Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Zweiter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 282
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Vögel
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V 0 g e 1.
Erste ®rb liung.
Opser, und niemals bauerte der Kamps langer als einige
Secunden, denn ein znerst dem Hinterkopse ertheilter
Schlag der langen Fange betaufote selbst die starkste
Katze, und ein zweiter, die Seiten zerreihender, das Herz
verletzender Hieb war gemeinlich todtlich. Nie ward foei
dieser Hinrichtung der Schnabel gebraucht, und gerade
die Schnelligkeit und Sicherheit derselben und die Uefoer-
zeugung, dah einem solchen Angrisse selbst der Mensch
erliegen mufite, brachte unter den Zuschauern den gråsten
Schrecken hervor. Mit dieser erstaunlichen Starke der
Fuste steht die Kurze der Flugel in sichtbarer Beziehung ;
die Faulthiere und Asfen, welche, nach dem Berichte
Matiduyt's, eines Beschreibers von Guyana, dem Hau-
benadler vorztiglich zur Beute »verden, halten sich in den
Kronen hoher Waldbaume aus und tonnen nicht durch
Herafostohen aus den Luften ergrisfen werden. Der Adler
muh sie aufsuchen, indem er die Forste langsam stiegend
durchstreift, naht stch, wenn sie am Wenigsten eine Ge-
fahr furchten, und ertheilt ihnen den todtlichen Schlag,
ohne zur Flucht Zeit zu lassen. Wenn Adler uberhaupt
toeniger als anbere Falken besahigt sind, ihre Beute hit
langsamen Fluge zu erhaschen, und mehr durch Uefoer-
raschung und unwiderstehliche Kraft als durch fortgesetzte
Versolgung siegen, so tritt diese Eigenthumlichkeit foe-
sonders stark an dem Haubenadler hervor, der ubrigens
niemals Vogel, sondern nur Saugethiere ergreifen soll.
Seine Geschichte bedarf noch der genaueren Untersuchun-
gen; obgleich ufoer weite Lander verforeitet, gehort er
ufoerall zu den felteneren Erscheinungen. Wahrscheinlich
ift er, toie alle sehr grohe Raufothiere, menig fruchtbar
und dieser Beschrankung aus einer naturlichen Noth-
mendigkeit unterthan, meil er, in Menge vorhanden,
ganze Thierfamilien ausrotten und das Gleichgewicht attf-
Hefoen wurde, welches zwischen den zerstorenden und er-
Haltenden Kraften in der Schopfung foesteht. Er mird
von den Eingefoorenen Brasiliens, die jeden Kamps mit
ihm vermeiden, sehr gesurchtet, meil er, sur den Einzel-
lien zu machtig, fogar nicht anstehen soll, zum Angreifer
zu werden. Mag es auch eine Fafoel fein, dah er Men-
schen durch Schlage mit Schnafoel und Fuh den Schabel
zertrummert Hafoe, so ist jedenfalls zu glaufoen, dah An-
naherung an sein Nest dem Unfoewaffneten verderfolich
werden fonne. Hernandez versichert, dah er nicht nur
grohe Raufothiere anfalle, sondern auch an den Menschen
sich luage. Nach Mauduyt lefot er foesonders von Faul-
thieren, todtet aber auch eine Menge von Rehen, Beu-
telthieren und Meerschweinen, die er in seinen einsamen
Horst schleppt. An Grohe ufoertrifft er den Konigsadler,
dessen Krallen ini Verhaltniffe unfoedeutenv genannt wer-
den durfen. An Kopf und Hals ist er Hell schiefergran,
auf dem Rucken und an den Seiten der Brust schtuarz-
foraun, am Bauche weihlich, auf den Schenkelfedern
foraun gestreift. Am Hinterkopse tragt er einen Schops
von sehr verlangerteii, dunkelforaunen Federn, die er,
efoen so wie diejenigen der Kopfseiten und des Oberhal-
ses, willkurlich aufrichten oder straufoen kann. Uefoer die
Brust laust eine dunkel schiefergrane Binde, auf den
Schwanzfedern wechseln foreite Binden von schwarzer
und schiefergrauer Farfoe. Schnafoel und Krallen sind
schwarz, die Lause gelfo.
