Die Lokomotive In Kunst-witz Und Karikatur
År: 1922
Forlag: Hannoverische Maschinenbau-Actien-Gesellschaft
Sted: Hannover-Linden
Sider: 170
UDK: 625.282(06) Han
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HANOMAG, HANNOVER
LINDEN
Liebling,
fachliche
Lokomo-
rjr. 60Ô0
rekonstruieren kann, blieb dem Fahrzeug einige
Zeit erhalten.
Schon dieses erste geschichtliche Beispiel zeigt
die beiden Einflußrichtungen auf das kindliche
Denken, die von der Lokomotive ausgehen. Auf der
einen Seite erscheint die Lokomotive als der gut-
mütige Spielkamerad des Kindes, wie die Katze
oder der Hund, jedenfalls aber als ein Wesen, mit
dem das Kind verkehrt wie mit seinesgleichen. Aus
diesem Gedankenkreis, verwoben mit Vorstellungen
aus der Märchen- und Fabelwelt, bildet dann das
Kind mit einer ganz beachtenswerten sprachschöpfe-
rischen Kraft
eigene Namen für
seinen
Der
Name
tive wird in der
Kindersprache
immer als Fremd-
körper empfun-
den, wie er ja
auch in der Um-
gangssprache des
Eisenbahnervölkchens nicht heimisch ist und —
wenigstens in Süddeutschland und den ehemals öster-
reichischen Ländern durch das kürzere und bequemere
Maschine, das fast in alle Sprachen übergegangen ist,
ersetzt wird. Gebraucht das Kind aber hin und wieder
doch den fremden Namen, so bereitet es meist recht
große Sprech- und Verkehrsschwierigkeiten, die sich
noch bei dem üblichen schnellen Plappern bedeutend
erhöhen und zu oft recht erheiternden Veränderun-
gen und Umgruppierungen der Silben führen. Man
kann sagen, daß alle möglichen Permutationen vor-
kommen als die beiden Grenzwerte nach unten und
oben Lomive und Lakakamative.
Die Maschine bietet diese Gefahren
nicht, nicht einmal den Kleinsten,
die ja in dem klangmalenden tsch-
tsch-tsch eineguteVorübung durch-
machen. Was dieMaschine tut, wird
vom Kinde kameradschaftlich in
die eigene Vorstellung übersetzt.
Die Maschine trinkt, wenn sie
Wasser nimmt, wird gefüttert, wenn der Heizer
nachfeuert, macht lulu, sogar ohne Töpferi, wie
ein kleiner Kritiker einmal ausstellend bemerkte,
ist müde, wenn sie ganz langsam und leise daher-
kommt, und geht schlafen, wenn sie gegen Abend
in das Heizhaus fährt. Sie hat mitunter auch Husten,
wenn sie beim Anfahren oder in einer Steigung kurze,
schnelle Stöße durch den Schornstein pustet.
Aus Eigentümlichkeiten der äußeren Gestalt oder
aus auffallendem Verhalten werden der Lokomotive
oft auch Namen beigelegt, die an die mythologischen
Bekannten der Kinder erinnern oder an Alltagsbilder.
In einer Sommer-
frische am Sem-
mering, dessen
steile Rampen die
schweren Maschi-
nen abends oft
in einem wahren
Funkenregen em-
porkeuchen, tauf-
te sie ein kleiner
Junge; Feuerspei,
was er in der Aus-
Ein anderer
G080
Abb. 2G nie erste englische Eisenbahn als Kinderspielzeug von
Goethes Enkeln.
(Quellenforschungen — Feldhaus)
spräche Feuerspeu noch verstärkte,
nannte eine schlanke Gölsdorflokomotive mit unge-
wöhnlich hohen Rädern: Riesenradler im Anklang
an das Riesenrad im Wiener Prater und die geläufige
Bezeichnung Radler für Radfahrer. In Parsch bei
Salzburg, dem Fußpunkt der Zahnstangenbahn auf
den Gaisberg, wo die Lokomotiven in der ebenen
Strecke mit geneigtem Kessel dastehen, erschrak
ein kleines Mädchen über die „buckligen Maschinen“.
Derartige Namen kennt fast jede Familie; sie be-
weisen, wie sehr die Lokomotive immer und überall
die kleinen Geister beschäftigt. — Jedenfalls haben
wir es hier mit einem Gebiete zu
tun, das in seiner Mannigfaltigkeit
eine Menge hübscher Leistungen
der kleinen Poeten bietet und es
wäre hübsch, noch umfassendere
Aussprüche zu sammeln, wozu sich
besonders in Schule und Haus
manche Gelegenheit ergeben wird.
(Erschienen in der Neuen Züricher Ztg. v. 26.7.20)
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