Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Vierter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1851
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 296
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der wirbellosen Thiere
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Einleitung.
Kerfe.
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ner (c) , beten erhabene Rippen von einander weichen,
der Raupe ben AuStriit gestalten unb fich wieber fchliehen.
Jnsecteneier besttzen ubrigenS eine sehr groste Wiber-
stanbskrafi gegen Jtalte, Fenchtigkeit unb hohe Hitzegrabe.
Schon Boerhaave bemerkte, bah ber sehr Harte Winter
don 1709, welcher viele groste Thiere unb selbst alke
Båume tobieie, offen ba liegenben Jnsecteneiern nicht
schabete, unb Gleiches warb wahrenb beS noch weit
strengeren Winters von 1788 in Frankreich beobachtet.
Aus Spallanzani's Versuchen uber bie Lebenskraft ber
Jnsecteneier ergiebt stch, bast fie burch bie lange fortge-
setzte Einwirkung einer kunstlich hervorgebrachten Jtålte
von 60 unb enblich sogar von 220 nicht litten, sonbern
iin nachsten Fruhjahre rote gewohnlich ausgebrutet
rourben. Vogeleier leisten viel geringeren Wiberstanb
unb frieren, inbessen langsam, schon bei 0°; wieber auf-
gethauet unb nochmals ber Kalte ausgesetzt, frieren fie,
Weil bie Lebenskraft erloschen, in ebenso kurzer Zeit
roie Wasser. Hitze schabet Jnsecteneiern nur bann,
roenn fie ungewohnliche Hohe erreicht. Spallanzani
sanb, bah bie Seibenraupe bei 108° F. starb, bah aber
bie Eier beS SeivenspinnerS bis 1400 F. aushielten unb
Ihr Lebenskeim erst bei 144° F. erlosch. Maben ber
Schmeihstiege kamen au8 Eiern, bie einer Temperatur
von 135° F. ausgesetzt geroesen roaren, allerbings aber
bei 140° F. eintrockneten. Die Eier ber Kerfe beburfen
meistenS einer langeren Zeit zur vblligen Entwickelung;
bei ben in kålieren Lanbern Heimischen Arten ruhen fie
ben Winter hinburch, unb bie Larve kommt nicht vor
Eintritt toarmerer Witterung zum Vorscheine. Gering
ist bie Zahl ber Maben gebahrenben Kerfe, zu welchen,
auher mehreren Arten von Fliegen, bie Blaiilause toohl
ohne AuSnahme gehåren burften. Bei ber getourfelten
Schmeihstiege (Sarcophaga carnaria) liegen im Hinier-
leibe bie Larven in ben gleichsam in ein Banb zusammen-
gerollten Eileitern (Fig. 2908. A); Reaumur entfaltete
eineS bieser Organe (B) unb fanb, bah e82% Zoll in ber
Lange niaah unb auS ettoa 20,000 zufammenhangenben
Maben bestanb. Solche Fruchtbarkeit bei voller Ent-
roickelung ber eben geborenen Larve erklart zur Genuge
baS ungeheuere Ueberhanbnehmen ber Fliegenmaben auf
jebem faulenben Gegenstanbe. Die Entroickelung ge-
schieht ubrigens auch bei solchen Fleisch - unb Aasflie-
genmaben sehr fchnell, roelche in Eier eingehullt geboren
toerben. Eine britte, noch roeit seltenere Form kommt
vor bei einigen Zweisluglern, ro o bie Larve im Mutterleibe
nicht allein auSkriecht, sonbern sogar sich verpuppt unb
in biesem Zustanbe geboren roirb. Diese puppengebah-
renben Jnsecten bilben ubrigens nur eine, nicht eben
unsehnliche Familie.
