Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Vierter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1851
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 296
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der wirbellosen Thiere
Mit 1558 Ubbildungen
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Erste Orbnnng. jSafer.
Ke rs c.
69
Erste Ordnung.
Kafer.
Ååfer dilden eine sehr naturlige, im allgemeinen
Ansehen sehr ubereinkommende, dabei anherorbenilich
grohe Abtheilung der Kerfe. Od fie die vollkvmmen-
sten unter diesen seien, ist eine schwer zu beantwortenbe
Frage, benn in Ermangelung eines anderen Maahsta-
bes kann man nur bie Zahl unb Einrichiung ihrer Or-
gane znr Vergleichung benutzen, nicht ihr Verhallen
und^ihre Thaiigkeit, bie man entweber nicht immer zu
denten verstehl, oder die ahnlich und gleich groh alich an
anderen Kerfen beobachlet werden. Sie stehen inbeh in
der Mehrzahl der entomologischen Systeme an der Spitze
und wurden schon von Aristoteles alS besondere, wohl
Unterschiedene Gruppe anerkannt. Wenige entsernen
stch von der allgemein bekannten typischen Gestalt | D
sehr, dah ein Ansanger in der Entomologie ste unter
einer anderen Ordnung aufzusuchen verfuhrt werden
komite, indessen andern die Umrisse, wenngleich nicht
bedeutend, in ben grohern Gruppen, wie benn z. B. bie
meisten Russelkaser sehr gewolbt, Schwimniksifer flach
finb. Den graten, wie bem Hercules unb einigen
Arten ber Gatlung Goliath, stehen sehr viele von fast
Mikroskopischer Kleinheit gegenuber. Als vollenbete
Thiere haben ste in ber Regel Harte Bebeckungen unb
erhalten burch biese unb bie gebrungene Form einen ge-
toiffen Anstrich von Kraftigkeit, von welchem wohl bie
ihnen vorzugSweis zugewenbete Ausmerksamkelt ber En-
tomologen unb der Sammler Herzuleiten fein mag.
Haufig erreichen biese Bebeckungen, zunial aus bem
Brustschilde unb ben Flugelbecken, solche Harte, bah
eine starte Nabel sie nicht burchbringt, vieten aus ber
Oderstache bie vielarligsten Vertiesungen, Punkte, Gru-
ben, Furchen ober Erhohungen wie Kørner, Leisten
unb sogar Stacheln, finb mit Haaren bebeckt ober auch
glatt, ost wie polirt, balb anspruchloS gesarbt, balb
Wieber mit ben prachtigsten Farben unb bem Glanze ebler
Steine geschmuckt. Aus bieser auch ben Laien anziehen-
den Mannicksaltigkeit ber auheren Bekleibung beruht
zum grohen Theile bie Unterscheibung ber Arten. Immer
defteht ber Korper aus ben normalen brei Abschnilten,
demKopse, Bruststuck unb Hinlerleibe (Fig. 2913.a b c),
die inbessen nicht burch dunnere Stiele verbunben ober
stellenweis eingeschnurt finb, wie dei anbern Kersen Hau-
fig geschieht, sonbern mehrentheilS in ihrer ganzen Breite
an einanber siohen unb hierburch eben bie oben erwahnte
gebrungene Gestalt Hervorbringen. Der Kopf ist stumps
ober russelsormig verlsingert, zeigt ein Stirnschilb unb
toirb fon ft noch fur Zwecke ber speeiellen Beschreibung
ln verschiebene, uach ber Analogie hoherer Thierelassen
benannte Regionen getheilt, tragt bie weiterhin zu erlsiu-
ternben Sinnesorgane unb Frehwerkzeuge unb sinbert in
seiner Lange unb Stellung zum Korper je nach Gattung
unb Lebensweise. Drei beutlich erkennbare Ringe bilben
das Bruststuck, beren vorberer, baS fogenannte HalSschilb
ober Thorar, weit groher ist als bie beiben folgenben,
Welche nur an ber llnterfeite beS KorperS gesehen werben,
inbem fie unterhalb ber Flugelbecken liegen. Nur ber
zweite Brustring wirb gewdhnlich auch obenher angebeu-
tet burch eine kleine, meist breieckige Platte, bas Schilb-
^en (Fig. 2914. A a), welcheS zwischen bie Flugelbecken
am Grunbe stch einschiebt. Das HalSschilb nimmt ubri-
genS mancherlei Formen an, lsiuft bisweilen sogar in
Stacheln aus, ist oft noch Harter alS bie Flugelbecken
unb tragt unten bas erste Fuhpaar, oben bie Flugel.
