Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Zweiter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 282
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Vögel
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Siebeute Vrdnung. (Wadvogel.)
V o g e 1.
215
Siebente Vrdnung.
Wadvoge l.
Das wesentlichste systematische Kennzeichen der Wad-
vogel besteht in ihren Ffihen, den sogenannten Wad-
beinen, die durch verhaltnitzmatzig zum Korper ansehn-
liche Hohe, zumal durch sehr verlangerte Lause oder
Fersenknochen und den am unteren Theile mehr oder
minder unbefiederten Unterschenkel sich auszeichnen. In
manchen Gattungen^sind die Beine so hoch und dunn,
datz der von franzosischen Zoologen zuerst aufgcbrachte
und spater auch in das Deutsche ubersetzte Name der
Stelzvsgel gerechtfertigt erscheint; er paht indessen nicht
auf alle Gattungen, indem an einzelnen die Beine eben
nicht viel Hbher sind, als an anderen Vogeln. Ehedem
Hat man auch die Strauhvogel zu den Wadern gerechnet;
durch ihre sehr naturgemahe Absonderung ist fur die
eigentlichen Wader cin mehr gleichformiger Begriff ge-
wonnen worden. Uebergange aus dieser Ordnung in
andere fehlen natfirlich nicht; erschweren ste allerdings
in Elwas die strenge Classtficirung, so huden sie dafur
unter phyfiologischem und anatomischem Gesichispunkt
um so mehr Interesse. 3nt Ganzen tonnen die Wad-
vogel zu den grotzeren Vhgeln gerechnet werden, denn
selten sind solche Arten, die, wie manche Strandlaufer,
nur 6 —7Zoll in der Lange messen ; Reiher und Nimmer-
satte erreichen in der Regel eine ansehuliche Grosie, und ein-
zelne, wie der brasilische Jabiru, geben sogur im Stehen
dem Menschen an Hohe menig nach. Eigenthumlich
ist den meisten die seitliche Zusammendrfickung des
Rumpfes, der Mangel an grotzeren Fettablagerungcn
unter der Haut, der ungentein verlangerte, daher von
vielen Wirbeln gestfitzte, sehr bewegliche und mit den
Fusien im Verhaltnisse stehende Hals, der schritiweise
Gang und die Gemohnheit, im Fluge die Ffitze nicht un-
rerzuschlagen und dem Schmerpunkte des Korpers zu
uahern, sondern dieselben Horizontal nach hinten zu
strecken. In der Tracht haben ste erwas Steifes, Un-
gefuges, vermehren diesen Eindruck durch ruhige Hul-
tung und durch langdauernde vollkommene Unbeweg-
lichkeir, menn autzere Umstande Solches erheischen, sind
aber dennoch zu den raschesten und entschiedensten Be-
wegungen befahigt, was der Reiher unter anderu durch
das plotzliche Hervorschnellen des zwischen die Schultern
fast ganz zuruckgezogenen Halses beweist. Durch Flug-
ferligkeit zeichnen sich die meisten aus, und bei solchen,
die wie die Kraiiniche weite Wauderungen gesellig an-
stellen, verdient die Ausdauer der Bewegung nicht minder
als die Schnelligkeit derselben Berficksichtigung. Unge-
achtet der ungunstigen Lange der Beine vermogen meh-
rere ziemlich schnetl zu schwimmen, andere nahern sich
schon den eige.ntlichen Schwimmvogeln durch verhfiltnitz-
ntåpige Kfirze der Hinteren Glieder und durch Halbe
Schwimmhaute oder gelappte Einfassungen der langen
Zehen. Der Mehrzahl nach folgen sie der Bestimmung
zum Ausenthalte an den Ufern ruhiger Seen und Flusse
und finden in den langen Beinen das Mittel, um ziemlich
weit in seichte Gewasser zu waden, undurchnatzt dort
stehen zu bleiben und unvorsichtig sich nahende Fische
oder andere Wafferthiere zu fangen. Solchen Berus
erfullend, Halten sie sich in der Regel am Boden auf;
nur menige rasten mohl auch auf Baumen, wie gewisse
gesellige Reiher Sudamerika's, die freilich auch nur in
der unmittelbaren Nahe der Fluffe die uberhangenden
dunkelgrunen Baumkronen mit ihren schneeweihen Ge-
stalten schmucken. Zum Sitzen auf dunueren Aesten
verlieren sie im Uebrigen schon durch die Bildung des
Fusies die Fahigkeit, indem die langen, dunnen Zehen
und der Mangel an scharfen, starkgekrummten Krallen
ein Hindernitz bilden, wahrend die Hinterzehe entweder
fehlt oder zum Umfaffen eines Gegenstandes unbefahigt
bleibt. Hingegen vermitteln diese sehr hohen, den Stel-
zen verglichenen Ffitze nicht allein den Besuch von
Sumpfen und flachen Gemaffern, welche anderen Land-
vigeln unzuganglich find, sondern ihre Einrichtung er-
leichtert auch daS ruhige Stehen ohne Ermfidung. Man
weitz, datz der Storch auf einem Beine stundenlang
stehen und sogar schlafen kanit. Gliche die Einrich-
tung seineS Kniegelenkes derjenigen des Menschen, so
