Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1847
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 312
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der Säugethiere
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Flcischsrcsser. Sauge1Hiere. 63
ganz ungetohhnliche Entdeckungen gemacht iverben, fur
alle Zeit zweifelhast bleiben werden. Dieses Verloren-
gehen beg Stammbaumes einer Thierart beweist bas Hobe
Alterthum unseres eigenen Gefchlechtes, benn eine unitter«
sehbare Reihe von Jahrhunberten inup erforberlich aewesen
fein, uni ben forperlichen Charakter eines ber Cultnr
unterworfenen Thieres bergestalt iimzuanbern, bah bie
sorgfalriaste Prufung jetzt nickit inehr ausreicht, um bie
Frage uber ben Urtypus zu Ibfen. Ein unserem Haus-
Hiinbe unverkennbar ganz venvanbtes, aber int entfchieben
wilben Zustanbe lebenbes Thier ist bis jetzt noch nirgenbs
enibeckt worben, benn ob biejenigen Hunbe ber menschen-
leersten Lanbstriche Jnbiens, von welchen weiterhin bie
Rebe fein ivirb, als wilber Stamni ber gezahmten Ra^e
angesehen iverben burfen, ist noch keinesivegs ansgemacht..
Dieser Mangel beutlich nachweisbarer Abstammung Hat
aus leicht begreiflicheti Grunben bie Naturforscher vielfach
beschaftigen, Unterfuchungen von vielein Umfange, aber
auch mehrere sich entgegenstebenbe Ansichten erzengen
mussen. Man fann biese in zwei Classen bringen. Nach
ber einen Ansicht ist ber Hunb ein Bastarb, nach ber an-
beren ber burch Cultur untgeanberte Nachkomme von wil-
ben, noch jetzt lebenben, ihm naheverwanbten Raubthieren.
Pallas bekannte sich zu ber ersteren Ansicht unb Hielt ben
Hunb flir einen Blenbling, entstanben burch Vermischung
bes Wolfes mit bem Itichfe ober Schakal. Seine Be-
weisgrunbe fanb er in ber auherorbentlicben Veranber-
lichkeit bes Hunbes, mit anberen Worteit in ber Unzahl
Von Rayett unb Spielarten, von welchen manche unter
unsern Augen entstehen, anbere langsam aussterben. Es
ist in ber That nicht zu leugnen, bah Hierin etwas Be-
beutsames liege, benn biejenigen Thiere, beren wilben
Stamin toir noch fennen, toie bas Pferb, Schaaf unb selbst
bas Haushnhn, bie tins sonach Gelegenheit zur Verglei-
thuiig barbieten, beiveifen auf bas Entschiebenste, bah ber
Einsiuh bes Menschen auf ben Urtypus eines Thieres ein-
zuwirfen vermocht habe, bah aber biese Abanberungen
uber geivisse Granzen nie Hinausgehen unb baher nicht
Von unbeschrankter Mannichfaltigfeit sein fennen. Wenn
man ben Hunb in bas Auge fafit, ben Wechsel seiner
auheren Gestalt, bie Hier an ben Wols, bort an ben Fuchs
anstreift, betrachtet, besonbers aber bie Abstufung bes
Jnstinetes bnrch verschiebene Ra^en ertoagt, so suhlt man
sich geneigl, Pallas beiznpflichten unb bie Hunbe, obgleich
sie unter einanber sich fortpstanzen, fur Geschopfe z>i Hal-
len, bie burchaus nicht in geraber Linie von einem einzigen
unb reinen Stamme entsprungen fein • fennen. 3m
Gaiizen Hat biefe erstere Ansicht mehr Anhanger gefunben,
als bie oben erwahnte zweite, welebe ben Haushunb nur
fur einen gezahmten Wolf will gelten laffen unb zum
Beweife sich auf bie Aebnlichkeit bezieht, bie ztoifchen
bem Wolfe unb solchen Hunben befteht, bie seit langer
Zeit in Herrenlofer Verwilberung sich fortpstanzen, wahr-
fcheinlich alfo ben funstlichen, bnrch Cultur entftanbenen
auheren Charafter zum grohten Theile toieber verloren
Haben. Es giebt allerbings zwei in biefer Beziehuiig
Merftoutbige Hnnbearten, ben Dhale in Indien unb ben
Dingo in Neuhollanb, abgefehen von getoiffen, fauni
Halbgezahmteii, unter ben llreintoohnern Norb- unb
Subamerifa's angetroffenen Hunberayen. Man Hal
beobachtet, bah biefe Thiere zwar un verfchiebenen Grabe,
jeboch um fo mehr, je wilber ste sinb, bie burre, fchmach-
lige Gestalt, bie langen Glieber, bie bunne unb spitzige
Schnauze unb bie verhaltnihmahig grope Starfe besitzen,
Welche ben Welf bezeichnen. Auch scheint es nicht be-
beutuiigslos zu fein, bah am Dingo, ber toohl ber toil-
befte aller ungezahmten Hunbe fein burfte, ber Schivanz
ziemlich l'ufchig, alfo bemjenigen bes Wolfes ahnlich ist.
