Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Zweiter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 282
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Vögel
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Wadvogel.
Vogel.
223
2. Die Rohrdommel. (Ardea atellaris.) gig. 1829. 1830.
Die zweite Abtheilung der eigentlichen Reiher eni-
Halt die Rohrdommeln; sie haben einen etwas kurzeren
Hals, der seitlich mit grohen, langen und breiten, nach
vorn fibereinanber zu legenden Federn, hinten nur mit
Flaum bekleidet ist, einen etwas kurzeren, aufder Firste
leicht gebogenen Schnabel, niedrigere Beine und Unter-
schenkel, welche fast bis zum Fersengelenk befievert sind.
Man kennt mehrere, sich ziemlich gleichende Arten aus
Europa, Asien und Amerika; alle fuhren ein nachtliches
Leben oder verlaffen doch erst nach Eintritt der Nacht
den Schlupfwinkel, in welchem ste, wenn auch nicht nn-
unterbrochen schlafend, den Tag verbracht haben, ver-
meiden die Gesellschaft jedes anderen Wasservogels und
vertragen sich nicht mit ihres Gleichen. Jhre Nahriing
wahlen und fangen sie wie der gemeine Reiher und haben
vor ihm eine Stimme voraus von erstaunlicher Slarke.
Wie alle Nachtvogel tragen sie ein dusteres Kleib, ge-
fallen indessen durch die schonen schwarzen Zeichnungen
auf hellerem Grunde des Gefieders. — Die gemeine
Rohrdommel bewohnt das gemahigte Europa, Asien und
vielleicht einzelne Gegenden von Afrika, wirb sogar noch
in Schweden gefunden, gehsrt aber zu denjenigen gegen
Kalte sehr empfindlichen Zugvogeln, die nicht leicht vor
Anfange Aprils in Deutschland ankommen und zeitig im
October davon ziehen, um in Italien und jenseits des
griechischen und des Mittelmeeres mildere Winterguar-
tiere aufzusuchen. Weit scheuer noch als die langhal-
figen Tagreiher, wahlt sie zum Wohnorte nur solche
Platze, die ohne Nothwendigkeit ein Mensch nicht leicht
besuchen wird, die ausgedehntesten und nur mit Gefahr
zu betretenden Moore, die Ufer groher Landseen und
solche Sumpfe, welche mit hohem Schilf bedeckt oder
doch mit einem breiten Gfiriel dieser unfreundlichen
Vegetation umgeben find. In den dichtest verwachsenen
Orten sucht fie eine etwas trockenere Stelle zum ge-
Wohnlichen Aufenthalte Wahrenb des Tages und verlaht
diesen wahrscheinlich nicht ohne die dringendste Noth;
besindet sich in der Nahe ein Hervorragender Weiben-
stummel oder irgend eine naturliche Erhohung deS Bo-
dens, so benutzt sie aus angeborenem Mihtrauen dieselben
zum Sitze und beobachtet mit Scharfe die Umgebungen,
wahrend sie selbst, theils durch ihr braunliches Gefieder,
theils durch den Kunstgriff, sich moglichst zusammenzu-
ziehen und dabei ganz unbeweglich zu verhalten, auch
dem aufmerksainsten Jager entgeht. Sie schreitet lang-
sam und vorfichtig und fliegt ebenso gerauschlos wie
andere Nachtvogel. Gegen ihre Feinde vertheidigt ste
fich mit Entschlossenheit; angeschossen wirft ste sich auf
den Rucken und hackt mit dem auSnehmend spitzigen und
urplbtzlich Hervorgeschnellten Schnabel nach dem Geflcht
deS Angreifers, der daher mit groher Vorficht verfahren
muh. Die besten Hunde vermogen nichts gegen fie in
dieser Stellung, benn mit Muth verbindet fie die anherste
Heimtficke. Beruchtigt ist sie roegen ihres unheimlichen
nachtlichen Ruses , roelcher, im Februar horbar werdend,
den Anfang der Paarungszeit verkfinbigt und mit dem
Tone des KolkrabenS vergleichbar, jedoch theils viel
lauter, theils auch tiefer und rauher klingt und, ver-
bunden mit dem Eindrucke, roelchen ode Sumpfgegenden
im Dunkeln Hervorbringen, Aberglaubische mit Gransen
erfullen kann. Bisroeilen schreiet die Rohrdom nel auch
in ben Tagesstuiiden, oder fie steigt nach Eintritt der
Dammerung in Spirallinien bis in sehr grohe Hbhen
und laht dann von oben ihren wie fernes Ochsenge-
brull klingenden Schrei ertonen. Jhr Nest besindet fich
niemals auf Banmen, sondern stets in den dichtesten
und unzugsinglichsten Stellen groher, mit Schilfrohr
bewachsener Teiche oder Sumpfe und moglichst entfernt
vom festen Ufer. Es liegt von weinigen Halmen ge-
tragen, roenige Zoll fiber der Wafserstache, ist oft gegen
das Eindringen der Nasse nicht gesichert, besteht aus
Binsen und Stucken abgefaulter Schilfstengel und eni-
Hsilt faunt eine nothdurftige Unterlage etroas Weicherer
Materialien sur die 4—5 grnnlichgrauen Eier. Das
Weibchen wird bei dem Geschafte der Brutung vom
Mannchen zwar nicht abgelost, indessen gefuttert und
sitzt gegen drei Wochen. Die Jungen reifen schnell und
lansen bald davon; eingefangen erlangen ste einen sehr
geringen Grad von Zahmung und bleiben allezeit tuckisch
und argwohnifch. An den Alten, die man bisweilen
nach Verwundungen lebend erhascht, scheitern alle Ver-
suche des Zahmens; ste ertragen die Einsperrnng nicht,
selbst roenn man ihnen grohe ®årten zum Aufenthalte
anweist. — Die Rohrdommel bleibt an Grshe Hinter
dem gemeinen Fischreiher zuruck, indeni fie nur 3 Fuh
lang wird; sie hat weiches, durch allgemeine Farbung
an die Enlen erinnerndes Gefieder, grfingelben Schna-
bel, grunliche Ffihe und zehnfederigen Schwanz, ist
obenher rostgelb mit schwarzen Querflecken, unten biasser
und schwarzlich geflammt; von den Mundwinkeln ver-
lauft ein schwarzbrauner Streif nach den Seiten des
Halses. Die Schroingfedern find rostfarbig gebanderl.
