Die Marfels'sche Uhren-sammlung
Umfassend Interessante Taschen-Uhren Seit Erfindung Derselben
År: 1888
Forlag: Kühl & Co. Grossherzoglich Hessische Hof-Kunstantstalt
Sted: Frankfurt Am Main
Sider: 121
UDK: st.f.739.3 Mar
In 48 Lichtdruck-Tafeln Nebst Erläuterndem Text
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Die älteste bekannte Taschenuhr.
Die „Deutsche Uhrmacher-Zeitung“ schreibt in ihrer No. 9 vorn 1. Mai 1889:
Als einen besonders glücklichen Zufall muss es Herr Maifels,
dessen Sammlung wir im vorigen Jahrgange beschrieben haben, wohl an-
sehen, dass es ihm gelungen ist, von der ersten Art der I aschenuhren,
von welcher man seither nur ein Stück kannte, das sich im Bayerischen
Museum in Nürnberg befindet, ein Exemplar in seinen Besitz zu bringen,
das, der ganzen Arbeit und Konstruction nach zu urtheilen, noch älter ist,
als das in No. 2 des vorigen Jahrgangs beschriebene Stück dieses Museums.
Wir wollen unseren Lesern in Folgendem von dieser intet essanten
Uhr eine genaue Beschreibung geben, wie sie der Wichtigkeit dieses
Stückes entspricht.
Die von Herrn Marfels erworbene Uhr hat, wie die im Bayerischen
Museum befindliche, ebenfalls noch die runde Form — ein Beweis mehr für
die Behauptung des Bibliothekars Herrn Friedrich in Nürnberg, dass die
Eiuhren nicht die ältesten Uhren sind — und misst 6 cm. im Durchmesser,
bei 2 cm. Höhe. Das bronzene Zifferblatt hat nur die Stundentheilung
und ist über jeder Zahl mit einem kleinen Knöpfchen versehen, das über
dei Ziffer XII in einen spitzen Stachel ausläuft, um die Zeit bei Nacht
zu finden. (s. Fig. 1.)
Das Werk selbst einschliesslich der Räder und Platinen ist voll-
ständig aus Eisen verfertigt und ähnelt dermassen den älteren Schlosser-
arbeiten, dass kein Zweifel darüber herrschen kann: der Verfertiger dieser
Uln ist Sclilosser gewesen — es ist selbst nicht ausgeschlossen, ja sogai
höchst wahrscheinlich, dass wir in diesem Stück ein Exemplar
der Henlein ’schen Uhren vor uns haben.
Gehen wir näher auf die Konstruction und Ausführung der einzelnen
1 lieile ein, so fällt uns vor Allem auf, dass diese Ulir noch kein Federliaus
hab Fis' 5. Es sind statt dessen im Kreise 4 eiserne Stifte in der Platine
befestigt, zwischen welchen die Feder lagert. Das äussere Ende derselben
ist an einen der Pfeiler der Platine eingehakt. Fig. 5. Die Feder selbst
ist sehr roh ausgeführt und ähnelt mehr einer solchen in einem Thürschlosse,
als einer Uhrfeder. Eine Schnecke ist ebenfalls noch nicht vorhanden. Zur
Ausgleichung des ungleichen Zuges der sehr kräftigen Feder, die nach
stattgehabtem Aufzuge selbstredend viel stärker wirkt, als zur Zeit ilnes
Ablaufens, dient die folgende, in Fig. 2 abgebildete Vorrichtung. Aul einer
drehbaren mit dem Federrade in Verbindung stehenden Welle sitzt eine
excentrische Scheibe, auf deren äusseren Umfang eine Rolle drückt, welche
an einer gebogenen, starken Feder sitzt. Wird die Uhr aufgezogen, so
dreht sich der Excenter von links nach rechts, bis nacli vollendetem Aut-
zuge die auf erstere drückende Feder auf der höchsten Stelle angelangt
ist und hiermit ihre grösste Spannung erlangt. In dieser Spannung ülit die
an der Feder befestigte Rolle einen bedeutenden Druck auf den Excenter
aus und hemmt oder paralysirt hierdurch gewissermassen die erhöhte Kraft
der ganz aufgezogenen Zugfeder. Mit dem Ablaufen des letzteren dreht
sich der Excenter von reclits nacli links, so dass die Druckfeder in dem
gleiclien Maasse abgespannt wird, also um so viel weniger bremst als die
Zugfeder in ihrer Kraft nachlässt. Gewiss ein gut ausgedachtes, wenn auch
primitives Hülfsmittel zur Ausgleichung der ungleichen Kraft der Zugfeder.
In der Zeichnung ist die Bremsvorrichtung in der Stellung darge-
stellt, die sie einnimmt, wenn die Zugfeder nahezu aufgezogen ist.