Die Annaherung eines bomesticirten, toieber vertoitberten,
aber stammbaumlosen Thieres an ein unentfchieben toil-
bes Thier verbient immer Beachtung, vorzuglich aber
bann, wenn felhst ber Anatom ztoifchen beiben eine Un-
ahnlichfeit nachziitoeifeli nicht vermag. Wolf unb Hunb
sinb in anatomifcher Beziehuiig, zumal hinsichtlich bes
Kiiochenbaues, ganz gleich, ihre Schabel, abgefehen von
Grohe unb ganz befenberer Raoenbilbung, nicht zu un-
terfcheiben. Einen ferneren Betoeis ber Jbentitat Hat
man noch in bem llmstanbe zu finben gemeint, bah Wolf
unb Hunb sich gefchlechtlich vermifchen, fruchtbare Junge
erzengen unb ganz qleiche Tragezeit (63 Tage) haben.
Dem Eintourfe, bah am Wolfe bie Augen feitlichermnb
fchiefer stehen, als am Hunbe, glaubte man baburch zu
begequen, bah man an bie Macht ber Getoohnung, bie
allerbings geringere forperliche Umgeftastungen Hervor-
zubringen vermag, erinnerte unb von ber feit Jahrtau-
fenben vorhanbenen Geivohnheit bes Hunbes, nach vorn
unb auf feinen Herrn zu blicken, bie veranberte Stellung
feines Auges ableitete.
Dergleichen Annabmen laffen, obwohl fle von fehr
toiffenschaftlichen Ferfchern vertreten toorben sinb, manche
Entgegiiung zu. Sie beruhen infofern auf unsicherem
Boben, als sie bas Borhanbenfein von wirflich toilben
Huiiben ganz unberucksichtigt laffen, uberhaupt nur ver-
toilberte Hunberapen anerfennen, ben Urftamm aber als
vollig erlofchen betrachten. Das letztere scheint aber
feinestoegs ber Fall zu fein, inbem ber von Hobgfon zu-
erft beschriebene toilbe Hunb von Nepal, ber Buanfu
(Canis primaevus), fchtoerlich als verwilverter gelten
fann. Er ift uber ben bergigen Theil von Jnbien, unb
ztoar vom Sutlebfch bis nach Oriffa au ber Coromanbel-
fuste, verbreitet, fehr toilb unb fcheu unb felten am Tage
ober in betoohnten ©egenben anzutreffen. Ungeachlet
biefer Hinberniffe gelang eb Hobgfon, sich viele Jnbivibuen
zu verfchaffen, beren Farbung unb Sitten er um fo ge-
nauer befchreiben fonute, ba einige irachtige Weibchen in
ber Gefangenfchaft toarfeu. Zufolge biefer Mittheilungen
jagt ber Buanfu in Rubeln von 6—10 Stucf, sowohl bei
Tag als bei Nacht, Verfolgt seine Bente mehr burch schar-
fes Spurvermogen, als burch bas Auge geleitet unb besiegr
sie toeniger burch Kraft unb entschiebenen Angriff, als
burch ausbauerube unb baher erfchhpfetibe Verfolgung.