VI . Geieradlcr. Bartgeier. (Gypaetos.)
Gattungscharakter: Schnafoel stark, an der
Murzel gerade, vorn aufgetriefoen und stark gekrummt;
Ofoerkieser hakig, ungezahnt; Nasenlocher spaltformig,
mit steisen, nach vorn gerich teten Borsten ufoerdeckt; an
der Wurzel des Unterkiefers ein Buschel von Bartfoor-
sten. Flugel lang, die dritte Schwingfeder die langste.
Lause kurz, dis an die Zehen foefiedert; Krallen scharf,
nur leicht gekrummt. Schwanz afogerundet.
1. Der Bartg-irr. (Gypaetos barbatus.) Sig. 1194. 1195. 1196.
Die systematische Anordnung der Raufovogel Hat
sehr viele Schwierigkeiten, weil zwischen den einzelnen,
scharser unterscheidfoaren Gruppen andere stehen, die, den
Uefoergang vermittelnd, mit einer scharsen Begranzung,
wie sie der Zoolog verlangt oder Herzustellen Wunscht,
sich nicht recht vertragen. Auch unter den Adlern giefot
es Arten, die, weit entfernt, die stolze Haltung und ben
schon auherlich kennfoaren Raufothiercharakter bes Stein-
ablers ober gar ber Harpyie an stch zu tragen, Hier in
bie Bussarbe ober Milane, bort in bie Geier ufoergehen.
Zu ben letzieren gehort ber Bartgeier, bessen Namen
schon bie vermuthete Verwanbtschast anbeutet, unb ber
von ben Systematikern foalb zu ben Ablern, foalb zu ben
Ejeiern gerechnet worben ist. Das Ansehen rechtsertigl
allerbings biese Schwankungen. Der Bartgeier ufoertrifft
an Grohe ben grohten Abler, ist ungentein stark gefoauet,
hat afoer nicht allein weit schwachere Krallen, als mancher
ungleich kleinere Raufovogel, fonbern auch einen langeren,
int Verhaltniffe kleineren unb nur an ber Spitze ge=
krummten Schnafoel. Dennoch ist er keineswegs ein so
entschiebener Aasfreffer wie bie eigentlichen Geier, son-
berit zieht es vor, Thiere zn zerfleischen, bie er selfost er-
legt ober frisch gelobtet angetroffen hat, bequemt sich zu
fanlen lleberrejten nur in anherster Noth unb ist baher
in bieser Beziehung nicht unebler als ber Abler selfost,
ben boch bas Bolksvorurtheil zum Konig aller Vogel
erhofo. Annahernng an bie Geier legt sich freilich in ber
Sitte bar, bie Bente nicht nach bent Horste zu tragen,
fonbern an Orl unb Stelle zu verzehren, ferner in ber
frieblichen Geselligkeit, mit welcher mehrere tint ben Kor-
per eines vielleicht burch Stnrz in Afogrnnbe gerodteten
Thieres zngleich foeschastigt sind, unb in ber Gier, bie
sie veranlaht, biå zum Verluste aller Beweglichkeit sich
zu ufoersullen. Grohe, Befieberung unb Farfoung erin-
nerit an bie Abler, allein Tracht, Korperumrisse unb An-
sehen bes Kopfes lueichen afo. Der Haltung sehlt jene
grohartige Ruhe, unb bas kleine rothe Auge ist ohne ben
kuhnen unb entschlossenen Ausbruck, welche ben Abler
auszeichnen. Dennoch gleicht ber Bartgeier wieberum
ben eigentlichen Raufovogeln burch Raufosucht unb Muth,
benn er sturzt stch aus Haasen, Laminer unb junge Zie-
gen unb foemachtigt sich wohl auch ber fluchtigen Gemse,
unb mehr als eine Aussage ber glaufohaftesten Zeugen
foeweist, dah er selfost Menschen anzugreifen kuhn genug
sei. Ein Hirtenknafoe int Kanton Schwyz ward von
einem Bartgeier von einer Felsenwand Herafogesturzt, in
Appenzell raufote ein anderer einen Saugling, und kuhne
Gemsenjager, die mehr deS Vergnugens als geringen
Lohnes wegen ihr Lefoen wagen, kanten ost in grohte
Lefoensgesahr, wenn sie, ntit den geraufoten Jungen ba-
voneilend, von dem erzurnten Vogel entdeekt ruurben.
