Die Holzbaukunst Norwegens
In Vergangenheit Und Gegenwart
Forfatter: L. Dietrichson, H. Munthe
År: 1893
Forlag: Schuster & Bufleb
Sted: Berlin
Sider: 205
UDK: st.f. 72(481) die
Mit Einer Übersichtskarte Und 31 Tafeln Nach Alten Denkmälern Und Nach Ausführungen Von H. E. Schirmer, G. Bull, Thrap-Meyer, B. Lange, V. Hannosen. Und H. Munlhe, Sowie Über 220 Textabbildungen
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ZWEITES BUCH.
DIE ORNAMENTIK.
I. Kapitel.
Das Mittelalter bis um 1600. (Gotliik.)
Einflufs der kirchlichen Portalornamentik auf'den
Thürschmuck.
Die Ornamentik des mittelalterlichen Hauses beschränkt
sich, so weit wir sie kennen, wesentlich auf drei Punkte: auf
die Thüreinfassung, die Balustradenöffnungen und die Stöcke
der Wände. Wie überall im Mittelalter, so war auch in Nor-
wegen die kirchliche Ornamentile für die weltliche mafsgebend;
und da in Norwegen hauptsächlich nur von der Ornamentik
der Holzgebäude die Rede ist und im Bauernhause die Ein-
gangsthür der hauptsächlichste Träger der Dekoration war, so
wurden natürlicli die Portale der Stabkirchen die ersten und
nächsten Vorbilder des Schmucks der Thüre.
Die ältesten noch bestehenden Thüreinfassungen sind
indessen in Haltung und Styl nur den sinkenden Formen der
Kirchenportale gleich zu stellen; keine einzige erreicht die
Grofsartigkeit der Blütheperiode; im Gegentheil werden wir
die Motive der Kirchenportale in der weltlichen Ornamentik
vielfach verwildert und manierirt wiederfinden.
Deutlich tritt dieser Einflufs der Kirchenportale in einigen
Thüreinfassungen der Lofte von Senning (Sandsver) Loftsgaard
(Thelemarken) und in zwei Loften zu Skjönne (Numedal) hervor.
In der Thür von Senning finden wir sogar alle Einzelheiten
der Kirchenportale, wie Archivolt, Halbsäulen, Planken und
Löwendarstellungen wieder, nur stehen die Halbsäulen hier und
überall nicht wie in den Kirchen unmittelbar neben der Öff-
nung, sondern als Hauptglied mitten auf den Planken. Die
Archivolte ist ebenso wie der Flechtwerkbogen, der dieselbe
abschliefst, sehr fein geschnitzt. Die Löwenbilder stimmen
dagegen mit den Ausläufern der Verfallzeit der entsprechenden
Kirchenornamente überein; der Drachen im linken Kapitäl, die
Maske unter demselben, die symmetrischen Schlingen des Halb-
säulenkörpers, das Schlingornament des rechten Kapitäls, das
echt numedalisch geformt an die entsprechenden Formen in
den Kirchen zu Nore und Opdal erinnert, alles stimmt mit
der Formengebung der letzten Hälfte des 13. Jahrhunderts
überein und dürfte wohl auch dieser Zeit angehören. Fast
dasselbe gilt noch von der wohl etwas jüngeren, horizontal
abgeschlossenen Thüreinfassung von Loftsgaard, während
die zwei Thüren von Skjönne schon ein Jahrhundert jünger
als die erstgenannte sein dürften. Hier ist alles verwildert;
freilich kommen auch hier die Löwendarstellungen vor, aber
nicht mehr freistehend, sondern nur als Relief. Am deutlich-
sten zeigt sich der Verfall in dem Füllornament der rechten
Seite der zweiten Thür, das nichts Tragendes an sich hat, und
die schräge Fase der Seitenplanken, wie wir dies auch an
einer Thür zu Finne beobachten können, durch eine ganz
unmotivirte Schlingform schmückt. Bedeutungsvoll für die
Zeitbestimmung sind die Schlingformen des Archivolts der-
selben Thür, da ihre auffallende Ähnlichkeit mit den Schlingen
des Portals der Kirche von Tuddal sie nothwendig in die Zeit
dieser ziemlich sicher datirten Kirche, d. h. um das Jahr 1370
verlegt. Man versteht nach der Betrachtung dieser Thür-
einfassungen leicht, warum mehrere unserer Kirchenportale nach
dem Abbruch der Kirchen und nachdem sie bisweilen verkürzt
worden sind, als Eingangsschmuck der Bauernhäuser Anwen-
dung gefunden haben; so z. B. die geschnitzten Portale zu Hyl-
lesstad und Lardal (vgl. S. 82 und 92).
Der obere Abschlufs dieser Thüreinfassungen hat vier
verschiedene Hauptformen: Rundbogen, Flachbogen, Kleeblatt-
bogen und horizontale Form.
Der Rundbogen, der dem romanischen Bogen der Kirche
unmittelbar nachgeahmt ist und öfters mit mehrfachen Pro-
filirungen auftritt oder mit Flechtwerk geschmückt wird, kommt
vor in den Loften zu Stave, Gavlstad, Finne, Lydve,
sowie in den Stuben von Huse und Noreim. Die Thür
in dem Loft zu Lydve ist offenbar der des Lofts zu Finne
nachgebildet. Nur der orgelpfeifenähnliche Unterrand, deutlich
anglonormanischen Ursprungs, deutet auf ein anderes Vorbild.
Der Flachbogen (Stichbogen) findet sich in den Loften zu
Stave, Finne, Senning, Skjönne, Lydve und in den
Stuben von Rauland und Landsvik. Der Kleeblattbogen
mit rundem Abschlufs kommt — als Thüreinfassung — nur in
der Heidenstube zu Uv vor.
Die horizontale Form wird nach und nach die allgemeinste
für den oberen Abschlufs der Thür. Sie findet sich in den
Loften von Vindlaus, Rolstad, Skjelbred, Finne, Lofts-
gaard, Lydve, Senning und Rygnestad, sowie in der Stube
zu Aga.
Die Kapitäle der Halbsäulen dieser Thüre sind sehr
verschiedener Art und können wohl nur durch uns unzugängliche
Einflüsse von Kapitälen weltlicher und kirchlicher Steingebäude
in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters erklärt werden.
Bald sind sie breitausladend und plump, wie im Loft zu Stave
und in der Stube zu Landsvik, bald einfach kelchförmig, den
alten kirchlichen Holzkapitälen nachgebildet, wie in den Loften
zu Gavlstad und Rolstad, bald, wie in der Heidenstube
zu Uv, mit Schlingen versehen, und bald, wie in der Stube
zu Huse, von guten Verhältnissen und den entsprechenden
Steinformen sehr ähnlich.
Der Säulenschaft hat gewöhnlich die Form eines halben
Cylinders; sein Verhältniss zum Kapitäl ist das der Steinsäulen.
Bisweilen ist er auffallend dünn, wie an der einen Thür zu
Stave. Vereinzelt zeigt die Cylinderform gegen die Mitte der
Halbsäule eine Anschwellung, wie an der rechten Halbsäule
der Stube zu Rauland, an der einen Thür der Stube zu Stave
und an der Thür der Stube zu Landsvik. Nicht selten sind
die Ornamente und die Form der beiden Halbsäulen derselben