Bei ber Mehrzahl ber Jnsecten zerfallt ber Lebenslauf
in vier Perioben: baS Leben im Ei, als Larve, Puppe
unb vollkommenes, zur Fortpflanzung befåhigieS Ge-
schopf. Grohere ober geringere Umgestaltungen bes
LeibeS bezeichnen biese im Allgemeinen Verwanblung
(Metamorphose) genannten Zustanbe, in welchen altere
Entomologen, wohl mit Nnrecht, zahlreiche Abstufungen
erkannten unb mit eigenen Namen belegten. Fur
gewdhnliche Zwecke genugt eS, bie Kerfe zu theilen in
solche mit vollkommener Verwanblung, wo bie Larve als
langliche Made, Raupe ober Engerling erscheint, bie
Puppe ruht ober boch nicht friht, unb solche mit unvoll-
kommener Verwanblung, wo ztoischen Larve, Puppe unb
vollkommenem Jnsect ein groher Unterschieb ber Gestalt
nicht herrscht, bie Puppe fich bewegt unb friht. Zu
dieser Abtheilung gehoren bie Halbflugler (Fig. 2909. A
Larve eines ZeluS), Gerabflugler unb Netzstugler, benn
. ihre Larve åhnelt, abgesehen vom Mangel ber Flugel,
dem vollkommenen Thiere, verpuppt fich nicht, fåhrt fort
zu freffen, verfålli nie in einen Zustanb von Abgeschlossen-
Heit unb Ruhe unb erlangt bie berReife zukommenbe Ge-
stalt burch mehrfache Hautungen. In bie erste Abtheilung
stellt man alle ubrigen Jnsecten, bieKafer (B Larve eines
Telephorus), Hautflugler, Gitterflugler, Schmetterlinge
(C Larve eines AbenbfalterS) unb Zweiflugler (D Larve
einer Mucke), bei welchen ein beutliches Puppenleben
stattfinbet. Von bem Hergange ihrer åuheren Entwicke-
lung geben bie Schmetterlinge ein allbekanntes Beispiel.
Bei bem AuStritt aus bem Ei Hat jebe Larve nur geringe
Grohe, wåchst aber in bem Verhåltnih schnell, als fie
burch Gefråhigkeit fich hervorthut unb eine schnelle unb
vollkommene Verbauung befitzt. Nach Lhonet wiegt
bie ausgewachsene, zur Verpuppung reife Weibenraupe
72,000 Mal inehr, alS am Tage ihres Ausschlupfens
auS bem Eie. Einer so gewaltigen Korperzunahme
entspricht nicht bie Dehnbarkeit ber Haut. Balb wirb
biese zu eng, unb ihre Abwerfung unb Wieberersetzung
wirb nun zur Nothwenbigkeit. Wie bei ben Vogeln
zur Zeit ber Mauser, tritt auch bei Jnsecten wahrenb ber
Hautung ein kurzeS llebelbefinben ein. Die Raupe
verhalt fich ruhig unb friht nicht, schlupft enblich auS
ber nach allen Richtungen fich losenben, gemeinlich auf
bem Rucken berstenben Hulle, erlangt aber bie vorige
Beweglichkeit unb Frehgier nicht eher wieber, als nach
geschehener Erneuerung ber Haut. Sie entbehrt aller-
bingS mehrere Stunben bie schutzenbe Oberhaut, benn
bah bie nette tinter ber abzustreifenben schon vorbereitet
liege, ist ein, wenn auch vielfach wieberholter Jrrthum.
