Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
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HANOMAG, HANNOVER
LINDEN
Ganz reizend finde ich auch das folgende Eisenbahnmärchcii von F. A. Geißler, das in der „Leipziger
Illustrirten Zeitung“ vom 25. Juni 1908 abgedruckt war:
Die erste Reise der Lokomotive.
Eisenbahnmärchen von F. A. Geißler.
Es war einmal eine kleine, hübsche Lokomotive; die
hatte ihre Heimat in einem vieltorigen Schuppen nahe dem
Hauptbahnhof einer großen Hauptstadt. Sie war zwar
funkelnagelneu und in ihrem grünen Anstrich mit den
blitzblanken Stahl- und Messingteilcn gar stattlich anzu-
sehen, aber sie gehörte doch nicht zu den Großen ihres
Geschlechts. Und das war ihr steter Jammer. Wenn sie
eine von den riesigen Schnellzugsmaschinen oder eine der
schweren Güterzugslokomoliven erblickte, wurde sie vor
Neid so gelb, daß
ihr Führer am
nächsten Tage
stundenlang an
ihr zu putzen
hatte. Und sie
hatte wahreHöl-
lenqualen zu er-
dulden, wenn sie
nachts in der
Ecke des weit-
läufigen Schup-
pens stand und
die großen Kol-
leginnen von
ihren rasenden
Fahrten und in-
teressanten Er-
lebnissen erzähl-
ten. Egoistisch,
wie die Großen
meist sind, nah-
men sie auf die
Empfindungen
der kleinen Lo-
komotive keine
Rücksicht, son-
dern rühmten
sich der Kraft
ihrer achträdri-
Abb. 12 Bild von Schinkel, als Weihnachtsgeschenk 1836 Bculh gewidmet. 6175
(Beu th-Schinkel-Museum)
Beuth bemerkte dazu: Darstellung meines geistigen Zustandes. Die Handlung geht in Schönhausen
vor. Mein ländlicher dortiger Aufenthalt ist rechts abgebildet, sowie mir werte Kunstgegenstände aus
meinem Arbeitszimmer in Berlin. Links wird die Stettiner Bahn als nahe yorbeigehend angenommen.
„Beuth sitzt im Großvaterlehnstuhl, den Kopf nachdenklich zur Seite gelegt. Man könnte
denken, er wäre eingeschlafen. Rechts im Hintergrund sehen wir sein Landhaus in Schönhausen,
links drängt sich die neu geplante Eisenbahn hervor. Fast liebkosend und besorgt strecken hinter
dem Lehnstuhl zwei Pferde ihre Köpfe über Beuth hinaus, und auch seine Lieblingshunde fehlen nicht.
Um ihn herum liegen dicke Aktenstöße über Eisenbahn, Gewerbeabteilung, Technische Deputation usw.“
(Preußens üewerbeförderung und ihre großen AAänner von Conrad Alatschoß, S. 72/73)
gen Leiber und
nahmen es dabei mit der Wahrheit oft nicht genau,
denn das ,,Dampf machen“ kann solch ein Ungetüm selbst
dann nicht ganz lassen, wenn es abends zur Ruhe ge-
bracht worden ist.
„Na, man ist doch froh, wenn man wieder daheim
ist“’—’sagte die Schnellzugsmaschine Nr. 561, die sich
nicht wenig darauf einbildete, die einzige ihres I yps zu
sein — „so ein Reisetag ist gewiß sehr interessant, aber
doch recht anstrengend. Besonders das verschiedenen tige
Nasser, dss man ouf den Speisungsstationen einnehm.cn
muß, macht einem zu schaffen. Ich erhielt zum Beispiel
heute meinen Trunk erst aus einem stolzen Strome, der
aber eiskalt dahinfließt, und dann aus einer so eisen-
haltigen Leitung, daß ich ganz krank bin. Ich glaube
fast, ich bekomme Rostflecke im Innern oder gar den
Kesselstein. Aber herrlich ist’s doch, so dahinzufliegen auf
den blanken Schienen in die weite Welt hinein, vorüber
an Häusern, Wäldern, Seen und Feldern, daß der Boden
zittert, die Rosse scheuen und die Menschen mit einem
leisen Gruseln dastehen, wenn man vorübersaust und
ihnen einen Ballen Wasserdampf und Kohlendunst ins
Gesicht bläst.“
Die kleine Lokomotive seufzte vor Sehnsucht tief auf
und fragte ganz bescheiden:
„Entschuldigen Sie, verehrte 561, aber ich möchte gern
wissen, ob ich noch wachsen werde und Aussicht habe,
auch einmal
solche schöne,
weite Reisen zu
machen.“
Die große
Maschine lachte
überlegen.
„Nein, Klei-
ne, die Hoffnung
laß dir vergehen.
Hast ja nicht
einmal einen
Tender und bloß
vier Räder! Ha-
haha, das würde
’ne schöne Fuhre
mit dir werden!
Nein, du mußt
dich schon da-
mitzufrieden ge-
ben,die durchge-
henden Schnell-
zugswagen von
einem Bahnsteig
zum anderen zu
fahren oder sonst
ein wenig zu
rangieren. Aus
dem Bereiche
der Station wirst
du nie hcraus-
kommen. Aber tröste dich. Dafür hast du’s bequemer,
brauchst niemals auswärts zu übernachten und wirst nicht
so schnell alt wie wir bei unserer aufreibenden Tätigkeit.“
Das war nun zwar ein Trost, aber keiner, mit dem
sich Ehrgeiz, Wanderlust und Neugier zufrieden geben,
zumal wenn man jung ist. Und die kleine Lokomotive
war ja zu jung, um sich zu bescheiden, was zuweilen selbst
in vorgerücktem Alter noch seine Schwierigkeiten hat.
Nein, warum sollte ihr der Weg in die lockende Weite ver-
sagt bleiben? Machten nicht die Schmalspurlokomotiven,
die im Nebenschuppen standen und nicht größer waren als
sie, täglich ihre schöne Reise, gefolgt von einer Schar
zierlicher, auf ihren niedrigen Rädern flink dahinrollender
Wagen? Ach, sie ließ es sich nicht ausreden, es war nur
eine Intrige gegen sic gesponnen von den ungeschlachten
Kolleginnen, die vielleicht fürchteten, von ihr an Behendig-
keit übertroffen zu werden. Aber sie war dagegen machtlos,
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