hoher oden angebrachte, auS funf
verschlebenen Bunbeln bestehenbe MuSkeln nach vorn
bewegt. Die sehr zahlreichen Rlppenpaare elner ge-
wbhnlichen Schlange konnen also ganz fuglich mit ben
Fugen eines TausenbfugeS verglichen werben unb vermit-
teln unverkennbar baS gewohnliche ruhigere Kriechen.
Man fuglt beutlich bie Spitzen ber wechfelnb Hervortre-
tenben Rlppenpaare, wenn man eine zahme Schlange
uber ben Rficken ber Hanb hinkriechen lagt, unb kann
ihre Thatigkeit sogar augerlich bemerken, wenn eine
Schlange fiber eine scharfe Kante, z. B. fiber ein auf-
rechtstehenbeS Buch, hinzukriechen gezwungen ist. Auf
eine sehr schnelle Bewegung mogen jene Rippenffige
minber einwirken, inbem bann ber ganze Korper burch
Aufstammung beS SchwanzeS ober plfitzliche Wleber-
herstellung selner geraben Linie, nachbem er zusammen-
gezogen ober eingerollt gewesen, fortgeschleubert wirb.
Die Mehrzahl ber Schlangen gleitet fibrigenS in Hori-
zontalen, zwischen RechtS unb Links Wechselnben Min-
bungen am Boben fort; vielleicht giebt eS uur zwei bis
brei, bie wirklich in fenkrechten Halbbogen, wie ble Alten
alle Schlangen irrlg barstellen, zu kriechen vermo-
gen; ber ganze Knochenbau ist einer solchen Bewegungs-
art nicht gfinstig. Den Korper zu einer Halfte vom
Boben zu erheben vermogen viele, inbem fie bie Mus-
keln, bie, wie erwahnt, fast alle an ble Wirbelsaule fich
befestigen, anspannen unb bie letztere steif machen. Lange
Zeit in solcher Stellung auSzuharren vermogen fie in-
beffen nicht unb nehmen biese in ber Regel auch nur
bann an, wenn sie fiber einen senkrecht abfallenben, ben
Weg versperrenben Korper zu gelangen suchen. Nur
von einer, ber figyptischen Naja, weig man, bag sie bis-
weilen langere Zeit mit Halbaufgerichtetem Leibe sich
erhalt unb gleichsam umschauet. Den alten Aegyptern
galt sie baher als Symbol ber Wachsamkeit unb warb
von ihnen auf Denkmalern Haufig bargestellt. Eine
Art von Sprung auSzuffihren vermogen viele Schlan-
gen, unb gerabe hierburch werben bie mehrentheils plump
gebauten unb phlegmatischen Giftschlangeu gefahrlich.
DaS Schwimmen sowohl an ber Oberflache als in ber
Tiefe entsteht glelchfallS burch schlangelube Bewegung
unb.wirb ben Schlangen lelcht, ba es ganz von ihrem
Willen abhangt., ihre mit vleler Luft geffillten Lungen
zusammenzubrficken unb fich hierburch grogere speelfische
Schwere zu verleihen. Die kleine Gruppe ber achten
Seeschlangen hat eine Aalgestalt unb schwimmt wie biese
Fische mittels ihreS hohen, zusammengebrfickten unb burch
einen flossenartigen Hautsaum eingefagten Schwanzes.
Schlangen fresfen selten, aber immer sehr viel auf
Einmal, finb wahre Raubthiere, ergreifen nur lebeube
Thiere unb fast immer solche, von welchen fle zwar nicht
an Korperlange, inbeffen an Korperburchmeffer bebeu-
tenb fibertroffen werben. Niemals berfihren sie tobte,
noch weniger in Faulnig fibergegangene Reste, unb selbst
bewegungslos fchlafenbe Thiere sinb vor ihnen verhalt-
nigmagig ficher. Die Mehrzahl stellt Saugethieren unb
Vogeln nach, toenige leben von Weichthieren, Jnfecten,
klelnen Krustenthieren unb Ringeltofirmern. Da sie Alles
ganz verschlingen mfissen, so teburfen fle auch einer Hochst
besonberen Einrichtung beS Rachens unb SchabelS. An
biesem (Fig. 2218— 2220.) sinb ble Knochen nicht so,
wie bel Saugethieren unb Bogeln zu einem festen Kor-
per vertoachsen, sonbern getrennt unb toerben in Berbin-
bung nur burch bunne Banber, Knorpelschichten unb
MuSkeln erhalten. Der Oberkieser (Fig. 2218.) besteht
aus zwei burch einen Zwischenkleferknochen unterschiebe-
nen Aesten unb Hangt mit ben unter sich losen Gefichts-
knochen zusammen mittels einer bunnen Schicht von ela-
stlschem Fasergewebe. Ebenso zerfallt ber Unterklefer
in zwei am Kinne ganz getrennte Aeste, bie nicht auS
einem, sonbern auS zwei besonberen Knochenstficken zu-
sammengesetzt sinb unb mit bem Schabel nicht in ge-
wohnlicher Weise fich unmittelbar verbinben, sonbern
burch zwei betoegliche Knochen, baS Paukenbein (Fig.