In kurzer Zeit entsteht burch Ausschwitzung unb Ver-
Hårtung eine neue Decke, bie aber fur bie rasche Zunahme
nicht viele Wochen zureicht unb balb wieber einer anbern
weichen muh. Fur bie Mehrzahl ber Larven genugen
vermuthlich vier Hautungen, boch finb ihrer auch acht
an solchen Raupen nachgewiesen worbeit, bie bis zwei
Jahre ohne Verpuppung leben finnen. Unter ben
Zweifluglern giebt eS mehrere, bie ihre Haut nie abstrei-
fen, sonbern mit ihr angethan fich verpuppen, allerbingS
aber theilS eine sehr behnbare Haut befitzen, theils im
Feuchten leben ober auch nur sehr kurze Zeit im Larvett-
zustanbe verharren. Wahrenb bes letzteren solgt baS
Jnsect nur ber einen Bestimmung, viel zu fressen, nach
Moglichkeit fich zu itahren, rasch zu wachsen, unb Stoff
fur bie nachstfolgenben Arbeiten beS Organismus aufzu-
sparen. Ihre Eristenz ist bann ntehr egoistisch als in
irgenb einer spateren Zeit, unb baher freffen fich wohl
auch Raupen berselben Art auf, bie man, ohne fur
Hittreichenbes Futter zu sorgen, zufammensperrte. Mag
auch bie Larve im Aeuheren von bem ausgebilbeten
Jnsect noch so sehr abweichen, so erkennt man an ihr
nicht nur bie Hauptabtheilungen bes Kersteibes, sonbern
es gelang geubten Anatomen Haufig, in ihrem Jnnern,
zumal in vorgeruckterem Alter, viele Theile aufzufinben
unb als vorgebilbete nachzuweisen, bie bem verwanbelten
unb vollkommenen Jnsect unentbehrlich sein toerben.
Nur ben einfachst gebilbeten Larven fehlen bie Fuhe unb
ein beutlich gebilbeter Kopf, bei anberen, ubrigens noch
fuhlosen tritt ber Kopf unverkenubar hervor; bie voll-
kommensten (Kåferlarve Fig. 2910.) enblich befitzen bie
genannten Theile unb zeigen bie brei, aus 12 — 13 Rin-
gen bestehenben Haupttheile: Kopf (a), Bruststuck (b),
Hinterleib (c). Schmetterlingslarven haben auher ben
vorberen, eigentlichen Fuhpaaren mehrere steischige Fuh-
paare am Bauche (Fig. 2909. C). Dah in ber alteren
Raupe bie Organe beS kunftigen SchmetterlingS vorge-
bilbet liegen (z. B. im Kohlweihling Fig. 2911.), wuhte
schon Swammerbam. Nur einer sehr geubten Hanb
gelingt ubrigens bie auf solche Entbeckungen gerichtete
Anatomirung, inbem alle Theile toeich unb viele auher-
orbentlich bunn finb, bennoch aber ist es gebulbigen
Forschern, unter welchen bie Deutschen eine hohe Stellung
einnehmen, gegluckt, bie grabweise Umgestaltung ber
innern Organe burch alle Stufen auf baS Genaueste zu
verfolgen. Man Hat baher bei Beurtheilung ber voll-
kommenen Verwanblung ber Jnsecten immer bie Jbee
festzuhalten, bah fie gan ztteue Organe nicht erzeuge,
sonbern bie bei ber aus bem Eie kriechenben Raupe bereitS
vorhanbenen, wenn auch mikroskopisch kleinen zur Ent-
wickelung bringe. Haben enblich bie Larven, auf beren
grohe Verschiebenheit in Gestalt, Bekleibung unb Får-
bung aufmerksam zu machen unnothig sein burfte, bie
ihnen gesetzlich zukommenbe Zeit verlebt, so beginnen fie
in einen neuen Zeitraum ber Verwanblung uberzugehen.