Am zweiten unb britten Brustringe finb bie beiben anbern
Fuhpaare eingelenkt. Der Hinterleib laht im Ganzen
b>eniger Verschiebenheiten gewahren als bas HalSschilb
unb wechselt burch sehr unmerkliche Uebergånge zwischen
ber runben unb lsinglichen, ber platten unb cylinbrischen
Gestalt. Er wirb von 5 — 7 Ringen umkleibet, beren
Ruckenhsilfte gewohnlich sehr weich, aber von ben Flugel-
becken hinreichenb geschutzt ist. Diese stellen baS vorbere
Flugelpaar bar unb finb immer von Harterem Gewebe
als baS zweite, selten ganz weich unb fast Hautig wie
an bem IohanniSwurmchen (Lampyris), bem Pflaster-
kafer ( Lytta ) unb bem Maiwurm ( Meloe), sonbern fest
uiib wohl auch hornhart unb machen bie eigentlichen
Trager beS FarbenschmuckeS aus. Von bem Korper
tonnen ste sich nur unier rechtem Winkel entfernen
(Fig. 2913. <1), schlagen im Fluge bie Luft nicht, sonbern
verharren, so lange bieser bauert, in ber angegebenen
Stellung, reichen biSweilen uber ben Korper Hinaus ober
bleiden auch viel kurzer als bieser, finb verwachsen bei
einigen, bann immer ber Hinierstugel beraubten Galtun-
gen unb geben mittelS ber Beschaffenheit ihrer Oberflache
gule Artenkennzeichen. Wenige Kafer breiten fie im
Fluge gar nicht aus, unb bei ben Meibchen ber Johan-
niswurmer stub ste nur angebeutet. Unter ihnen "er-
bergen stch im Zustanbe ber Ruhe bie langeren, Hauligc:i,
geaberten, vom Auhenrande nach iiinen zuruckzufchlagen-
ben, in Querfalten verschiebentlich gelegten Flugel (e).
FruHer legte man auf bie Verzweigung ihrer Abern tein
Geivicht, neuere ttntersuchungen aber haben gelehrt, bah
biese an feste Gesetze gebunben fei unb alfo Keniizeichen
liesern konne. Auf bie Fuhbilbung ber Kafer ist man
sehr teitig aufmerksam geworben unb Hat sie zur syste-
matischen Anorbnung mit Erfolg benutzt. Die oben
beschriebene Theilung ber Beine gilt naturlich auch bei
ben Kafern, freilich aber zeigen bie einzelnen Glieber, je
nach ben Familien, viele Verschiebenheiten, sowvhl in
ber gegenseitigen Lange als in ber Gestalt, gestalten
inbessen nicht oft einen Schluh aus bie Lebensart.
lleber bie Bestimmung ber sehr verlangerten Hinterfuhe
springenber Kafer ober ber ruberformigen Tarsen ber
Schwimniksifer wirb sich Niemanb tauschen, aber Wariim
bei einer Gatlung bie Schenkel sehr bick, vielleicht sogar
auf ber Flache gebogen finb, wahrenb nahe verwanbke
Gattungen solck'e Bilbung burchaus nicht zeigen, wirb
schwer oder gar nicht zu entrathseln sein. In ben
meisten Fallen bienen bie Fuhe ben Ksifern eben nur zum
Laufen. Die Tarsen bestehen immer aus mehr als zwei,
bei ber Mehrzahl ber Ksifer aus sunf, bisweilen sehr
eigenthumlich gestalteten Fuhblattern (h') unb tragen
am Vorberenbe mehr ober rninber gekrummte, ganzran-
bige oder gesagte, meist scharfspitzige Krallen (li").
