Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Zweiter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 282
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Vögel
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Vogel.
Einleitung.
Armes und hlerdurch der Flugfertigkeit Eintrag gethan
haben wurde. Die Hånd (Fig. 1104. M—Q) mutzte eine
zusammengezogene Gestalt erhalten, weil gerade an ihr
die Wesentlichsten Flugfedern, die Schwingfedern (Fig.
1106. A1 — 10) befestigt find. Sie besteht aus zwei klei-
nen Handwurzelknochen (Fig. 1104.IN M), aufwelchen der
Daumen (N) und der einzige, aus zwei bogenformigen
Stucken zusammengesetzte Mittelhandknochen (0 0) ein-
gelenkt sind; mit dem letzteren ist nach autzen ein zwei«
gliederiger Mittelfinger (P), nach innen ein kurzer, den
kleinen Finger andeutender Stummel (Q) befestigt. Die
Langenverhaltniffe dieser verschiedenen Knochenreihen zu
einander wechseln je nach der Flugfertigkeit eines Vogels.
Schlechtfliegende Vogel haben einen fehr langen Ober-
arm und kurze Hand; das Gegentheil tritt ein bei Tag-
raubvogeln, und an den reitzend schnellfliegenden Thurm-
schwalben ist die Hand fast so lang wie Ober- und Un«
terarm zusammen.
Die den Flug vermittelnden Federn stehen nicht an
allen Korpertheilen gleich dicht und gleich verbreitet; sie
fehlen auf der Mittellinie der Brust, oder der Stelle, Wo
unter der Haut die Schneidedes Brustbeinkammes verlaust,
an den Seiten des Halses und unter den Flugeln. Man
unterscheidet die weiche, warmende, nur an der Wnrzel
kahle Flaumfeder von der eigentlichen, mit hohlem Schaft
versehenen Feder, die aus Spuhle, Schaft und Fahne be-
steht. Die letztere zerfallt in einen inneren, der Langs-
achse des Korpers zugewendeten und einen autzeren Bart,
der wiederum aus einer Menge von parallelen, Halbcy-
lindrischen, mittels endstandiger Borsten in einander grei-
fenden Fasern zusammengesetzt ist. Meistens wird die
Fahne dicht befunden, indeni alle Fasern sich beruhren und
genau zusammenhangen ; bei manchen auslandischen Vo-
geln hingegen stehen sie durch Zwischenraume gesondert
(z. B. die Schwanzfedern des Pfau, die Seitenfedern der
Paradiesvogel) und konnen dann mindestens auf die Art
und Starke des Fluges keine wesentliche Einwirkung
besitzen. Federn zeigen sich in vorzugsweis ausgebildeter
Form als Schwungfedern im Flugel, als Steuerfedern
im Schwanze und bieten sonst noch hinsichtlich ihrer
autzeren Gestalt, Krummung, Harte, Weiche, Farbung
ausnehmend viele Verschiedenheiten, welche fur die fyste-
matische Unterscheidung der Vogel grotze Wichtigkeit
besitzen. Jhre sehr interessante Entwickelungsgeschichte
ist in neueren Zeiten vielfach und grundlich studirt wor-
den. Sie fehlen dem jungen, mit spater ausfallenden,
Haarartigen Gebilden uberzogenen Vogel beim Auskrie-
chen, unterliegen je nach Jahreszeit und anderen llrsachen
dem periodischen Wechsel (der Mauser) und nach dem
Alter, theils auch nach dem Geschlecht der Farbenver-
finderung. Die Schwingfedern, die an einem von den
meisten den Flug nicht angehenden Federn entblosten
Flugel (z. B. des Bufsards Fig. 1106.) am leichtesten zu
studiren sind, stehen an der Hand und dem Ellenbogen-
knochen (Fig. 1104. K) und zerfallen in drei deutlich geschie-
dene Gruppen. Die erste (Fig. 1106. A —A) umfaht die
eigentlichen vorderen Schwingfedern, die zwar immer der
Zahl Zehn treu bleiben, aber in gegenseitiger Lange und
Fonn die grotzte Mannichfaltigkeit darbieten und an der
Hand befestigt find; die gewohnlich viel kurzeren, runde-
ren und weicheren, Hinteren oder kleineren Schwingfedern
(B—B) find am Unterarm angebracht, in der Zahl ver-
anderlich; der Daumen tragt ein Bundel steifer Flug-
federn (C), den sogenannten Eckflugel. Autzer diesen drei
wescntlichen Gruppen findet sich eine vierte, Schwing-
federn der dritten Reihe genannte an dem Gelenk des
Ober- und Unterarmes (Fig. 1103. I *), die gemeinlich kurz
bleibt, aber bei Regenpfeifern, Brachvogeln (Fig. 1107.E)
u. s. w. sehr lang Hervortritt und zumal im Fluge sehr
fichtbar wird. An das obere Ende des Oberarmknochens
(Fig. 1104. I) fugt sich ein anderes Bundel weicher Federn
(Fig. 1106. D) an, die man Schulterfedern nennt und nicht
zu ben Schwingfedern rechnen kann. Alle anderen, an
dem Flugel sonst vorkommenden Federn »ben auf dass
Fliegen nur beschrankten Einflutz; sie bestehen aus Deck-
federn, die, in mehrereu Reihen uber einander liegend (Fig.
