Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band

Wieberkauer. SnugetHiere. 245 I Ausrotlung bes Riefenhirfches in eine weit fpatere Zeit falle, als man gemeinhin annimmi. Gestutzt ausben oben erwahnten Funb von Tobtenurnen unb Hirfchknochen, glaubt Golbsuh, bah ber Riefenhirfch noch zu Ansange beg Mittelalters in Dentschlanb gelebt habe, unb suhrt einen Vers bes altberuhmten Nibelungenliebes an, too Helb Siegfrieb unter anberen Thieren auch einen „grim- men Schelch" erlegt, ein Name, ben man auf ben Rie- fenhirsch bezogen hat. Hibert in Schottlanb unb Wea- ver in Englanb sinb fpater, unb burch ahnliche Grunbe veranlafit, mit Golbfuh zu gleichen Ansichten gelangt. Wahrscheittlich sinb aitch bie ben Alten nur bem Horen- sagen nach dekannten Machli's nichts Anberes, als fene verfchtounbenen Nrhirsche bes norblichen Europa. Vierte Gruppe. Eigentliche Hirsche. Getoeihe brehtunb, vielenbig, mit ztoei bis brei nach vorn gerichteten Sprossen auher ben oberen, eine brei- zackige Krone bilbenben Enben. Thranengruben in bei- ben Gefchlechtern, Eckzåhne int mannlichen. 6. Der Edelhirsch. (Cervus Elaphus.) Fig. 891. 892. 893. Die feit ben fruhesten Zeiten bei ben norbifchen Vol- kern vorherrschenbe Neigung zur Jagb hat nicht allein veranlaht, bah bas grhhte Wilb Europa's vor Ausrot- tung geschutzt toorben, sonbern auch hinsichtlich feiner na- turlicheu Geschichte auherorbentlich bekannt ist. ES giebt toenige Saugethiere, bie bei gleicher Korpergrohe einen eben fo ausgebehnten Verbreiittttgsbezirk haben. Der Hirfch finbet stch mehr ober ntinber zahlreich in allen Lanbern Europa's, Lapplanb ausgenommen, geht von Griechenlanb bis Bergen unb Drontheim, von Spanien burch bie kaukastfchen Lauber bis an ben Battalsee unb felbst bis Japan, Stad) Maahgabe bes Klima's unb bes Futters anbert er in Grohe, Behaarung unb Farbung ab. In Europa burste er felten bie auherfte Granze ber ersteren erreichen, ba er meift atter Orten als gehegtes Jagbthier unter Aufsicht steht unb in ber Regel int besten Alter getobtet toirb; allein in vergangenen Zeiten, als noch Urtoalber einen grohen Theil Europa's uberzogen, entkam er leichter ber Versolgung unb touchs bann zu einer jetzt beifpiellofen Grohe. Die in alten Jagdfchlos- fern unb Sammlungen ausbetoahrten Getoeihe betoeifen biefes. In Wusterhaufen befafi man bas mit 66 Enben verfehene, 535 Psunb toiegenbe Getoeih eines i. I. 1696 von Friebrich I. geschossenen, unb anbertoarts giebt es ahnliche von 28 — 32 Enben. Die kleinfte Statur foll ber korstfche Ebelhirsch haben, ber inbeffen vielleicht eine eigene Art barftelli; nach Pennant ift ber sibirische weit groper als ber getoohnliche europaische. Das Haar i ft ungentein steif unb bruchig; jebes einzelne steht auseinem kurzen, bunnen S.tiele. JmSommerstub bie Ertoachsenen beiber Geschlechter von hellrothbrauner Farbe, toelche um bas Maul Heriint in bas Schtoårzliche, am Hintertheile in bas Gelbliche fållt; int Winter toirb bie Farbung nach unb nach fahl braunlichgrau. Die Jungen (bie Kalber itt ber Jagersprache) sinb in ben ersten Alonaten