Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1847
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 312
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der Säugethiere
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Saugethiere.
Elftc Vr-nung.
Elfte Vr-nung.
W altHier e.
Die Walthiere (Walfische, Cetacea) sind aus begreif-
lichen Grunven lange Zeit sur Fische gehalten worden,
benn ihre auhere Gestalt erinnert bei aller Mannichfal-
tigkeit doch allezeit an diejenige des Fisches, und diese
Llehnlichkeit hat selbst die Wissenschaft unserer Tage be-
rfickstchtigt, wenn ste den Walen den Namen von fisch-
sormigen Saugethieren beilegte und somit ihrer Gestalt
in der Phrase gedachte, durch welche der systematische
Charakter der Ordnung bezeichnet wird. Sie athmen
dnrch Lungen, haden warmes Blut, ein vierkammeriges
Herz, sangen ihre Jungen und sind sonach weit entfernt,
dem naturhistorischen Begriffe des Fisches zu entsprechen.
Jhr ganzer Bau ist aus das Leben im Waffer berechnet
und daher, mindestens anherlich, demjenigen gewohn-
licher Saugethiere sehr unahnlich. Unter sich weichen
sie indessen in vielen Einzelnheiten der Organisation
ab und bilden daher keine so narurliche Gruppe wie die
fleischfressenden Raubthiere, die Nager oder die Wieder-
kauer. Zwischen den zwei Familien, der pflanzenfressen-
den und der von thierischer Kost lebenden Walthiere,
den Manatis and Dugongs, den Delphinen und eigent-
lichen Walfischen, desteht eine so grohe Lncke, dah einige
Zoologen die ersteren abgesondert und zn den Pachyder-
men gesellt haben, eine Trennung, durch welche die Wis-
senschaft im Ganzen nichts gewinnt. Alle Wale kommen
durch kegelformige Gestalt des nach hinlen dunner wer-
denden Korpers uberein; der Hals scheint ihnen zu feh-
len, indem der meist grohe Kops ohne Abschnilt in den
Rumpf ubergeht. Lange und Grohe bringen Hierin einen
Unterschied nicht hervor, denn in den allgemeinen Um-
rissen gleichen 60 Fuh lange Wale den kleinsten, kanm
6 Fuh langen »llrteii von Delphin. Eine solche Gestalt,
die Bildnng der vorderen Glieder oder Finnen, und die
riesige Grohe vieler vertragt sich allein mit ver Bestim-
mung juni Leben im Wasser. Thierevon vielen Tausend
Pfund an Gewicht konnten nur in einem so dichten Ele-
mente, nicht aus dem Lande, einen Wohnort finden. Sie
sind eben deshalb anch in dicke Specklagen eingehullt,
durch welche sie speeifische Leichtigkeit erhalten, und die
ihnen im Meere als schlechte Warmeleiter uuentbehrlich
sind, mit glatter oder doch Haarloser Haut bekleidet und
statt der Hinterffihe mit einem Horizontal ausgebreiteten
Schwanze versehen. Das Bedurfnih des Athmens Haben
sie zwar wie alle andere Saugethiere, allein mittels be-
sonderer Einrichtungen kann die Circulation des Blutes
unter Umstanden abgeandert oder doch verlangsamt und
hierdurch das Athmen aus langere Zeit ohne Nachtheil
unterbrochen toerben.
Gehen toir zum Einzelnen uber, so verdient zuerst
bas Knochengebaude (Fig. 1044.1048. 1054. 1059. 1087.)
etwas umstandlichere Erorterung. Die Wirbelsaule ver-
halt sich im Allgemeinen toie bei anderen Saugethieren,
laht aber im Einzelnen die aus das Wasserleben bezfig-
lichen llmanderungen getoahren. Die in der gewohn-
lichen Siebenzahl bei allen, den Lamantin ausgenommen,
vorhandeuen Halstoirbel haben von vorn nach Hinten
einen ungemein kurzen Durchmeffer, der die Kfirze des,
toie erwahnt, anherlich nicht uulerscheidbaren Halses er-
klart. Ein langerer und daher dfinner Hals tofirde an
einem schtoimmenden Thiere mit so grohem Kopfe und
Rumpfe sich nicht vertragen haben. Eben deshalb sind
sogar diese kurzen Wirbel des Halses toenig betoeglich,
bei einigen Arten zum Theil, bei den eigentlichen Wal-
fischen in ihrer ganzen Lange zu einem nach teiner Rich-
tung auSweichenden Korper vertoachsen. Die in Zahl
und Lage gewohnlichen Halsmuskeln entsprechen durch
ungewohnliche Dfinue und Schwache der durch die Noth-
toendigkeit gebotenen Unvollkommenheit der Wirbel.