wurde, ganz abgesehen von der durch die Menschenge-
stalt bedingten viel grotzeren Schmierigkeit, das Gleichge-
wicht zu erhalten, durch Ermudung jenes Einknicken
des Gelenkes endlich ersolgen muffen, melchem stets
nur durch anhaltenve Muskelanstrengung vorgebeugt
werden kann. An dem Storche und den meisten Ver-
wandten ist hingegen die Verbindung zwischen den Kno-
chen ves Ober- und Unterschenkels so beschaffen, datz
das obere Ende des Wadenknochens mittels eines be-
sonderen Vorsprunges in eine entsprechende Vertiefung
des Oberschenkelknochens ebenso einschnappt und sich
geradlinig stellt, wie in einem geoffneten Einschlage-
messer die Klinge zu der festhaltenden Feder. Nur eine
erneuete Muskelthatigkeit kann diese Verbindung Heben
und ven Halften des Beines ihre unabhangige Be-
wegung zurfickgeben. So lange sene besteht, stellt
Ober- und Unterschenkel ein geradliniges Glied vor und
bildet eine nie ausweichende Stutze der Korperlast. Die
meisten Wadvhgel nehmen nur animalische Nahrung zu
sich; eine Ausnahme bilden die in der ersten Familie
stehenden, sich gewissermaatzen an die Rennvogel an-
schlietzenden Trappen, bei welchen denn auch der Magen
Weniger Hautig, sondern muskelreicher ist und ein Paar
Blinddarme sich finden. Fast kein Wasserthier schwa-
cherer Art ist sicher vor den Wadvhgeln, deren Schna-
bel indessen nach Maahgabe der naturlich uberwiesenen
Nahrungsstoffe in Gestalt andert. Die zu dem Fange
grotzerer Fische bestimmten Storche und Reiher Haben
eiuen sehr langen, spitztgen, scharskantigen und Harten
Schnabel; ahnliche Bildung zeigt sich auch bei solchen,
die Mie der Umbervogel das trockene Land nie verlassen,
aber Reptilien verfolgen und mohl gar kampfend todten
muffen; der gekrummte, stumpfspitzige Schnabel, wie
er an Ibis, aber mehr noch an Schuepfenvogeln sich
zeigt, deutet immer auf Ernahrung ans dem Reiche der
Jnseeten, der Weichthiere und der Wurmer und besitzt
bisweilen solche autzere Weichheit und so viele ober-
flachliche Nerven, datz er offenbar als sehr feines Tast-
werkzeug dienen kann. Um sich der Bente zu bemach-
tigen, befolgen die verschiedenen Gattungen sehr ver-
schiedenes Verfahren; Reiher wachen, bis irgend ein
Wasserthier arglos naht, Austerfischer fangen zwar im
Hinstreifen uber das Wasser, verstehen aber auch Mu-
scheln zu offnen, Regenpfeifer suchen an sandigen oder
grafigen Ufern und auf dem nassen Seestrande und er-
schrecken verborgene Wfirmer durch Schlagen mit den
Ffitzen so, datz sie Hervorkriechen, Schnepfen durchsuchen,
gleichsam sondirend, die Mooshaufen und den moorigen
Boden dunkler Waldstellen, mahrend der Flamingo,
die Stirn nach unten gerichtet, also mit umgekehrtem
Schnabel, den Schlamm aufrfihrt und die fliehenden
Thiere mit den fibergekrfimmten Spitzen der Kiefern er-
greift. Der Aufenthalt in Sfimpfen und die Art der
Nahrungsstoffe scheint fibrigens die Entstehung der Ein-
geweidewfirmer zu erklaren, mit welchen Wadevogel
im Vorzuge heimgesucht sind; sener Darminhalt der
Schnepfe, welchen der verdorbene Geschmack unserer Zeit
als Leckerbissen gelten latzt, besteht zum grohen Theil
aus Eingeweidewfirmern im mehr oder minder zersetzten
Zustande. Von den angenehmen Eigenschaften anderer
Vsgel fehlen viele den Wadern; obgleich nicht unange-
nebm gefarbt, oft wyhl auch sehr fein gezeichnet oder
zumal durch eigenthfimlich entwickelte Federn geschmfickt,
glanzen doch nur menige in so lebhaften Farben, wie
die Flamingo's • oder in so reinem Gefieder, wie die
Gruppe der weitverbreiteten weitzen Reiher. Anderer-
seits fehlt ihnen die natfirliche Grazie, die unverkenn-
bare Frohlichkeit und besonders der Reichthum an To-
nen, der anderen cigen ist. Die Mehrzahl erscheint
trag und theilnahmlos, liebt die Einsamkeit, lebt un-
gesellig oder sogar unvertraglich und giebt sich nie den
lufligen Spielen Hin, die an vielen anderen Vogeln den
Beobachter erheitern; nicht ein Wadvogel besitzt eine
nur ertragliche Stimme, die meisten ein lautes und
mihtonendes Geschrei, welches bisweilen in eincr bcson-
deren Bildung der Luftrshre seinen Grund findet. Der
Ruf der Rohrdommel drohnt unheimlich durch die
dunkle Nacht, die im Zuge larmenden Kranniche gaben
schon unter den Griechen zu allerlei Aberglauben Ver-
anlaffung, und eine unserer Schnepfen hat zu der nor-
dischen Sage vom tvildeu Heere mohl Vieles beigetragen.
