Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Dritter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 150
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Reptilen und der Fische
Mit 492 Ubbildungen
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Schlangen.
Furche oder Neptilien.
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Die Riesenschlangen erreichen mcistens eine viel an-
sehnlichere Grohe als die ubrigen Schlangen; fie toerben
burch bie dupere Form beS Leibes unb bie grohe Beweg-
lichkeit ihrer Wirbelsdule in Stanb gesetzt, sich um frembe
Gegenstanbe Herumzuschlingen, unb enttoickeln babei eine
autzerorbentliche Muskelkraft. Auf bem Oberkopfe
haben fle niemals so regelmahig gebilbete Schilber toie
bie Nattern; ihre kleinen Augen unb bie nach oben ge-
richtete Oeffnung ihrer Nasenlocher beuten auf bie Fa-
Higkeit zum toechselnben Aufenthalte im Waffer ober auf
bem Festlanbe. Die bereits als charakteristisch ertoahn-
ten Afterfpornen bienen nicht zur OrtSbetoegung, son-
bern zur besseren Beftfligung bes KorperS, bem sie einen
unveranberlichen Stutzpunkt wahrenb bes UmschlingenS
gewahren. Sie treten als leicht bemerkbare Hornige
Spitzen (Fig. 2229.) zu ben Seiten bes AfterS auS ein
haar kleinen Gruben hervor unb stnb nichts Anberes
als unvollenbet gebliebene, stummelformige Hinterfuhe.
Bei forgfaltigerAnatomirung erkennt man, bah sie nicht
nur aus einer Reihe von Knochen bestehen, sonbern auch
burch starke Muskeln in Bewegung gesetzt toerben.
BeibeS ist auf ben hierher gehorenben Abbilbungen
beutlich bargestellt. Auf Fig. 2230. erscheint links
ein Fuhstummel von vorn, rechtS von hinten; er be-
steht aus einem Schienbeine (a), bem auheren (b) unb
bem inneren Fersenknochen (c), einem Mittelfuhknochen
(d) unb einem Nagelgliebe (e). Fig. 2231. stellt einen
Fuh bar in seiner naturlichen Lage unb Verbinbung
unb burch einen baS Aster (a) spaltenben Langschnitt
offen gelegt. Man erkennt ben Hornigen Sporn (b),
ber eigentlich fur eine Kralle gelten sollte unb toie eine
solche auf ber Spitze bes Nagelgliebes (Fig. 2230 e.)
festgetoachsen ist; ber Rest ber Stummelknochen toirb
burch mehrere Muskeln (f) verbeckt, bie bas Ausstrecken,
also bas Hervortreten bes Stummels veranlassen, wah-
renb anbere (g. h.) benselben nach hinten unb innen zu-
ruckziehen. Durch ben Schnitt stnb bie Rippen unb
Ztoischenrippenmuskeln (d) getrennt unb ber Quermus-
kel bes Bauches (c) blosgelegt. Soviel Krast auch bie
Riesenschlangen in ihre Betoegungen zu legen im Stanbe
finb, so kann man sie boch nicht fur schnelle Thiere er-
klaren; ben Augenblick ausgenommen, too sie sich aus
bem Bersteck auf ein arglos nahenbes Thier sturzen,
gefallen sie sich mehrentheils in trager Ruhe, kriechen
nicht ohne Nothwenbigkeit unb niemals mit Schnellig-
keit von einem Orte zum anberen. Daffelbe Phlegma
bleibt ihnen sogar in ber bie meisten toilben Thiere er-
bitternben Gefangenschaft, benn in ber Regel konnen
selbst geringe Reizungen fie nicht bahin bringen, von
ihrem Gebisse Gebrauch zu machen. Ohne Gesahr
kann man bie in Herumziehenben Menagerien sehr
gewohnlichen inbischen Riesenschlangen (Python) betasten,
bie fich von ihren Wartern eine ost ziemliche rauhe Be-