rothlich- braun unb zu deiben Seiten ber Wirbelsåttle Hellgesleckt. In Englanb sinb bie Hirfche burchgangig etwas rothlicher als auf bem Continente unb meistens burch einen fchtoårz- lichen Ruckenstreis ausgezeichnet, ber inbeffen auch an ben beiltfchen vorkOmint. Månnliche Jnbivibuen toerben mit ber Zeit immer bunkler, erhalten enblich eine Hals- unb Brustmåhne unb heihen bann Branbhirfche; in ben Ar- bennen fennt man eine int Winter fast schtoårzliche Spiel- art, unb silbergraue, stark gesteckte ober weihliche roerben in Jagdfchristen ofters ertoåhut. Ganz toeihe, eigentliche Albino's roerben gelegentlich in Thiergårten geborett; es Halt inbeffen fchroer, sie als Raffe fortzuerhalten, toeil bie Natur biefe Mihbilbung, eben fo roie ahnliche, gern be- feitigt unb bie reitte Urform roiever Herstettt. Auch an ben Geroeiheit entstehen bisroeilen Mihbilbungen, bie, roenn sie auch nicht erblich sinb, boch bem Jnbivibunm verbleiben unb sich bei jebent Geroeihwechfel roieberholen ober roohl fogar noch zunehmen. Hirfche geroohttlicher fogar nicht einmal einer besonberen Aiifmerkfainkeit tour- digt und bie gewaltigen Geweihe mit achi irischer Lie- derlichkeit zur Schliehung von vucke^ in Hecken und zur Versperrung von Startoffituitgen angewendet hat. In Frankreich, Dentschlanb und fogar in Italien kommen sie in benselben Schichten mit Elephaittenknochett vor. In Irland fcheint der Riefenhirfch stch am Langsten er- Halten zn haben und Hausiger als in allen anderen Lan- dern gewefen zn fein, indefsen findet man auch dort Hocbst felten ganze Skelette, fondern in der Regel nur Bruch- stucke des "Schabels mit den Geweihen und daneben un- ordentliche Haufen vereinzelter Knochen. Gemeinlich liegen sie in einer Mergelschicht, die auf einer Thonschichi ruht und mit dicken Torflagern bedeckt ift , und sind nie- mals mit den Knochen anderer Thierarten vermengt. Die weuigen vollftandigen Skelette, welche man besttzt, defanden sich in ben angegebenen Verhaltniffen. Das schonste ist in ber Sammlung ber koniglicheii Gefeltfchaft in Dublin aufgestellt unb von Hart umstanblich beschrie- ben worben (Sig. 814.); ein anberes stehl in Ebinburg. Da ihm nicht ein einziger Knochen fehlt, ist es moglich gewefen, bie Maafie zu erlangen unb ben Beweis zu fuhren, bap es einer nicht allein bnrch Grofie, fonbern auch burch manche anbere Kennzeichen beutlich unier- fchiebenen eigenen Art angehort hade, bie jetzt ganz erlo- fchen ist, aber die ubrigen Hirfche der llrwelt geraume Zeit uberlebt haben muh. Die Lange betragt von ber Nafe bis zu den ersten Schwanzwirbeln 11 Fuh 19 Zvll (englifch), die Hohe in ber Alitte bes Ruckens 6V2 Fuh; bie Enben ber Geweihe stehen 9 Fuh von ein- anber. Das einzelne Getoeih (Fig. 871. 