Die Fortpflanzung findet meist im monogamischen Ver-
haltnisse statt und wird nicht selten durch anhaltende,
Menu auch unblutige Kampfe unter den Mannchen ein-
geleitet, die bisweilen zu sener Zeit einett besonderen
Federschmuck erhalten. Von Kunsttrieb verrathen die
Wadvogel kanut Spuren, denn ihre Nester find von
rohester Art und genfigen oft kanut zum nothdfirftigen
Schutze der Jungen; Flamingo's allein zeichnen sich aus
durch Erbauung einer Brfitestelle, die zwar nicht kfinstlich
oder schon, aber durch ihre Angemeffenheit merkwfirdig
ist. Die Eier haben nicht selten eine etwas langliche
Gestalt und gemeinlich eine ziemlich bunte Farbung
mittels dnnklerer Flecke und Marmorirung auf grfin-
lichem, granen oder violetten Grunde; sie sind mehren-
theils etzbar oder sogar ungewohnlich schmackhaft. Ffir
besonders intelligent kann man die Vogel dieser Ordnung
eben nicht Halten, indessen entwickeln die meisteit viele
Vorsicht, bemerkeit leicht jede Gefahr, nehmen sich fiber-
Haupt scheu und sind mit wenigen Ausnahmen nicht
zahmbar. Selbst den Storch macht vorsorgende Scho-
nttng des Menschen nie recht zutraulich, er gewohnt sich
hochstens an uns, ffihlt aber keine Freundschaft. Das
den grotzeren Arten eigene Gravitatische der Haltung
Hat seinen Eindruck auf das Volk nicht verfehlt, welches,
wie bekannt, in Europa die Storche, in Indien die
Marabu's, am Nil eine seit der agyptischen Urzeit be-
rfihmte Ibis mit Ehrfurcht betrachtete oder sie wohl gar
zu Gegenstauden des religiosen Cultus erhob. DieNfitz-
lichkeit der Wadvogel mag zeitig und mit Dank zumal
in solchen Landern erkaitnt worden sein, wo sumpfiger
Boden und haufig wiederkehrende Ueberschwemmungen,
mit einem Heitzen Klima in Verbindung, die Vermehrung
gefahrlicher Reptilien begfinstigten. Mit Ausnahme
der auf offene Ebenen und grasreiche Steppen angewie-
senen Hfihnerflelzvogel wahlen die anderen fast nur
wasserreiche Gegenden zum Wohuorte und find daher
in ihrer geographischen Verbreitung etwas beschrankt,
fibrigens am artenreichsten in den Niederungen lropischer
Lander. Am Meere leben verhaltnitzmatzig wenige.
Die nordischen find entweder Zug- oder Strichobgel.
Dem Menschen liefern sie wenigen direeten Nutzen, da
nur die kleinere Zahl etzbar ist; die schongebildeten Fe-
dern der Silberreiher und Marabu's geben indessen einett
Handelsgegenstand ab. Die systematische Eintheilung
in Familien beruht theilS auf der Gestalt des Schnabels,
theils auf der Bildung der Ffitze, an welcher die Zehen
meist durch eine Hattt verbunden find, die entweder alle
Zehen einfaht (geheftete Ffitze) oder nur die Mittel - und
Autzenzehe vereint (Halbgeheftete Ffitze), zuweilen durch
Verlangerung fast einen Schwimmfutz bildet oder als
lappiger Saum den Lappenfutz Herflellt. In einigen mit
Spaltfutzen versehenen Familien fehlt daffir jede Haut-
verbindung der Zehen.
Erfte Familie.
Huhnerstelzvogelt
Die Hfihnerflelzvogel schlietzen sich in Bau und Le-
bensart so eng an die Strautzvogel, datz sie von vielen
Systematikern zu denselben gestellt worden sind; andere