Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1847
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 312
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der Säugethiere
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Iciugcthierc.
Ueittite'Dtdnuitg.
Eigenthutitlichkeiten von sener so verfchieben, bah man
vorgeschlagen hat, aus ihnen eine elgene Gattung zn
dilden (Skelett Fig.863.). Sle entbehren den Moschus-
beutel, haben eine sehr lange, zugefpitzie Schnauze und mei-
stens Afrerzehen mit kegelformigen, spitzigen Hiifen. Zu
ihnen gehoren die kleinsten aller Wiederkauer, die, kauni
groher als Kaninchen, gemeinlich in dichtverwachsenem
Unterholze sich aufhalten und einen felfigen Boden jebem
anderen vorziehen, ubrigens eben so furchtsam als harm-
los sind. Das ceylonische Moschusthier ist nicht, wie man
ehedem glaubte, aufdie Insel, nach welcher es genannt ist,
ausschliehlich beschrankt, sondern komnrt auch in Java
und selbst in Indien vor, wo eS von Sykes aus den roest-
lichen Ghauts, nie aber aus den Ebenen nod) anherhalb der
Walder in Menge angetroffen wurde. ES weicht durch
Mangel an Afterklauen von den Verwandten ab, ist von
olivengrauer Farbung, an den Seiten und Husten weih
gestreift und gesteckt, Hat lange, eisonnige Ohren, sehr
dunne Fuhe und miht 1 Fuh 5Zoll in der Lange, 8Zoll in
der Hohe. Nach Sykes' Berichte wird es inder Gefangen-
schast bald ganz zahm und hat wohlschmeckendes Fleisch.
3. Das javanischc Moschusthier. (Mosehus javanicus.) Sig. 808.
Die Zahl und Charakteristik der kleinen, aus Java
und Sumatra Heimischen Moschusthiere scheint noch im-
mer der Ausklarung zu bedurfen; Bennett, der sie lebend
untersuchte, will nur drei Arten anerfennen ,. unter ivel-
chen die gemeine javanische oder der Napu in ihren Spiel-
arten vielfach falsch gedentet worden sein soll. Andere
Zoologen nehmen mehr Arten an und dursten roohl die
richtigere Anstcht haben. Der in atten Sammlungen ge-
meine, in Menagerien nicht seltene und in Java als Haus-
thier gehaltene Napu ubertrifft die Berwandteu etwas in
Grohe, indem er ziemlich zwei Fuh lang wird und sonach
einem ausgewachsenen Haasen toenig nachgiebt. Er steht
vorn bedeutend niedriger als Hinten, hat den cylindri-
schen Rumpf und die dunnen Fuhe der Gattung, spitzige
Ohren und Schnauze, die beide unbehaart sind, grohe,
schwarze Augen und lange, schmale Huse. Oben ist er
rostroth, schtoarz gesprenkelt, am Halse dunkelbraun,
unlen reintoeih, an den Seiten des Kopses und dem
Hintertheile fahlgelb. Drei an der Kinnspitze beginnende
tveihe Streifen laufen, nach unten breiter toerdend, bis
aus die Brust; sie sind durch schtoarzbraune Stellen ge-
schieden und bilden aus der Brust eine Art von sternfor-
miger Zeichnung. Der kurze, flockige, unten toeihe
Schtoanz toird ausrechc getragen. Der Napu lebt zahl-
reich in ben felsigen Kustenlanbern von Java und Su-
matra und nahrt sich mehr von Fruchten als von Gras;
die Beeren einer dort Haufigen Ardisia soll er jedenr an-
deren Futter vorziehen. Die dichten, Hochstammigen Ur-
roalber des Jnneren vermeidet er, toeil er, toeniger schnell
als der Kantschitt, dort viel leichter den grohen Raubthie-
ren zur Bente toerden rourbe, als in dem bis aus den
Boden Herab vertoachsenen Buschivalde der Strandge-
genden. Wahrscheinlich giebt ihm die Nahe menschlicher
Niederlassungen das Gesuhl groherer Sicherheit, denn
im Gegensatze zu ahnlichen roehrlosen Thieren zieht er
sich ost in betoohntere Gegenden, verbirgt sich aber immer
in felsigen Dickichten. Sein grohes, schtoarzes Auge giebt
ihm das Ansehen einer Hoheren Jntelligeirz, bie er aber
burchaus nicht besitzt unb selbst in ber Gesangenschaft,
an bie er sich leicht unb schnell getoohnt, nie verrath.