Nebenaugen find fast nie vorhanden, doch konnen bie meist
seillich stehenben unb gewolbten zusammengesetzten *
Augen (Fig. 2914. B C a a) wie boppelt ober gelappt
bavurch erscheinen, bah entweber eine Hornleiste wirklich
mitten burchlauft ober ber Fuhler am Ranbe eintritt
unb an bieser Stelle eine AuSbuchtung veranlaht. Die
Fuhler (Fig. 2913. i i 2914. B C b b) bienen wegen
ihrer Vielgestaltigkett als vortreffliche Kennzeichen ber
Gattungen, mussen baher bei ber Unterfuchung genau
beachtet werben unb bestehen gewohnlich auS els, feltener
aus mehr (13) ober meniger (bis 6) Gliebern. An bem
von hinten betrachteten Kopfe eines Kafers liegen bie
Munbtheile in ber oben (S. 58. Sp. 3.) bereits befchrie-
benen Reihefolge (Fig. 2914. B li g Unterlippe, t Lip-
pentaster, i n m l Unterkiefer unb ihre Theile, c Kiefer-
taster), nach vorn beckt fie bie Oberlippe (Cd. I a. K.L),
welche fich entweber fret bewegt ober auch mit bem
Stirnfchilbe verwsichst. Die gewohnlich mehr ober
rninber einwsirts gebogenen, zangenartig uber einanber
greifenben, mehr ober rninber zugefpitzien unb gezahnien,
meist sehr Harten Oberkiefer ober Kinnbacken (E. F) finb
wesenllich beihenbe, zernagenbe unb zerstorenbe Theile,
oft auch Waffen unb erlangen bisweilen, z. B. am
Hirfchksifer (Fig. 2913. k k), ungemeine Entwickelung
unv Starke. Mindere Stårfe, aber grbhere Zufammen-
gefetztheit zeigen bie Unterkiefer (6), benn fie bestehen
auS einem Angelgliebe (a), bem Stiel (b), bem auheren
Lappen (c) unb feinent Enbgliebe ober inneren Kiefer-
taster (d), bem auf ben auheren Lappen eingelenkten
mehrglieberigen unb vielgestaltigen Auheren Kiefertaster
(e), enblich bem inneren Lappen oder Kaustucke (f). Die
Unterlippe (H) zerfallt in bas Kinn (a), bie Lippenta-
ster (b b) unb bie Zunge (c). ■
Alle Kafer legen weichfchaalige Eier von ovaler Ge-
stalt unb meist unbebeutender Farbung unb forgen fur
ihre Unterbringung unb Sicherung, obwohl weniger mit
Entwickelung bes KunsttriebeS, ber anbern Jnfecten zu-
fteht. Legen fie kunstliche Bane nicht an, fo bleibt
immerhin ber Instinct merkwurdig, ber sie zu ben ange-
.meffenen Lagerstatlen ber Eier fuhrt unb in vielen gåden
bie Bearbeitung berfelben veranlaht wie bei Ruffelkafern,
welche ben noch grunen Fruchlknoten einer Blulhe an-
bohren, ober ben Aasksifern, bie auf ober neben ben
tobten Korper ihre Eier nieberlegen. Eine vollkom-
mene Verwanblung bezeichnet, wie erwahnt, biese Claffe.
