Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Zweiter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 282
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Vögel
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102
Vogel.
Zweite Ordnung.
welchen bie aufiersten leierformig nach Aufien gekrfimmt,
bie inneren mit Weitgetrennten Fasern besetzt stnb ;
Steuerfebern bes Weibchens gewohnlich gesormt, in einen
keilsormigen Schwanz vereint.
1. Der australische Leiervogel. (Menura superba.) Fig. 1443. 1444. 1445.
Der eigentliche Wohnsitz bes Leiervogels ist Neu-
Sfibwales, wo er fich nicht soweit ostlich als Moreton-
bay, nicht soweit westlich unb sfiblich als Port-Philipp
verbreitet. Man finbet ihn in nieberen Bfischen sowohl
im Kfistenlanbe als an ben Bergabhangen ; im ersteren
ist er zuinal Haufig um Western-Port unb Jllawara,
unb im Jitnern scheint er bie Ceberwalbungen ber Liver-
pvol-Kette unb (nach Bennett) bes Distriets von Tuniat
zum Wohnorte vorznziehen. ®oulb versichert, bafi
unter allen ihm jemals vorgekommenen Vogeln bieser
stets ber scheueste unb baher nur mit grofiter Schwierig-
keit zu erlangen gewesen sei; er setzt Hinzu, bafi er fich in
ben Bergen Tage lang aufgehalten habe, umgeben von
laut unb hell rusenben Menuren, ohne eine solche zu
Gestcht bekommen zu konnen. Nur burch ausbauernbste
Gebulb unb grotzte Vorstcht gelangte er am Enbe noch
zu seinem Zwecke, inbessen sanb er biese Jagb sehr
beschwerlich, weil ber Leiervogel meist nur an ben fast
unzuganglichen unb schroffen Wanben tiefer Schluchten,
in Dickichten von Schlingflanzen unb schattigen Bautnen
fich aufhalt. Gitte erstickenb Heifie Luft weht zwischen
ben verwachsenen sparrigen Bfischen, burch bie man fich
vorstchtigst hinburcharbeiten muh, benn bas Knicken
eines burren Zweiges, bas Hinabrollen eines Steines
Warnt unb verscheucht jenen Vogel. Matt kattn fich ihm
nur kriechettb nahertt unb nur so lange, als er beschaftigt
ist, unter bettt abgefallettett Laube Futter Hervorzuschar-
ren. Inbessen ist er nicht immer so scheu, benn man ge-
wahrt ihn bisweilen in zuganglichereti, mit Fuhpfaben
verfehenen Buschwalbern unb kann ihm zu Pferb noch
am Leichtesten fich nahern, weil er vor biesem Thiere
weniger Furcht autzert als vor bettt Menschen. In Jlla-
Warra jagt man ihn mit Hunben, bie so abgerichtet flub,
bafi sie plotzlich auf ben Nogel losstfirzen, ber sogleich
auf einen Baumast springt unb leicht geschossen werben
kann, wahrenb er ben bellenben Hunb in bas Auge faht.
Ein anberes recht gutes Verfahren, um ihm schuhrecht
zu kommen, besteht barin, bah ber Jfiger ben schonen
Schwanz eines Mannchens auf feinen Hut befestigt unb
ben Kopf haufig beroegt. Eifersfichtig, Wie ber Leier-
vogel einmal ist, faht er bie Febern scharf in bas Auge,
vermuthet Hinter bent bichten Gebfifch einen Nebenbuh-
ler, vergiht seine gewvhnliche Scheu unb Norficht,
nahert fich langsam unb gerath am Enbe in Schuh-
weite. Um ben burch bie Zweige verborgenen Vogel zu
Gesicht zu bekommen, bringen bie Jager ein gellenbes
Pfeifen ober irgenb einen anberen ungewohnlichen Laut
hervor. Aufmerksam gemacht ober vielleicht aus Neu-
gierbe springt jener schnell unb hoch empor auf einen
anberen Ast unb ivitb selbst fur einen Augenblick sicht-
bar, wahrenb er ben Grunb ber ungewohnlichen Sto-
rung zu erforschen sucht. Von bent kurzen Moment
muh ber Schfitze Vortheil ziehen, benn wahrscheinlich
verschwinbet unmittelbar nachher ber burch ben Anblick
bes Menschen erschreckte Vogel in bettt nachsten bicht
verwachsenen unb sehr tiefen Abgrunbe. Hochst felten
ober vielleicht niemals versucht biefer, burch. Fliegen
einer broheuben Gefahr zu entgehen, er entkommt viel-
mehr burch ebeu so schnelles als geschicktes Laufen ziem-
lich jeber Gefahr. Niemanb kann fich bei bieser Jagb
groheren Erfolgs rfihmen, als bie nackten unb geschmei-
bigen Eingeborenen, bie mit gerauschlosem Schritte, man
mochte sagen, schlangenartig herbeischleichen, nicht sekten
mit ihren eigenen unvollkommenen Geschossen ben fiber-
auS klugen unb aufmerksamen Vogel tobten unb wenig-
stens niemals fehlen, wenn ber Zufall ober ein Weiher,
ber einen guten Jager beburfte, ihnen zum Besitz eines
Feuergewehrs verhalf.
leicht anders, als durch genaue Bewachung des Hin- und
wieberfliegenben Vogels entdeckt. Es roirb niemals
offen, sondern flets in einer Hohle oder einem Spalte,
bisweilen Hinter einem Wasserfalle oder unter einem
Wehr angelegt und besteht aus feinen Moosen, die in
solchen Mengen zusammengetragen werden, dag der
ganze Bau nicht felten 1*/3 — 2 Fnh in der Breite miht.