1107. FF), sich wie Dachziegel decken, je nach ihrem Orte
verschiedene Namen erhalten und auch die innere Seite des
Flugels auskleiden. Die gegenseitige Lange der Schwing-
federn giebt dem ausgebreiteten Flugel sehr verschiedene
Umriffe (Fig. 1108—1112.) und also auch einen verschie-
denen Grad von Flugfertigkeit. Ein abgerundeter Flugel
ist zum gleichformigen, segelnden Fluge ungeschickt, und
daher flattern die meisten Sperlingsvogel, wahrend Vogel
mit schmalen, langzugespitzten Flugeln ohne bemerkliche
Schlage rasch und geradlinig dahinfchietzen. Auch u6t
das Grotzeverhaltnitz der Flugel zum Korper, sowie die
Harte und Krummung der einzelnen Federn bedeutenden
Einflutz auf die Art der Bewegung. Jedermann weih,
mit welchem klatschenden Gerausche Rebhuhuer aufstiegen,
und wie geisterhaft gerauschlos die Eulen voruberziehen,
deren Schwingfedern mit weichen, im Ilmfange fein ge-
sagten Barten versehen sind und darum gegen die Luft
bei rascher Bewegung keine klingende Reibung Hervor-
bringen konnen. Grotze, etwas abgerundete und matzig
gewolbte, aus stelfen, ebenmatzigen Schwingfedern zu-
sammengesetzte Flugel befahigen einen Vogel, emporzu-
steigen und mit gleichformiger Schnelle und ohne be-
merkliche Anstrengung seinen Weg durch die Hbheren
Regionen zu verfolgen, hindern aber im geradlinigen
Herabsteigen. Der Condor, der sich ohne Muhe sehr Hoch
erhebt, kann nur in einer Spirale, deren Umgange nach
unten fortwahrend abnehmen, den Boden erreichen.
Pfeilschnelles Dahinfchietzen durch die Luft setzt eine
Menge sich sehr rasch folgender Flugelschlage voraus,
die naturlich durch einen schmalen, spitzigen und sehr
Harten Flugel viel leichter ausgefuhrt werden konnen,
als durch einen entgegengesetzt gebildeten. Solche Zu-
spitzung solgt aus der sehr ungleichen Lange der vorderen
Schwingfedern, von welchen bei dem vortrefflich fliegen-
den Edelfalken die erste die langste ist, alle zehn aber die
Schwingfedern der zweiten Reihe weit uberragen. Be-
trachtlich gewolbte, kurze und abgerundete Flugel erwei-
sen sich ungunstig fur schnelles und gerades Aufstiegen
und uberhaupt fur anhaltenden Flug. Sie kommen am
Haufigsten bei den schwerfalligen Huhnervogelii vor, die
den Boden wenig verlassen und, ihren Futzen mehr ver-
trauend, nur aus Nothweudigkeit bei plotzlicher Ge-
fahr zu fliegen sich entschlietzen. Jndessen gewahrt man
auch an ihnen, wie eine geringe gunstige Umgestaltung
des Flugels jene Verhaltniffe andert. Wahrend das
Rebhuhn ungeschickt und unter ermudender Anstrengung
fliegt, legt die ihm nachstverwandte Wachtel ohne Schwie-
rigkeit weite Reisen durch die Luft zuruck, und zwar in
Folge der mehr verlangerten und zugespitzten Gestalt
ihrer vorderen Schwingfedern. Die Moglichkeit, die
Richtung des Fluges fchnell zu verandern, hangt zum
grotzen Theile ebenfalls von der Gestalt des Flugels ab;
eine sehr langschwingige Seeschwalbe wird nicht so scharf
einen Winkel beschreiben konnen als ein Sperlingsvogel,
denn sie bedarf einen grotzeren Kreis, um sich Herumzu-
drehen. Die Schwanzfedern (Steuerfedern) spielen Hier-
bei allerdings eine bedeutende Rolle, scheinen aber nicht
immer vollig unentbehrlich, denn Reiher ziehen mit maje-
statischer Gleichmatzigkeit in einer Richtung fort oder
andern dieselbe nach Gefallen, obgleich ihr Schwanz nur
Wenige Zolle mitzt, und die schnellsten Vogel haben in
der Regel die kurzesten Steuerfedern. Autzerdem verlie-
ren diese haufig alle Anwendbarkeit zu dem angegebenen
Zwecke dadurch, datz sie zu schmuckenden Zierrathen um-
gebildet sind, als futzlange, weiche Fahnen herabhangen
oder, wie bei vielen Huhnern (vor allen bei Pfauen), mit
ungewohnlich entwickelten Deckfederil bis zur Unbrauch-
barkeit umhullt sind. Der letzte, pflugschaarformige und
sehr verbreiterte Schwanzwirbel (Fig. 1102 D) ist mit star-
len Muskeln versehen, durch welche die auf ihm in einer
Art von Kapseln wurzelnden Steuerfedern ausgebreitet,
zusammengezogen oder unter gewifsen Winkeln mit dem
Horizonte gestellt werden konnen. Mit Muskeln und
Haut bekleidet, erscheint dieser Theil (Burzel) als Herz-
formiger Anhang. Gewohnlich sind nur zwolf, bisweilen
vierzehn, bei den Huhnervogeln sogar achtzehn oder mehr
Steuerfedern vorhanden, die in verschiedenen Familien
und selbst Gattungen die mannichfaltigste Gestalt getoah-
ren lassen. Von ihrer Stellung giebt der Schwanz des
gemeinen Bufsards (Fig.iiiz.) ein gutes Beispiel. Auf
jeder Seite stehen sechs dergestalt uber einander, datz die
erste autzerste von der nachsten zweiten und so jede fol-
gende von der vorhergehenden gedeckt wird ; selbst die zwei
mittelsten liegen auf einander. Jhre Kiele werden, eben
so wie die Schwingfedern, von shmmetrischen Reihen von
Deckfedern geschutzt, die bei dem Pfau und dem glanzen-
den Trogon Zierrathen von ungemeiner Schonheit bilden.
