Die Holzbaukunst Norwegens
In Vergangenheit Und Gegenwart
Forfatter: L. Dietrichson, H. Munthe
År: 1893
Forlag: Schuster & Bufleb
Sted: Berlin
Sider: 205
UDK: st.f. 72(481) die
Mit Einer Übersichtskarte Und 31 Tafeln Nach Alten Denkmälern Und Nach Ausführungen Von H. E. Schirmer, G. Bull, Thrap-Meyer, B. Lange, V. Hannosen. Und H. Munlhe, Sowie Über 220 Textabbildungen
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persönliche Eigenschaften mit den Zeiteigenschaften einer Blüthe-
oder Verfallzeit verwechseln kann. Im Allgemeinen darf man
wohl behaupten, dafs wir es da, wo schlechte Ausführung
mit anderen Merkmalen vereinigt ist, die sonst einer ganzen
Gruppe ausgezeichneter Werke angehören, oder umgekehrt wie
im Portal von Öjfjeld, mit Merkmalen einer persönlichen oder
lokalen Tüchtigkeit bezw. Untüchtigkeit zu thun haben; wenn
aber die gute oder schlechte Arbeit mit einer Reihe anderer eben-
falls guter oder bezw. schlechter Eigenschaften Hand in Hand
geht, da dürfen wir an einen der Zeit gemeinsamen Grad der
Tüchtigkeit oder Untüchtigkeit glauben. Sehr oft kann aber die
Lösung der Frage sehr verwickelt werden, und es sei mir ferne
zu glauben, dafs ich nicht mehr als einmal an diesem unter-
seeischen Felsen gescheitert bin.
Wir beantworten nun zuerst die Frage:
I. Wie bestimmt man die Zeit der Errichtung 1 einer
Stabkirche? Dies geschieht theils nach äufseren, theils nach
inneren Kriterien.
a. Äufsere Kriterien, i. Datirte Inschriften, welche
die Jahreszahl der Kirchweihe angeben. Leider kennt man
deren nur zwei, von denen die eine die Weihe der Kirche zu
Tönset ins Jahr 1211, die andere die von Nesland ins Jahr
1242 verlegt.
2. Nicht datirte Inschriften, die obschon ohne be-
stimmte Jahresangabe, dennoch durch Nennen bekannter Namen
indirekt die Zeit der Errichtung einer Kirche andeuten. Dieser
Art sind leider auch nur zwei Inschriften, eine aus der Kirche
zu Atraa in Thelemarken die als von Bischof Ragnar in
Hamar geweiht, bestimmt in der Zeit zwischen 1163 und 1190
gebaut sein mufs, und eine aus der Kirche zu Stedje, die
durch die sicherlich so zu verstehende Angabe, dafs „Sigrid
von Hval diesen Kirchenstab für die Seele Arnthors und für
ihr eigenes Seelenheil geschenkt habe“, die im Hochsommer
1 184 bestehende Kirche als nach dem Tode des bekannten zur
Weihnachtszeit 1183 noch lebenden Arnthor von Hval — also
im Frühling 1184 erbaut ganz genau angiebt.
3. Angaben in den Königssagen und Diplomen
aus dem Mittelalter.
Solche Angaben der Erbauungszeit einer Stabkirche
kommen nicht selten vor, betreffen aber ausschliefslich Kirchen,
deren Konstruktion und Ornamentik wir nicht kennen, und
haben darum nur untergeordnete Bedeutung. In dieser Weise
wird die Errichtung folgender Kirchen auf die angegebenen
Jahre verlegt: Die ältere Clemenskirche in Nidaros
(Drontheim) 996, die jüngere Clemenskirche in Nidaros
1016, die kleine Christkirche in Björgvin (Bergen) etwa
1075, die Nicolaikirche in Nidaros, die Apostelkirche
in Björgvin und die Kirche von Vaagan in Lofoten (?),
alle 1103— 1122, die Kastellkirche in Konghella (Bohuslän,
jetzt in Schweden) 1127, St. Olaf am Hügel in Björgvin
“äs—36. Die Olafskirche der Dominikaner daselbst 1230
bis 1240, die Kirche zu Evenvik, die Kirche zu Ekerö,
die Kapelle im Königsbau zu Nidaros alle 1240—63; alle
diese waren in den Königschroniken genannt. In Diplomen des
Mittelalters wird aufserdem die Kirche zu Garmo auf etwa
1021—30, die jüngere Kirche zu Tuddal auf etwa 1370,
Ullensaker auf 1450—1500 verlegt. In einem alten Missale
hat man die Erbauung der Kirche zu Stangvik auf das Jahr
1407 verlegt gefunden.
b. Innere Kriterien. Bei Benutzung der chronologischen
Bestimmungen, die aus Konstruktion und Ornamentik abgeleitet
werden können, mufs man, wo beide bekannt sind, genau dar-
auf Acht geben, dafs man alle beide in möglichst genauem
Zusammenhang betrachtet, und dafs man sein Urtheil nicht
einseitig, sei es aus der Konstruktion, sei es aus ornamentalen
Einzelheiten ableitet. Wo ältere Konstruktionsformen in Ver-
bindung mit einer jüngeren, aber ursprünglichen Ornamentik
vorkommen, oder umgekehrt, mufs das Alter der Kirche selbst-
verständlich auf die jüngere Zeitperiode herabgerückt werden.
