Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Zweiter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 282
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Vögel
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U o n c I.
Lweite Vibiiting.
Fruhlingsmorgen jene eben so ticfen als bleibenben Ge-
fu(le nicht Hervorbringen, die von Dichtern alter Zeiten
besungen worden sind. Inderen gehoren die Vogel dieser
Gruppe dem Norden nicht allein an. Sie bewohnen,
verbreitet nach festen, wenngleich dem Naturforscher noch
unenthullten Gesetzen, den ganzen Erbkreis, von der Po-
larregion bis Neuholland, von den Alpen bis in die glii-
Henden Sandwusten Afrika's. Fast allein auf die Jnsec-
ten als wesentlichste Nahrung angewiesen, stehen sieda als
wichtige Diener der Natur, welche das Gleichgewicht er-
Halten und ihre Wanderungen abhangig machen von dem
Erscheinen jener Myriaden kleinerer, wehrloserer und den-
noch selbst dem Menschen so leicht verderblicher Geschopfe.
Nirgends sind diese vor ihnen sicher, denn den verschiede-
nen Gattungen der Sanger sind verschiedene Jagdbezirke
uberwiesen; toahrenb einige nur auf Angern, Triften oder
Feldern thatig sind, durchsuchen andere die Busche, das
Gerohrig der Teiche oder die hohen Grafer der Fluhufer,
und viele verlassen nicht leicht die hoheren Baume, in deren
Kronen sie ihre Nahrung zu suchen gewohnt sind. Nur
toenige vermengen animalische und pflanzliche Stoffe und
besuchen die Garten in der Absicht, um von reifenden Bce-
ren ihren bescheidenen Antheil zu empfangen. Was von
der zartlichen Aelternliebe der Vogel, von jeher bekannt,
int Munde des Voltes als Ueberlieferung sich erhalt, sin-
det seine volle Vestatigung in bent Haushalte der Sanger,
die, alle monogamisch, in die Sorgen fur die Nachkom-
men sich theilen, durch keine Muhe abgefchreckt, ihre Nester
mit grohcm Fleihe, zum Theil mit bewundernswerther
Kunst banen und meistens ziemlich fruchtbar sind. — Die
anheren Kennzeichen der Familie bestehen in Folgendem:
Der Schnabel ist gerade, ziemlich dunn, zusammeiige-
bruckt, bald scharf zugespitzt, bald leicht ubergebogen und
dann vor der Spitze mit flacher Kerbe versehen; die Nasen-
locher stehen seitlich an der bisweilen von unbedeutenden
Bartborsten umgebenen Schnabelwurzel; an den nicht
starten Futzen ubertrifft der Lauf in der Regel die Mittel-
zehe an Vange, die angeren Zeheit sind durch eine schmale
Bindehaut vereinigt, die Hinterzehe tragt eine start ge-
bogene, kurze Kratte; die ebennicht auf grotze Flugfertig-
keit deutenden Flugel sind mittellang, die zweite und dritte
Schwingfedern die langsten; die erste Schwingfeder ist so
kurz, datz sie ost ubersehen wird, und fehlt bisweilen ganz.
Das Gesieder ist weich, bisweilen seidenartig, bei den euro-
paischen Q(rten selten sehr lebhast gefarbt, um so schoner
bei vielen auslandischen. Zmischen den Geschlechtern
sindet ein autzerer Unterschied tauni Statt; die inlanbischen
Arten mausern sich einmal imJahre und erhalten tein be-
sonders ausgezeichnetes Hochzeitkleib. — Die Sanger
machen eine so grotze Gruppe aus, datz die meisten Orni-
thologen sie von Neuem zu theilen versucht haben. Wir
begnugen uns damit, die Gattungen aufzufuhren.
XXV. Sanger. (Sylvia.)
Gattungscharakter: Schnabel gerade, dunn,
pfriemensormig, an der Wurzel Hoher als breit; Ober-
kiefer vor der ubergebogenen Spitze ofters gekerbt; Unter-
kiefer gerad; Nasenlocher an her Schnabelwurzel, oval,
durch eine Haut halbgeschlossen. Futze und Flugel der
Familie, Schwanz zehnfederig.
