Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
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HANOMAG, H A N N O V E R -LINDEN
sagte: „Der kleine Racker da frißt dreimal mehr, als Vor-
schrift ist. Ich glaube, sie hat einen Konstruktionsfehler,
und wenn das so weitergeht, wird sie bald ins alte Eisen
kommen.“ Und der andere nickte verständnisvoll dazu
und sagte: „Hm, ja — schade um das hübsche Ding,
aber da wird wohl nichts anderes übrig bleiben.
Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf die
kleine Lokomotive, und sie nahm sich seitdem zusammen;
denn ins alte Eisen wollte sie doch noch nicht gern geraten.
Kurze Zeit darauf erlebte sie eine große Freude. Es
wurden an ihr nämlich zu beiden Seiten des Kessels zwei
kleine Schilder befestigt, die in großen, gelben Buchstaben
den Namen „Richard Wagner“ trugen. Während die
großen Maschinen längst schon lediglich durch Nummern
bezeichnet waren, hatte sich die Gewohnheit herausgebildet,
die kleinen Rangierlokomotiven auf die Namen großer
Dichter, Künstler und Denker zu taufen und diesen da-
durch im Reiche der rußigen Eisenbahn eine Ehrung zu er-
weisen. Die.Neugetaufte war nicht wenig stolz auf ihren
Namen; denn sie meinte zuerst, der Name „Wagner
bedeute soviel wie „Herrscher der Wagen“, und seme Ver-
leihung an sie sei nur der Anfang jener stolzen Laufbahn,
von der sie noch immer sehnsuchtsvoll träumte. Als sie
schließlich aus dem Gespräche ihres Führers merkte, welche
Bewandtnis es mit ihrem Namen habe, war sie zwar
zunächst ein wenig enttäuscht, fand sich aber bald in den
Gedanken, nun gleichsam eine musikalische Maschine zu
sein, und bemühte sich, so melodisch zu pfeifen und zu
zischen, daß sie ihrem Taufpaten Ehre zu machen über-
zeugt war.
So verging die Zeit, und Pfingsten kam wieder heran.
Dieses „liebliche Fest“ ist, wie man weiß, für die Eisen-
bahn durchaus nicht lieblich; denn es bringt den stärksten
Verkehr des ganzen Jahres. Da in diesen lagen die
gesamte Menschheit von einer epidemischen Reisewut be-
fallen wird, so reichen die Wagen und Maschinen kaum
aus um alle die Hunderttausende zu befördern, die für
einige Zeit dem heimatlichen Alltagsgetriebe entfliehen
wollen. Und wie die Bahn Verwaltung in dieser Festzeit
Güterwagen mit harten Bänken v-sicht und stolz als
Dritte Klasse“ dem Personenver dienstbar macht, so
zieht sie auch Maschinen aller Art. die zahllosen Sonder-
züge heran, die von jedem große Sahnhofe abgelassen
werden müssen. , , o
Nun liegt etwa eine ha hnotunde vor dei ör°ßen
Hauptstadt, in der „Richard \vagner“ seine Heimat hatte,
eine freundliche Mittelstadt, die den Eingang zu einer
vielbesuchten Gebirgsgegend bildet. Dahin walzt sich
alljährlich zu Pfingsten ein ungeheurer Strom von Ver-
anügungsreisenden, so daß von der Hauptstadt etwa fünfzig
Sonderzüge dorthin laufen, um den Verkehr zu bewältigen
So war es auch diesmal. Und da wurde denn auch „Richard
Wasner“ dazu bestimmt, einen Zug wieder nach der
Residenz zurückzubringen. „Dazu langt die Kraft schon
aus “ saote der Betriebsinspektor, und der Führer ant-
wortete?, ,Ei freilich, das geht schon “
Die kleine Lokomotive war nun glückselig. Endlich
stand sie am Ziele ihrer Wünsche: morgen ging es zum
erstenmal hinaus aus dem öden Bahnhofsbereich in die
weite, freie Welt. War es auch nur eine kurze halbe Stunde,
so blieb es doch eine richtige Tour, auf der mindestens fünf
Haltepunkte zu passieren waren. Sie glitt diesen Abend
und diese bittere Empfindung erweckte in ihr tiefe Ver-
stimmung und steigerte ihr Verlangen nur noch mehr.
