Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Zweiter Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1848
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 282
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichtes der Vögel
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Vogel.
Erste Vrbnung.
der Anbeskette ; der erstere geht noch um cinige Grade
norblicher, findet aber auch seine unverletzbare Granze
nnd wird da, wo viel weiter nordlich daS lange Ketten-
gebirge von Neuent zu grofier Hohe aufsteigt, durch
einen erst neuerdings entdeckten Verwandten, den cali-
fornischen Condor, vertreten, der seinerseils das
zwischenliegenbe, gleichsam neutrale Land nicht fiber-
schreitel.
Wie manche andere Geiervogel begnugt stch der Con-
dor keinesweges allein mit todten und in Faulnih uber-
gegangenen Korpern, sondern fattt auch kleinere Sauge-
tl-iere an. Gern umschwebt er Heerden und bemachtigt
sich junger Schaafe und Ziegen, und daher richten die
chilenischen Landleute ihre Hunde ab, umherzukreisen,
das Firmament nicht minder in das Ange zu fassen als
die Erde, und das Sichtbarwerden eines Condor durch
warnendes Gebell anzuzeigen. Auch fnllt er paarweis nuf
Kalder und junge Ochsen nieder, hackt ihnen die Augen
aus und entreifit ihnen die Zunge, tsdtet Lamas und seldst
den Puma (B. 1. S. 98), welchen er so lange verfolgt,
und dem er so viele Wunden beibringt, bis er erschopst
niedersinkt. Seine Starte ist eden so erstaunlich grost
als seine Lebenszahigkeit. Sir Francis Heath erzahlt,
wie einer seiner aus Cornwallis stammenden Bergleute
einen vollgesressenen und daher zum Kampfe nicht beson-
ders gerusteten Condor angriff, ihm den Hals durch Um=
drehung zu brechen suchte, zuruckgeschlagen ward und
nach einstundigem Gesechte sich zuruckziehen musite, ohne
andere Siegeszeichen, als eine Handvoll ausgerissener
Schwingfedern. Dast ein Paar einen Menschen beflegen
konne, unterliegt keinem Zweifel, allein man fennt tein
glaubwurdiges Beispiel eines solchen Anfalls. Humdoldt
konnte bei genauester Nachforschung nicht einen Fall von
Entsuhrung kleiner Kinder enidecken, die dem europai-
schen Lammergeier mehrmals gelungen ist; die Furcht-
lostgkeit der Gebirgsindier widerlegt am Besten alle
Erzahlungen alterer Reisender. Es ist Nichts gewohn-
licher, als die Kinder undewacht spielen oder im Freien
schlasen zu sehen, wahrenb in einiger Entfernung die
Aeltern beschastigt sind, zum Verkause an die Stadier
Eis zu sammeln. In dem ebenen Laude, wohin der
Condor seltener kommt, glauben die Bewohner allerdings
an manche Neberlieferungen, deren Unwahrheit sie durch
eine kurze Reise ermitteln lu firben. So erzahlie man
Condamine, dafi die Jndier der Andes aus einem besou-
ders zahen Thone Kinderfiguren modelten, nuf welche
der Condor alsbnld Herabstoste und sich snnge, indeni der
Thon ihu nn den Krnllen sesthalte. Man bedieut sich
zum Fnnge eines lueit einfncheren Versahrens, welches
indessen nur gegen gesattigte und dnher zum Fluge un-
fnhige Jndividuen nniuendbnr ist. Ein Reiter nnht sich
dem ruhig dnsttzenden Vogel, der, die Gesnhr erkennend,
stntt im kuhuen Kreise sich stolz emporzuschiuingen, feig
durch unedles Flattern und Snufen nm Boden zu ent-
kommen sucht, nber, fchnell eingeholt und von der nie
fehleuden Wurffchlinge getroffen, in Galopp davonge-
schleift und gewfirgt wird. Dns Feuergewehr ist nur
dann anwendbar, lueun dem Schutzen gehorige Erfahrung
zu Gedote fteht, benn bas Gefieber ist so bicht, so glatt
unb Hart, unb bie einzelnen Febern becken sich einanber
mit solcher Genauigkeir unb so regelmahig, bah von ihm
bie nicht im rechten Winkel ausschlagenbe Flintenkugel
abprallt. In Peru unb Quito macht ben Jnbiern bie
grausamste Tobtung bes Conbor viel Vergnugen; sie
schlnchten ein nutzloses, altes Hnusthier, lassen ben Leich-
nam im Freien liegen unb verbergen sich. Nach kurzer
Zeit schon erscheinen bie grohten nller Geiervogel unb
zwar nicht selten an Orten, wo sie gewohnlich nicht ge-
sehen toerben, freffen mit unglaublicher Gier, toerben
bann, ungeachtet aller Versuche, burch Hernuswurgen bes
ubermastigen Futters sich zu erleichtern, lebenb gesangen
unb unter ben nustersten Qualen langsnm Hingerichtet.
