Das Unbekannte Spanien
Baukunst, Landschaft, Volksleben
Forfatter: Kurt Hielscher
År: 1922
Forlag: Verlagt Von Ernst Wasmuth A. G.
Sted: Berlin
Sider: 328
UDK: st.f. 72(46) Hie
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Dann empor zum Ceredoturm. Messerscharf die Felsen und Schuttmassen.
Die Nebelgespenster beginnen wieder aus der Tiefe emporzusteigen und ihren unheim-
lichen Geisterreigen um uns zu tanzen. Es ist 5 Uhr, und noch immer vom Carestal mit
Cain, dem wir zustreben, nichts zu sehen.
»Severo, wie weit noch?« — »Ein paar Stunden.« ------------Auch eine Antwort!
Immer dichter dringt der Nebel, dieser gefährlichste Feind des Hochtouristen, auf uns ein.
Bald können wir kaum noch zwanzig Schritte weit sehen. Dieses Unsicherheitsgefühl! —
Gräßlich das Klettern mit der Riesenbinde vor den Augen!
»Severo, gibt es wohl unterwegs ein Haus zurUnterkunft?« — »Ich glaube nicht.« --------
Wieder minutenlang wortlos weitergetastet.
Unterdessen sind wir wenigstens aus der Steinregion heraus. Hin und wieder ein Fels-
vorsprung — stürzt er hundert Meter ab? nichts, nichts zu sehen und schon ’/47 Uhr.
Bald stockfinster!
Da -----------einige niedrige Hütten aus unbehauenen Steinen im Schutz einer Felswand.
Unterschlupf für Schafe.
Der Führer will vorüber. »Halt ! Kommen wir vor Dunkelwerden noch nach Cain?« -
»Ich weiß gar nichts.« — »Dann bleiben wir hier!« — Auf allen Vieren hinein in den Stall
und dort der zehn Stunden langen Nacht hindämmernd entgegengehockt.
Auch das nahm ein Ende. Der neue Morgen brachte einen Abstieg mit aller nur denk-
baren Häßlichkeit: Waten in knietiefem, nassem Grase, Gratkletterei — neben sich grau in
grau das Nichts, wehe dem Fehltritt! — Halt! Verstiegen! mit größter Vorsicht wieder
zurück! Dann in einer Steinschlagrinne abwärts — Achtung! Achtung! — Bei jedem Schritt
fast poltert es in die Tiefe.
Endlich beginnt die Nebelfrau die feuchten, grauen Schleier hin und her zu ziehen.
Durch einen Riß späht das Auge angespannt in die Tiefe. »Die Talsohle! Da — Häuser!«
Nein, ein Irrtum! Riesige Felsblöcke, Trümmer eines Bergrutsches, füllen die oberste Mulde.
Tiefer und tiefer geht’s hinab, und endlich brechen wir durch die Nebelwand; das
Ziel zu unseren Füßen: Cain, von etwa 1500 m steil abfallenden Felswänden einzigartig
ummauert.
Endlich dort angelangt. Endlich eine Stunde Ruhe. Für unsern Hunger ist im ganzen
Dorf nur etwas Brot und Butter aufzutreiben. Gern hätten wir hier einen Rasttag gemacht;
aber es war zu ungastlich; daher den Rucksack wieder auf den Rücken geworfen. Was
seit gestern nachmittag als Abstieg hinter uns lag, mußte nun auf der gegenüberliegenden
steilen Felswand der Pena santa wieder erklettert werden.
Stunde um Stunde verging mühselig, bis wir den Grat erreichten.
Im feinrieselnden Regen ging’s dann talwärts. Der Enolsee enthüllte sich noch als letzte
Schönheitsgabe unseren Blicken; an ihm erreichten wir die Landstraße und marschierten
nun die 12 Kilometer unsagbar übermüdet hinunter nach Covadonga.
Die Nacht spann ihre Schatten schon im Tal, zog empor und schleifte ihr finster Ge-
wand hinter sich her. In Covadonga brannten bereits die Lichter und winkten uns. Und
der Weg wollte und wollte nicht enden! Aber die Hoffnung auf ein Bett gab uns Ausdauer,
und um */a9 Uhr stolperten wir wie zerschlagen über die Schwelle des sauberen, gastlich
einladenden Hauses.
Todmüde sank ich aufs Lager, und in den unruhigen Traum schlichen sich die schönen
und die schreckhaften Wanderstunden im Gebiet der Picos de Europa. (266—274.)