1. Die Nachtigal. (Sylvia Luscinia.) Fig. 1377 a. 1378. 1379.
Zu allen Zeiten und unter atlen Volkern Europa's
Haben Dichter die Nachtigal gepriesen, die bei unansehn-
lichem Aeutzeren durch die Gabe des Gesangs alle andere
Vogel ubertrifft. Es scheint, als Håbe die Natur den
Geuutz, der ini Anhorelt dieser schonen Stimnie liegt,
moglichst vielen Menschen gewahren wollen, denn wenige
Sylvien sind eben so weit verbreitet als die Nachtigal, die
von Sibirien bis England, von Schweden bis Syrien und
Nordafrika gefunden wird, Hinundwieder sehr haufig und
nur an wenigen und beschrankten Orten felten ist. Die
Ursachen dieser unregelmatzigen Vertheilung sind noch
nicht erklart. Jm westlichen England gehort die Nachtigal
zu den gewohnlichen Fruhlingssangern; im nahen Irland
und auf den kleinen Jnseln des britischen Canals Hal sie
noch Niemand gesehen. Am Zahlreichsten scheint sie in
Spanien, Portugal und Italien zu leben, wo sie auf dem
Zuge eintrifft und den Winter nicht aushalt. Sie besucht
auch die griechischen Jnseln und Palastina und ward von
Strickland um Smyrna schon am 5. April gehort. Gould
erhielt Eremplare aus Tunis und Aegypten, niemals aber
aus den sudlicheren Gegenden dieses Erdtheils und folgert
Hieraus, datz sie nicht bis zum Wendekreise streife. In
Deutschland erscheint sie als Zugvogel um die Mitte oder
gegen Ende Aprils, wenn der Fruhling kalt ist und spater
als gewohnlich eintritt. Die Mannchen treffen 8 —10
Tage vor den Weibchen ein und lassen sich sogleich in einem
lichten Laubholzwalde oder in Gebuschen nieder, die ihnen
um so angenehmer sind, se mehr dusteren Schatten sie dar-
bieteii. Haben sie sich fur ben Ort bes kunstigen Hans-
haltes entschieben, so weichen sie nicht wieber von ihm
iiiib beginnen zu singeii unb bie Weibchen burch Locktone
herbeizurufen, welchen vielleicht weit tiefere Gefuhle nn-
tergelegt worben finb, als sie eigentlich ausbrucken sollen
unb koniien. Jnbessen ist nicht in Abrebe zu stellen, bah
kein anberer Vogel so mannichfache, man mochte sagen so
regelrecht geglieberte Melobien hervorzubringen vermag.
Der Gesaiig zerfallt in Strophen, bie nach gewisser Orb-
nung einanber fvlgeit unb felten ilt voltiger Gleichheit bop-
pelt vorkommen, etwas Rhythmisches haben unb zum Theil
burch Pausen getrennt toerben. Sotoohl Bechstein als
Naumann (aben versucht, burch Sylben bieses Lieb toieber-
zugeben, ivelches nicht von allen mit gleicher Kunst, Kraft
unb Ausbauer vorgetrageit toirb. Schon bas ungenbtere
Ohr entbeeft biese Verschiebenheiten ; Kenner nehmen eine
Menge von Abstufungeit an, fur welche sie besonbere Be-
zeichnungen erfunben haben, unb bie ben in Gefangenschaft
gehaltenen Vogeln einen sehr wechselnben Werth verleihen.