Wahrenb berfelben bedt er zwar, boch sinb biese Tone
von bemjenigen ganz verschieben, welche unter gleichen
Umstanben irgenb eine zahme Hunbera^e ober bie wilben
Wolfe unb Schafal Horen lassen. Der erwachfen ein-
gefangene Buanfu wirb niemals zahm, inbeffen (ernte
ein etwa einen Monat alter Liebfosungen fchatzen, unter-
fchieb feinen Warter von Fremben unb verrieth nicht
weniger Jntelligenz, als ein junger Jagbhunb. Gleich-
zeitig mit Hobgfon berichtete W. A. Wooler uber einen
wilben Hunb, ber in ben Mahablifchtoar Bergen ber
Prasibentfchaft Bombay ziemlich Haufig fein foll, bort
Dhale genannt ivirb unb sich so toenig vom Buanfu un-
terscheibet, bah man nicht umhin faun, beibe fur ibentisch
zu halteu. Obrist Syfes betoies bamals, bah ber toilbe
Hunb von Deccan, ber Kolfun, toie ihn bie Mahratten
Heihen, mit jenen beiben inbischen Hunben zusammenfalle,
inbem tveber fein Aeuheres noch ber Bau unb bie Per-
Håltnifse feines Schabels irgenb unterscheibenbe Kennzei-
chen barbieten. Der letztere i ft zusammengebrucft, etivas
verlangerl, bie Nafe zugefpitzt, bie Hellbraunen Augen
stehen ziemlich fchief, alfo fast toie bei bem Fuchfe, unb
Haben eine runbe Pupille. Der Ausbruck bes Gesichts
toar toenig beffer, als bei einem ber befonbers rohen unb
bisfigen persifchen Jagbhunbe, bie man in Jnbien an
vielen Orten Halt, sonach sehr verschieben von ber gut-
muthigen Physiognomie bes Ouao ober sumatranischen
Hunbes, welchen General Harbwicke zuerst beschrieben
hat. Die Ohren bes Kolfun sinb lang, oben etwas ab-
gerunbet unb aufrecht, bie Ftthe aussallig grog unb starf,
milibestens im Verhaltniffe zum Korper, weleber ztoischen
Wolf liiib Schafal hinsichtlich ber Grohe bas Mittel Halt.
Sin Uebrigen ist ber Kolfun nicht ininber gefellig, als
Hunbeartige Raubthiere uberhaupt unb jagt in Rubeln,
bie selbst grohe unb fluchtige Thiere ubertoaltigen. Man
fanb im Magen eines getobteten Kolfun ein Stucf von
ber fchonen unb grohen Nylgau-Antilope. Der Obrist
Baber bestatigt fast in asten Stucken Syfes' Bericht.
Auch er begegnete bem Kolfun an ber Westfuste ber invi-
scheti Halbinfel unb zwar in Haufen von 50 — 60 Stucf,
bie, von allen anberen $bieren gefurebtet, viele Wilb-
fchweine unb Hirfche zerreihen, fogar Tiger unb Cbetah-
Katzen angreifen unb ihn felbft wahrenb ber Reife fo
anhaltenb begleiteten, bah er feine eigenen Jagbhunbe
vor ihren Angriffen nur burch haufige Pistolenfcbusse zu
fchityen vermochte. Die eingefaitgenen Jungen erfaunte
Baber als ganz tinzabnibar. Bemerfenswerth ist es
ubrigens, bah alle biefe wilben Hunbe von ben verfchie-
benen Beobachteru als rothlich gelb ober fuchsroth be-
fchrieben werben, eine Farbung, bie als vollfommen reine
an zahinen Hunben befanutlich nicht hausig vorfommt.
Kann man nun biefen vereinten Ausfagen nicht alten
Glauben verfagen, fo wirb man auch zugeben muffen,
bah es in Jnbien noch wirflich wilbe Hunbe gebe, Woraus
jeboch ttorb nicht solgt, bah man in biefen bie achten
Staminvater ber gezahmten Raoen Yt erfennen babe.
