Die Holzbaukunst Norwegens
In Vergangenheit Und Gegenwart
Forfatter: L. Dietrichson, H. Munthe
År: 1893
Forlag: Schuster & Bufleb
Sted: Berlin
Sider: 205
UDK: st.f. 72(481) die
Mit Einer Übersichtskarte Und 31 Tafeln Nach Alten Denkmälern Und Nach Ausführungen Von H. E. Schirmer, G. Bull, Thrap-Meyer, B. Lange, V. Hannosen. Und H. Munlhe, Sowie Über 220 Textabbildungen
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bois courbes“ als den nordischen Völkern und dem Schiffsbau
angehörend bespricht. Und später, als ich meine Ansichten in
dieser Frage zuerst veröffentlichte, aber ganz unabhängig davon,
hat Valtyr Gudmundsson in seinem Buche „die Privatwohnung
auf Island in der Zeit der Saga“ (Koph. 1889) zu derselben Ansicht
sich bekannt. Er sagt p.149: „Ein offener Dachstuhl mit ein-
gesetzten rundbogigen Versteifungen — — scheint in der Saga-
zeit ziemlich allgemein und die Entwickelung desselben scheint
eine spezifisch nordische gewesen, nicht aber — wie viele
angenommen haben — aus fremden Einflüssen hervorgegangen
zu sein; denn er findet sich überall im Norden in alten Ge-
bäuden, sowie es sicher derselbe ist, der in unserer ältesten
Litteratur, soweit dieselbe in diese Zeit zurückgeht, unter dem
Namen „Gewölbe“ besprochen wird. So findet er sich überall
in den norwegischen Stabkirchen und in mehreren Kirchen in
Dänemark besonders in Jütland, unter denen sich eine Kirche
des 15. Jahrhunderts befindet; aufserdem kommt er sehr häufig
in England in älteren Gebäuden vor. Im nördlichen Frankreich
ist er sogar im 12. Jahrhundert bekannt, und man nimmt
da an, er sei von den Normannen eingeführt worden.
Dr. Sophus Müller und Nicolaysen meinen zwar, dafs diese An-
nahme keine grofse Wahrscheinlichkeit hat, und bezweifeln
deswegen in hohem Grade ihre Richtigkeit; ich sehe indessen
nicht ein, worauf sie sich in dieser Hinsicht stützen können.
Ich mufs mich in dieser Frage absolut auf die Seite der
Deutschen (Sempers) stellen, und die Berechtigung der An-
nahme behaupten, dafs diese Einrichtung eine spezifisch nor-
dische, und folglich von der Normandie nach Frankreich mit-
geführt worden ist.
Der sog. „Kielbogen“ und jene rundbogenförmigen Knie
im Dache sind aber nicht die einzigen Knieverbindungen
in den Stabkirchen. Einmal für das Dachwerk angewandt,
zeigen sie sich auch an anderen Stellen so praktisch, dafs die
Stabkirchen sogar eine der wesentlichsten Eigenthümlichkeiten
ihrer Konstruktion -dadurch empfangen, dafs überall der Knie-
verband als Absteifung der Triforien, der Ecken, der Säulen
u. s. w. angewandt ist. Die Rundbögen um das ganze Mittel-
schiff herum, unter und über dem Triforium, sind ja hier nicht
wie im Steinbau tragende, sondern nur absteifende Glieder.
Alle diese rundbogigen Knieverbindungen treten in der Stab-
kirche an die Stelle der im gewöhnlichen Riegelbau sonst
immer angewandten schrägen Querriegel oder Querstreben, und
kommen überall bald liegend, bald stehend, bald völlig umge-
kehrt vor, eine sonst nur im Schiffbau gewöhnliche Art des
Absteifens, von der sich keine Spur bei den Angelsachsen
findet. Weder erwähnt sie die Litteratur, noch kommt sie in
der Greensteadkirche vor, noch — und das scheint mir
ihr Nichtvorkommen bei den Angelsachsen am deut-
lichsten zu beweisen — kommen sie in jenen eigenthüm-
lichen Steinbauten vor, welche die angelsächsischen Holzkon-
struktionen im Fachwerk nachahmen; soweit ich diese kenne,
weisen sie überall die gewöhnlichen Querriegel, nirgends Knie-
verbindungen auf.
So darf denn wohl das gewichtige Element der Kniever-
bindungen in der vollständig entwickelten norwegischen Stab-
kirche und somit ein Hauptzug ihres ästhetischen Charakters,
trotz der angelsächsischen Abstammung der Kirchen als eine
ursprünglich norwegische Bauform angesehen werden; damit
kann die Behauptung, als seien die norwegischen Stabkirchen
nur eine einfache Kopie der Bauten der Angelsachsen, nicht
aufrecht erhalten werden.