Eine neue Unahnlichkeit finbet sich foei weiterer Verfol-
gung bes Vergleiches. Der Bartgeier tobtet sein Opser
nicht burch kuhneit Angriff unb burch raschen Geforauch
bes Schnafoels unb ber Krallen, fonbern inbem er es in
immer engeren Kreise umfliegt, mit Flugelschlagen ver-
wirrt unb folenbet unb bent Afogrnnbe zutreifot, in welchen
er sich selfost sicher Hinablaht, unt ben zerschellten Leich-
natit zu zerreihen. Weber seine Krallen noch sein Schna-
foel Hafoen Hinreichenbe Starke, unt groheit Thieren sehr
gesahrlich tuerben zu kotinen, unb baruitt foebient er sich
berselfoen nur gegen bie jungen unb schwachen. Selfost
eine gewiffe unverschamte Zubringlichkeit, bie sonst nur
bie Geier auszeichnet, ist ihm minbestens in solchen
Lanbern nicht srentb, wo er Menschen feltener steht.
Bruce war nicht ruenig verwunbert, einen grohen Bart-
geier sich bem Kreife ber Diener langfam nahern zu fehen,
bie aus einer Bergspitze Afoyfsiniens efoett zum Mittags-
ntahle bie Vorfoereitungen trasen. Gleichfam als gehore
er zur Gefellfchast, iiahnt er seinen Platz, ergriff, nach
einem fruchtlosen Versuche, ben Jnhalt eines siebenben
Topses zu raufoen, mit jebent Fuhe ein baliegenbes
Fleischstuck unb entsernte sich, wahrenb bie erschrockenen
Eingefoorenen nach Spieh unb Schilb lieseit, fo ruhig,
als er getemmen tuar. Ein Schuh ber Reifenden streckte
ihn nieber, als er nach wenigen Augenfolicken, unt ben
Raufo zu wieberholen, zuruckkehrte. Der Flttg biefes
fonberbaren Mittelgeschopses giefot bentjenigen bes Ablers
an Majestat unb Ausdauer nichts nach. Der Bartgeier
steigt in Hohen, wo er bem menfchlichen Auge wie ein
Punkt erscheint, umkreist in weiten Bogen bie auhersten
Spitzen ber Alpenkette unb sturzt fast fenkrecht Herab,
fofoalb er ein schwacheres Thier erblickt, sinkt afoer lang-
fatit unb in gleicher Spirallinie auf einen nahen Felfen
nieber, wenn er einen Leichnam entbeckt, unb nahert stch
ihm nach einiger Zeit mit fchwersalligem, bem Bobett
gleichen Fluge. Er verrath vielen Scharfsinn unb nicht
geringes Mihtrauen gegen Llachstellungen, tuirb foei bem
Fressen leicht ufoerrafcht, in ber Schweiz mit Fuchssallen
gesangen, in Piemont burch bieselfoe List erlegt, beren
sich bie Eingefoorenen Chile's gegen ben Conbor foebienen,
iiibein sie in tiefe Gruben tobte Pserbe tuersen, ben Her-
beieilenben Vogelit gestarten, sich int lleberntaahe zu sat-
tigen, unb sie bann unt so eher erschlagen, als ber enge
Rauiti Ausbreitung ber Flugel nicht gestattet. Mare
ber Bartgeier nicht Bewohner ber Hochsten unb unzu-
ganglichsten Gebirge, fo muhte er schon lange ausge-
rottet sein. An Zahl Hat er ubrigens, nach Temntinck's
ttntersuchungen, sehr abgenonimen, benn wahrenb er vor