Er verbringl sein Leben mit Fressen unb Schlafeir, ver-
birgt sich am Tage, geht bes Nachts aus, entfernt sich
aber nie sehr toeit von seinem Lagerplatze unb ist unge-
mein furchtsam. Seine Stimme ist so schrvach, bah sie
kaunr lauter als eine geroohnliche Ausathmung klingt,
ber Gang schtoerfattig unb ungeschickr. Die ganze Phy-
siognomie bes Napu erinnert an bie Aguti's.
4. Das Kantschil-Moschasthicr. (Mosehus Kantschil.) Sig. 869.
Der Kantschil ist kleiner, leichter gebauet, aber auch
lebhaster als ber Napu, mit rvelchem er bas Vaterlanb
theilt. Abgesehen von ber Statur, ist er von jenem un-
terscheibbar burch attgemeine bunklere Farbung, einen
schtoarzen, ben Natten enrlang laufenben Streifen unb
eine toeihe Binbe uber bie Brust. 9(tte Vertoandten
ubertrifft er burch Ruhrigkeit, Entschlossenheit unb List;
burch bie letztere giebt er ben Lanbleuteii Java's einen
unerschopstichen Gegenstanb ber Unterhaltung. Er furch-
tet ben Aufenthalt in Urtoalbern nicht, to o grohe Katz,en-
arten hausen, unb toeih sich ihren Verfolgnngen eben
so geschittt zu entziehen, als ben fast noch gefahrlicheren
Nachstellnngen bes Menschen. Aiit Geistesgegentoart
benutzt er jebeii Nmstanb, ber ihm im Angenblitte ber
Gesahr Rettung verspricht, unb hat mit inanchen Kasern
bie List gentein, sich, toenn Entkommen untnoglich ist,
tobt zu stetten. Jn Schlingen ober Fallen gefangen, liegt
er regungslos ba, springt aber plotzlich aus unb ver-
schtoinbet im Gebusche, toenn ber mit jetter Verstettnng
nicht vertranete Jager ihn ohne toeitere Vorflcht be-
freiet. Auch toirb erzahlt, bah er, von Hunben verfolgt,
hoch emporspringe unb sich mit seinen langen Ettzahnen an
einem Baumaste aushange, bis bie Gesahr voruber set
unb ber Feinb bie Spur verloren hade. Wie Raffles
versichert, glauben bie Malaien einen recht burchiriebe-
nen Betruger nicht besser bezeichnett zu tonnen, als ba-
burch, bah sie ihn „fur so listig tvie ein Kantschil" erkla-
ren. Mehreres mag in bieser Sittenschilberung ubertrie-
ben sein, unb namentlich ist bie Springsertigkeit in Zroei-
fel zu ziehett, ba sie bei schtoerem Korper unb sehr bt'ttt-
nett Fnheit nicht bestehen kann, inbeffen gehoren Auf-
merksamkeit, List unb Schnettigkeit jebenfatts zu ben
auszeichnenben Eigenschaften bes Kantschil.
