Die Holzbaukunst Norwegens
In Vergangenheit Und Gegenwart
Forfatter: L. Dietrichson, H. Munthe
År: 1893
Forlag: Schuster & Bufleb
Sted: Berlin
Sider: 205
UDK: st.f. 72(481) die
Mit Einer Übersichtskarte Und 31 Tafeln Nach Alten Denkmälern Und Nach Ausführungen Von H. E. Schirmer, G. Bull, Thrap-Meyer, B. Lange, V. Hannosen. Und H. Munlhe, Sowie Über 220 Textabbildungen
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Linie geht aber deutlich um 1250 eine Begeisterung fiir den
neuen Stil, die mit der Freude über den wiedergewonnenen
inneren Frieden und die Festigkeit der Verhältnisse mit dem
steigenden Wohlstand und der Machtstellung des Reiches zu-
sammenhängt. Diese Begeisterung hat sichtbar ihren Mittel-
punkt in der Persönlichkeit des Königs gefunden. Haakon IV
hat deutlich das Aufblühen der Steinarchitektur als eine Frucht
des allgemeinen Wohlstandes angesehen, zu dem er dem Lande
verholfen hatte; wir fühlen diesen edlen Stolz durch den
Rath, den er den Bauern zu Voss ertheilte, ihre neue
Kirche aus Stein und nicht aus Holz zu errichten, und wir
sehen ihn leuchtend aus den zahlreichen gothischen Steinbauten
hervortreten, die sich besonders gegen den Schlufs seiner Re-
gierung erhoben und von deren Bedeutung das Schlufskapitel
seiner Saga so nachdrücklich zeugt. Im Königshof zu Björg-
vin, mufsten um die Mitte des Jahrhunderts, die zwei alten
Holzhallen der prächtigen und geräumigen steinernen gothischen
Königshalle weichen, die noch in Bergen erhalten ist; 1248
gründete Erzbischof Sigurd das prachtvolle gothische West-
schiff der Domkirche zu Drontheim; nach dem Brande 1248 er-
hoben sich in Bergen der reiche gothische Chor der Marien-
kirche und die neue St. Olafskirche (jetzt Domkirche), sowie
wohl auch die jüngere Allerheiligenkirche, die Apostelkirche
und die Katharinenkirche gothisch waren. Und unter seinem
Sohne Magnus Lagaböter entstanden der schöne Chor der
Domkirche zu Stavanger und die jüngere Apostelkirche zu
Bergen, beide gothisch. Ja sogar tief' in die Ihäler hinein
dringen die gothischen Steinbauten, theils mit Spitzbögen und
Rundbögen vermischt, theils mit durchgehenden Spitzbögen.
Diese Blüthe der Steinbaukunst mufste aber auf die Stab-
kirchen einen verderblichen Einflufs doppelter Art ausüben.
Zum Theil ist es natürlich, dafs da, wo ein so starkes Interesse
für die Steinbaukunst auftritt, die Vorliebe für den alten nationalen
Holzbaustil in den Hintergrund tritt,, er wird nur als Noth-
behelf und in ärmeren Gegenden benutzt, er entfaltet sich nicht
als Ausdruck der besten l<onstruktiven und ornamentalen Ge-
danken und Phantasien des Volks, er schrumpft zusammen
und wird verkrüppelt. Die gröfseren dreischiffigen An-
lagen werden dem Steinmaterial überlassen, während
das Holz nur den kleinen einschiffigen Kirchen der
ärmeren Gegenden vorbehalten bleibt, eine Regel, von
der jedoch die spätesten grofsen Kreuzkirchen in Nord- und
Söndmöre eine Ausnahme bilden. Theils war es ebenso natür-
lich, dafs die Übermacht der Steinbaukunst den Stabkirchen
gewisse Details und Formen gewaltsam aufdrängte, die,
mochten sie wollen oder nicht, aus Stein in Holz übertragen
werden sollten, ohne sich vollständig und natürlich dem Holz-
material, das sich einmal mit dem romanischen Stil so wohl
vereinigt hatte, anpassen zu können; die Holzkirche war nicht
mehr ein Gegenstand des lebhaften Interesses, und nicht mehr
geschmeidig genug, sich den neuen Forderungen fügen zu
können.
Aus diesen beiden Ursachen wird die Blüthezeit der nor-
wegischen Nation und der norwegischen Steinbaukunst eben
der Anfang des Verfalls der Stabkirchen, was auch da-
durch angedeutet ist, dafs, wenn auch theilweise ganz zufällig,
alle uns sicher als dreischiffig bekannten Kirchen mit vier
Ausnahmen vor 1327, alle uns sicher als einschiffig bekannten
Kirchen mit drei Ausnahmen erst nach 1327 in den Quellen-
schriften erwähnt sind. Dies kann freilich, wie gesagt, öfters
auf Zufall beruhen, da man aber unter jenen einschiffigen
Kirchen solche findet, die gothische Merkmale tragen, so dürfen
wir annehmen, dafs jedenfalls letztere jünger als 1250 sind.
