Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1847
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 312
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der Säugethiere
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250
S'augcthikre.
Ileunte (Ord nung.
Zehnte Gruppe. Moschusthier-Hirsche.
Getveih auf ungemein langem, mit behaartem Felle be-
kleibeten Rosenstocke, kurz, mit einem einzigen Ende
(Augensprofse). Bocke mit langen Eckzahnen. Tiefe
Thranengruben.
14 Der Muntjac.Hirsch. (Cervus Muntjac.) gig. 903. 904.
Das unterscheidendste Keuuzeichett dieser nur in Indien
Heimischen Gruppe besteht in der sonst nirgends weiter
vorkommenden Bildung der Geweihe, die wenig langer
sind als die stielformig weit vorragenden Rosenstocke,
welche aus einer vor dem Thranenroinkel des Auges eni-
springenden und schies anfroarts steigenden, bent Schabel
dreieckige Umrisse verleihenben Knochengrale stehen und
flach nach hinten geneigt sind. (Schadel des Muntjac
Fig. 904.) Durch jenen Knochenranb wird jederseits eine
spaltsorntige, aber tie^ Thranengrube gebildet, die mit-
tels einer Hautfalte nach Willkuhr geofsnet und geschlos-
sen werden tamt und ossenbar von drustger Beschafsen-
Heit ist. Die Weibchen Haben anstalt der ihnen allezeit
mangelnden Geweihe oberhalb der Augen zwei mit star-
lem Borstenhaar bedeckte, an Augenbrauen erinnernde
Erhhhungen, bisweileu eine mit dichtem, groben, dunk-
leren Haar bewachseue Stelle, die wie eine Kappe oder
eine Maske die Stirn bedeckt, weit Hinab als Doppelfalte
sich verlangert und oberhalb ven Augen zu Brauen an-
schwiltt. Die Stange der Geweihe lauft mit dem Rosen-
stocke in derselben Richtung und ist mit demselben bttrch
einen Kranz von kaum bemerkbaren und unter dem Haar
verborgenen Unebenheiten oder sogenannten Perlen ver-
bunden, wird aber auch nur einmal im Leben abgewar-
fen. Sie ist nicht genau drehrund, bisweilen etwas ge-
furcht, gegen 4 Zoll lang, leicht nach Dorit und aithen
gekruinmt und tragt eine einzige kurze, in verschiedene
Jndividuen etwas variirende Augensprosse von 1 — tVs
Zoll Lange. Die in diese Gruppe gehorenben Thiere
sind mit wenigen Ausnahmen unvollkommen bekannt.
Hamilton Smith zahlt allerdings stuts Arten auf, W0-
von jedoch zwei bis drei sehr in Zweifel zu ziehen sein
mochten. Sie sind alle in Indien zu Haus. Die am Be-
sten bekannte Art ist bie javanische, ber eigentliche Munt-
jac, ber bas gemeine Reh etwas an Grohe ubertrifst.