Die geschatztesteit Nachtigalen sinb biejenigen, welche nicht
nur eine laute unb melobische Stimme besitzen, fonbern
auch ben groheren Theil ber Nacht Hinburch ihren Gesaiig
in georbneten Strophen ertonen lafsen. Nicht alle sinb
Nachtsanger, fonbern viele schlagen auch am Tage, wo
freilich bie Tone zum guten Theile zwischen ben kunstloseren,
aber lanteren Liebern unzahliger anberer Vogel verloren
gehen. Man erstent sich ber Nachtigalenlieber nicht lange
Zeit; sie tonen am Schonften zu berZeit, wo baS Weibchen
bie Eier bebrutet, in ber zweiten Halste bes Maimonats,
toerben spaterhin leiser unb feltener unb verstummen um
bie Mitte bes Juni. In ber Gefangenschaft singt bie
Nachtigal weit fruher, schon in ben ersten Monaten bes
Jahres. Jnng eingesangen gewohnt sie sich an ihr Loos
unb ertragt es viele Jahre; sie toirb inbessen in vielen Lan-
bern Deutschlanbs burch Gesetze gegen bie Vogelstelker ge-
schutzt unb ztoar mit vollem Rechte, ba es nur zu leicht ist,
sie zu berucken unb burch anhaltenbe Verfolgung aus einer
Gegeiib vollig zu vertrciben. Sie toirb leicht eingefangen,
benn wenn sie auch bie Neugierbe nicht besitzt, welche
burch alte Ueberlieferungen ihr zugeschrieben toirb, so ver-
rath sie boch keinen Scharfsinn in ber Enlbeckung verbor-
gener Gefahren unb geht mit gleicher Arglosigkeit von
Neuem in bie Falle, toekcher sie kurz vorher entkam. Im
Ganzen ist sie ernst unb nicht gesellig. Ihre Nahrung be-
steht in Jnsectenlarven unb Puppen, autzerbem in Beeren,
unter welchen biejenigen bes Traubenfliebers (Sambucus
racemosa) am Meisten begehrt toerben. Datz man sie in
ber Gefangenschaft am Ztoeckmahigsten mit Mehlwurmerii
unb Ameiseneiern erhalte, ist bekannt. Das bent Boben
nahe, zwischen bichtem Gebusch angelegte Nest besteht aus
allerlei trockenen Blattern, Halmen, Wurzelfasern, ist
zwar forgfaltig gearbeitet, inbessen nicht von sehr kniist-
lichein Ansehen unb Hat oben tit ber Mitte eine vertiefte,
weich auSgefutterte Stelle fur bie 4—6 graugrunen, ein-
farbigen ober gesteckten Eier. Lage unb Bestanbtheile
machen bas Nest von ben Unigebungen schtoer unierscheib-
bar iiiib schntzen es gegen Entbecknng. Das Geschast ber
Ausbrutung beforgen beibe Galten wechselsweis. Die nach
zivei Wochen auskriechenben Jungen erhalten zum Futter
zarte Jnsectenlarven unb erwachsen unter ber sorgfaltigen
Pstege ber Aeltern in kurzer Zeit, ohne baruin bieselbe balb
zu verlieren. Man will gesehen haben, bah bie Aeltern
ihren gefangenen unb in einem Kafige frei Hingestellten
Jungen Nahrung ziizutragen trenlich fortfuhren. — Die
Nachtigal miht gegen 7 Zolk, ist oben rothlich graubraun,
unten grauweih, am Schwanze rostfarben; bie zweite
Schwingfeber ist kurzer als bie gleichlangen britte unb
vierte. Man muh sie linterscheiben von ber sogenaniite>t
Sprosser - Nachtigal (Sylvia Philomela), bie, iin
ostlichen Europa einheimisch, im norblichen Deutschlanb
feltener auf bem Zuge im Mai ankommt, viel lauter, aber
niinber angenehm singt als bie eigentliche Nachtigal unb
als Stubenvogel hanfig in Kafigen gehalten wirb. Sie
Hat mit Unrecht fruherhin fur eine Spielart von jener ge-
golten; nicht allein ist sie etwas groher, fonbern auch an
ben Schwingfeberii zu erkennen, von welchen bie erste sebr
kur; unb schinal, bie zweite fast so lang als bie britte unb
langer als bie vierte ist.
