Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Zweiter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 282
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Vögel
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11
Einleitung.
Voge l.
die Hervorrnfung von Muth beztoecki. Die Vorsorge der
Mutter bauert bistveilen noch eine kurze Zeit, nachbem
das Junge Selbststanbigkeit erlangt hat, ninimt aber dann
fur immer ein Ende. Wie sich die Verbinbung lose, ver
dient genaure Untersuchung. Ungeachtet aller Liebe und
Sorgfalt der Mutter verschwindet jede Spur gegenseitiger
Zuncigung, sobald das Junge sich ftlbst zu erhalien ver-
mag; die Familie zerfallt, und ihre Glieder kennen |td;
fortan nicht mehr. Das anziehende Bild der Haushal-
tung mvnogamischer Vogel verliert den dichterischen Reiz,
Wenn naturhistorische Beobacktung in ihm den Mangel
jener hoheren Beziehungen nachweist, welche im Fami-
lienleben der gesitleten Menschen die Zeit uberdauern, und
die roir auch im Vereine der Thiere aufzufinden uns gern,
obgleicb fruchtlos, bestreben.
Die Vogel sind nicht minder als andere organische
Geschopfe geroissen, periodisch eintretenden Veranderungen
unterroorftn, roelche zum grohen Theile durch den regel-
mahigen Wechftl der Jahreszeiten, der Temperatur, mit
einem Worte durch sogenannte kosmische Ursachen Herbei-
gefuhrt roerden. Wenn Vogel gegen dieft roeit mehr
Empfindlichkeit verrathen als die am Boden lebenden
Saugelhiere, so erklart sich diefts roeftntlich durch ihr
Leben in dem Luftkreise, roelches mehr als das an der
Erde gefuhrte die Einroirkung kosmischer Veranderungen
vermittelt. Man hat von jeher jene Empfindlichkeit er-
kannt und in allen Landern der Erde die Vogel deshalb
fur Wetterpropheten erklart. Dah der zu ungeroohnlicher
Zeit krahende Haushahn Witterungsverfinderung anzeige,
leidet keinen Zroeifel; haufiges und Heiftres Krachzen der
Krahen deutet im Winter aus baldige Schneesturme, und
im Sommer verkundet der niedere olug der ^chroalben,
zumal entlang der Haustoande, bevorstehenden Regen.
Es ist keine Fabel, dah manche Seevogel den nahenden
Sturm verrathen, mag auch ihr Verhalten bisroeilen uber-
trieben geschildert roorden sein. Die kleinen schroarzen
Sturmvogel europaischer Meere, die feder Seemann mit
einer geroissen Scheu betrachtet, und beren Tovning ftlbst
bie Gebildeteren nicht gem gestalten, uben einen sehr
eigenthumlichen Flug, sobald das kunstige llnroetter, ob-
gleich der Himmel noch blau, bie See ruhig sein mag,
ihrem Gefnhl fich offenbart. Man Hat sogar bemerkt,
bah, roenn kleine, im Kafige dem Zimmerfenster nahe
Hangende Stubenvogel im Schlase ihren Platz verliehen
und roeiter nach Jimen ruckten, bald nachher Kalte oder
Sturm eintraten. Nicht zu verroundern ist es, roenn das
Volk jenem unleugbaren Vorgefnhle bisroeilen eine zu
groye Ausdehnung zuschrieb, der Erfahrung viele Fabeln
beimengte und manche Vogel geradezu fur lInglucksboten
ansah. Auf solcher Auffassung beruhte auch der Glaube
alter Volker an bie Vorbebeutung des Fluges und uber-
Haupt des Benehmens der Vogel, von roelchem auch die
hoheren und gebildeten Clasftn nicht frei roaren. Selbst
der ausgeklarte Cicero schreibt ben Schwanen prophetischen
Geist zu, roeil sie, „vorahnenb bas im Tobe liegende Heil,
mit Lust unb Gesang vom Leben (teiben". Das Vorge-
fuhl zunachst bevorstehenber, allgemeiner Wechftl veran-
laht roeftntlich bie merkrourbigen Wanberungen ber Vogel,
ist jeboch tein vollig untnigliches, benn selbst unsere
