Das Unbekannte Spanien
Baukunst, Landschaft, Volksleben
Forfatter: Kurt Hielscher
År: 1922
Forlag: Verlagt Von Ernst Wasmuth A. G.
Sted: Berlin
Sider: 328
UDK: st.f. 72(46) Hie
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in fünf Stockwerken, von außen her zugänglich. (92.) Ist der Fels zu schroff, gräbt
man sich innen empor und legt so obere Stockwerke an mit Ausluglöchern und »Loggien«
in luftiger Höhe.
Um aus einem Felstal bequemer ins benachbarte zu kommen, hat man Tunnels durch
die weichen Steinwände gegraben.
Paradiesisch ungeniert springen die Kinder, wie sie Gott geschaffen, umher. Aber,
Wanderer, glaube nicht etwa, du habest hier kulturfremdeste Troglodyten wie die der Eis-
zeit vor dir; schau empor zur Felswand, lies und staune! — Weithin sichtbar stehen schwarz
auf weißem Grund die großen Lettern EL RETIRO.
Jeder Spanier kennt zum mindesten dem Namen nach den berühmten Retiro, Madrids
prächtigen Park. Es wirkt daher nicht wenig scherzhaft, wenn man dieses Wort, das fast
Eigenname wurde, wie Sanssouci, (es bedeutet Einsamkeit, Ruhesitz) hier plötzlich hoch
droben gegen denHimmel aufleuchten sieht. Ein unternehmungslustiger Höhlenhotelbesitzer
hat nämlich seinen Felsen planiert und zur Dachterrasse umgestaltet, auf der man zur Tertulla
(dem beliebten Plauderstündchen), zum Kugelspiel und zum lustigen Tanz zusammen-
kommt. Daher der Lockruf an der Wand für alle, die des Weges vorüberziehen. An einem
andern Felsen stehen kurz und inhaltsvoll die Worte DIOS, PAN ¥ CUL 1 URA (Gott,
Brot und Kultur). (92—95.)
Eine ebenso große Überraschung bot mir ein anderer Streifzug. In der Ferne vor mir
stieg Rauch aus der Erde eines phantastischen Erosionsberglandes auf. Hier vulkanische
Erscheinungen? Ausgeschlossen! Und beimNäherkommen sehe ich, daß Menschen zwischen
den Rauchsäulen einhergehen. Und da gewahre ich zu meinem Erstaunen, daß die kleinen,
qualmenden sektpfropfenartigen Türmchen Schornsteine sind, die aus der Erde hervorragen.
Wieder in ein Höhlennest geraten! Homerische Urwüchsigkeit! Die Bergtäler sind die
Straßen; die Bergwände die Hausfronten, die Gipfel stolze Einfamilienhäuser; knorrige
Riesenkakteen und speerbewehrte Agaven bilden hier und da das Vorgärtlein.
Stundenlang ziehe ich straßauf, straßab durch dies interessante Nest weltfremdester,
weltverlorenster Ursprünglichkeit. (96—99.)
Freundlich erwidert man meinen Gruß, ladet mich in die Kühle der Höhle, labt mich
mit einem Trunk Wassers, zeigt mir die Schätze des dürftigen Hausrates: das Lager aut
der Erde, den Herd mit dem Kupferkessel, den Tonkrug, den Schemel, die Öllampe, das
Heiligenbild.
»Arbeit?« »Ja, nicht viel. Was wir brauchen, das bauen wir uns da hinten in der Fluß-
niederung an. Wir brennen Ziegel für die Leute aus der Stadt, die in Häusern wohnen.«...
Ein Bild beneidenswerter Bedürfnislosigkeit! — Es gibt noch Diogenesnaturen... Sie sind
übrigens allenthalben in Spanien anzutreffen: Vor einem kleinen Bahnhof hält ein junges
Bürschlein seinen Mittagschlaf; niemand sonst zu sehen, der mir mein Gepäck in den Ort
tragen könnte. Ich wecke den Schläfer mit der Bitte, mir behilflich zu sein. Er dehnt sich
glückselig faul, greift in die Tasche, zieht ein paar Kupfermünzen hervor und zeigt sie selbst-
bewußt mit den Worten: »25 Centimos habe ich heute schon verdient; mehr brauche ich
nicht!« Dreht sich auf die andere Seite und dämmert wieder hinüber ins Traumland.
Nachdenklich lächelnd ziehe ich des Weges, des indischen Philosophen Wort im Sinn:
Bedürfnislosigkeit ist Gottgleichheit!
Man zucke nicht wegwerfend die Achseln: Fleiß und Glück sind relative Begriffe. Und
gerade die Ärmsten Spaniens verstehen die Kunst des Nichtstuns und des doch Frohlebens
von Nichts meisterhaft. Sie brauchen im Sommer nur ein wenig Schatten, im Winter die
liebe Sonne; dazu ein Stücklein Brot, eine Tomate, einen Schluck Wein. Die ganze Erde
mit dem hohen Himmel drüber ist ihr Schlafgemach, die Straße ihr Arbeitsfeld. Sie tauschen
mit keinem Herrn; sie sind selbst Herren; Herren ihrer Zeit — ein ungeheurer Besitz;
warum sollen sie ihn nicht großzügig verschwenden? »Wem Gott hilft, der kommt weiter,
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