Zwischen Mannchen und Weibchen Herrscht fein Farben-
unterschied, indessen ist das letztere stets an geringerer
Grohe kenndar.
3. Der Nachtreiher. (Ardea nyeticorax.) Fig. 1831. 1832.
Die Nachtreiher oder Nachtraben, von welchen man
auher der gemeinen enropaischen Art einige auslandische
kennt, bilden eine dritte Gruppe der Reiher. Sie glei-
chen in ihrer allgemeinen Gestalt den Rohrdommeln,
Haben indessen einen im Verhaltnisse langeren Schnabel
und sast ganz befiederte Unterschenkel; sowohl Mann-
chen als Weibchen find mit drei langen und schmalen,
vom Hinterhaupte Herabhangenben Federn geschmuckt.
Die einzige europaische Art, die wohl auch Nachlrabe
oder Focke genannt wird, bewohnt eben so die ostlichen
als sfiblichen Lander unseres WelttheileS, verbreitet sich
aus der einen Seite uber Mittelasien bis China, auf
der andern fiber Nordafrika und bis zum Senegal. In
Deutschland gehort der Nachtreiher schon zu den sette-
neren Vbgeln, scheint in England ausgerottet zu sein
und fich nicht bis Schweden zu verstiegen. Als Zug-
vogel trifft er im April ein, wird immer einzeln, nie in
groheren Gesellschaften beobachtet und kehrt keines-
weges alle Jahre nach demselben Orte zurfick. Im
September entfernt er sich nach dem Sfiden; schon in
Ungarn scheint er ein Standvogel zu sein. In Sitten
Hat er viel Aehnliches mit der Rohrdommel, schreitet
Wie diese langsam, vorsichtig und mit gewiffer Steifheit
zwischen dem Schilfrohre einsamer Teiche und Sfimpfe,
vermag lange Zeit in vollkonimener Bewegungslofigkeit
dazustehen, liebt fiberhaupt ein nachtliches Leben und
weih fich so gut zu verbergen, dah er selbst da, roo er
sich als gewohnlicherer Beroohner durch laute und an
das Rabengekrachz mahnende Tone kundgiebt, doch nur
felten gesehen wird. Zum Futter wahlt er dieselben
Stoffe, wie die fibrigen Reiher und mag in der Ver-
borgenheit den Fischen, zumal den jungen oder soge-
nannten Satzfischen nicht weniger Schaden zuffigen als
seine eher sichtbar werdenden Verwandten. Da er die
ausgedehntesten Sfimpfe zum Wohnorte vorzieht, ein
Grund, roaruin er in llngarn, dem unteren Donauge-
biete und im sfidlichen Ruhland weit haufiger ist als in
Deutschland, so halt es sehr schwer, sein Nest zu
entdecken. Die Berichte fiber ben Ort bes letzteren
wibersprechen sich, benn nach Einigen befinbet es sich
am Boben zwischen ben hohen Sumpfpflanzen wohl ver-
borgen, nach anberen wirb es aus ben Aesten niebriger
Baume unb zumal auf ben Stumpfen ber Sumpfweiben
erbauet. Es ist von roher Beschaffenheit, besteht aus
unorbentlich aufgeschichteten bfirren Zweigen, Holz- unb
Rohrstficken unb bietet ben 4—5 grfinlichen Eiern sehr
geringen Schutz. — Alte Mannchen messen 20 —21
Zoll; sie haben ein weiches . locker anliegenbes Gefieber,
Haube unb Rficken glan, ro gi ■ arz, Flfigel, Un-
terrficken unb Schwanz ajd: .eau, Sticn, Augengegenb,
Kehle, Vorberhals unb Untecseite reih, im Tenick brei'
schmale, bem Hals an Lange fast gleichkommenbe, weihe
Febern; ber Augenstern ist hochroth, ber Schnabel
schwarz; ein gelber Fleck begranzt bie Wurzel bes Un-
terkiefers; bie Beine sinb gelblichgrfin. Dieses Kleib
erscheint in seiner Vollkommenheit erst in Folge ber
vierten Mauser, also im reifen Lebensalter. Das reife
Weibchen gleicht bem Mannchen. Jfingere Vogel wei-
chen gar sehr ab unb sinb beshalb bisweilen fur Ver-
treter besonberer Species gehalten worben; bie einjah-