etwa einhunbert Jahren noch in ber ganzeit Alpenkette
von Steiermark bis in bie Dauphiné gentein war, fogar
bis in bie Voralpen Baierns unb in ben Schwarzwalb
streifte unb barnals viele Jager lebten, bie, wie Anbreas
Durner, sich ruhnten konnteu, nach unb nach vierzig
bis fechzig Stuck mit eigener Hattb getobtet zu haben,
verlaht er jetzt kautit bie hochste Centralkette unb ist auch
ba nirgenb in groher Zahl anzutreffen. Dasur reicht
seine Verbreitung auher Europa unt fo weiter. Bruce
sanb ihn in Abyfsinien unb in ben Knstengefoirgen bes
rotheit Meeres, tu o er ben Natiten Abu Dutsch'n, Vater
Langbart, tragt; nach Pallas foruiet er aus ben hohen
Felsen bes Altai unb in bem Lanbe jenseits bes Baikal-
fee's; spatere rufsische Reisenbe sanben ihn int Kaukasus
unb in ben arntenischen Gebirgen, Englanber int Hintalaia,
unb Erentplare sittb aus Subasrika in europaische Saiitm-
lungen gelangt. An alleit Orten erscheint er in dentsel-
ben Kleibe. Die Ofoerseite bes Korpers ist glanzenb
braunfchwarz, jebe Feber mit weihent Schaftstrich unb
weihent Punkte an ber Spitze. Hals unb Unterseite sinb
lebhaft rostgelb; ein schwarzer Ztigel geht von ber Mitte
bes Scheitels burch bie Attgen bis zur Schnabelwurzel;
bie alchgrauen, am Ranbe bunkleren Schtuatizsebern unb
Schwingfebern haben weihe Schafte. Die Hinter bem
Kinnwinkel stehenben, einen nach vorn gerichteten Bu-
ichel foilbenben, ben Pserbehaaren an Harte gleichenben,
schwarzeit Bartborsten messen fois an ztuei Zoll. Rachen
unb Schlunb sittb ungentein weit unb ber letztere so dehn-
foar, bah bie grohten Bissen ohne Schwierigkeit burch ihn
in ben sehr unifanglichen Magen Hinafogleiten, ber sogar
ansehuliche Knechen verbattet unb burch scharse Splitter,
bie Krallen von Vogeln unb bas Haar ber Saugethiere
nicht foeschwert wirb. Uefoer bie Fortpflanzung bieses
wilben, afoer in ber Gesangenschast sehr zahiti Werbenben
Ranfovogels sehlt es an ganz zuverlassigen Nachrichten.
Das auf ben itnzuganglichsten Felsen angelegte Nest foe-
steht aus Aesten unb Wurzelsasern unb ist ntit burrem
Grase auSgefuttert. Es enthalt zwet fois vier schmittzig-
weihe, foraiingefleckte, rauhe Eier. Die Legezeit fallt auf
ben Monat Marz. Die Jungen erhalten burch bie erste
Mauser ein bunkles, einfarbiges Kleib, welches erst im
dritten ober vierten Jahre vollig ausgefarbt zu toerben
scheint.
VIL Nacktadler. (Daptrius.)
Gattungscharakter: Schnabel groh, ettoas ver-
langert, von der Wurzel an flach gekrummt; Oberkiefer
ganzrandig, mit mittellanger, Hakenformiger Spitze; Un-
terkiefer gegen bie Spitze ganz ober mit leichter Kerfoe;
Nasenlocher langlich, schiefliegenb; Augengegenb unb
Kehle unbestebert. Flugel afogerundet. Lause lang, un-
befiedert.