Die aus bent Eie auSgefchlupfte Larve ist gewohnlich
weich, einer Schmetterlingsraupe in Form ahnlich
(Fig. 2915. A), inbessen nie mit lebhaften Farben ge-
fchmuckt, befltzl einen Hornigen Kopf ohne beutliche
Augen, Ansange von Fuhletn (a), sechs geglieberte kurze
Fuhe (b), Oberkiefer (c) unb Unterkiefer (d), bie, ob-
gleich noch unvollkommen, boch bie ant reifen Kafer
ge|etzliche Bilbung anbeuten. Gemeinlich bauert bas
Larvenleben viel långer als bei anberen Kerfen, bei eini-
gen Arten wohl mehrere Jahre, obgleich ste im vollkom-
inenen Zustanbe fich einer nur wenigmonatlichen Eristenz
erfreuen. Nach mehrmals uberstandenen Hsiutungen
verpuppen fie fich unb verharren, ohne Nahrung zu fich
zu nehmen, unb unbeweglich mehrere Monate, obgleich
bie Puppe siuherlich bie meisten, bem vollkommenen Ksifer
zustehenben Theile wahrnehmen lsiht (Fig. 2916. Puppe
bes Hybrophilus). Am Maiksifer ist ber siuhere Her-
gang ber Fcitpflanzung unb Verwanblung fchon vor
vielen Jahi. i genau verfolgt wvrben. Das Meibchen
grabt in be weichen Erbe von Miefen vber Geiraibefel-
bern ein 4 —5 Zoll tiefes Loch unb bringt am Boben
besselben 4 0 — 500 Eier unter, welche int Herbste auS-
kontmen. . ie Larven messen etwa 3 Linien (Fig. 2917. a),
leben vor Graswurzeln, vergraben fich im Spsitjahre
noch tiefer, verfallen in Minterfchlaf, erwachen im Fruh-
juhr, thun battn jungen Getraidepstanzen grohen Schaben,
erreichen balb bie Sange von 6 — 7 Linien (b), Hsiuten
sich unb verschlafen ben zweiten Winter, wachsen im
zweiten Sommer uber einen Zoll (c), erlangen im britten
Sommer ihr voltes Maah (d), verpuppen stch enblich (e)
in einer Tiefe von 3 — 4 Fuh unb kommen im vierten
Jahre aus ihrent Grabe Hervor (f) als Bottfommene (g b)
Kafer. Die Mehrzahl ber Ksifer richtet ihre Verwustun-
gen im Larvenzustanbe an, wirb aber wsihrenb besselben
von vielen Vogeln unb anbern Thieren eifrig verfolgt.
Ksiiiien alle biese Larven zur Entwickelung, fo wurbe in
kurzer Zeit bas uneutbehrliche Gleichgewicht ber Natur
aufgehoben sein. Zur Nahrung bienen ben Ksisern
fowohl thierische als pstanzliche Stoffe, fei es im frifchen
ober fauligen Zustanbe; eigentliche Omnivoren finb unter
ihnen ebenfo felten, wie uberhaupt im ganzen Thierreiche.
Uns leisten sie birecten Nittzen in ben wenigen Fsillen,
wo man fle als Arzneimittel anwenbet, wie ben Pflaster-
ksifer (fpanifche Fliege) unb etwa ben Maiwurm; uber
ihren inbirecten Nutzen fte^ uns faunt ein Urtheil zu,
inbem anzunehmen sein wirb, bah sich berfelbe unenblich
weiter erstreckt als auf bie gemeinhin angefuhrte Zer-
stbrung faulenber Korper unb zu vermuthen steht, bah
eine Thierclafse von so grohern Umfange unb so mannich-
facher unb babei vollkommener Organisation ficherlich
zu einer grohen unb wichtigen Thsitigkeit berufen sein
muffe, wsire biese auch nur eine beschrsinkenbe, vermit-
telnbe ober auSgleichenbe. So hoch bie Artenzahl ber
Ksifer auch ansteige, benn in Deutfchlanb allein leben
an 14.000, fo gehoren 1en e boch keineswegs zu ben frucht-
barsten ber Jnfecten, benn fie paaren fich nur einmal in
ihrem Leben. Unter ben gestugelten Kerfen finb fie bie
tapfersten unb unerfchrockensten, aber auch siuherlich