rigen finb braun mit rothlichweihen Schaftstecken, unten-
her weihlich mit braunrothen Strichen unb ohne Genick-
febern. Selbst ber breijahrige Vogel weicht noch in
einzelnen Beziehungen ab von bem vollkommen ausge-
farbien. — Bis vor wenigen Jahren hat man ben euro-
paifchen unb amerikanischen Nachtreiher, welchen Bo-
naparte als eigene Art (Nyeticorax americanus) unter-
schieb, verwechselt. Die auhere Aehnlichkeit ist sehr
groh, Lebensweise fast bieselbe. In ben Ver. Staaten
heiht ber letztere, in Nachahmung seines Rufes, ber
Quavogel (Qua-bird). Er ist nirgenbs selteu unb
scheuet selbst ben Aufenthalt an ungentein belebten Stro-
men, z. B. bem Delaware, nicht, wenn anbers ihre User
mit hohem Gerohrig eingefaht finb. Am Zahlreichsten
lebt er in ben grohen, mit amerikanischen Cebern be-
wachsenen, bem Menschen nur an ben Æuhersten Granzen
zuganglichen Sfimpfen, welche in Norb - Carolina einen
Theil bes Kfistenlanbes fiberziehen. Wo er stellenweis
in Colonien fich zusammengefunben, erschallt gegen ben
Eintritt ber Nacht aus ben unheimlichen unb gefahrlichen
Walbsfimpfen ein so brohnenbes Geschrei, bah inan, wie
Wilson sagt, nteinen konnte, es waren bort einige Hun-
bert Jnbier im Kampfe unb Srtourgen begriffen. Dringt
ein an solchen Orten fiberaus felten gesehener Mensch
in bas Jitnere ber viele Meilen langen Sfimpfe, so er-
regt er einen allgemeinen Aufruhr bieser, alle anbere
warnenben Vogel.
III. Utnbervogel. (Scopus.)
Gattungscharakteri Schnabel sehr zusantmen-
gebrfickt, nachgiebig; Oberkiefer mit scharfer, Hinten kiel-
forntig erhohter Firste unb Hakenformig fibergebogener
Spitze; Unterkiefer nach vorn verschmalert, abgestutzt;
Nasenlocher spaltformig, nach vorn in eine Furche ver-
långert (Fig. 1833.). Kopf befiebert. Ffihe ganz ge-
Heftet; Hinterzehe vollig aufliegenb; Kralle ber Mittel-
zehe kammformig eingeschnitten. Dritte unb vierte
Schwingfeber bie langsten.
Der afrikanische Umbcrsoget. (Scopus Umbretta.) Fig. 1834.
Sitten unb Lebensweise bieses Vogels finb burchaus
unbekannt, obgleich berselbe in vielen Gegenben Afrika'S,
namentlich an ber Westkfiste, z. B. am Senegal, sehr
gewbhnlich sein muh, wie man aus ber Zahl ber von
bort gebrachten Balge schlieht. An Grohe kontrnt er
einer Krahe nah, iniht 20 Zoll in ber Lange, hat einen
3 Zoll langen Schnabel, ausnehmenb weiches unb lok-
keres Gefieber von obenher umberbrauner, unten etwas
hellerer Farbung, bunkel guergestreiften Schwanz,
schwarzbraune Ffihe. Das Hinterhaupt beS Mannchens
schmficki ein 4 Zoll langer, flatternber Feberschopf.
IV. Kahttschltabel. (Caneroma.)
Gattungscharakter: Schnabel langer als ber
Kopf, sehr breit, oval, plattgebrfickt; Oberkiefer mit
starker, von ben Seitentheilen mittels tiefer Furche abge-
setzter Firste, fibergebogener Spitze unb seitlichem Zahne;
Uitierkiefer zugespitzt; Nasenlocher spaltformig, in einer
Furche gelegen. Ffihe kurz; Zehen fast ohne Spann-
Haut, bie Hintere vollig aufliegenb, bie mittlere mit
kammformig eingeschnittener Kralle. Kops befiebert.
Kehle mit kurzent, nackten Sacke. Flfigel mittelgroh;
erste Schwingfeber kurz, zweite bis ffinfte bie langsten.
Der umerikunische ltahnschnabel. (Caneroma cochlearia.) Fig. 1835.
Ungeachtet ber wunberlichen Schnabelform ist bie
Caneroma ben Reihern sehr nah verroanbt unb theilt
mit benselben Sitte unb Art. Sie bewohnt bas tro-
pische Sfibamerika, besonbers Guyana unb Brasilien,