888.) ist fechs Fuh lang unb von bemjenigen bes amerikanifchen Elenn (Fig. 872.) in ber Bilbung bes unteren Enbes wesentlich verfchieben. Ueber bie Sitten biefer erloschenen 2(rt kann man allein Bermuthungen aufstellen. Sie muh burch bie Grohe unb seilliche Richtung ber erftaunlich toeTt abstehenben Getoeihe verhinbert toorben fein, sich in bich- ten Walbern aufzuhalten, unb hat toahrscheinlich bie vffenen, Huglichen unb mit Haibekraut uberzogenen, fpa- ter mit Torsschichten uberbeckren Gegenben bewohnt, bie einen grohen Theil der Oberstache bes Heutigen Irlands ausmachen unb in ber llrzeit reichlicheres Futter barge- boten haben mogen. Jm Besttze furchibarer Geweihe unb inr offenen Lanbe hat biefer Hirfch bie Angriffe ber gleichzeitig lebenben Hhanen unb grohen Wolse nicht zu furchten gehabt unb vielleicht nur int Menschen, ber ohne Zweifel mit ihm biefelben Gegenben bewohnte, einen gefahrlichen Feinb erkannt. Man hat in Dentich- lanb unfern Emmerich im Jahre 1800 in bemfelben Raume steinerne Beile, Urnen mit Menichenknochen mnb Schabel bes Riesenhirsches aufgefunben, unb eine Grafin Moira befchrieb in einem auf ben Urzuftanb ber britifchen Jnfeln bezuglichen Werke bie Entbeckung eines Menichen- korpers, ber in einer Kiefelfchicht, aber mit elf Fuh mach- tigem Torfe uberbeckt lag, von Tvrfmasfer burchbrun- gen ber Zerstorung wiberstanben hatte unb in ein grobes, aus bem Haar bes Riefenhirfches gewebtes Zeug eingehulli war. Noch uberzeugenber ist ber Umstanb, bah man in Dublin, neben bem fofftlen Skelett, bie Rippe eines Rie- fenhirfches bewahrt, bie unverkennbar burch ein fcharfes Werkzeu Verletzt ist, welches lang ein ber Wunbe zuruckge- blieben fein muh, in beffen nicht tief genug eingebrungen war, um ben lob herbeizufuhren. Die Knochennarbe gleichtberjenigen, bie eine Pfeilfpitze hervorbringen wurbe. Dnrchaus unbeantwortbar ist aber bie Frage nach ben Urfachen unb ber Petiobe bes Aussterbens jener gropen Gefchopfe. Btan weih nicht, ob irgenb ein grohes Na- turereignih ben ganzen Stamm mit einem Male aus- tilgte, ob bas Aussterben ein langfames gewefen ober vielleicht burch ben Menfchen herbeigefuhrt worben fei, ber nberall, fobalb er an Zahl unb Civilisation zunahm, aus bie hohere Thierwelt ben machtigsten Einfluh ans- geubt hat. Fast fcheint es, als ob bie letztere Vermuthung bie gropte Wahrscheinlichkeit fur sich habe unb baher bie Art nteffen in ber Lange 6 Fuh, in ber Hohe an ben Schultern 3^ Fuh, am Krettze 3^ Fuh unb roiegen 300 — 400 Psunb. Fur ausgeroachsen halt man in Deutschland die achtjahrigen, fur jagdbar fchon bie sie- benjåhrigen. Sie forten 30 — 40 Jahre alt roerben kou- nen, too fte ungestort leben; fchtoerlich bringen sie in Deutfchlanb i hr Alter uber 20 Jahre. Die Alten schrei» ben ihnen eine tounberbare Lebensbauer zu unb ver- mengen uberhaupt ihre Gefchichte mit einer Alenge von Fabeln. Von getoeihtragenben Hirschkuhen, bie eben- satts von Schriftstettern fruherer Zeiten ertoahnt roer- ben, fennt man gegentoårtig keitt Beispiel. Jhre Brunst- zeit beginni in Deutfchlanb int September, bauert gegett fechs Wochett unb verroanbelt sie aus furchifamett unb gulmuthigett Thieren in bosartige, bie sich bie erbittert- stett Kampse liefern, sich enifchloffen gegen ben Men- schett kehren unb ihre Aufregung burch weittonenbes, rauhes Geschrei verrathen. Die Weibchen (Hinbinnen) tragen 40 — 42 Wochen unb roersen int Mai ein eitt- ziges