Hingegen sind die Rfiekenmuskeln um fe entwickelter;
sie befestigen sich an die sehr grohen Rfickenwirbel, die in
der Zahl je nach der Art abandern. Die Schtoanztoirbel,
beren Anfang am Skelett toarum nicht leicht fortzusetzen
ist, weil ben Walen bas Becken fehlt, tragen an ber unte-
ren Seite Fortsatze von ber Gestalt bes Buchstaben V,
an ivelche sich ein besonberes, bie tounberbare Starke
jenes Korpertheiles erklarendes System von Muskeln
anheftet. Der Schtoanz bes gemeinen Walsisches ist uber
20 Fuh breit unb hat gegen 100 Ouabratfuh Oberflache;
er Hebt Bote mit 8 — 10 Mann nicht allein aus bem
Wasser, sonbern schleutoert sie einige Klafter hoch lenk-
recht empor. Das Brustbein verbintoet ansehnliche Breite
mit Kfirze. Die Rippen fallen durch die ungemein starke,
bogensormige Krfimmung auf. Die vorderen Glieder
gleichen zwar im Wesentlichen denjenigen der Sauge-
thiere fiberhaupt, allein sie haben bedeutende Abanderun-
geu im Einzelnen erleiden mfissen, um ihrer Bestimmung
entsprechen zu konnen. Mit dem vom Schwanze aus-
gehenden kraftvollen Schwimmen, dem Ueberwinden des
Widerstanves, welchen das Wasser dem meistens riesigen
Korper entgegensetzt, hatte sich ein verlangerter Arm
nicht vertragen. Grohe Festigkeit deffelben ward erlangt
durch die Verkfirzung ber Knochen des Ober- und llnterar-
mes ; die letzteren sind (ausgenommen am Lamantin) sogar
plattgedrfickt, ungemein verbreitert und mit ihren Kopfen
verwachsen. Die Handwurzelknochen (Carpi) und Mit-
telhandknochen zeigen ahnliche Bildung, und ihre eigent-
liche Lange und Gestalt erhalt die Finne durch die uu-
gewohnlich langen Finger, welche die doppelte, biSweilen
die dreifache Zahl der bei anderen Saugethieren vorhan-
denen Glieder zeigen (Fig. 1060°). Das Schlfiffeldein
fehlt als villig fiberflfissig, und vom Becken sind nur
unbedeutende Anfange vorhanden. ilteuherlich ist die
Finne ungetrennt, mit sehr Harter, meist glatt unliegen-
der Haut fiberzogen und am Lamantin allein am vorde-
ren Rande mit Nageln versehen, welche in der Stellung
ben verborgenen Fingern entsprechen. Zu den Werkzeu-
gen der Bewegung gehort anch eine bei vieleu, jedoch
nicht bei allen Arten vorhandene, mehr dem Schwanze
als dem Kopfe genaherte knorpelige Rfickenflosse, die
von verschiedener Gestalt und mit dem Knochengerfiste
nicht verbunden ist. Sowohl diese Rfickenstosse als die
Norderglieder dienen nur zur Erhaltung des Gleichge-
wichtes im Wasser, nicht zur Fortbewegung, denn ster-
bend fallen die eigentlichen Wale auf die Seite, und im
todten Zustande treiben sie auf dem Rficken liegend um-
Her. Der Hintertheil des Korpers giebt allein die Mittel
zur Fortbewegung, die bei allen kraftig und rasch, bei
Delphinen pfeilschnell und bei verwundeten Walen mit
einer Gewaltsamkeit von Statten geht, welche die Wal-
fischfunger zur grohten Vorsicht zwingt. Die Bewegung
selbst geschieht stohweis oder durch eine Reihe von
Sprungen unter dem Wasser, kann aber anch im Her-
vorspringen aus dem Wasser oder im Untertauchen be-
stehen, welches mit solcher Schnelligkeit und so ununter-
brochen fortgesetzt wird, dah Harpunirte Wale bei ihrem
fast senkrechten Hinabsteigen einige Tausend Fuh der am
Harpun befestigten Leine mit sich nehmen und so rasch
fiber die Rolle reihen, dah man diese, um Entzfindung
durch Reibung zu verhindern, fortwahrend begiehen muh.
Die Lamantine allein vermogen durch ihre Vorderglieder
sich an den Fluhufern bis zur halben Leibeslange Hin-
aufzuhelfen, oder durch eine Art von Kriechen fiber Uu-
tiefen zu gelangen; die anderen Walthiere bleiben Hin-
gegen liegen und finden ihren llutergang, sobald sie durch
irgend einen Zufall in zu staches Waffer gerathen oder
durch die Ebbe zurfickgelaffen werden. Ruhig schwim-
mend ragen Wale mit einem Theile des Kopfes und
Rfickens fiber den Wasserspiegel hervor; die Lage der
Nasenlocher gestattet ihneii in dieser Lage ununterbrochen
zu athmen.
