Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
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HANOMAG. HANN OVER-LINDEN
ziehend aus. Nach wenigen Wochen aber war das
schöne Farbenkleid schwarz und unscheinbar gewor-
den. Es wurde auch nicht wieder aufgefrischt, so
daß die neue Lokomotive einer alten fast aufs Haar
glich. Eine Ausnahme bildete die bayerische Staats-
bahn, deren blau-grüne Lokomotiv-Lackierung im
allgemeinen länger und besser erhalten blieb als die
norddeutsche. Jetzt legt man größeren Wert auf
den Gesamteindruck einer Lokomotive, und es läßt
sich nicht leugnen, daß eine gewaltige Schnellzug-
lokomotive der Neuzeit nicht nur das Auge des
Fachmanns entzückt, sondern auch im Herzen des
Künstlers und Laien einen nachhaltigen Eindruck
hinterläßt. Uneingeschränkt empfindet der Beobach-
ter die wuchtige, markige Kraft der Lokomotive. Das
Gefühl des Starken, alle Hindernisse Überwindenden
drängt sich ihm beim Anblick ihrer harmonischen
Eisenmassen unwillkürlich auf. Sehr gut kommt
auch das rastlose Vorwärtsstreben, der ungestüme
Drang in die Ferne im Bau der Lokomotive zum
Ausdruck. Viel deutlicher wird dies beim Anblick
einer auf freier Strecke dahinsausenden Lokomotive.
Da empfindet man die Wahrheit des Ausspruches,
den der Kronprinz von Preußen, der nachmalige
König Friedrich Wilhelm IV. bei Eröffnung der Eisen-
bahn Berlin—Potsdam am 9. Oktober 1838 machte:
„Diesen Karren, der durch die Welt läuft, hält kein
menschlicher Arm mehr auf.“ Also auch vom Stand-
punkte des Ästheten und Künstlers betrachtet, ent-
sprechen unsere heutigen Schnell- und Güterzugloko-
motiven den Gesetzen der Schönheit. Ein nut Teil
o
Poesie ist ihnen zu eigen, wie ich dies in meiner
Arbeit „Die Poesie der Lokomotive“ zu zeigen ver-
sucht habe!
Schönheit und Poesie! Beides weisen unsere Loko-
motiven auf, wenn es auch eine ganz eigene Art von
Schönheit und Poesie ist, anders als die des Rokoko,
der Renaissance, der Ro-
mantik, aber ebenso ein-
dringlich und wirksam wie
diese auch. Es ist eine Er-
rungenschaft der letzten
Jahrzehnte, das entdeckt
und in das Licht künst-
lerischen Schaffens ge-
zogen zu haben. Maler,
Dichter und Bildhauer — wenn auch zunächst nur
in geringer Zahl — gingen nicht mehr achtlos an
dieser technischen Schönheit vorüber. Sie wählten
jetzt auch die Schöpfungen des Ingenieurs zum Ge-
genstände ihrer künstlerischen Ausdrucks mittel. Frei-
lich war im Anfang dabei auch mancher Fehlschlag
zu verzeichnen; denn die Künstler waren es noch
nicht gewöhnt, technisch richtig zu sehen und wieder-
zugeben. Sie ließen nur den Gesamteindruck eines
Werkes mit seinen qualmenden Schloten und lo-
dernden Feuern oder eine Maschine mit ihren Licht-
reflexen auf sich wirken, ohne sich viel um tech-
nische Einzelheiten zu kümmern. So wiesen die Dar-
stellungen technischer Vorgänge oft eine Menge Fehler
auf, die dem Fachmann das Bild verleideten und
lächerlich erscheinen ließen, zumal, da sie nur das
Wiedergaben, was jeder Laie auch sehen konnte, und
das Auge des Fachmanns durchaus nicht befriedig-
ten. Daher auch die große Abneigung vieler In-
genieure gegen die Kunst in der Industrie und
Technik. Erst die letzten Jahre lehrten auch auf
diesem Gebiete die Künstler richtig sehen und wieder-
geben. Durch die Richtigkeit der Darstellung wird
der künstlerische Wert eines Bildes nur gehoben,
und der Techniker, der sein Arbeitsgebiet durch
die Kunst geläutert und ins Ideale erhoben sieht,
wird diesen Darstellungen gegenüber einen weniger
ablehnenden Standpunkt einnehmen müssen, wenn
ihn keine technischen Fehler bei der Betrachtung
eines Bildes stören.
Nach und nach hielt also die Maschine mit
ihrer eigenartigen Schönheit Einzug in die Kunst.
Kein Wunder, daß auch die Eisenbahn, als das
wichtigste Beförderungsmittel unserer Tage, und da-
mit die dampfschnaubende Lokomotive die Gestal-
tungs- und Schaffenskraft unserer Künstler anregte
und befruchtete. Trotz aller Schwierigkeit der Dar-
stellung ist es den Ma-
lern der Technik gelun-
gen, das in der Lokomo-
tive ausgeprägte Motiv
der Bewegung bildmäßig
zu verwerten, und die
als unkünstlerisch gelten-
de Eisenbahn von die-
sem Vorwürfe zu befreien.
Ahb. 3
Tintenzeichnung des dänischen Porträt- und Marinemalers Christoffer Vilhelm Eckersberg (1773—1853)
(Original im Besitze des dänischen Eisenbahnmuseums)
IG