Die Holzbaukunst Norwegens
In Vergangenheit Und Gegenwart
Forfatter: L. Dietrichson, H. Munthe
År: 1893
Forlag: Schuster & Bufleb
Sted: Berlin
Sider: 205
UDK: st.f. 72(481) die
Mit Einer Übersichtskarte Und 31 Tafeln Nach Alten Denkmälern Und Nach Ausführungen Von H. E. Schirmer, G. Bull, Thrap-Meyer, B. Lange, V. Hannosen. Und H. Munlhe, Sowie Über 220 Textabbildungen
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hafteste Bewegung - gerathen ist. Energisch und dreist ist alles
eingeschnitten, rasch und interessant alles erzählt. Es sind
die Völsunger und Gjukunger, die begeisternden Vor-
bilder der Tapferkeit und des starken Willens bei unseren
Alten, dieselben, welche die norwegischen Väringer, wenn sie
nach Konstantinopel kamen, in den Statuen des Hippodroms
erkennen zu dürfen glaubten, die in fünf Kirchenportalen dieser
Art dargestellt sind.
Am reichsten treten diese Darstellungen am Portal der
Kirche von Hyllestad auf (Abbild. 28 a u. b). Da sehen wir rechts
(b) in den Medaillons von oben nach unten den Schmied Regin,
der für den tapferen Sigurd, den Sohn Völsungs, das Schwert
schmiedet, während Sigurd selbst den Blasebalg bewegt; dann
erprobt Sigurd das Schwert gegen den Ambofs des Regin,
wo es zerspringt. Nachdem Regin endlich das Schwert Gram
geschmiedet hat, sehen wir Sigurd im Graben sitzend den
Drachen Fafner tödten, und hier ist der Drache Fafner in der
geschichtlichen Komposition ganz als ornamentaler Eckdrache
des Portals behandelt; das Medaillon, das Sigurd umgiebt,
geht in den Schwanz des gräfslichen Drachens über, während
alle Rundungen der Medaillons den Rankenschlingen der ge-
wöhnlichen Ornamente sowie die Figurenbilder den kleineren
Drachen derselben entsprechen. Auf der linken Seite sehen wir,
in die Ornamentik verwoben, von unten anfangend Sigurd,
der, während Regin schläft, Herz und Leber des Drachens
bratet, und, indem er seinen Finger, den er am Fette ver-
brannt hat, in den Mund steckt, die Sprache der Vögel im
Baume über seinem Kopfe, die ihn vor Regin warnen und von
der schönen Brynhild singen, verstehen lernt. Über dem
Baume mit den Vögeln sehen wir sein Pferd Grane mit dem
Andvaregolde (dem „Rheingold“ der deutschen Sage) belastet.
Dann tödtet Sigurd den falschen Regin, wonach eine breite,
geschmückte Linie uns darüber belehrt, dafs jetzt eine neue
Abtheilung des Heldenliedes, die der Geschichte der Gjukunger
anfangt. Oberhalb der Linie sehen wir den unglücklichen
Gunnar in der Schlangengrube, wie er liegend, die Hände auf
den Rücken gebunden, mit den Füfsen die Harfe schlägt, um
die Schlangen einzuschläfern, während eine derselben doch wach
bleibt und den Helden durch einen Bifs tödtet.
Diesen prächtigen erzählenden Reliefs am nächsten steht
die eine Seite des Portals der Kirche von Vegusdal. Die Dar-
stellungen, die deutlich den zu Hyllestad oder einem gemein-
samen Vorbilde entlehnt und weniger zahlreich sind, enthalten:
Sigurd mit dem Braten des Herzens Fafners beschäftigt (der
schlafende Regin fehlt), ganz in der Haltung des Sigurd von
Hyllestad, darüber die Schmiedescene, dann die Schwertprobe
und endlich Sigurd Regin tödtend; die innere Zeitfolge der
Erzählung ist also nicht beobachtet. Von der Kirche zu Austad
stammen zwei Planken, die auf dem Fufsstück zwei Scenen
aus der Geschichte der Gjukunger bewahren: rechts das Herz
wird dem Högne durch Atle aus der Brust geschnitten und
links Gunnar in der Schlangengrube, dem Atle das heraus-
geschnittene Herz des Bruders zeigt, während jener mit den
hüfsen die Harfe spielt und von der Schlange getödtet wird.
Aus der Kirche zu Lardal in Jarlsberg stammt dann gewifs
ein Portal, dessen rechte Seite den Sigurd Schlangentödter
(? nur. .der untere lheil eines Kriegers ist erhalten), dann
den getödteten Otter mit dem Golde bedeckt (d. h. davon
umgeben) und mit dem Ringe Andvares um den Hals, dann
Regindas Schwert schmiedend und endlich Fafner von Si-
gurd getödtet, darstellt. Die linke Planke enthält drei fabel-
hafte Thiere in Medaillons und einige Schlingen. Endlich kommt
in der Kirche zu Opdal zwischen einer Menge von Schlangen,
die das Ornament bilden, sonst zwischen völlig vegetabilen Ver-
schlingungen Gunnar in der Schlangengrube, stehend die Harfe
mit den Füfsen spielend, vor, gewifs eine sehr späte Darstellung.