Hanblung gefallen lasten. Es scheint Hunger allein
biese Thiere zu grLherer Energie aufstacheln zu konnen,
benn gesattigt liegen fie im halb lethargischen Zustanbe
an schattigen unb feuchten Orten tropischer Urtoalber,
versuchen es nicht, ben zufdllig Herbeikommenben Men-
schen burch raschen Angriff zuruckzuschrecken, unb entfer-
nen fich langsam unb ohne auf Kampf einzugehen, toenn
man fie selbst bebroht. Ueberhaupt bestehen gerabe
uber biese Familie ber Schlangen mehr Fabeln, alS
uber viele anbere zusammengenommen. Fast von allen
Reisenben toirb, alS herrschte eine allgemeine Verabre-
bung unter ihnen, vie Grohe ber Riesenschlangen fiber-
trieben, vielleicht nur barum, toeil jene es vorzogen, ben
Aussagen ungebilbeter unb Wunber liebenber Eingebo-
rener zu glauben, statt selbst zu forschen. Alle Welt
spricht von ber furchtbaren Grohe ber toeltbekannien ge-
meinen Riesenschlange (Boa Constrictor), bie Hochst
felten ldnger alS 5 10 Schuh toirb. Die grohien
aller bekannten Schlangen, zwei inbische Python (P.
Schneideri unb P. bivittatus) unb eine in Brasilien ge-
meine Aboma ober Boigu -ayu (Boa marina), erreichen
im duhersten Falle bieLange von 25—30 Fuh; Hollan-
bische Naturforscher toaren auf Java Zeugen, toie selbst
Eingeborene einen eben geiobteten 26 Fuh langen Py-
thon fur ein beispielloses Ungeheuer erklarten. Nicht
minber finben bie gransigen Seenen keine Bestdiigung,
in toelchen bie ihre Bente verzehrenben Riesenschlangen
eine grohe Rolle spielen, unb bie nicht allein mit Auf-
wanb bichterischer Phrasen beschrieben, sonbern toohl
auch abgebilbet toorben finb. Das Verschlingen ge-
schieht in berselben Art toie bei jeber anberen Schlange,
benn ber Ban bes Schabels unb ber toeichen Theile bes
Rachens verhdlt fich bei einer Boa nicht anbers als bei
einer gemeinen Kragennatter. Grohe Hirsche zu ver-
schlingen vermag keine Riesenschlange, unb hochst abge-
schmackt muffen jene Erzahlungen heihen, toelche ber
Boa bie Fahigkeit zufchreiben, ein grohes Saugethier
so toeit zu verschlingen, bah sein vorberer, in ben Magen
hinabreichenber Theil bereits bem BerbanungSproceffe
untertoorfen sti, todhrenb ber Hintere aus bem Rachen
Hervorhange, um in ben enblich entstehenben leeren
Raum ebenfalls Hinabzugleiten. Die allgemein erzdhlte
Siile ber Boa, ihre erwfirgie Beute mit einem bie fan-
lige Zersetzung rasch herbeiffihrenben Geifer zu uberzie-
Hen, ist ebenfalls in ber Wahrheit nicht begrunbet, benn
Drfistn, toelche zur Hervorbringung solcher Mengen von
Flfisfigkeit einen angemessenen Umfang haben mfihten,
finb noch an keiner Riesenschlange gesunben toorben. —
Die Verbreitung ber Thiere bieser Familie reicht fiber
alle tropischen Lanber; bie dchten Arten ber Gattung
gehoren allein ber neuen Welt an unb toerben auf ber
ostlichen Halbkugel burch bie Python vertreten. Meh-
rere ber gerabe nicht zahlreichen Arten besttzen eine
lebhafte, nach bem Tobe sehr an Glanz verlierenbe unb
burch Betoahrung in Weingeist beinahe gauz verloren
gehenbe Farbung. Einige finb auf braunem Grunbe
gelb gezeichnet, anbere gelb mit bunkeln Augenstecken,
bei anberen Herrscht Roth vor, unb toenige finb schon
grfin. Es giebt keine festen auheren Kennzeichen zur
Unterscheibung ber Mannchen von ben Weibchen.