Auf bent Gesichte besselben, um bie Nasenlocher unb auf
Unterlippe unb Kinn, stehen bunnverstreuete, zarte Bor-
sten. Die Ohren sinb von Mittelgrohe unb inwenbig
mit reihenweis gestellten, zlanzenb weihen Haaren eitige-
fasit. Das Gestcht ist mit zwei schwarzen Streifen ge-
zeichnet, welche bie Richtung ber bie Rosenstocke tragen-
bett Knochenleisten anbeuten unb bis zuin obetett Enbe
ber ersteren reichen. Die obett tttehr ober minber roth-
braune Farbung zieht bei einzelnen in bas Gelbe, wirb
gegen ben Battch unb bie Jnnenseite ber Oderschen-
kel immer bleicher unb zuletzt gattz weih. Der nittere
Theil ber Ftthe ist immer viel bunkler als ber tibrige
Korper, oft sogar schwarzlich. Es leibet nbrigens leitten
Zweifel, bah bie Farde je nach ber Jahreszeit bent Wech-
sel unterworfen ist; in'Java ist bas Weibchen stets weit
bunkler als bas Mannchen; bie vier Zitzen besselben
stehen im Vierecke. Beibe Geschlechter haben einen kur-
zen, etwas breiten Schwanz, ber Hochstens 7 Zoll Lange
erreicht. Die vott ben anberen inbischen Juseln^ebrachten
Eremplare weichen als Spielarten in ber Foling bis-
weilen nicht tvenig ab. Der javanische Mu^jak bewohnt
ntahig hohe, von Bergreihen unb Thalern burchschnittene
Gegenben unb vermeibet flache Ebenett unb vor Allem
bie sumpfigen Niebernngen unt bie Fluhmnnbungen ber
Kuste. Er zieht Laubschaftett vor, wo Wa^er mit offe-
nett, an Grasarten unb Halbstrauchen *i^tt Flachen
wechseln. 3unt Jutter soll er gewisse gesMz Wfhsenbe
Pflanzen (Saccharum spicatum unb PhyliimtmisEmblica)
Wahlett, besonbers aber ben tnalvenarltgen Gewachsen
sehr nachstellen. Er wirb von Eingeborenen unb Ettro-
paern Haufig gejagt, flieht mit groher Schnelligkeit, be-
schreibt aber in ber Regel Kreise, bie ihn fruher ober
spater wieber zu seittem verlassenen Lager zurucksnhren.
Man erzahlt allgemein, bah er, burd; anhaltenbe Berfol-
gttng geangstigt, ben Kops unb Borberleib in irgenb eine
bicht verwachsene Pflanzengruppe verberge unb in ber
Meinnng, unsichtbar zu sein, ben Jager gattz ruhig Her-
ankommen lasse. Gejagt tvirb er mit ben oben (S. 67)
beschriebenen Pariah-Hunben, bie tttatt zu biesetn Zwecke
in Menten Halt unb besonbers adrichtet; in bie Enge
getrieben, leistet er ben Hnnben gemeinlich tapferen Wi-
berstanb, verwunbet stets mehrere unb tobtet nicht selten
einen unb ben anberen baburch, bah er ihnen ben Banch
mit seinen weit vorstehenben, sehr spitzen Eckzahnen anf-
schlitzt. Bisweilen wirb er im Kreise umjieKt unb bttrch
ein bettt enropaischen ahnliches Kesseltreiben eingeengt,
jeboch nicht geschofsen, fonbern von ben Jagern, bie auf
wohlbresstrten Pferben mit blinber Leibenschaft ttber jebes
Hinberuih Hittwegsturmen, mit langen Schwertern erlegt.
Solche Jagben sinb ber Oertlichkeit tvegen nicht ohne
Gefahr, bilben aber ein Hauptvergnugen ber eingebore-
nett Furstett. Geringere stellett bem Muntjac Schlingett
unb Fallen unb tobten nicht unbebentenbe Zahlett, bie,
roenn man sie mit benjenigen zusainmenrechnet, bie ben
listigen Katzett unb anberen groheit Randthieren bes
Lanbes zum Opfer fallen mogen, zu einem Schlusse auf
bie bebeittenbe Verbreitiiiig jetter Hirschart berechtigen.
Drille Familie.
Gehornte Wiederkaner.