Zur Gattung Moschus hat titan ehebetn manche ganz
srembartige Thiere gezahlt, z. B. bie Ztvergantilope vom
Senegal (Antilope pygmaea) ober bie Jungen von Hir-
schett unb von Antilopen, bie man fur attsgetoachsette
Thiere gehalten hat. Ein Paar angeblich amerikanische,
von Lintte aufgeftthrie ttttb Gmelin's afrikanische soge-
naitnte Moschus stub aus solchen Jrrihumern entstan-
bett. 91(8 sonberbare Austtahme ber Regeltt geographi-
scher Verbreitung Hat iitatt in ben letzten Jahrett auch
in Afrika eine Art dieser sonst ganz astatischen Gattung
entdettt, das Wasser-Moschusihier (M. aquaticus)
Ogilby's, welches in ber Gegettb von Sierra Leotta bie
Nfer ber Flusse betoohnt, ber ceylonischen Memittna
sehr ahnlich ist unb Hittsichilich ber Grohe ztoischen bieser
unb bent achiett Moschusthiere steht. Es ist im Allge-
nteinen von sehr buitkelbrauner Farbe, hat toeihe Flek-
kett unb Zeichnungett wie bie eeylonische 'Art, zugleich
aber, tvie ber Napu unb Kantschil, sternformige Strei-
fett an ber Brust unb bem Kintte.
Zweite Familie.
Geweihe tragende Wiederkauer.
V. Hirsch. (Cervus.)
Gattungscharakter: Ettzahne keine ober nur
int Oberkiefer, klein, nicht vorragenb, sehr felten groh.
Battenzahne sechs uberall, engstehenb. Knochige, jahr-
lichem Wechsel uiitertoorfene, meistens astige Getoeihe,
bie ben Weibchett ofters fehlen. Fuhe ztoeihufig, vier-
zehig; bie Vorberzehett aiiftretenb, bie Afterzehen Hoch-
stehettb, kleitt. Schtoanz sehr kitrz.
Die bei tveitem groftte Zahl ber Wieberkauer tragt
an ber Stirn knochige Bilbungen, roelche meistens furcht-
bare Waffen abgebett, im geuteincit Leben schott als Ge-
toeihe unb Hortter unterschieben toerbett unb Hinsichilich
ihres anatomischen Charakters unb Entroittelungspro-
cesses sehr von einanber abtoeichen. Getoeihe, bie in ber
Familie ber Hirsche tiiemals bem reisen Manncheti fehlen,
bei einigett Arten (z. B. Rennthier) auch bem Weib-
chett verliehen sitib, unterscheiben sich von Hornern vor
Alletit baburdt, bah fte nicht bestanbig ftnb, fonbertt
jahrlich ein Mal abgeroorfen unb toieber erfetzt toerben
unit babei eine getoiffe charakteristifche Vergroherung
erfahren. Sie sitib nicht unmittelbar bem Stirnbeine an-
gewachfen, fottbern stehett attf einem von ber behaarieti
Kopfhaut umfchloffenen festen, intoenbig nicht Hohlen
Knochenzapfen, bem fogenannten Rofenstotte (Fig. 870.
871"), ber mit bem Stirnbeine einen festen Korper bil-
bel unb aus ber Mitte beffelben entfpringt. Das erste
Getoeihe erhalt bas junge Thier im ztoeiten Lebensjahre
unb ztvar in unseren Klimaten im Fruhlinge. Die be-
ginnenbe Bilbung toirb angebeutet burch 9lnschtoettuttg
ber bie Stirnzapfen bebettenben Haut; bie an biesem
Orte verlaufenben Pulsabern erlangen einen groheren
Durchmesser, starke Bluttvetten brangen nach bem Kopfe,
unb im gattzen Korper tritt Erregung ein. Das junge
Getoeih sproht enblich hervor, toeil bie uber bie Krone
bes Stirnzapfens verztoeigtetl Pulsabern mit groher
Schnelle unb ohne Unterbrechung Schichten von Ktto-
chenstoff absetzen. Das nette Gebilbe erscheint mit einer
bunnbehaarten Haut umkleibet, bie keine eigentliche Fort-
setzung ber Kopfhaut ist, fottbern toesentlich aus einem
bichten Getoebe theiltveis sehr attfehnlicher Blutgefahe
besteht, beren Spurett man in ben rinttenformigeit Ver-
tiefuiigen bes reifen Getoeihes erkennt.. Im gemeinen
Leben nennt man biefett gefahreichen, ber Verganglichkeit
untertoorfenen Ueberzug Bast. Das Wachsthum schrei-
tet fo schnell vortoarts, bah ein 36 Zoll hohes unb 15
Pfiitib schmeres Hirschgetoeih in 10 Wochen Vottenbet
toirb, also taglich einen halben Zoll zunimmt. Hat
bieses bie bem Alter bes Thieres entsprechenbe Grohe
erreicht, so muh es, um zur starken Waffe zu toerbett,
bie aus bem blutreichen Baste entstehenbe Verletzbarkeit
unb Enipfinblichkeit verlieren unb zutn narften, Harten
Knochen sich umgestalten. Die ben Bast ausmachenben
Gefahe beginnen ntitt an ber Stelle, tvo ber attezeit mit
ber Kopfhaut bebettte Stirnzapfen in bas Getoeih uber-
geht, Kitochettttiasse auszuschroitzett, bie einen Ring von
unregelmahigen Hottertt (Fig. 870.871b), ber sogenann-
ten Perlenkrone, um bie Wurzel bes Getoeihes bilbett..