2219-a.) unb baS Zitzenbeln (b.), Mittelglieber erhalten.
ES entsteht hierburch ein zusammengesetzteS Gelenk, bes-
sen elnzelne Thelle an sich Nachgleblgkelt besitzen unb in
solche Lage gebracht werben konnen, bag fie fask senk-
recht auf einanber stehen unb folglich ben Raum vom
Unterkiefer bis zum Oberschabel, also auch bie Weite
bes Rachens augerorbentlich vergrsgern, inbem bie an-
geren welchen Thelle, MuSkeln unb Bebeckungen einen
Wlberstanb nicht leisten. Eine Schlange verschlingt
nicht sowohl ein ergriffeneS Thier, sonbern stfilpt ben
bis zum Zerreigen auSgebehnten Rachen fiber basselbe.
DaS erneuete Hervorgleiten beffelben burch Strauben
ober selne ungefuge Groge verhlnbern Zahne, welche in
bebeutenber Zahl nicht allein auf ben Kieferknochen,
sonbern auch auf ben nicht verwachsenen unb baher sehr
beweglichen Gaumenknochen stehen. Sie sollen unb
konnen zum Kanen nicht bienen, sonbern ble erwahnte
Bestimmung allein erffillen, stehen baherburch Zwlschen-
raume getrennt unb haben bei ansehiilicher Lange eine
bfinne, kegelformige Gestalt, scharfe unb sehr Harte Spi-
tzen unb finb allezeit nach innen gekrfimmt. Niemals
wurzeln fie lu besonberen Hohlen, sonbern finb auf ben
Kieferknochen aufgewachsen unb zwar in mehreren Rei-
Hen, inbem bie inneren fortwachsenb nach Augen fich
schieben unb bie burch unvermeibliche Gewalt haufig ab-
brechenben angeren ersetzen sollen. Nnr ber Ort, an
bem fle sich befinben, nicht bie Gestalt bringt zwischen
ihnen einen Unterschieb hervor; bie Hintersten, ble Stelle
ber Backenzahne einnehmeuben glelchen burchauS ben
vorberen. Eine Abtheilung ber Schlangen besitzt anger
ben beschriebenen noch Giftzahne, welche hohl unb an
ber Spitze burchbohrt sinb unb weiterhln nmstfinb-
lich erortert werben sollen. Sle stehen stets nnr im
Oberkieser unb sinb wenig zahlreich. Ganz ohne Kie-
ferzahne, minbestenS im reisen Alter, ist nur eine in
Afrika Heimische Gattnng (Dreiudon). Sie nahrt sich
ausschliegllch von Bogeleiern, bie unter bem Drucke
gewohnllcher Zahne zerbrochen sein unb ben groge-
ren Thell ihres JnhalteS verloren haben wfirben, nun
aber unverletzt fiber bie Kiefern gleiten unb welterhin
unter einen sonst beispiellosen Apparat gelangen, bie
nach unten gerichteten, bie Wanbung ber SpeiserShre
burchbohrenben Fortfatze ber Rfickenwirbel, welche ble
Schale gleichsam zerfagen, bie enblich burch bie Znsain-
menziehungeu ber Muskeln leicht zerbrochen wirb. DaS
Schlingen kann nur langsam unb mittels einlger An-
strengung geschehen. Daburch, bag bie SchlnnbmuSkeln
fich ringformig zusammenschnfiren, wirb ber vorbere
Thetl beS Bissens, also ber Kopf eineS FroscheS, einer
ManS u. f. w., gepackt unb zum Hinabgleiten gezwungen^
wobei bie nach hinten gekrfimmten Zahne elnen Wiber-
stanb nicht leisten; ist baS bem Berfchlingungsproceg
unterworfene Thier fehr grog, so konnen viele Stunben
verstreichen, ehe eS burch ben Rachen vollig Hinburchge-
gangen, benn jebe Zufammenziehung beS Schlunbes treibt
eS nur um einigeLinlen weit hinab. Beforbert wirb bieseS
inbessen burch reichliche, ben Bissen schlfipfrig machenbe
Speichelabsonbernitg. Unwahr ist es, bag Riesenschlan-
gen ihre erwfirgte Bente begeifern unb ihr einen glatten-
ben Ueberzug geben, ehe fie an bas Verschlingen selbst fich
wagen. Ungeachtetder ungemeinen Dehnbarkeit beS Ra-
chens kontmt es boch vor, bas Schlangen sich an zn gro-
gen Vissen »ergreifen. Man fieht in mehreren Sammlnn-
gen Eremplare von europaischen Kragennattern, bie um-
gekommen, well sie ble halbverschlnngene FelbmauS We-
ber hlnabzuwfirgen noch los zu werben vermochten, unb