An feuchten Orten vermengen stch diese Baumaterialien
so mit den Wafsermoosen, welche die Hohlenmfinbung
umgeben, bafi auch das scharfste Auge das hier verbor-
gene Nest nicht erkennt. Die 4 — 6 einfarbig weifien
Eier werden 14 Tage lang bebrutet. Die Paarung fin-
det zweimal jahrlich statt, zum ersten Male im April
und dann im Juni. Das Mannchen ist am Kopfe und
Nacken erdbraun, am Oberkorper aschgrau und etwas
bunt wegen der braunen Federrander, an Kehle und
Brust roeip, dem Bauche dunkelbraun und miht gegen
8 Zoll. Jhm gleicht das ausgewachsene Weibchen, wel-
ches etwas kleiner, am Kopfe grauer, am Unterleibe
lichter ist. Der junge Vogel (untere Figur der Abbil-
dung) Hat oben schiefergraue, ander Spitze schwarzbraun
eingefafite Federn, die Unterseite ist roeip, und ihre Federn
find gleichfalls dunkelbraun gesaumt. Ausgeroachsene
Jndividuen haben einen schwarzbraunen Schnabel und
Horngelbe Ffifie.
Achte Familie.
Leiervogel.
Aeltere Naturforscher haben fich durch die bcdeutende
Korpergrope verfuhren lafsen, den beruhmten Leiervogel
(Menura) unter die Hfihnervogel zu rechnen, zu wel-
chen er indessen entschieden nicht gehort, indem er nicht
allein fast ganz freie Zehen befitzt, sondern seine Ver-
wandtschaft zu den Drosseln auch durch den Schnabel
verrath. Gould, welcher das Verdienst erroarb, fiber
die bisher fast ungekannte Lebensart des Leiervogels
werthvolle Beobachtungen zu sammeln, meint, bah er
mit zroei amerikanischen Gattungen (Pteroptochus,
Scytalopus) eine besondere Gruppe bilde, zu roelcher die
Zaunksnige und gewifse auslanbische Gattungen (Amy-
tis, Stipiturus, Malurus, Dasyornis, Psophodes) kfinftig
eininal gezogen roerden dfirften, roeil sie in ihrer Lebens-
roeise sehr grotze Aehnlichkeit haben. Die Menura gleicht
ungeachtet ihrer Grohe und ihrer prachtvollen Schwanz-
sedern gar sehr jenen kleinen Vogeln; roie diese hat fie,
roenn auch im geringeren Grade, an der Schnabelrourzel
steife Borsten, tragt ebenso aus dem Rficken eine unge-
wohnliche Menge von roeichen, lockeren Federn, befitzt
dieselbe Fertigkeit im Laufen, aber auch dasselbe geringe
Geschick im Fliegen. Man roird roahrscheinlich noch
nette Gattungen entdecken und so die svstematischen Ver-
bindungen herstellen. Sind die Leiervogel beim Aus-
kriechen aus dem Ei wirklich blind und so hilflos, roie
die Neuhollander erzahleu, so roare schon dieses ein
Grund, die angebliche Verroandtschaft zroischen ihnen
und den Hfihiiervhgeln zu verroerfen. Man kennt mit
Sicherheit erst eine einzige Gattung als Reprasentanten
der Familie, die Menura selbst, berett Charakter vor
der Hand zugletch derjenige der Familie sein mtttz.
