Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
Søgning i bogen
Den bedste måde at søge i bogen er ved at downloade PDF'en og søge i den.
Derved får du fremhævet ordene visuelt direkte på billedet af siden.
Digitaliseret bog
Bogens tekst er maskinlæst, så der kan være en del fejl og mangler.
4
HANOMAG, HANNOVER-LINDEN
Die Lokomotive in der Dichtkunst.
Wie steht es mit den Dichtern? Auch bei ihnen
finden wir die Lokomotive noch recht spärlich in
ihren Werken vertreten und noch seltener ganz in
den Mittelpunkt ihres Schaffens gerückt. Gibt es
denn viel Schöneres, als auf schneller Lokomotive
hinauszufahren in die blühende Frühlingspracht oder
durch eine sonnige Winterlandschaft, durch dunkle
Wälder und grünende Felder, durch tiefe Täler und
über schwindelnde Klüfte immerfort — immerfort —
im gleichmäßigen Takt der Schienenstöße! Wie der
glatte Weg vor der Maschine mit den glänzenden
Schienen und dem dunklen, graubraunen Geröll da-
zwischen sich vor dem suchenden Blicke hindehnt,
fast ins Unendliche, und schließlich zusammenzu-
laufen scheint ! Wie die Häuser, Bäume, Telegraphen-
stangen vorbeisausen! Wie die Drähte auf- und
niederwippen. im raschen Lauf! Und dazwischen
immerfort — immerfort — ohne Ruh — ohne Ruh —
die gleichmäßigen Schienenstöße — ist das alles
kein Erleben? Weckt dies alles nicht Gefühle,
Empfinden, Jauchzen und Sehnen im Menschen-
herzen, das noch offen und empfänglich ist für die
Schönheiten des Lebens, auch wenn sie die Technik
geschaffen hat? Vielleicht haben die wenigsten
unserer Dichter Gelegenheit gehabt, einmal eine
Fahrt zu durchleben auf der lebendigen, hüpfenden
und springenden Lokomotive. Da würden sie den
Eindruck vom „edlen Dampfroß“ in seiner wohl-
gewählten und lebenswahren Bedeutung kennen
gelernt haben. Ganz anders als im bequemen
Abteil eines Schnellzuges mall sich die Welt, vom
Führerstande der Lokomotive aus betrachtet. Der
Mann mit den forschenden, spähenden Augen hinter
dem ovalen Fenster, der — die Hand am Hebel —
die ungeheure Verantwortung für das Leben vieler
Hunderter Menschen trägt — ist wohl die poetischste
Erscheinung im ganzen Eisenbahnbetriebe. Hier
und da haben ihn auch Dichter und Schriftsteller in
den Mittelpunkt einzelner Gedichte und Erzählungen
gestellt. Seltener ist das mit der Lokomotive selbst
geschehen. Schon das Wort „Lokomotive“ paßt
den Dichtern wohl meist nicht ins Versmaß. Und
„Dampfroß“? Auch das findet man selten an-
wendet.
Mit lebhaftem Geist und trefflicher Beobachtung
schildert Fräulein Frances Anne Kemble,
die schöne anmutige Tochter eines bekannten eng-
lischen Schauspielers, in einem Briefe an eine
Freundin den Eindruck, den sie von der Lokomotive
Stephenson erhielt, als sic eine Probefahrt mit-
22
machen durfte. Ich möchte diesen Brief mit seiner
bildhaften, sicheren Ausdrucksweise den besten Be-
schreibungen aus jener Zeit zur Seite stellen. Max
von Weber hat den Brief übersetzt. Er lautet:
„Wir wurden der kleinen, munteren Maschine vor-
gestellt, die uns die Schienen entlang ziehen sollte. Sie
(denn der zärtliche Sprachgebrauch macht die kuriosen,
lieben kleinen Feuerrosse alle zu Stuten) bestellt aus einem
Kessel, einem Ofen, einer Bank und hinter der Bank
einem Fasse mit genug Wasser, um ihren Durst während
eines Rennens von fünfzehn Meilen zu stillen — das Ganze
ist nicht größer als eine gewöhnliche Feuerspritze.
Sie wandert auf zwei Rädern, die ihre Füße sind, und
diese werden durch glänzende Stahlbeine bewegt, die sie
Kolben nennen.
Zügel, Gebiß und Trense, mit denen dies wundervolle
kleine Tier geritten wird, bestehen zusammen aus einem
kleinen Stahlhebel, der den Dampf auf die Beine (oder
Kolben) wirken läßt oder ihn davon ablenkt. Ein Kind
könnte ihn handhaben.
Dieses schnarchende, kleine Tier, das ich mich immer
versucht fühlte zu tätscheln, wurde nun vor unseren
Wagen gespannt, und nachdem mich Mr. Stephenson zu
sich auf die Bank genommen hatte, fuhren wir ungefähr
mit zehn Meilen in der Stunde ab.
Du hast keinen Begriff davon, was das Durchschneiden
der Luft für ein Gefühl war. Und dabei ist die Bewegung
so sanft wie möglich. Ich hätte lesen oder schreiben können.
Ich stand auf, nahm meinen Hut ab und trank die Luft
vor mir. Der Wind war stark, oder war es unser Anlliegen
gegen ihn, er drückte mir unwiderstehlich die Augen zu.
Als ich sie geschlossen hatte, war das Gefühl des
Fliegens ganz zauberisch und sonderbar über jode Be-
schreibung — aber trotzdem, hatte ich dns Gefühl voll-
kommener Sicherheit und nicht die geringste Furcht.
An einer Stelle ließ Mr. Stephenson, um die Kraft
seiner Maschine zu zeigen, einen anderen Dampfwagen,
der ohne Feuer und Wasser vor uns stand, am Vorderteil
unserer Maschine befestigen, einen mit Bauholz beladenen
Lastwagen aber hinter unseren mit Personen schwer be-
setzten Wagen bringen — und mit alledem (log unser
braver, kleiner Sie-Drache davon! Noch weiterhin fanden
wir drei Erdwagen, die ebenfalls vor unsere Maschine
gebracht wurden, und auch diese schob sie ohne Zögern
und Schwierigkeit vor sich her.
Wenn ich hinzufüge, daß die scharmante, kleine
Kreatur ebenso behende rückwärts wie vorwärts läuft,
glaube ich, Dir einen vollständigen Bericht über ihre
Fälligkeiten gegeben zu haben.“
(Artur Fürst: „Die Welt auf Schienen“, Seite 62—64)
Vielleicht steckt unseren Dichtern noch ein
Tropfen jener Furcht vor der Maschine, vor allen
beunruhigenden Neuerungen der Technik im Blute,
der Justinus Kerner 1850 in dem längeren Gedichte
„Im Eisenbahnhofe“ resignierten Ausdruck gibt
und damit das Entschwinden „der guten alten Zeit“
in bewegten Worten tief beklagt und betrauert.