Sie Horen auf zu freffen, suchen einen geschutzten Ort,
beretten in ihm ein Lager ober einen Punkt, ber zur
Anheftung bienen kann, spinnen meistens fich ein, strei-
fen zum letzten Mal bie Haut ab unb erscheinen nun alS
Puppen, bie zumal bei Schmetterlingen (Fig. 2912. a
Abenbfalter, b Tagfalter unb bei vielen Kafern
Fig. 2916.) in ihren Umrissen, Erhohungen unb Fur-
chen bie Glieber beS kunftigen vollkommenen ThiereS
gewahren laffen. Nach Vollenbung ber im Jnnern
unaufhorlich, wenn auch mit verfchiebener Schnelligkeit
fortfchreitenben Umgestaltung unb Ausbilbung ber
Organe winbet enblich bas geflugelte Jnsect auS ber
gespaltenen Puppe fich heraus, fitzt neben berselben
einige Zeit, bis es abgetrocknet unb bie Glieber unb
Flugel fich gestreckt unb aufgerollt haben, unb wagt bann
zum ersten Male ber Luft fich anzuvertrauen. Die
Dauer ber brei Perioben ber Verwanblung kann natur-
lich nicht bei allen Jnsecten gleich sein. Von einigen
Raupen weih man, bah fie, statt im Herbste fich zu
verpuppen, nur ein Gespinnst machen, in welchem fie
unveranbert uberwinteru, um im nachsten Fruhlinge ihr
vorigeS Leben, wenn auch auf kurzere Zeit, von Neuem
zu beginnen. Viele Larven leben als solche zwei Jahre,
ber Engerling — bie Larve beS Maikafers — braucht
brei volle Jahre, um zur Entwickelung zu gelangen, unb
bei einer norbamerikanischen Cicabe (Cicada septen-
decitn) soll ber Larvenzustanb 16 Jahre bauern, eine
freilich kaum glaubliche, vermuthlich auf einer falschen
Deutung bes specifischen Namens beruhenbe Angabe.
Sowohl ber Larven- alS ber Puppenzustanb finb Hin-
fichtlich ihrer Dauer an Gesetze gebunben, bie bei feber
Art abanbern, fur bie Jubivibuen aber fich gleich bleiben
unb hochstenS burch seltene Unregelmåhigkeiten gestort
werben tonnen. Kålte halt allerbings bie Entwickelung
ber Puppen auf, Wårme mag fie befårbern, allein bie
Zeitunterschiebe bleiben måhig, sowie benn auch Versuche,
bieselben auf kunstlichem Wege abzuånbern, z. B. bas
Anskriechen ber Schmetterlinge im Winter burch Ofen-
wårme zu erzwingen, sehr leicht baS Absterben ber
Puppen verurfachen. Die Mehrzahl ber Jnsecten
theilt ben kurzen LebenSlauf ber einfåhrigen ober
Sommergewåchse, kommt im Fråhjahre auS bem Ei
unb burchlåuft alle Perioben ber Eristenz bis zum
Herbste, wo fie Eier hinterlassenb wegstirbt. Viele
haben noch kurzere Dauer, unb bann erzeugt ein Som-
mer zwei Generationen; Bienen unb anbere Kerfe finb
hingegen vielfahrig.
Eine Thierclaffe von so erstaunlichem Umfange unb
so wunberbarer Verschiebenheit wie biejenige ber Jnfec-
ten muh eine enisprechenb grohe Menge von LebenSzei-
chen geben, vielerlei Thåtigkeiten entwickeln unb bas
bunteste Bilb von Siiten barbieten. Gerabe in biesem
ileberfluffe von Thatsachen liegt bie Unmoglichkelt einer
allgemeinen Schilberung im engeren Rantne, wenn
solche uberhaupt in methobischer Art burchzufuhren
wåre. Forscher, welchen Reichthum vieljåhriger Er-
sahrungen unb grohe Gelehrsamkeit zur Hilfe kanten,
finb, wie selbst Kirby unb Spence, an ber Unermehlich-
keit ber Ausgabe gescheitert unb haben, bei allem Umfange
ihrer Werke, weber Erfchopfenbes noch streng GeorbueteS
zu liefern vermocht, benn balb trotzt bie Menge ber That-
fachen bem menfchlichen Fleihe, balb erscheint ihre Zuruck-
suhrung auf Gesetze unmoglich, bie fur Beurtheilung von
Sitten unb Wesen in ben hhheren Thierclassen volle
Anwenbbarkeit befitzen. Muh man fich fonach bamit
begnugen, bie Jnsecten in jenett Beziehungen in ihren
einzelnen Abtheilungen ber Betrachtung zu untermerfen,
unb entschlieht man sich, abzusehen von Aufstellung
eineS allen gerechten Gesammibilbes, so wirb boch eine
asie gleichmåhig beruhrenbe Frage mit Schweigen nicht
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