XXXVI. Leiervogel. (Menura.)
Gattuttgschatakter: Schnabel gerad, an der
Wurzel breiter als hoch ; Oberkiefer vor der fibergebo-
genen Spitze ausgerandet, mit deutlicher Firste; Nasen-
locher in der Mitte des Schnabels oval, grofi, durch
eine Haut Halb geschlossen. Ffifie hoch, dfinn; Laus
zweimal langer als die Mittelzehe, welche den Seiten-
zehen ziemlich gleich ist; aufiere Zehe mit der mittleren
bis zum ersten Gliede verbunden, ittttere frei ; Krallen
so lang als die Zehen, grop, gekrfimmt. Flfigel kurz,
gewolbr, sechste bis neunte Schwingfeder gleich lang,
zusammen die langsten. Schwanz des Mannchens aus
16 sehr eigenthfimlich gebildeten Federn bestehend, von
Der Leiervogel halt fich nicht bleibenb in berselben
Gegenb auf, sonbern vertauschl feinen Aufenthalt nach
Art unserer Strichvogel, je nachbem fich ihm Hier ober
bort Nahrung bardieten tttoge. Das Gebiet seitter
Wanberungen scheinl keitt grohes zu fein. Er verlaht
nicht leicht bas freilich viele Meilen, vielleicht einen
ober zwei Breitegrabe lange Dickicht, welches ununter-
brochen, aber nirgeiibs zum eigentlichen Walde aufstei-
genb, bie Bergseite bekleibet unb fich bis in bie Ebene
als schmaler Grenzstreif verlangert. Die bettt Menschen
unersteiglichen felfigen Abhange Hindern ihn nicht, benn
seine langen Ffihe unb seine Muskelkraft fiberwinben
fast alle Schwierigkeiten bes eigettthfimlich gebilbeten
Bobens. Er springt, wo senkrechle Felsenmafsen fich
ihm entgegenstellen, unb selbst zehii Fuh hohe Wanbe
erreicht er burch eine einfache Anstrengung, unb ohne bie
Flfigel anzuwenben. Unter seiiieu vielen souberbaren
Gewohnheiten erinuert er nu.r burch eine an bie Hfih-
nervogel; er pstegt burch Scharren niebrige, runbe Er-
hohungen anzuhaufen, welche bas Mannchen mehrmals
in einem Tage besucht, um stolz auf ihnen Heruiuzu-
trampeln, ben schonen Schwanz weit auszubreiteu unb
seine Stimme horen zu lafsen. Diese giebt an Man-
nichfaltigkeit berjenigen manchet Drosseln ttichts nach;
einmal ertotit sie als lauter Ruf, ber wahrscheinlich ber
Lockstimme, wie beutsche Ornithologen sie heifien, in ber
Bebeutung zu vergleichen sein roirb, unb welche fiber bie
Schluchten ber tief zerrisseneit Berge wohl eine Viertel-
stunbe weit Hintont, unb bann wechselt sie mit einem im
tieferen Inneren verhallenbett, bumpfen unb faunt funf-
zehtt Schritte weit horbaren zwitschernben Gesattge.
Wie auch bie Stintitte mobulirt werbe, so verhalt sich
ber Leiervogel boch vollig ruhig, wahrenb er fie ertonen
lafit, obgleich er gelegentlich sein Lieb unterbricht unb
bann mit einem inneren, gleichsam knackenben, jeboch
unbeschreiblichen Gerausche unb unter lebhafter Bewe-
gung bes Schwanzes es von Neuem beginiit. Sleben
biesen natfirlichen unb von feinen Geffihlen zeugenben
Lauteit briligt ber Leiervogel noch anbere Hervor, gleich-
sam um frenibe Thiere zu verspotten ; balb singt er wie
tuanche anbere Vogel, balb Heult er sogar wie ber wilbe
Hunb Neuhollanbs, ber Dingo (Bb. I. S.67). Immer
finb ihm ber frfihe Morgen unb ber Abend am Will-
kommensten, tint bie Kraft unb bie Fertigkeit stinet
Stimme zu prfifen. Seine Nahrung besteht vorzfiglich
aus Jitseeten, zumal aus Kafern unb Tausenbffihen ;
Gottlb fattb in bent starken unb sehr muskelreichen
Kropfe auch Neberreste von Hartschaaligen Schneckett.
Derselbe zuverlasfige Beobachter konnte jeboch fiber
seine Brfitung nichts Genfigenbes in Erfahruttg brin-
gen unb fattb nur einmal, unb unglficklicherweise ge-
raunte Zeit nach ber Brfitezeit, ein Nest. Befragte
Jager versicherten, bah biefes immer auf einem Felsett-
vorsprunge, einem Stamme ober Stummel eines Bau-
tues, jeboch stets ttahe am Bobett angelegt werbe; ein
Holzfaller verglich es mit bentjenigen einer Elster ttttb
setzte hinzu, bah es stets nur ein Ei enthalte. Nach
ber Aussage ber Eingeborenen sollett immer zwei Hell
gefarbte, rothgefleckte Eier zusammen liegett. Das von
Goulb entbeckte Nest lag auf ber Hervorragung eines
Felsens, an einem wohl verborgenen Orte unb dabei
hoch gettttg, um bent brfitenben Vogel einen freiett Unt-
blick zu gestatten, ohne selbst gesehen zu werben. Es
war groh, beckenformig unb tief, schieu mit einettt Dache
fiberwolbt gewesen zu sein, bestattb auswenbig aus Rei-
sertt unb war mit bettt Baste von Bautnen unb mit
Wurzelzasern ausgeffittert.
Der Leiervogel giebt an Leibesgrohe einem Fasan
nichts nach, hat inbessen verhaltnihutahig langere Hin-
terglieber unb groheren Unterfuh; bie Zehen finb mit
grvhen, gekrfimmten, stumpfen Krallen bewaffnet, bie
Hintere kommt ben vorberen unter sich gleichen an Lange
nahe, hat aber eine noch starkere Kralle; glanzenb
schwarze breite Horuplatten bekleiben Lauf unb Zehen.