Äusser den Platinen und Rädern sind auch die Pfeiler dieser Uhi,
sowie sämmtliche Kloben, aus Eisen gearbeitet und beweisen ebenfalls
durch, die Art ihrer Ausführung, dass das fragliche Stück Sclilosserai beit
ist und — der Zunft der Sclilosser verdanken wir, wie schon früher be-
wiesen, die Erfindung der Taschenuhren.
Die Unruhe fehlt zwar, doch beweist eine Oeffnung in der Platine,
dass dieselbe sehr klein war, und dass die Regulirung des Ganges mittelst
zwei in einem verschiebbaren Hebel befestigter Schweinsborsten geschah,
an welche die beiden Schenkel der Unruhe abwechselungsweise anprallten. .
Das bronzene schön gravirte Gehäuse und Zifferblatt war, wie aus
verschiedenen Anzeichen unzweifelhaft zu ersehen ist, früher ganz glatt und
wurde, der Zeichnung nach zu urtheilen, erst einige Jahrzehnte nach seiner
Entstehung, etwa gegen 1560, mit den jetzt darauf befindlichen Gravirungen
versehen, (s. Fig. 3.) „ „ , ., , . ,.
Die Zähnezahl der Räder und Triebe weicht von der in diesem
Jahrhundert gebräuchlichen Verzalinung vollständig ab. Die einzelnen
Räder und Triebe weisen folgende Zahlen auf:
Das
w
W
n
n
V
Stundenrad
Federrad
Grossbodenrad
Kleinbodenrad
Kronrad
Steigrad
24
63
45
40
35
15
Zähne.
dessen
Die Uhr ging nach einem
machte 22,680 Schwingungen pro
Aufzug
Stunde.
«
n
n
ca.
Triebe
n
w
it
40
7
5
5
5
Stunden
Zähne.
n
W
w
und die Unruhe
uns bestimmen, diese Uhr als die wahr-
Die Hauptgründe, welche
scheinlich älteste aller bekannten Taschenuhren zu bezeichnen und der-
selben in dieser Beziehung selbst den Vorrang vor der ungefähr aus dem
Jahre 1510 stammenden Uhr des Hans Gruber im Bayerischen Museum
zu Nürnberg zu geben, sind die folgenden:
Das vorliegende Stück ist zweifellos Schlosserarbeit.
Es ist eine Reisetaschenuhr (Satteluhr) noch ohne Schlagwerk, und
solche waren es sicher, die zuerst gefertigt wurden, während die Uhr
im Bayer. Museum eine ganz kleine Damenuhr von 2 cm. Durchmesser ist.
Die vorliegende Uhr ging nacli einem Aufzuge ca. 40 Stunden, die-
jenige des besagten Museums nur 12 Stunden — und Cocleus schrieb
in seinem Anhange zur Cosmographie des Pomponius Mela im Jahre
1511, dass die Uhren des Henlein 40 Stunden gingen! Ferner ist es
erwiesen, dass die Uhren der unmittelbaren Nachfolger des Henlein
nur 12 Stunden gingen; ein Umstand, der die Urheberschaft des
Henlein an der Marfels’schen Uhr noch wahrscheinlicher macht..
Das Zifferblatt unserer Uhr hat noch nicht die ’/i Stundeneintheilung,
1)
2)
3)
4)
5)
wie dasjenige ihrer Kollegin in Nürnberg.
Die ganze Ausführung ist so ausserordentlich primitiv, namentlich die-
jenige der Platinen, Pfeiler, Räder und Triebe, sowie der Kloben,
dass es für jeden Fachmann ganz zweifellos ist, dass er hier eine der
ersten Uhren des berühmten Schlossers vor sich hat.
Obgleich die Marfels’sche Sammlung viele höchst seltene Uhren
aufweisst und namentlich in künstlerischer Beziehung Prachtstücke in sich
scliliest, so würden wir docli von unserem Standpunkte aus nicht ansti hen,
dieser so äusserst primitiv hergestellten Uhr den ersten Platz einzuräumen
__ist es docli ein eigenes Gefülil, einen Mechanismus vor Augen zu liaben,
der vor fast 400 Jahren von einem einfachen Schlosser ersonnen und aus-
geführt wurde, und der heute eine so grosse Rolle spielt.
Wie viel Kopfzerbrechen mag dem alten Meister die Ausführung
der verschiedenen, dem oberflächlichen Beobachter so ganz selbstverständ-
lich scheinenden Einrichtungen dieser Uhr gemacht haben! Man denke nur
an die oben erwähnte excentrische Scheibe und deren Verwendung zur
Federregulirung, oder an das Anbringen der Schweinsborsten statt der jetzt
üblichen5 Spirale, ferner an die Knöpfchen zur Bestimmung der Zeit bei
Nacht und an die Anfertigung der Räder, Triebe etc. aus freier Hand
mit den denkbar einfachsten Werkzeugen.