Die letzte Abtheilung ber Wieberkaner umfaht alle
biejenigen Gattungen, bie mit eigentlichen Hornern ver-
sehett sinb. Diese bestehen aus Stiritzapfen ober knochi-
gen Verlaitgerungett bes Stirnbeines, bie iuroenbig zum
Theil hohl ober zellig, uach atthen mit einer undehaarten,
je nach ben Gattungen unb Arten anherorbentlich viel-
gestaltigen Hornscheibe roie mit einem Futteral nberzvgen
sinb. Der Bilbungsproceh bes Hornes ist bemjenigen
bes Geroeihes gerabe entgegengesetzt. Llttt Horuertragen-
bett Wieberkaner entroickelt sich niemals gegen bie Spitze
bes Stirnzapfens jeue Thatigkeit, welche bas Geweih er-
zengt; bie Hans, welche benselbett umgiebt, bleibt nicht
in ihrer ganzen Lange lebettb unb organisch wie biejenige
bes Rosettstockes am Hirschkopse, sonbern sie trocknet ein
wie ber Bast bes Hirschgeweihes, aber an ber Basis
wirb sie bttrch Gesahe ernahrt, wachst baher fort unb
tvirb zu einem hohlen, scheibettsormigen Korper, ber,
weil er in organischer Berbinbung bleibt, nicht abstirbt
unb nicht abgeworfett zu werbett braucht. Gestalt, Rich-
tuitg unb Grohe ber Horner sinb ttoch weit mauttich-
facher als bei ben Geweihett, unb namentlich giebt bie
artenreiche Gruppe ber Antilopen hiervon ein nterkwur-
biges Beispiel. Sie sinb ziemlich bie einzigen, allerbings
aber auch oft ungemein fnrchtbaren Waffett einer im
Ganzen friebfertigen grohen Familie, tvelche bie zahm-
barstett, bettt Menschen nutzlichsten unb mit ber Cuttttr-
geschichte besselben am Engsten verknupften Sangethiere
in sich schlieht. In ihrer attheren Gestalt unb sogar itt
ber Grohe weichen bie gehornten Wieberkaner so sehr
von einanber ab, bah bie Entwerfung eines allen gerechten
Gesammtbilbes nicht moglich sein kantt, inbessen gleichett
sie sich meistens in Lebensart unb sogar nicht selten in
ihren Sitten. Alle sinb Pflanzen- ttttb Hauptsachlich
Grasfresser, gesellig, weil sich ihnen uberall Nahrung
barbietet ttttb niemals ein Kantpf unt bieselbe nothig
wirb, bttrch Sinttenscharfe gerabe nicht ansgezeichnet, auf
Kosten bes Jutellects mit scharfem Jnstinct ausgerustet,
polygamisch unb, wie alle Thiere, tvelchett bie Selbster-
Haltung leicht wirb, sehr fruchtbar, ztvar nicht burch bie
Zahl ber innerhalb einer gegebenett Zeit von einent Weib-
lichett Jnbivibuum geboretteu Nachkommen, sonbern bttrch
bie itu Verhaltnisse uberwiegenb grohe Mettge bieser
weiblichett Jnbivibuen. Naturgeinah sinb sie ber grohien
Mehrzahl nach Bewohner ber milberen unb baher bettt
Pflanzenwuchse gunstigen Klitttaien, ttttb ttur Einige be-
gnttgen sich mit bettt sparsanten Flitter arktischer Lanber
ober ber hochsten Gebirgsgipfel. In ben Festlanbern
uberwiegen sie burch Artenzahl bie auf Jttseln lirsprt'ing-
lich Heitnische Verwanbte, unb als tvilbe Thiere sittb sie
nachst Slibafrika in Asien am Haufigsten, in Europa in
ber geringsten Zahl vorhanben. Jhre systematische Ein-
theilung hat von jeher ben Zoologen grohe Schwierigkeiten
gemacht, weil sie, abgesehen von auheren, im Wesent-
lichett unbebeutenben Unterschieben, keine Hinreickenb
scharfen Familienkennzeichen barbieten unb zutnal Hin-
pchtlich ihres Knochengebaubes ttur burch Grohettver-
Haltnisse ober sonstige wenig wichtige Abanberungen
gegenseitig unterschieben sinb. Sie erscheinen tvie eine
einjige grohe Familie, bie nach ziemlich einfachen Zeichett
in bie Gruppen ber Ziegenartigen unb ber Ochsen zerfaklt
tverbett kotinte, eine Eintheilung freilich, bie beguent
geittig erscheint, inbessen boch Manches gegen sich Hat.