Ebenso scheinen mir, ich befinde mich auch hier in bestimmtem
Widerspruch mit Nicolaysen, das Giebelsystem mit den
niedrigen Wänden und die steil abfallende Form
der Dächer in ihrem gegenseitigen Verhältnifs ein Ergebnifs
der strengen klimatischen Verhältnisse Norwegens zu sein und
mit den Stürmen und der Schneemenge des Landes im Zu-
sammenhang zu stehen. Gewifs würden niedrige Walmdächer
den Wirkungen der Stürme besser ausweichen, als steile Giebel-
dächer; die Aufgabe war aber, hier nicht nur den Stürmen,
sondern gleichzeitig dem Anhäufen von Schneemengen auf den
Dächern zu begegnen und einen hohen und wirkungsvollen
Inneneindruck zu erhalten. Der Sturm übt seine Macht am
gewaltigsten gegen viereckige senkrechte Wände aus; die
Wände mufsten darum möglichst durch schräg liegende
Flächen (Dächer) oder, wo senkrechte Massen nothwendig
waren, durch Dreiecke (Giebel) ersetzt werden, doch mufsten
die Dächer so hoch gemacht werden, dafs der Schnee nicht
auf ihnen liegen blieb. Um nun ein hohes Innere ohne zu
grofsen Windfang und ohne Belästigung durch Schneemassen zu
erreichen, sind die niedrigen Wände, die möglichst oft durch
steile Giebel und Dächer ersetzt sind, mit genauer Berechnung
den Verhältnissen vorzüglich angepafst und bieten die beste
Konstruktion, die sich unter den vorhandenen Umständen über-
haupt denken läfst; sie scheint daher nur in dem stürmischen,
schneereichen Norwegen entstanden sein zu können. Dadurch
erhält nun das Äufsere der Stabkirchen eben seinen ästhetischen
Charakter, dieses Äufsere, das fast ganz in Dächer und Giebel
aufgelöst scheint, diese pyramidale Anordnung von überein-
ander aufgethürmten Dreiecken mit niedrigen Wänden und
hohen Dächern. Ein norwegischer Architekt hat mir erzählt,
dafs er einmal, während er mit der Aufnahme einer Stabkirche
beschäftigt in der Kirche arbeitete, von einem wüthenden
Sturme überrascht wurde. Anfangs erklärte er, gab es in dem
alten Holzwerke ein Knistern und Knastern, wie wenn die Kirche
zerbrechen wollte; nachdem die Wände aber in ihrer elasti-
schen Fügung, soweit es möglich war, dem Sturme nachgegeben,
kam das ganze System zur Ruhe, und obgleich der Sturm fort-
fuhr, hörte man nicht das leiseste Geräusch mehr in den
Wänden der Kirche.
Dafs die Laufgänge von den norwegischen Privatgebäuden
aufgenommen sein können, ist eine von Nicolaysen ausge-
sprochene Ansicht (Hist. Tidskr. 2 R. VI pag. 303), der ich
mich wohl anschliefsen kann, wenn auch das ästhetische Motiv
des offenen Laufganges mit Balustrade, wie wir es oben
besprochen haben, ausländischen Ursprungs zu sein scheint.
Ob die angelsächsischen Kirchen Laufgänge hatten, wissen
wir nicht, jedenfalls kommen sie ja in den ungarischen, böhmischen
und schlesischen Holzkirchen vor, wohin sie gewifs nicht aus
dem Norden gekommen sind.
Ein bestimmter Umstand scheint die Möglichkeit anzu-
deuten, dafs die Triforienkreuze mit Zangen und
Rundbögen in Norwegen sich entwickelt hätten, indem
sie nämlich in Urnes, der bestimmt ältesten der nor-
wegischen Kirchen, sowie in einer Reihe ebenfalls in Sogn
liegender sehr alten Kirchen (Hafslo, Aardal, Fortun, Kau-
panger) noch nicht vorkommen, indem die Säulen um das
Mittelschiff herum freistehen, und dadurch mehr an die
norwegische romanische Steinbasilika, die fast immer ohne
Triforium ist, das Vorbild der dreischiffigen Stabkirchen, er-
innern. Rücksichten auf die Festigkeit der Kirchen scheinen
dann in der folgenden Periode die praktische Art, die Säulen
durch Triforienkreuze u. s. w. zu verstärken, hervorgerufen zu
haben. Natürlich darf dies nur als eine Möglichkeit ausge-
sprochen werden, da ja jenes einzige, aus der ältesten Periode
erhaltene Denkmal keinen sicheren Schlufs zuläfst und andere
Kirchen das Glied, das der Kirche von Urnes fehlt, wohl gehabt
haben können. Der Umstand aber, dafs eine Reihe von Kirchen
der zweiten Periode dieses Glied entbehrt, sowie die Thatsache,
dafs die Entwickelung der Stabkirche innerhalb Norwegens
eine Richtung von den Steinvorbildern weg, und den echten
Prinzipien der Holzkonstruktion sich nähernd zeigt, macht es
wenigstens nicht unwahrscheinlich, dafs wir hier die Spur einer
konstruktiven Entwickelung haben, die erste, nach dem der