Die Blutgefahe liegett in ben Bertiefungen ztoischen bie-
sen Hottertt unb fahrett in ihrer aussvnbernben Thatig-
teit fort, bis ber Rautti immer enger toirb unb sie zttletzt
eine Zusamtnenbritttung erleiben, bie, einer Unterbinbung
gleich, ben Blutlauf aufhebt. Jnbettt ber Bast nicht fer-
ner erttahri toirb, ttttth er nothroenbig eintrottnen ;■ er
lost sich enblich, tvie bie Oberrinbe eines Baumstammes,
in Streifen unb Fetzett ab unb toirb vom Thiere selbst
entfernt burch fogenanttteS Fegen, b. H. burch Reibett
bes Getoeihes an Felsen ober Baumett. Enblich steht
bas nette Getoeih als vollig unbekleibeter, toeiher Ktto-
chett ba, toirb vom Hirfche mit unverkennbarem Stolze
getragen unb itit Gefechte muthig angetoenbet. Da aber
ztoischen ihm unb ben Stirnzapfen keine attbere als eine
ntechanische Verbinbung stattfinbet, so ist es zutn tobteti
Theile geroorven ittib toirb baher, wie jebes abgestorbene
Organ, mit ber Zeit vom lebenben Korper abgestohen.
Jtit nachsten Fruhjahre enttoittelt sich ein Proeeh ber
Aussaugung, ber biejenige Stelle ergreift, roo ber Rosen-
stott mit bem Stirnzapfen zitsamtitetthattgl, ttttb bas Lotter-
roerbett bes Geroeihes nach sich zieht. Dieses fattt min
entroeber burch eigettes Gelvicht, ober tvirb vom Hirsche
burch absichtliches Anrennen abgebrochen. Die blohge-
legte Krone bes Rosenstottes blutet ztvar etroas, uber-
zieht sich aber balb mit einer buntten Haut. Von Neueitt
entroittelt sich nach einiger Zeit jette Thatigkeit, roelche
bas Getoeih Hervorbringt, und in Folge berselben roirb
bas abgeroorfene tiach einigett Monaten toieber ersetzt,
jeboch groper unb attbers gestaltet sein. Das erste Ge-
toeih bes jungen Hirsches, ber sogenannte Spieh, ift
gerabe, kurz, spitzig unb vhtte Aeste, bie Ersatzgeroeihe
ber folgenben Jahre erhalten aber Aeste (Sproffen) in
regeltitahig zunehtnettber, also bas' Alter bes Thieres
anbeutenber Zahl unb in ber Richtung unb Fornt, roelche
jeber Species eigenthunilich ist. Der erste Ast steht zu-
unterst, ist gemeinlich nach vorn gerichtet unb heiht bir
Augensprosse (Fig. 870. 871°); er entroittelt sich beim
zroeiten Geroeihroechsel; bistoeilen zeigen sich zugleich
ein bis ztoei sehr kurze, hoher stehenbe Aeste. Das britte