Je nachdem bie Wale Pstanzenfreffend sind oder nicht,
besttzen sie ein verschiedenartiges Gebih oder, als Ersatz
deffelben, die sogenannten Barten. An den ausschliehlich
aus dem Gewachsreich sich nahrenden Lamantinen und
Dugongs sind die Backenzahne entweder mit offener oder
geschlossener Wurzel und mit mehr oder weniger Hockeri-
ger ober gefurchter Krone versehen ; an dem Borkenthiere
gleichen sie aufgelegten Platten, und die Delphine Haben
ungeachtet der grofieu Zahl von Zuhneii nur eine Art,
bie, kegelformig zugespitzt, aus Elfenbein allein bestehen
unb durch Lficken getrenut sind. Die CachalotS erhalten
nur im Unterkiefer Zuhne von eifsrmiger Gestalt und
ganz unbestimmter Zahl; den Walfischen fehlen ste ganz.
Die Zunge erlangt verschiedene Grade der Grohe, nie-
mals aber viele Beweglichkeit. Der Magen ist nicht
minder als das Gebih wesentlichen Abantoerungen unter-
worfen und erscheint in einzelnen Gattungen ebenso zu-
sammengesetzt wie bei den Wiederkauern, bei anderen
von einfacherem Bane. Nur die Lamantine kanen
die am lifer abgeweideten Graser oder Wasserpflanzen;
alle andere Cetaceen verschlingen ihre Nahrung entwe-
der ganz oder Hochstens durch Zufall in Bissen zerlegt,
z. B. wenn der Delphin von einem sehr grohen Fische
ein Stfick abreiht. Walfische verschlucken die Myriaden
von kleineren Weichthieren und Wurmern, die in der
geraumigen Racheuhohle, durch die Barten aufgehalten,
zurfickbleiben, nachdem das Waffer, in welchem sie lebten,
abgeflossen ist. Mit der Bestimmung zum Aufenthalte
im Ocean hangt der Bau der Athmungs- und Circulu-
tionswerkzeuge bei den Cetaceen eng zusammen. Die
Athmung geht an sich nicht sehr schnell von Statten;
Scoresby, dem toir fiberhaupt eine Menge der wichtigsten
Beobachtungen fiber nordische Wale verdanken, sagt
ausdrficklich, dah der gronlaudische Walfisch im ruhigen
Zustande nur vier bis ffinf Aial in der Minute athme.
Die Lungen sind von so bedeutender Grohe, dah sie, ein-
mal vollig angeffillt, schnell toiederholte Erneuerung der
Luft nicht bedfirfen. Einziehung und Ausstohung der
letzteren geschieht durch den sehr hoch und weit nach Hin-
ten den Schadel durchbohrenden Nasenkanal. Eine Ab-
theilung der Cetaceen wirft bei jeder Ausathmung einen
aus offener See sehr weithin sichtbaren Strahl von Was-
ser mit vielem Gerausch empor, ein Umstand, der zu einer
auf Systematik bezfiglichen Theilung der ganzen Familie
Veranlassung gab. Diese Spritzlocher oder besser diese
Stasenlocher steheu nach innen mit zwei sehr weiten, Han-
tigen, unmittelbar unter der Haut gelegenen Sacken in
Verbindung, die nach unten in der Richtung des Nasen-
kanals durch das Wasser absperrende, muskelreiche Klap-
pen geschlossen sind (Fig. 1056. Durchschnitt des Del-
phinkopfes). Der Hintere Theil des Nasenkanals ist mit
Langsmuskeln und Ringmuskeln versehen und offnet sich
gegen den Schlund. Steigt beim Athmen der Kehlkopf
empor, um sich an jener Stelle anzudrficken, so kann die
Luft durch den beschriebenen Weg in die Lungen gelan-
gen, wohin, selbst bei geossnetem Rachen, Wasser nicht
bringen wird. Will der Walfisch das im Rachen enthul-
tene Wasser uustreiben, so entfernt er den Kehlkopf von
ber Gaumenoffnung des Nasenkanals und zwingt jenes
durch Bewegung der Zunge und Zusammenziehung der
oben erwahnten Muskeln zum Eindringen in die oberen
Hautsacke, bie endlich sich ebenfalls verengen und die Er-
scheinung des Ausspritzens hervorbringen. Dieser von
Cuvier aufgestellten Erklarung hat ein neuerer Anatom,
Eschricht, widersprochen ; er halt den Gebrauch des Nasen-
kunals zu den ungeffihrten Zwecken fur unmoglich; An-
dere haben schon frfiher gemeint, dah der weithin sichtbure
Strahl nur aus Dampfen destehe, die in der kalteren
Luft sich verdichten. Nach der gemeinen Erfahrung, zu-
mal aller Walfischfanger, spritzen aber Cetaceen Wirklich
Wasser aus, dem indessen nicht jener sehr fible Geruch
beiwohnt, von welchem alte Berichte sprechen. Die Kor-
perwarme der Cetaceen erreicht die ungemeine Hohe von
42 —44 Centigraden, wahrend die Warme des umgeben-
den Wassers, wenigstens in den Polarmeeren, selbst
im hohen Sommer selten 6 — 8° fibersteigt, im Win-
ter dem Gefrierpunkte nahekommt. Man erklart diese