Schroalben kehren nicht felten zu so ungunstiger Zeit
roieber, bah sie, roenn auch nur aus eine ober zroei Wochen,
sich von Neuem entftrnen mussen. Die erfahrungsmahige
Haufigkeit bieser Tauschungen sollte auch gegen unbe-
bingte, aus jenen Wanberungen gezogene Folgerungen
vorsichtig machen. Auf ben fruhzeitigen Weggang ber
Vogel unb bas Ziehen ber Milbganse folgt keinesroeges
immer ein zeitiger unb Harter Winter. Der vortrefflichste
Beobachter bentscher Vogel, Naumann, glaubt ben Vo-
geln nur ein auf 24 — 36 Stunben ausreichenbes Vorge-
snhl ber Witternng zutrauen zu burfen. Der im Spat-
sommer ober im Herbste uns verlaffenbe Zugvogel eilt
nach bem Suben, roeil ihm bie ersterbenbe Vlatur bes
Nordens ferneren Unterhalt bald verroeigern roirb, kehrt
aber im Fruhjahre wieder, um sich fortzupfianzen, unb
roirb sonach burch zroei sehr verschiebene Grunde zu seinen
regelmahigen Wanberungen veranlaht. Abgesehen von
ben nicht roandernben sogenannten Standvogeln, roelche
zu allen Jahreszeiten in bem Lanbe ihrer Geburt Vertoei-
len, hat man von ben eigentlichen Wanbervogeln bie
Strichvogel zu sonbern, bie zroar auch ben Winter uber
im Norben verroeilen, aber, burch bas Bedurfnih ge-
zroungen, Nahrung suchenb im Lanbe herumziehen. Die
Frage nach bem eigentlichen Vaterlanbe ber ihr ganzes
Leben hinburch zroischen Norb unb Sub roechselnben Vo-
gel ist leicht zu beantworten; sie sinb ba Heimisch, roo sie
geboren sinb, unb roo sie alljahrlich sich roieber einfinben,
um sich sortzupstanzen, mogen sie auch gerabe in biesen
Lanbern roeniger Zeit zubringen, als in anberen, bie sie,
um ben Winter zu vermeiben, anfsnchen. Nur sehr roenige
Arten, z. B. Storche, bruten zroei Mal im Jahre, im
Sommer in Norbeuropa, im Winter in Aegypten. Der
Wanderung gebt bie Herbstmauser voraus, roelche ein
neues Reiftkleib geroahrt. Der Entschluh zum Wegziehen
scheint einigen Kampf zu kosten, benn manche Versamm-
lung finbet Statt, mancher Versuch roirb gemacht vor ber
enblichen Abreise. Wenige Arten ziehen einsam, bie mei-
sten legen ben langen Weg in Gesellschaft zuruck, stiegen
theils nur am Tage, theils nur in Hellen Nachten, balb
in unverkennbarer Orbnung, balb in bunten Hansen.
Kraniche, Storche, Wilbganse unb Enten bilben einen
Keil, Kibitze unb Regenpseifer eine schiefe Linie. Die
Lange ber Reise unb bie Entfernung bes Zieles stehen
nicht immer mit ber Flugfertigkeit in Beziehung; bie
schroerfallig fliegenben Wachteln kreuzen bas Mittelmeer
unb finben roahrenb ber langen Reise nur auf ben grohen
brei Jnseln Italiens Ruhepunkte. Die zuruckgelegien
Strecken sinb ost sehr Hebeutenb; manche Vogel ziehen
burch 20 Breitegrabe ober 300 geogr. Meilen, z. B. wan-
bernbe Storche, Kraniche unb Schroalben aus Schroeben
nach ber Berberei unb selbst bis zum Senegal, Nachti-
galen nach Persien, unb aus Jslanb kommen zu uns bie
Schneeammern, aus Sibirien bie Drosseln, Krammeks-
vogel unb Schnepsen. Ankunft unb Abreise fallen, je
nach ber Art, nuf verschiebene, aber mit ziemlicher Regel-
mahigkeit eingehaltene Zeiten. Zeitiger als bie ubrigen
gehen biejenigen alteren Vogel roeg, welche Junge nicht
ausgebrutet ober sie verloren haben unb baher burch Sor-
gen nicht gebunben roaren. Die zum ersten Male toan-
bernben Jungen pflegen ihre Abreise etroas zu verspatigen,
fti es, bah in ihnen Jnstinct unb Reiselust minber ftark
wirken, ober bah sie sich von ber stels mit einiger Unpah-
lichkeit verbunbenen vorhergehenben Mauser zu angegriffen
fuhlen unb Ruckkehr voller Krafte abroarten mussen.