Auf zwei Kirchenstühlen aus Thelemarkenfindenwir gleich-
falls den beliebten Liederkreis behandelt: in der Kirche Hitter-
! dal: Sigurd und Gunnar zu der schönen Brynhild auf dem
brennenden Berge reitend, Sigurd hält den Ring des Andvare
in der Hand, und in der Kirche Gol (jetzt zu Bygdö bei
Christiania), ursprünglicli aber ebenfalls in der Kirche zu Hitter-
dal befindlich: Gunnar in der Schlangengrube stehend. Das
Alter dieser Darstellungen soll später untersucht werden; hier
;beschäftigt uns vorläufig eine andere Frage: wie erklärt sich
die seltsame Erscheinung der soeben vertriebenen heidnischen
Heroen in den Thürpfosten der christlichen Kirchen? Sehr
interessant ist jedenfalls der Umstand, dafs kirchliche Gebäude
und Mobilien mit Vorliebe heidnische Darstellungen aufnehmen;
gab er aber nicht dem religiösen Bewufstsein der Zeit einen
Anstofs? Dafs das Volk in Sätersdal und Thelemarken, noch
in weit späteren Tagen für seine halbheidnische Wildheit be-
rüchtigt, in den Gegenden, wo Sagen und Volkslieder am häu-
figsten und treuesten bewahrt sind, wohl auch am meisten das
Bedürfnifs gefühlt hat, die heidnischen Helden, die man wohl
gar als eigene Vorfahren und Stammheroen ansah, auch in
bildlichen Darstellungen sogar weit in das christliche Zeitalter
hinein zu verherrlichen wünschte, das bedarf keiner Erklärung.
Wie konnten aber die christlichen Priester solche Darstellungen
an der Kirche erlauben?
Dieser Zug hängt gewifs mit der Art der Bekehrung Nor-
wegens zum Christenthum zusammen. Nur selten ganz frei-
willig, gewöhnlich durch den Machtsprucli der Könige, war
das Volk bekehrt worden und die heidnischen Vorstellungen
waren tief gewurzelt und mischten sich gewifs lange mit dem
halbklaren christlichen Bewufstsein des Volkes.
Dafs irgend eine bewufste christliche Symbolik in diesen
Darstellungen zu suchen sei, dafs z. B. durch Sigurd, der den
Drachen Fafner tödtet, Christus der grofse Drachentödter ge-
meint sein sollte, darf nicht angenommen werden; ebensowenig
dürfen wir in Sigurd einen St. Michel oder St. Georg, die
freilich beide Drachentödter waren, erblicken. Dafs Sigurd
hier ganz einfach Sigurd und nichts anderes bedeutet, zeigt
sich ja zur Genüge darin, dafs nicht nur der Kampf mit
dem Drachen, ja nicht einmal vorzugsweise der Kampf mit
dem Drachen, sondern die verschiedensten Züge aus dem
ganzen Sagenkreise der Völsunger und Gjukunger von der
Geschichte mit dem Golde Andvares bis auf den beliebten
Gunnar in der Schlangengrube dargestellt sind.
Ebensowenig scheinen die Darstellungen unserer Künstler
von der Vorstellung, die in der Volkssage öfters angedeutet
ist, ausgegangen zu sein, als seien die heidnischen Götter und
Helden jetzt Dämonen und böse Geister geworden, wenn schon
der Platz an der Westseite der Kirche ja wirklich im mittel-
alterlich-kirchlichen Bilderkreise der Platz der Dämonen war:
die ganze Darstellungsweise zeugt von der innigen Sympathie,
mit der die ganze Darstellung unternommen ist.
Desto schärfer mufs betont werden, was die alten Volks-
lieder uns deutlich genug bezeugen, dafs der heidnische Held
Sigurd sowie der heidnische Gott Thor im Bewufstsein des
christianisierten Volkes nicht als heidnische Götterwesen, son-
dern als christliche Ritter fortlebten. Dafs in dem alten
Volksliede von „Sigurd Sven“ d. h. Sigurd Fafnersbane, dieser
ein christlicher oder jedenfalls ein getaufter Held ist, zeigt
sich ja deutlich genug darin, dafs ihm die Wahl gelassen wird:
„Entweder der höchste Mann im Asgardsrej oder der geringste
im Himmel zu sein“ (Landstad 123) — Asgardsrej ist die
zwischen Himmel und Erde hinströmende wilde Jagd —
sowie es auch heifst, dafs Gudrun in die „Kirche ging“
(ibid. 127). Sigurd hat den Bauern in Thelemarken und Sä-
tersdal als der höchste Inbegriff der Tapferkeit und männ-
lichen Kraft gegolten, und wenig hat er gewifs an ihrer Sym-
pathie dadurch eingebüfst, dafs er sich für das Himmelreich
bedankt, weil es ihm „übel scheint, der kleinste Mann zu sein.“