Die Holzbaukunst Norwegens
In Vergangenheit Und Gegenwart
Forfatter: L. Dietrichson, H. Munthe
År: 1893
Forlag: Schuster & Bufleb
Sted: Berlin
Sider: 205
UDK: st.f. 72(481) die
Mit Einer Übersichtskarte Und 31 Tafeln Nach Alten Denkmälern Und Nach Ausführungen Von H. E. Schirmer, G. Bull, Thrap-Meyer, B. Lange, V. Hannosen. Und H. Munlhe, Sowie Über 220 Textabbildungen
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DRITTES BUCH.
DIE GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DER STABKIRCHEN.
Einleitung.
Chronologische Ausgangspunkte.
Vorbemerkungen. Entstehungszeit der Kirchen. Äufsere Kriterien: Inschriften und litt erarische Quellen.
Innere Kriterien. Erste Erwähnung der Kirchen als bes
Die Geschichte der Stabkirchen kann nicht in derselben
Weise geschrieben werden, wie die Geschichte im Allgemeinen:
Man kann nicht in den Archiven die chronologischen Anhalts-
punkte finden, die über die verschiedenen Stufen der Entwick-
lung und ihrer Aufeinanderfolge, über Ursache und Wirkung
Aufschlufs geben; ebensowenig kann man den Inschriften der
Monumente dergleichen Enthüllungen zumuthen: Die Geschichte
schweigt, schweigt unerbittlich, und wir müssen, ehe wir uns
an eine historische Darstellung wagen, erst mühsam aus den
dunkeln Tiefen der Kirchen selbst die schwachen Andeutungen
herauslesen, aus denen wir uns unsere chronologischen Anhalts-
punkte bilden müssen.
Den wenigen überkommenen Denkmälern gegenüber wird
diese Arbeit natürlich doppelt schwer, und es wird überhaupt
nicht möglich sein, ein so sicher fundamentirtes historisches
Gebäude zu errichten, dafs nicht der eine oder andere Punkt
umgestofsen werden könnte; ob es uns überhaupt gelingen wird,
ein nur einigermafsen haltbares Gebäude zu errichten, wird
davon abhängen, ob die zu gewinnenden äufseren und inneren
Kriterien hinlänglich sicher und zahlreich sind, um ein solches
Gebäude zu tragen. Und es mufs hier offen bekannt werden:
Vieles wird wohl auf immer Hypothese bleiben. Denn wie
beim Studium der antiken Kunst, nur in noch weit höherem
Grade, tritt die bedauerliche Thatsache auch hier hervor, dafs
Monumente und Litteratur sich fast niemals decken wollen.
Die bestehenden Reste sind in der Sagalitteratur nie besprochen
die besprochenen sind alle zu Grunde gegangen: Sie können
fast nie gegenseitig ein Licht auf einander werfen. Indessen
darf es nicht unversucht bleiben, eine Entwicklung nachzuweisen,
etwas wird doch wohl von dem Gebäude stehen bleiben.
Wiewohldie Entstehungszeit keiner einzigen noch jetzt besteh-
enden Kirche genau bestimmt werden kann, und wiewohl die
verschwundenen Kirchen, deren Entstehungszeit durch Diplome,
Chronik oder Inschriften bestimmt werden könnte — ihre Zahl
ist nicht ganz unbedeutend — nur in ganz vereinzelten
Fällen über die Stilentwicklung Aufschlufs geben, darf man
den Versuch einer Darstellung derselben doch nicht aufgeben.
Wie wenn man aus dem hellen Tageslicht in das dunkle
Kellergewölbe eintritt, wird auch hier zwar anfangs alles
dunkel scheinen, allmählich werden jedoch die Umrisse der
Gegenstände klarer und klarer aus dem Dunkel hervortauchen,
bis man endlich einen Überblick über den dunklen Raum erhält,
freilich auf die Gefahr hin, bisweilen einzelne Umrisse als
wirkliche Gegenstände anzusehen, die in der That nur auf der
Netzhaut des Auges haften.
Eine wichtige Vorbemerkung mufs allerdings hier ihren
Platz finden. Nicht nur, wenn von Kirchen die Rede ist, deren
ehend: Inschriften und litterarische Quellen, Münzen.
Konstruktion und Ornamentik wir nicht mehr kennen, sondern
auch bei bekannten Kirchen wird es oft unsicher sein, ob an
dem betreffenden Orte im Laufe der Jahrhunderte des Mittel-
alters nur ein und dieselbe Kirche dieses Namens gestanden
hat, oder ob die Kirche einmal oder mehrmals umgebaut be-
ziehungsweise neu gebaut worden ist. Ein Bericht in der
Saga oder dem Diplomatarium, dafs eine gewisse Kirche an
einem bestimmten Orte zu einer bestimmten Zeit stand, sagt
ja eigentlich nur was sie sagt: Damals stand da eine Kirche,
nicht aber ob dies dieselbe Kirche war, die noch da steht, oder
die wir durch Zeichnungen oder Überreste kennen. Was aber
die uns, sei es aus Überresten oder aus Zeichnungen, sei es als
noch bestehend bekannten Kirchen betrifft, so wird in den
meisten Fällen der Zeitcharakter der Ornamentile diese Frage
lösen, indem eine Kirche, die z. B. in ihren Ornamenten noch
den Charakter des 12. Jahrhunderts trägt, nothwendig dieselbe
sein mufs, die in Diplomen oder Berichten des 14., 15., 17., 18.
Jahrhunderts genannt ist. Und was die uns unbekannten, jetzt
völlig verschwundenen Kirchen betrifft, so mufs man darauf
bedacht sein, dafs die Kirchen, welche in den spätesten
Jahrhunderten des Mittelalters erwähnt werden, um dann in
den offiziellen Berichten des 17. oder 18. Jahrhunderts mit der
Bemerkung, dafs sie Stabkirchen sind, wieder aufzutauchen,
aller Wahrscheinlichkeit nach dieselben sind, die früher erwähnt
wurden, da das Bauen von Stabkirchen mit dem Mittelalter
aufhörte, wiewohl wir in diesem Falle natürlich nie die volle
Gewifsheit darüber erhalten können, ob nicht vielleicht eine
Feuersbrunst, ein Sturm oder eine Lawine die Kirche in den
allerletzten Jahren des Mittelalters zerstört haben kann, wonach
dieselbe wiederum kurz vor der Reformation noch als Stabkirche
kann errichtet worden sein. Da indessen dergleichen Zer-
störungen nur die Stabkirchen, nicht aber die Steinkirchen
vollständig vernichteten, indem die Mauern der letzteren ge-
wöhnlich für den Neubau aufs neue verwendet wurden, so wird
der Fehler sich jedenfalls darauf beschränken, dafs man eine
statt zwei Stabkirchen auf derselben Stelle annimmt, indem
selten eine Stabkirche eine Steinkirche abgelöst hat. Die Ten-
denz war im Mittelalter die entgegengesetzte, Holz durch Stein
abzulösen. Wesentliche Folgen wird ein solcher Fehler auch
kaum nach sich ziehen, da ja aus verschwundenen Kirchen
nur in seltenen Fällen wichtigere Schlufsfolgerungen gezogen
werden können.
Eine andere Frage, die wir im voraus erledigen möchten,
ist die, wie man in der Bestimmung der Zeit der Ornamentik
individuelle oder lokale Tüchtigkeit oder Untüchtigkeit von
der allgemeinen Tüchtigkeit oder Untüchtigkeit eines ganzen
Zeitalters zu unterscheiden hat, ob man nicht leicht lokale oder