Wenn man sie vor die langen Durchgangswagen spannte
die durch ihre Schilder ihr fast herausfordernd ins Gesicht
schrien, aus welcher Ferne sie kamen, und wie weil sie
noch reisen wollten, da kochte es in ihr auf vor Gram
und Zorn Es war aber auch eine böse Zumutung tur
sie diese vorlauten und fahrtstolzen Wagen von einem
Gleis aufs andere zu ziehen, aus ihnen lange, prächtige
Züse zu bilden und dann sehen zu müssen, wie eine riesige
Maschine vorgelegt wurde, die stolz schnaubend dastanc,
als brüste sie sich mit ihrer Dampf kraft, und mit gleich-
mäßigem, fauchendem Atem die Luftbremsen instand
setzte, durch die sie die Herrschergewalt über all die Wagen
und die darin sitzenden Menschen erhielt. Und wenn ein
solcher Luxuszug, den sie mit Mühe und einförmiger Arbeit
zusammengestellt hatte, dann aus der Halle fuhr, und die
hochmütige Maschine zum Abschied ihren Dampf zwischen
den Rädern hervorzischen ließ, als wolle sie prahlen, da
sie sogar mehr Kraft habe, als sie brauche — da litt die
kleine Lokomotive alle Qualen eines verkannten Genies
und machte ihrem bitteren Weh mit schrillen klagenden
Pfiffen Luft. Denn s i e durfte wenigstens noch beim An-
fahren pfeifen, was den Zugslokomotiven neuerdings ver-
boten war. Das schien ein geringer Vorzug zu sein, eien
sie vor ihnen hatte; aber bald genug erfuhr sie, daß auch
diese Auszeichnung nur eingebildet war, da die Giol. cn
draußen auf der freien Strecke nach Herzenslust pfeifen
durften und sich darum aus dem Verbot des 1 fiffes beim
Antritt der Reise gar nichts machten.
Die kleine Lokomotive wurde immer verärgerter und
gereizter und sperrte sich gegen ihren Dienst den sie haß te
und verachtete. Alle Augenblicke war bei ihr etwas nicht
in Ordnung, und mochte ihr Führer sie auch ölen un
putzen, soviel er wollte, sie brachte es doch fertig, ihn
durch allerlei kleine Fehler täglich in neue Verlegenheit
zu setzen. Denn sie betrachtete diesen Mann, der doch ihr
treuer und sorgsamer Pfleger war, als ihren Feind und
Unterdrücker. Wenn er am frühen Morgen mit seinem
gutmütig-breiten Gesicht vor ihr stand und sic nochmals
rieb und beinahe zärtlich musterte, da hatte sie ihn am
liebsten überfahren mögen. Warum verstand er sie nicht.
Er der jede Schraube, jeden kleinsten Teil an ihr kannte,
er ’hätte doch wissen müssen, daß sie unter der großen
Sehnsucht litt! Aber er hatte kein Feingefühl, kein Ver-
ständnis, keinen Ehrgeiz, sondern war ein dumpier, iauler,
selbstzufriedener Dummbart, der nicht wert war, sie zu
lenken. Und darum entfaltete sie mit jedem lage die
bösen Eigenschaften stärker, welche die Gelehrten die
. Tücke des Objekts“ oder den „Widerstand der Mateiie
nennen. Um so mehr erboste es sie, daß der Führer stets
seine Ruhe bewahrte und ganz gemütlich mit ihr plauderte,
wenn er ihr seinen Willen aufzwang.
„Na, Kleine,“ pflegte er zu sagen, wenn sie recht
störrisch war, „hast du wieder mal deine Mucken? 1 al,
auf, wir werden schon miteinander einig werden!“ Und
dann ließ er sie vor- und rückwärts laufen und die kurze
Strecke vom Abstellbahnhof bis zu den Hallen mit aller
Geschwindigkeit sausen, daß es eine Art hatte. Aus Wu
darüber verschlang sie so viel Kohlen, daß der Führer
der zugleich ihr Heizer war, niemals eine Kohlenpramie
erhielt und einmal ärgerlich zu einem Berufsgenossen
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