Die unterhalb der Steuerfedern liegenden unteren Deck-
federn erhalten bei manchen Vogeln, z. B. dem Marabu,
grotze Weiche und Feinheit und entsprechenden Werth
als Gegenstande des Handels; Gleiches gilt von den
oberen Schwanzdeckfedern des gemeinen Strautzes. Am
Leiervogel Neuhollands verlieren die Steuerfedern selbst
ihre gewohnliche Beschaffenheit, indem sie im gropten
Theile ihrer ansehnlichen Lange nur mit einzelnen Fasern
statt der sortlaufenden Barte oder Fahnen versehen sind.
Die Formenverschiedenheiten des Schwanzes sind zahl-
reicher als diejenigen der Flugel und auf die Art des
Fluges von nachweisbarem Einflufse. Wahrend des letz-
teren wird der Schwanz ausgebreitet und die Oberflache
des Vogels in sehr gunstiger Weise vergrotzert. Wo
Flugel und Schwanz zugleich grotz sind, beobachtet man
stets einen kraftigen und doch ruhigen und gleichformigen
Flug; bei langen Flugeln und kurzem Schwanze ist der
Flug nothwendig rasch, aber pfeilgerade; die Fahigkeit
schneller Richtungsveranderuilg sallt dann weg, wie das
Beiipiel des Eisvogels zeigt. Wenn aber endlich der
Schwanz ungewohnlich grotz ist und in keinem Verhalt-
nifse zu den Flugeln steht, so wird der Flug zur anftren-
genden und daher ohne Noth nie lange Zeit fortgesetzten
Bewegung. Sehr lange, weiche, dunnfaserige Steuer-
federn verrathen immer den an der Erde lebenden, der
Luft sich feltener anvertrauenden Vogel. Zwischen dem
Baue der Flugel und des Schwanzes herrscht allezeit eine
gewisse Beziehung, denn ein Vogel mit vorzuglich gut
zum Fluge eingerichteten Schwiugen und einem Hinder-
lichen Schwanze wurde ein Widerspruch gewesen fein,
dessen die Natur sich niemals schuldig macht. Wenn auch
die Steuerfedern kurz sind, so vermogen sie doch ihrer
Bestimmung vollkommen zu entsprechen, vorauFgefetzt,
datz sie Harte Kiele und Schafte und uunachgiebige Fah-
nen haben. Man beobachtet gerade an den besten Flie-
gern unter den Vogeln, wie an Seeschwalben, Thurm-
schwalben, Wanderfalken u. s. to., datz die zusammen-
gefalteten Flugel den Schwanz ansehnlich uberragen. Es
bedarf kaum der Erinnerung, datz die Gestalt des letzte-
ren fur die befchreibende Ornithologie von ungemeiner
Wichtigkeit zur Feststellung des Gattungs- oder Arten-
begriffes ist, und datz demgematz eine ziemliche Zahl von
Kunstausvrucken fur diese Formenverschiedenheiten aus-
gestellt worden sind, deren Erlernung nur aus praktischer
Nebung leichter folgen kann. Die Hauptformen des
Schwanzes sind die viereckige, wo alle Steuerfedern gleiche
Lange haben, die abgerundete, welche aus geringer Ver-
kurzung der seitlichen Steuerfedern entsteht, die abge-
stufte, wo die Abnahme gradweis und in gleichen Zwi-
schenraumen geschieht, die mehr oder minder gabelformige,
envlich die zerfaferte; sie sind zum grotzen Theil in
Fig. 1113—1123. dargestellt. Der Kletterschwanz (Fig.
1124.) der Spechte, Baumlaufer und verwandter Gattun-
gen beweist die Richtigkeit des schon fruher mehrfach vor-
getragenen Satzes, datz die Natur zur Erreichung irgend
eines besonderen Zweckes ein der gegebenen Thierclasse
sonst fremdes Organ felten erschaffe, sondern sich begnuge,
ein schonvorhandenes fo weit umzubilden, datz es der Ab-
sicht entfpreche.