Junges, roelches ein vortes Jahr gefaugt roirb unb fchon int August bie Anfatze bes kuttstigett Getoeihes zeigt. Beibe Gefchlechter besitzett fcharse Sinne, entbecken inbeffen ihren Feinb mehr burch Gehor unb Witterung als burch Gesicht. Sie sinb neugierig, fuchen bie Ver- solger burch manche, ost recht seine List zu tåufchen, lan- sen mit groher Schnelligkeit, fchroimmen gut unb fprin- gen, ohne roeiten Attlaus zu nehnten, uber fehr hohe Zåttne ober anbere Hinberniffe. Zuttt Lager unb nåchtli- chen Ausenthalte roahlen sie bie bichtesten Walber, kom- men aber Morgens unb Abetibs Heratts, um aus offenen Triften ober angebauten Felbern zu roeiben. Jm Som- mer mangelt es ihnen nicht an reichlicher Nahrung, int Winter sehen sie sich aus Haibekraut unb bie roenigen immer grutten Busche bes Norbens, z.B. ben Brontbeer- strauch (Kubus fruticosus), aus Baumknospen u. f. ro. beschrankt unb muffen, roo sie in Menge vorhanben sinb und burch Wilbzaune vom Befuche ber Saatfelber abgehalten roerben, regelmåhig gefuttert roetben. Sie geroohnen sich bann, zu beftimmten Stunbeii ober aus ein gegebenes Zeichen dem Futterungsorte zuzueilen, und ver- lierett arte Scheu vor ben Menfchen. lleberhaupt sinb Hirsche leicht zu zahtneti unb foroohl itn Alterthnme als auch in neueren Zeiten o fintalS zuttt Wagenzieheit abgerichiet roorben. Dem Ackerbaue fugen fte vielen Olach- theil zn und roerben baher itt arten gut regierten Latt- bertt eingeschlvfseit gehalfett. Die grohien Zahlett sieht man in Schottlanb auf ben Lanbereien ber Herzoge von Aliholl unb Gorbott, roo stch bisroeilen Heerben von ein- taufenb Stuck zufammenfinben. Dieser nach beutfchen Begrissen fabelhaft grofie Bestattb ist glucklicherweise Niemanb nachtheilig, inbettt bie langgestreckten, nur mit Haivekraut betoachsetteit Bergketten zur Cultur unbrauch- bar sinb unb oft auf zroanzig englische Meilen Entfer- nitttg nicht eine mettschliche Wohnung enthalten. Der Nutzett bes Ebelroilbs ist anbererseits nicht in Zweisel zu ziehett, inbettt es Fleisch, Talg, Fell, Leber, Haare unb Getoeihe liefert unb bei richtiger Behanblung auch in sehr ratthen Klimaten leicht vermehrt unb erhalten toirb. 7. Der camidische Hirsch. (Cervus canadensis.) Fig. 894. 895. Der norbamerikanische Reprasentant unseres Ebel- hirsches ist nicht nur groper, schroerer, starker gebauet unb mit befonbers dicketn unb krastvollem Halse verfehen, sonbern auch von viel mehr bunkler Farbung ttttb zutttal burch bie Form seines Getoeihes ausgezeichnet. Diefes erreicht eine attherorbentliche Grohe, toirb gegen 6 Fuh lang, hat viele Enben, eine gegabelte Krone (Fig. 895) unb toiegt 52 — 54 Psunb. Es kann bem sehr zorittttu- thigeit unb reizbaren Hirsche als furchtbare Waffe bienen; in ber Menagerie ber lonboner zvologischen Gefellschatt bohrte ein solcher in plotzlicher ubler Laittte bas Getoeih in eine mit ihm zusammengesperrte Hirschkuh desselben Species, hob sie empor unb toars sie tobt zu Boben. In Caitaba ist biefer Hirsch unter bem Narnett Wapiti be- kannt, geht nicht norblich fiber ben 570 b. Br. Hitiatts