AmKurzesten ist bei uns bas Verroeilen ber Pirole, Man-
belkrahen unb Kukuk, unb barin, bah letzterer bie zur Aus-
brutung feiner Eier nothige Zeit nicht hat, liegt ber
®runb feiner burch bas Volk mit mancher Fabel ausge-
fchmuckten Sitte, bie Erziehung ber Nachkoinmen anberen
Vogeln aufzuburben. Die Wieberkehr in bas Geburts-
lanb erfolgt in berfelben Orbnung roie ber Wegzug, nur
kommen in ber Regel bie kraftigeren Mannchen fruher an
als bie Weibchen. Welcher Jnstinct es vielen Vogeln
moglich mache, nach ftchsmonatlicher Abroefenheit unb
Zurucklegung vieler Hunberte von Meilen ben Ort bes
vorjahrigen Nestes roieberzufinben, roirb roohl nie crttårt
roerben. Dah baffelbe Storchpaar zehn unb mehr Jahr
hinter einanber in fein vom Lanbmanne gefchontes Nest
wieberkestre, leibet burchaus keinen Zroeifel. Keine uns
Hekannte Sinnesthatigkeit reichl Hin, um jene rounberbare
Erfcheinung zu erklaren. Eine anbere bei Betrachtung
biefer Wanberungen sich aufbrangenbe Frage ist enb-
lich noch bie nach bem Alter biefer Sitte. Wenn man
erroagt, bah in tropischen, immer roarmen unb Nah-
rung bietenben Lanbern, roie in Brasilien, Hochstens
Strichvogel, nicht aber eigentliche Zugvogel vorkom-
men, so mochte man fast glauben, bah ber Wan-
bertrieb unferer norbischen Vogel aus Nothroenbigkeit
unb in verhaltnihmahig fpateren Zeiten entstanben fti,
nachbem grohe Veranberungen ben Lanbern, bie roir
jetzt kalte nennen muffen, ihr schoneres Klima entzogen
Hatten.
Eine roeit ausgebehutere Einroirkung als bie Jahres-
zeiten Hat ber Wechftl ber Tageszeiten auf bie Vogel.