Dabei ist natürlich für eine Menge subjektiver Auffassungen
freier Spielraum: Indessen glaube ich, dafs die unten ange-
führten Anzeichen im Grofsen und Ganzen nicht allzuweit vom
Thatsächlichen abweichen werden.
1. Das Vorkommen irischer (keltischer)
Ornamentformen mit ihren eigenthümlichen Bandver-
schlingungen und Thieren mit zwei und vier Füfsen, mit hinten
rund, vorn spitz gebildeten Augen, mit Zopf und geschwungenem
Mund, aber ohne Flügel, kann freilich in Einzelheiten bis tief
ins 12. Jahrhundert stattfinden (Giebelspitze zu Borgund u. a.)
verschwindet aber der Hauptsache nach schon in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts, ja in ihren ganz durchgeführten
Formen, die vollständig mit der sogenannten schwedisch-irischen
Gruppe des heidnischen jüngeren Eisenalters übereinstimmen
schon von 1100 ab. Aus diesem Grunde scheint die nördliche
Seite der Kirche zu Urnes der Zeit um 1100 zugeschrieben
werden zu müssen, sowie auch die Ornamente der Kirche von
Bjölstad in Gudbrandsdal und zwei schon bei dem Bau der
jetzigen um das Jahr 1200 abgebrochenen Kirchen in Torpe
und Hopperstad, während dagegen die Ornamente von der
Kirche zu Vaage und der Kirche zu Bödalen, sowie die von
der Kirche zu Rennebu, deren Thierfiguren mit den oben
genannten Zusammenhang zeigen, Zwischenformen andeuten,
die schwerlich weiter zurück als bis 1100, gewifs aber auch
nicht weiter hinunter als bis etwa 1150 gerückt werden dürfen.
Geflügelte Figuren finden sich hier fast gar nicht.
2. Das Fehlen der Triforienkreuze, Zangen und
Unterbögen in dreischiffigen Kirchen deutet vielleicht die
noch nicht ganz vollendete typische Konstruktion an und dürfte
wohl im Allgemeinen die Zeit vor dem Jahr 1200 angeben. Sie
fehlen an den Kirchen zu Urnes, Aardal, Fortun, Kau-
panger, Hafslo.
3. Das Eintreten des Kleeblattbogens, gleichgiltig
ob rund oder spitz, dürfte, wo er ursprünglich ist, die Erbauung
der Kirche in die Zeit nach dem Jahre 1200 verlegen, indem dieser
Bogen in den Steinbauten Norwegens erst um dieses Jahr auf-
tritt, und gewifs erst von da in den Holzbau übergegangen ist.
So sind die Kirchen zu Vang und zu Hedal in die Zeit nach,
aber der Ornamentik zufolge nicht lange nach 1200 zu verlegen.
Der Kleeblattbogen in der Kirche zu Torpe ist nicht sicher
mit der Kirche von gleichem Alter, und der Kleeblattbogen
in der Kirche zu Borgund ganz bestimmt später hinzuge-
fügt. Dafs die Kirche zu Gol durch die Restauration einen
Kleeblattbogen erhalten hat, dürfte vielleicht einem kleinen
Anachronismus zuzuschreiben sein.
4. Die figürlichen Reliefs gehören, wie wir später
entwickeln werden, wahrscheinlich der Zeit zwischen 1200 und
1250 an, was ja auch' mit der bestimmten Datirung der
Kirche zu Nesland, wo solche Reliefs vorkommen, auf 1242,
sowie mit einem anderen später zu behandelnden Kriterium
der Kirche zu Hyllestad vollkommen stimmt. So sind denn
die Kirchen zu Hyllestad, Vegusdal, Austad, Nesland und
Hemsedal auf 1200—1250 zu datiren. Dagegen scheinen
Lardal und Opdal jünger zu sein.
5. Das Eintreten des Spitzbogens zeigt, wo er ur-
sprünglich ist, dafs die Kirche bestimmt jünger als 1200 ist.
Im Steinbau tritt der Spitzbogen zum ersten Mal in Norwegen
nach der Rückkehr des Erzbischofs Eystein aus dem Exil in
England, 1184 auf, und vor dem Schlüsse des Jahrhunderts hat
er sich in einigen Steinkirchen und um Nidaros herum einge-
bürgert. In den übrigen Theilen des Landes aber zeigt er
sich in den Steinkirchen erst nach 1200, und von diesen geht
er nach und nach in die Holzkirchen über. Noch in der Kirche
zu Nesland zeigt sich 1242 keine Spur des Spitzbogens, und
da er im Holzbau nie eine konstruktive Rolle gespielt hat,