Unsere Gründe für diese Annahme sind folgende:
I. Der Spitzbogen dringt wahrscheinlich erst um die
Mitte des Jahrhunderts in die Holzarchitektur ein. Dafs die
Spitzbögen, die ganz beiläufig an einer Thür in der romanischen
Kirche zu Aal und in den Chorschranken der ebenfalls
romanischen Kirche zu Hopperstad vorkommen, spätere Zu-
sätze sind, darüber kann kein Zweifel walten. (Vielleicht ist
dasselbe der Fall in der Kirche zu Tuft). Diese aber aus-
genommen, finden wir nicht die geringste Spur von Spitzbögen
in den gröfseren, dreischiffigen Kirchen, die wir aus früher
erwähnten Gründen als älter denn 1250 ansehen können; da-
gegen kommen alle Spitzbögen in den kleinen, einschiffigen
Kirchen vor, und um 1260 finden wir in der Stube zu Aga
die Spitzbögen mit dem Rundbogen im Kampf.
Der Umstand, dafs der Spitzbogen in der Holzkonstruktion
nie recht heimisch wird, hängt sichtlich damit zusammen, dafs
sein Verhältnifs zur Konstruktion in dem Holzbau ein ganz
anderes als im Steinbau ist. Während nämlich die Anwendung
des Spitzbogens in der Steinarchitektur sehr weitgreifende
Konsequenzen für die ganze Konstruktion hat, ist der Spitz-
bogen in der Stabkirche ohne jede konstruktive Bedeutung
und wesentlich als ein Ornament aufzufassen. Dies war aber
mit dem Rundbogen nicht der Fall. Die alte Bugkonstruktion
fügte sich natürlich in die Form des Rundbogens em und gab
die Hauptbedingung für das Formenschema der Stabkirche
ab. Dagegen liefsen sich die Bugverbindungen schwerlich
auf natürliche Weise zu Spitzbögen formen; und so geschah
es, dafs der Spitzbogen niemals auf die konstruktiven Theile
der Stabkirche, auf die Stäbe selbst, Einflufs gewann, sondern
nur hier und da mehr zufällig in die Planken, namentlich in
jene öfters besprochenen Choröffnungen, eingeschnitten wurde,
während der Rundbogen fortwährend die konstruk-
tiven Theile und die Portale der gothischen Zeit be-
herrscht, bis er zuletzt den gradlinigen Konstruktionen
weicht, während man einen konstruktiven Spitzbogen selbst in
den spätesten Stabkirchen vergeblich suchen wird. Wegen
bestimmt ursprünglicher Spitzbögen allein dürfen wir nur eine
einzige Kirche, die von Nes in Hallingdal, der gothischen
Stilperiode zuerkennen.
II. Einen etwas festeren Boden gewinnen wir, wenn wir
beobachten, dafs die wenigen Spitzbögen in unseren
Kirchen (die später eingefügten in Aal, Hopperstad (und
Tuft ?) natürlich ausgenommen) immer mit einem anderen
Merkmal einer späteren von der Gothik beinflufsten
Zeit zusammen auftreten. Sie finden sich nämlich alle in
den Kirchen mit Mittelstab-Konstruktion; so in den
Kirchen zu Nore, Nes und Reinli.
Mit dem Eindringen der Gothik und dem gleichzeitigen
Verfall der Stabkirche wird das Typische derselben vielfach
aufgelöst, während neue Impulse von dem Steinbau sich all-
mählich in den kleinen Holzkirchen zeigen. Es darf dann im
Voraus als wahrscheinlich angesehen werden, dafs die neue
Konstruktion, die jetzt mit den Spitzbögen zusammen hervor-
tritt, selbst gothischen Ursprungs ist, und wir werden dies
durch die Natur dieser Konstruktion selbst bejaht finden.
Die grofse Rolle, welche das Strebesystem und die per-
pendiculäre Richtung in der gothischen Steinarchitektur spielt,
ist allbekannt. Vom Grunde bis zur Thurmspitze ist die ganze
gothische Steinkirche ein System von Bögen, das den Seiten-
druck der Gewölbe von den in hohe Fenster aufgelösten
Mauern auf die Wandpfeiler überträgt, die durch äufsere
Strebepfeiler und Strebebögen unterstützt werden; selbst ein
ungeschultes Auge kann leicht dieses Strebesystem am Äufsern
der gothischen Kathedralen verfolgen.
Im Kleinen zeigt die Stabkirche uns ähnliches. Schon
die romanische Stabkirche hatte in ihrer ursprünglichen Kon-
struktion gewisse Züge, die dem später entwickelten Wesen
der Gothik nicht unähnlich waren. Sie hatte ihre vertikale Ten-
denz; jetzt, in der Periode der Gothik, macht sich diese Ten-
denz, von der Zeitströmung begünstigt, vollkommen frei und
tritt mit einseitiger Stärke in dem Mittelstabsystem auf.