Jene Entbeefungeii sinb aber barunt von Wichtigfeit,
weil bie Nothwenbigfeit, ben Haushunb fur einen ge-
zahinten Wolf anzufehen, wegfallt, fobalb bie Eristenz
wilber Hunbe uberhaupt als erwiefen angenommen ivirb.
An bie birecte Abstammung bes Haushunbes vom Wolfe
ivirb man ubrigens auch nur bann glauben fonnen, wenn
burch Verfuche bewiefen fein wirb, bah ber Wolf eine
fo biegfame, sich zu Umanberungen fo Hergebeube phyfifche
unb moralische Natur Habe, bah er ebeit fo leicht in
einen Bulleiibeiher, als in einen Jagbhunb ober Wachtel-
Hunb umgestaltet toerben fonne.
©egen bie Ansicht, bah ber Haushunb baburch ent-
ftanben fei, bah feine Urvater, beren Stamin man in
biefem Falle als ganz erlofchen betrachtet, sich mit Wolfeit
unb Schafal vermengten, febh es ebenfalls nicht an wich-
tigeii Eintourfen. Solche Vermenguiigen fommen ivohl
auch jetzt noch vor, astein sie sinb weber naturlich noch
Hausig, wahrenb ber burch ste entstanbene Bastarb enttoe-
ber gerabezu uiifruchtbar ist, ober minbestens feine Ra^e
fchoii in ben nachsten Generationen erlifcht. Gefetzt aber,
es ware bie Fortpflanzungsfahigfeit solcher Baftarbe
groher unb bestanbiger, als ste in Wahrheit fich erweist,
fo fann eine folche Beobachtung a((cin nicht genugen,
um bie Species bes Haushunbes ohne Weiteres fur ein
Baftarberzeugnih zu erflaren. Angenommen, ber Hr«
stamm bes Haushunbes eriftire nicht mehr, unb was toir
als toahre toilbe Hunbe anzufehen geneigt stub, fei ebeit
nur ber verwilberte unb baher zu bem urfprunglichen Ty-
pus moglichst zuruckgegangene Haushunb, fo bleibt es
boch auffallenb, bah feine biefer Rayen bas Anfehen bes
Wolfes, fonbern immer basjeuige bes Haushunbes be-
hauptet. Der fuchsrothe Kolfun Jubiens ist als Species
ganz verfchieben vom Wolfe, eine Thatsache, bie minbe-
stens beweist, bah man ben Haushunb vom Wolfe nicht
ableiten burfe, ivei( er, gleichriel ob Bastarb ober ge«
zåhmter unb umgeanberter Wols, unter gunstigen Iliu-
stanben, fern vont menfchlichen Einflusse unb seit alten
Zeiteit sich felbft uberlasfen, jebenfalls ebeit so toie alle
vernachlassigte Hausthiere, zu seiner Urform zurttefgefehrl
fein totirbe. Der Menfch hat vermocht, aus bem grob-
haarigett Wilbfchaafe etiblich ben feibentoolligen Merino
zu erziehen, astein er fonute niemals 'eine neue Art ber-
vorbringen ; bas vernachlassigte, int Halbiviloen Stande
gehaltene Schaaf fehrt schitell zu feiner Urgestalt zurucf,
benn bie Natur leihet sich ivohl her zu menfchlichen Be-
strebungen unb unterstutzt biefelben, alleiit sie setzt fur sich
allein biefe Verfuche nicht fort unb ftestt, sich felbft uber-
laffen, bie ursprungliche einfache Form balb toieber Her.
Wenn man sich zu ber naturlichsten unb baher einfach-
fteit Austcht befennt unb eine urfprungliche toilbe Species
anninunt, bie, mit ber Zeit vollftanbig verfchtounbett, nur
noch in ber Form bes gezahmten Haushunbes fortbefteht,
fo erhalt man hierburch noch feine Erflarung ber befann«
ten, ben, Haushunb auSzeichneiiben, in feiner anberen
Thierart gleich auherorbentlicheti Neigung zum Zerfallen
in Rayen unb zur flets erueueten Hervorbringung zahllofer