Wie uberall anberwarts itu Gebiete ber Zoologie Hat
man bei vermehrter Kenntnih ber Arten gefuitben, bah
ttebergange nach tttehr als einer Richtung vorhanben,
also auch hier eine gerablinige Anemanberreihung nicht
ausfuhrbar fet unb bas Jbeal einer naturlichen Anorb-
nttttg in ber Praris sich nicht herstellen lasse. Man muh
zufrieben sein, roenn es gelingt, bie Gruppen so zu stel-
len, bah minbestens zroischen ben einzelnen bie Verdin-
bnitg ber naturlichett, unverkennbar sich barlegettben
Verwanbtschaft entspricht.
I.
Iicgcnartigc Witbcrkaucr.
Horner oft eckig ober mit vorspringenben Ringen
versehen, verschieben gebreht, auf ber Mitte ber Stirn
stehenb. Korperbatt leicht, zierlich, auf Schnelligkeit ttttb
Beroeglichkeit bentenb. Schwanz ttteist kurz, selten schweif-
artig behaart.
VI. Antilope. (Antilope.)
Gattungscharakter: Stiritzapfen solib, ohne
Poren unb inttere Hohlung. Thranengruben meistens
vorhanben. Kinn dartlos. Ohren mittelgroh, zugespitzt.
Fuhe schlank. Zitzen in ben Weichen gelegen, zwei, bis-
weilen vier. Gestalt Hirschartig.
Es rourbe auch bei genauester Vergleichung nicht
moglich sein, eine Sangethiergattung aufzufinben, welche
eine so grohe unb, wie es scheint, fretubartige Mannich-
faltigkeit von Formen begreift als bie Gattung ber Llnti-
lopeu. Man hat biese sonberbare Erscheinung, bie mit
ben sonst so scharfen Unterscheibungen ber neueren Zoolo-
gie in offeubarem Wibersprttche steht, aus ber ungewohn-
lichen Schwierigkeit Herzuleiten, welche ber Auffinbung
gnier Gattungscharaktere i nt vorliegenben Falke entgegen-
steht. Von jeher hat man sich begnugt, akke Hohlhor-
nigen Wieberkaner, bie roeber zu ben Ziegen uoch zu ben
Ochsen gestelkt roerben konnten, ben Antilopen zuznge-
sellett. So lange so roenige Arten bekanut roarett roie
zn Lintté's Zeiten, inochte gegen eine solche Attorbunug
nichts einzntvenben sein, allein jetzt enthalt bas Verzeich-
nih ber Antilopen un 80 Arten unb baher unverkennbare
Uebergangsformen in jette beibett Gattungen, bie sonach
nicht ntehr so scharf getrennt bastehen. Die alte Gattung
ber Antilopen ist beshalb nenerbings viel zersailt worben,
alleitt biese Abtheilungen hatten nicht alle eine scharfe
Prufung aus unb sinb ntehr auf bie Vereinignng ver-
schiebener unroesentlicher Kennzeichen als bie Hervor-
Hebung eines einzelnen roichtigen begrunbet. — Die
Antilopen eroffnen bie Reihe ber hohlhornigen Wieber-
kauer, tveil bie nteisten in Gestalt unb Beroeglichkeit ben
Hirschen verwanbt sinb, eine Gruppe sogar ben Geiveihen
anherlich ahnelnbe Horner besitzk. Die in ihrer allge-
nteinen Beschaffenheit bereits beschriebenen Hortier fehlett
in manchen Arten ber Weibchen, sinb in anberen vorhan-
ben, feltener bent Mannchen sogar in ber Vierzahl ver-
liehen, stehen gemeinlich nahe ttber ben Angen, bieten
Hinsichtlich ber Richtung, Lauge unb Gestalt bie grhhte
Mannichfaltigkeit, bleiben sich aber in berselben Gruppe
ober Untergattung im Allgemeinen gleich. Die Ohren