2. Das Nothkehlchen. (Sylvia rubecula.) Fig. 1377 d. 1380.
Das toeltbekannte unb uberall beliebte Rothkehlchen
bewohnt ganz Europa unb einen Theil bes westlichen
Asiens, wo es mehrentheils als Zugvogel ziemlich fruh
im Jahre ankommt; nur in Englanb sokl es bas ganze
Jahr hinburch verweilen. Gegen Hohere Kaltegrabe ver-
rath es verhaltnihmahig toenige Empfinblichkeit, benn
ost toirb es von Nachivintern uberrascht, bie an ihm ohne
grohen Schaben vorubergehen, toeil mehrere norbische
Stranche ihre Beeren bis zu ber Zeit betoahren, too bas
junge Laub hervorsproht. Zum Sommeraufenthalte er-
wahlt es offenere Laubholztoalber ober bichte, bie Wiesen
unb Psianzungen umgebenbe Gebnsche, selbst bichtere Gar-
tenhecken, inbent es ven Menschen nicht schent unb gegen
bie stille Einsamkeit alter, sehr Hochstammiger Walbiingen
lint so mehr Abneignng fu(It, als sein ganzer Charakter
ein Heiterer unb lebhafter ist. Wo es sich ganz sicher fnhlt
ober bemerkt, bah es abstchtlich geschont unb gehegt toirb, f
erlangt es ein hochst zutrauliches unb luftiges Wesen unb
lauft ztoischen ben Buschen unb Pflanzen unb selbst auf
ben Wegeii ber Garten fast vor ben Fnhen bes Menschen
Heruni. Durch Schnelligkeit bes Fliiges ubertrifft es viele
anbere Sanger unb giebt an Rastlosigkeit unb Lebhastig-
zfeit selbst ben Meisen nicht viel nach, beren Kletterfahig-
keit es naturlich nicht besitzt. Gegen anbere kleine Vogel
benimmt es sich sehr unvertraglich unb bulbet sienie in ber
Nahe feiiies Nestes ober getobhulichen Anfenthaitsortes,
greift sie muthig an, vertreibt selbst kleinere Wurger unb
lebt, aus Muthtoillen ober aus Eifersucht, auch mit seines
Gleichen in etoigem klnsrieben. Der eriiste, feierliche unb
angenehme Gesang bes Mannchens entspricht biesent lau-
nenhaften unb kecken Charakter nicht; er erinnert, obgleich
sonst sehr verschieben, an bas tiefe, aus bem Liebe ber Nach-
tigal klingenbe Gefuhl, toirb gleich biesent zumeist in ben
erfteii unb ben letzten Tagesstunben horbar unb bauert
vom Marz bis in ben Sommer. Von biesent bie Fort-
pflanzungsperiobe begkeitenben Gesange toeicht bas zu an-
bereit Zeiten getoohnliche Zwitschern sehr ab, Ivelches
beibe Geschlechter im Herbste, in ber Gefangenschaft fogar
toahrenb bes Winters horen laffen. Die Nahrung bieses
uberall gerit gesehenen unb von Lanbkeuten im Zimmer
ohne Kafig gehaltenen Vogels besteht in Beeren unb In-'
seeren, zuinal ben ztoeiflugeligen, ben eigentlichen Flie-
gen, toelche, toahrenb sie rutjig sitzen, von ben Wanben
unb bem Gebalk weggeschnappt werben. Mit bemBane bes
nahe an ber Erbe wohlverborgeneii, aber kniistlosen Nestes
toirb ber Anfang in ben letzten Wochen Aprils gemacht;
bie 5 —7 strohgelben, hellbraun punktirten Eier bebruten
abwechselnd beibe Gatten; bie Jungen kriechen um Mitte
Mai's aus. Die Farbung bes ertoachsenen Aianiichens
ist obeit olivengrau, an Stirn, Zngelgegenb, Kehle unb
Brust rvstroth; am jungeren Vogel ift ber Oberkorper
weihlich punktirt, bie gelbe Kehle fchtoarzlich getoellt.