Ausstellungszeitung Nürnberg 1906
Forfatter: Paul Johannes Rée
År: 1906
Forlag: Wilh. Tümmels Buch- Und Kunstdruckerei
Sted: Nürnberg
Sider: 1096
UDK: St.f. 91(43)(064) Aus
Amtlisches Organ Der Unter Dem Protektorate Sr. Konigl. Hoheit Des Prinsregenten Luitpold Von Bayern
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Or. 32
Bayeriiche Subilaums«Landes«Husifenung 1906
Seite 747
eingesahren, als der Munchner 3ug abdampste. Nun galt
es eben, die 3eit herumzubringen so gut es gehen mochte.
Man bestieg den Fels, auf welchem einst die Burg stand,
von der Ludwig der Strenge seine Gemahlin in die Tiefe
sturzen lietz, besah sich die Kirche, den Vonauflutz, und der
Knabe steckte in Kindlichem Sammeleifer einige glatte
Vonaukiesel in die Tasche, die ihm etwas Neues waren
und namentlich im nassen 3ustand seine Bewunderung er-
regten. Nachmittags um 3 Uhr ging der nachste 3ug ab,
der dann am Abenb des zweiten Tages die Neisenden in
die armselige halle des Holzernen, einige Babre spater ab-
gebrannten, Munchner Bahnhofs glucklich einfuhrte. Die
Ruckfahrt ging ahnlich vonstatten, doch nahm der Vater
diesmal von Donauroorth an die Post, roelche die Neise
um einige Stunden Kurzte.
Langsam entroickelte sich das deutsche Lisenbahnnetz
in den sunfziger Bahren. Am schnellsten noch in den
Bndustriezentren Sachsens und Rheinland-Mestsalens und
nur zogernd raumte der Tilwagen dem landerverbindenden
Schienenstrange den Platz. Dabei waren in der ersten
3eit des Tisenbahnverkehrs die Wagen, namentlich solche
der III. Klasse, von einer Heutzutage unglaublichen Beschaffen-
heit. Verschiebbare und verglaste Magensenster Hatte diese
noch nicht aufzuweisen, sondern lediglich grotze viereckige
Ausschnitte, welche nur durch grune Fallvorhange geschiossen
werden Konnten. Bei Nacht gingen die 3uge zunachst nicht,
als dies aber der Fall war, mangelte die Magenbeleuchtung;
auch dachte man noch Keineswegs daran, die Magen Heiz-
bar zu machen. Ver Lokomotivfuhrer mutzte frei auf
seiner Ntaschine stehen, allen Unbilden der Mitterung preis-
gegeben. Umwege gab es sur die Anlage einer Lisenbahn-
linie nicht, Kam man doch auch immerhin auch so fruher,
sicherer und billiger an sein 3iel als vordem. Erst durch
die allmahliche Tntstehung von Konkurrenzbahnen, wurde
man dazu gedrangt, weite Umwege abzukurzen. Noch im
Bahre 1859, als es sich sur Gsterreich darum handelte,
rasch ein in Bohmen gesammeltes Korps auf den italienischen
Kriegsschauplatz zn wersen, mutzte dieses uber Sachsen und
durch ganz Bayern geleitet werden. Die Verbindung selbst
bedeutender Stadte war Haufig nur aus eine gewisse Strecke
durch die Bahn hergesteilt, und man hielt es schon fur
einen wesentlichen Fortschritt, wenn man z. B. von Nurn-
berg nach Stuttgart gelangen Konnte, ohne ubernachten zu
mussen.
AIs Schreiber dieses, damals ein blutjunger Mensch,
im Bahre 1852 dorthin reiste, hatte er zunachst die Bahn
bis Nordlingen zu benutzen. Von dart ging es uber
Neresheim und Heidenheim a. Brenz nach Station Sutzen
der Bahnlinie Stuttgart — Ulm, von wo aus man die
schwabische Nesidenz am Abend erreichte. Man fuhr also
erst in sudlicher Nichtung, dann westlich und zuletzt wieder
nach Norden. Ls wurde dann eine Futzreise in die rauhe
Alb, durch den Schwarzwald und wieder zuruck nach Stutt-
gart unternommen, wobei die Stadte Neutlingen, Tubingen,
Hechingen, Tuttlingen, Tryberg, Bad Nippoldsau, Freuden-
stadt, Nagold beruhrt wurden. Lag es auch in der Absicht,
diese schonen Landschaften zu Futz zu durchstreifen, so ware
doch andernfalls nur die Benutzung des Tilwagens moglich
gewesen, denn Bahnlinien fehlten damals der Alb und dem
Schwarzwald ganzlich.
Auch der ganze Gsten Bayerns entbehrte diese, bis in
der zweiten Halfte der funfziger Bahre der Gedanke zur
Tat reifte, durch Grundung der Gstbahngesellschaft der bis-
her vernachlassigten Gberpfalz und den Vonaustadten von
Regensburg bis Passau und isaraufwarts bis Mnnche>>
em Lisenbahnnetz zu bescheren. Dem Schreiber dieses
wurde im Bahre 1854 ein Auftrag fur ein geachtetes Hiesiges
Handelshaus zuteil, der ihn an die bayerisch-bohmische Grenze
fuhrte. Um Hier an seinen Bestimmungsort zu gelangen,
brauchte er zwei Halbe und einen ganzen dazwischen
liegenden Tag, wobei zunachst der SteUæagen in Betracht
Kam, mit dem am fruhen Nachmittag von Nurnberg ab
und bis Hersbruck gefahren wurde. Lin weiterer Gmnibus
fuhrte am anderen Nlorgen nach Sulzbach, wo es der
3ufall ergab, datz gerade ein Emspanner zur Benutzung
nach Amberg bereit stand. Vort mutzte der Rest des
Tages abgewartet werden, um dann den gegen INitternachi
nach dem bayerischen Grenzort Rotz abgehenden Lilwagen
zu benutzen. Hier ein paar Stunden Schlaf und am
Nlorgen des dritlen Tages dann eine Futzwanderung nach
dem mehrere Stunden entferntcii Fabrikort. Die Reise
Hatte sich freilich abkurzen lassen, roenn von Nurnberg ab
schon die Post genommen roorden roare, aber ein sparsamer
Reisender behalf sich gern mit dem Stellroagen, denn trotz
des Nachtquartiers Kam man so billiger davon. Man sah
auch bei dieser Art zu reisen mehr und grundlicher, aber
freilich 3eit gehorte dazu, -man hatte noch nicht gelernt,
damit zu Knausern.
Verart also roaren die Verkehrsgelegenheiten zu einer
3eit beschaffen, roelche den Ubergang zur Gegenroart ver-
mittelte und die den leichten und grotzartigen Reiseverkehr
derselben schrittroeise anbahnte. Noch mancher Beitrag zu
dem mitgeteilten Konnte dem Schatz der Lrinnerungen ent-
nommen roerden, doch es sei einstroeilen genug. Reicht es
doch roohl hin, um den Unterschied des Reisens von damals
und heute genugend zu beleuchten und dem gegenroartigen
Geschlecht Bilder vor Augen zu fuhren, roelche zu nahe
liegen, um den historiker zu beschaftigen und auch roieder
zu fern, um nicht fremdartig anzumuten, sicherlich aber
das vollste Bnteresse verdienen. — Heil aber dir, du schone
Maschine des 20. Bahrhunderts, und allen, die deine Krafte
sich dienstbar machen!