Einige Arten legen Eier, anbere bringen vollkommen
enttoickelte Junge zur Welt. Alle vermeiben ostene unb
trockene Gegenben unb bewohnen meist bie mit bichtem
Urtoalb bebeckien Fluhufer bes tropischen Amerika ober
schattige unb unzugangliche Moraste. Versteckt unter
fiberhangenben Bfischen, liegen fie mit Halbem Leibe auf
bem Wasser unb behaupten ihren Platz, inbem fie mit
bem Wickelschtoanze einen Baumstamm bes Ufers um-
fassen, ober fie Hdngen von Baumen regungslos Herab
unb ergreifen bie groheren, arglos vorfibergehenben
Thiere. Mehrere schtoimmen mit groher Schnelligkeit,
unb einige vermsgen, toenn fie ihre Bente belauern
toollen, geraume Zeit unter bem Wasser auszuhalten.
Naht fich, um zu trinken, ein Reh, ein Wasstrschwein
ober irgenb ein mittelgrohes Raubthier bem Ranbe,
so stfirzen fie blitzschnell hervor, schlagen ihre langen
unb krummen Zdhne in bie Rase ober bie Lippen bes
Opfers, welches ertrdnft' ober unter ben schrecklichen
Zusammenschnurungen bes furchtbaren Gegners erstickt
toirb, ohne Wiberstanb leisten zu konnen. Dah eine
Boa nuf Menschen Angriffe unternommen, mag trotz
aller abenteuerlichen Erzahlungen alterer Reisenber gar
sehr bezweifelt toerben, benn sowohl amerikanische Rie-
senschlangen als inbische Python ffirchten ben Menschen.
Sie erliegen fibrigens leichter als anbere Schlangen
starken Pertounbungen unb konnen sogar, ihrer Grohe
ungeachtet, burch toohlgezielte Schrotschfisse getobtet toer-
ben. Aus ihrer gegerbten Haut verfertigen bie Jnbier
allerlei Gerdthe, bem Fett schreib^n fie kraftige Wirkun-
gen zu gegen Glirberschmerzen, allein bas Fleisch ver-
zehren nur Botoeuben unb bat on gelaufene, ein tofistes
Walbleben fuhrenbe Neger. Lah grohe Haute in alte-
ren Sammlungen, unb zumal als altmobische Zierrath
in Droguenhanblungen Europa'S, nicht selten sinb, bfirfte
bekannt fein.
1. Die gewohnliche Riesenschlange. (Boa constrictor.) Fig. 2232.
Der von Linne aufgebrachte, jetzt in viele europdische
Sprachen unveranbert fibergegangene systematische Name
Boa Constrictor steht bei ber Mehrzahl ber ihn Horen-
ben mit ber Jbee bes Ungeheueren unb baher Furchier-
lichen in enger Verbinbung. Man halt biese Schlange
fur ein Riesenthier, glaubt an ihre unersattliche Ge-
frdhigkeit unb tounbert fich nicht toenig, toenn bie
pomphaft angepriesenen Jnbivibuen Herumziehenber
Menagerien nur armsbick unb 8—10 Fuh lang sinb.