Man unterscheibet Tag- unb Nachtvogel schon burch ihr
Aeuheres unb ohne viele Muhe. Diese sinb immer burch
ein grohes, geroolbtes unb gegen bas Sonnenlicht empfinb-
liches Auge ausgezeichnet, mit weichem Gefieber verfthen,
allerbings burch zarte unb schone Zeichnungen gefchmuckt,
niemals aber grell ober sehr bunt gefarbt unb mit gerin-
gen, vielleicht nicht hinreichenb nachgeroieftnen Ausnahmen
auf animalische Nahrung Hingeroiesen. Sie bilben im
Vergleiche zu ben nachtlichen Snugethieren eine roenig
zahlreiche Gruppe ihrer Classe unb stehen in verschiebe-
uen Orbiiungen verstreuet. So vollstanbig nachtlich roie
manche ber unterirbischen Saugethiere ist nicht leicht ein
Vogel, benn selbst bie Eulen unb Ziegenmelker jagen nur
in helleren Nachten unb verlassen bei sehr bunklem Wet-
ter kaum jemals ihre Schlupfroinkel. Zlvischen ben Nacht-
unb Tagvogeln stehen verbinbenbe Formen; in ber uacht-
losen Sommerzeit arktischer Lanber jagt bie Schneeeule
ziemlich zu jeber Zeit, ein Beroeis, bah sie nicht linbebingt
an bas nachtliche Dunkel gebunben sei, unb geroiffe Eulen
Subamerika's, roelche von Erblochern unb verlassenen
Hohlen ber Nagethiere Besttz nehmen, fliegen im Hellen
Sonnenscheine Herum. Alle eigentliche Tagvogel verschla-
fen bie Nacht vom Sonnenuntergang bis zur Morgen-
bammerung, roachen aber nicht zu ganz gleicher Zeit auf;
in Deutschlanb roirb am Fruhesten, gegen 3llhr, bie Lerche
munter. Wahrenb ber Mittagshitze ziehen sich allerbings
manche in ben Schatten zuruck unb verhalten sich ruhig,
viele aber scheint auch ber verticale Sonnenstrahl nicht
unangenehm zu beruhren. Einen eigentlichen Mittags-
schlaf Halten roohl nur geroiffe Vogel tropischer Lander;
im nordlichen Europa mogen am ersten Schtoimmvogel
zu jener Zeit Hinbrutenb, aber kanin festschlafend ange-
troffen roerden. Die meisten Vogel schlafen sitzend mit
ruckroarts und gemeinlich nach der linken Seite geroende-
tem Kopfe unb unter ben Schultersebern Verhorgenem
Schnabel. Wabevogel schlafen, burch bie oben erroahute
Einrichtung (S. 3 Sp. 1) ihres Kniegelenkes unterstutzt,
auf einem Beine stehenb unb erhalten bas Gleichgeroicht
burch besonbere Krummung bes Halses unb Lage bes
Kopfes; schroimmend schlafen Penguine unb Taucher.
Vom Winterschlafe geroiffer Vogel, zumal ber Schroalben,
roeih bas Volk zroar Mancherlei zu erzahlen, unb viel-
leicht ist nicht ganz zu bezroeifeln, dah einzelne ber letzteren
zur Winterzeit in einem Zustanbe ber Erstarrinig in hoh-
len Bauinen unb Felslochern angetroffen roorben sinb,
allein solches ungewohnliche Vorkommen tourbe Hochstens
auf eine bei Vogeln seltene Lebenszahigkeit Hinbeuten unb
als Folge feltener Umstanbe, z. V. beS burch Krankheit
verhinberten, rechtzeitigen Wegzuges, angefthen toerben
tonnen. In ben Pyrenaen Halt Niemanb bie Auffinbung
erstarrter Schtoalben fur ettoas Wunberbares, toeil man
sie als gelegentlich in Subfrantreich uberwinternbe VLgel
kennt, bie naturlich burch ungewohnlich Harte Witternng
letben muffen. Auf toelche Art manche kleine Vogel bes
Auslanbes ben Winter verbringen, ist allerbings um fo rath-
felhafter, als sie im Spatjahre verfchtoinben, aber bennoch
roanbernb nicht gefehen toerben. Die fchtoachen Colibris,
bie in Norbamerika bis Canaba verbreitet sinb unb toah-
renb bes bortigen Harten Winters ganz verfchtoinben,
folien, nach ber Volkserzahlung, in Baumstammen ver-
borgen fchlafen. Sah nun auch ber kuhne Seefahrer
King im Schneegestober bes Feuerlanbes einzelne Coli-
bris, fo betveist biefes.nur bie Wiberstanbsfahigkeit fo
kleiner Thiere, bie aber eben, als Hochst irritable, zum
Verstnken in einen bauernben Winterschlaf ungefchickt
fein muhten. Colibris entgehen burch Entfernung ber
Kalte unb bem Nahrungsmangel, sinb zu klein ober viel-
leicht zu vereinzelt, um toanbernb bie Aufmerkiamkeit auf
sich zu ziehen, unb liefern am Enbe einen Betveis, toie