Das Vaterlanb ber gemeinen Riesenschlange ist bas tro-
pische Amerika; sie kommt nicht allein in allen mehr nie-
brigen unb betoalbeten Gegenben bes Festlanbes, sonbern
auch auf einigen ber Antillen vor. Die besten unb
zuverlassigsten Nachrichten fiber sie lieferte ber Ffirst von
Neutoieb, ber sie im ostlichen Brasilien fast uberall, be-
sonbers aber um Cap Frio antraf. Je nach Umstanben
Hangt sie an Baumen herab unb lauert in solcher Stel-
tung auf ihre Bettte, ober sie liegt verbauenb unb in
regungsloser Tragheii in Felsspalten unb unter ben
Wurzeln hohler Baume, bilbet wohl/tuch bistoeilen mit
anberen eine kleine Gesellschaft. Unter bem Namen
Jiboya allgemein bekannt, toirb fie von Niemanb ge-
ffirchtet unb oft erschlagen, benn selbst Knaben greifen
sie mit Knfitteln an. Den Glauben ber Europaer,
bah bie Boa Menschen fiberfalle, verspotten bie brastli-
schen Jager, bie Hingegen verstchern, bah Jagbhunbe vor
ihr nicht sicher sinb, unb bah kleinere Saugethiere unb
sogar Rehe ihre gewohnliche Nahrung ausmachen.
Auch soll fie anbere Reptilien freffen, inbeffen, toie ein
anberer Beobachter, Dieperink in Surinam, versichert,
niemals Jnbivibuen ihrer eigenen Art unb nicht einmal
Riesenschlangen anberer Species angreifen. Vogeleier
liebt fie sehr; sie kann minbestens in ber Gefangenschaft
6—8 Monate hinburch ohne Nahrung bestehen. In
bas Wasser geht sie niemals, sonbern entzieht fich ber
Verfolgung burch Verkriechen in Erblocher; fie scheint
fich auS einem gewissen Bezirk nicht zu entfernen unb
Haufig an benselben Orten Zuflucht zu suchen ober aus-
zuruhen, benn gemeinlich sinb bie Zugange ihrer
Schlupftoinkel, zumal va, wo ber Boben lehmiger Be-
schaffenheit ist, vollkommen gegldttet burch Hin- unb
Herkriechen. Selten soll fie langer als 12 — 13 Fuh
toerben. Der Herzformige Kopf unb ber ganze Korper
finb mit glatten Schuppen bekleibet; aus bem rothlich-
gelben Grunbe ihrer Rucken- unb Seitenflache stehen
ovale, burch Streifen getrennte Flecke, bie zum Theil
mit einanber verfliehen unb von rothbrauner Farbe stnb.
2. Die Anaconda-Niesenschlange. (Boa murina.) Fig. 2233.
Wahrenb bie vorhergehenbe Art ausschliehlich auf
bem festen Lanbe fich aufhdlt, verbringt biese, bie Cucu-
riuba ber Brafilier, einen Theil bes Tages auf unb in
bem Waffer, inbem fie balb selbstthatig schtoimmt, balb
burch bie Stromung fich fortfuhren laht, wohl auch
untergetaucht in ber Tiefe unfichtbar toeilt. Sie be-
sonberS Hat bie Gewohnheit, an Aesten aufgehangt bie
gewshnlichen Tranken ber Walbthiere zu betoachen, unb
soll mehr als alle anbere ben Rehen gefdhrlich sein, in-
bem fie biesen, toenn fie in ben Strom flfichten, solgt
unb fie schnell unb geschickt ergreist. Uebrigens ist sie
sehr furchisam, entzieht sich feber Gesahr burch fruhzei-
tige Fluchi unb kann nur vurch Zufall fiberraschi toer-
ben. Da fie auf bent Festlanbe fich sehr langsam be-
toegt, so toirb fie leicht uberholt, aber schtoer getobtet,
toeil fie auSnahmStoeise eine auherorbentliche LebenS-
zdhigkeit besitzt. In ben ivasserreichen Gegenben Sub-
amerika'S, in Surinam unb in ben Nieberungen bes
Amazonenstromes ist sie gemeiner noch als ber Constric-
tor unb toirb toeit groher. Man kennt in verschiebenen
Sammlungen bewahrte, gegen 20 Fuh lange Haute unb
bars einigen ber neueren Reisenben wohl glauben,
toelche ber Cucuriuba bis 24 Fuh Lange zuschreiben.
Sie tourbe sonach so ziemlich bie grohte aller jetztleben-
’ ben Schlangenarten barstellen. Der in Menagerien