Im Nebrigen schlafen bie vollig gesatiigten Conbor so
austerorbenilich fest, bast bie Chilenen es leicht finben, sie
zu beschleichen, ober bie Bnume, nuf toelchen bie Riesen-
vogel zu snus bis sechs Platz genommen haben, zu er-
kletiern, um einen nach bem andern, ohne bie Nachbaren
aufzutoecken, burch ubergeworsene Schlingen Herabzu-
reisten. Nm Riodamba in Quilo vergiften bie Jnbier
faules Fleisch mit einem getoifsen Pflanzenstoffe; ber
Genust bieses Kubers beraufcht ben Conbor unb macht
il-n zum Fluge uufahig. Zufvlge einer in Chile unb
Peru allgemein verbreiteten Sage bauer biefer niemals
ein Nest. Weber Hnmbolbt noch Dartoin noch irgenb
ein anberer ber neueren Naturforscher Hal je ein folches
gesehen; ber zweite bemerkte an ben Felstoanben Pata-
goniens keine Spur von Ban nit ben Orten, luv bie
Jungen stnuben unb nusgebrutet toorben fein moditeu.
Auch stinimt mit biesen Beobnchtuugen bie Ausfnge chi-
lenifcher Lnnbleute uberein, bnst ber Conbor nicht bnue,
fonbern feine Eier nuf einen knhlen Felfenvorsprung lege.
Die letzteren sinb uber brei Zoll lnng, fchmutzigiueist unb
ungefleckt. Dns Weibchen foll ein voltes Inhr bie lang-
fniii ertonchfenen Jungen pstegen, bie bis in bns ztoeite
Jnhr nm Korper nur Dunen hnben, bann an Flfigeln
unb Schtoanz Harte Schaftfebern, jeboch nicht vor Ab-
lauf bes dritten Jahres ern vollstanbiges Gefieber erl-al-
ten. Sie sinb bann von bfistergraubrnuner Fnrbe unb
fo grost toie bie Alten. Votlstnnbig ausgesarbt ist bas
Gefieber im funften Jahre unb als folches tburch lueitzen
Feberkrngen bes Halses kenntlich. Lange vor Erreichung
bieser Reise jagt inbessen ber Conbor altein ober gesettt
sich ben kleinen, aus Raub ausziehenben Gesettschaften
ber ertoachsenen bei. Jener vom Alter abhangenbe Far-
bentoechsel tonr ben srfiheren Beobachtern unbekanut unb
erklart bie ungetoissen Sagen vom Borhanbensein ztoeier
verschiebenen Arten von Conbor in ©ubamerifa.
Die meisten Beobachter haben ben Conbor nur in
einiger Entfernung unb auf irgenb einer hohen Felsen-
spitze ber einfamen Anbesthaler sitzenb gesehen, benn
einer schon von Aristoteles gemachten Beinerkung ent-
sprechenb, ruht er, toie alle mit fladien, gewolbten Kral-
len versehene Raubvogel, lieber auf ber Erbe ober hohen
Steinen als auf Baumasten. Er erfcheint unter folchen
Umfiinben lueit groster, als er toirklich ist, obgleich nicht
ganz so grost, toie ihu bie attesten Reifenben geschilberl
haben. Die von Humbolbt zuerst gemachten Messungen
sinb von Spateren richtig befunben toorben. Die ganze
Kurperlange betragt 3 par. Fust, bie Klafteriueite 8 Fust
6 Zoll bis 9 Fust. Das ertoachfene Aiannchen ist im
Atlgemeinen glanzenb fchtoarz, hin unb luieber mit leich-
tem, granen Anfluge. Die grosteren Ftfigelbeckfebern
sinb lueist, ausgenominen am unteren Theile unb an ber
austersten Spitze, unb al-nliche Farbe tragen auch bie
Schtoingfebern zweirer Orbnung. Den Unterhals um-
giebt eine Kraufe von lueitzen Dunen. Die ben fibrigen
Hals unb ben Kopf bekleibenbe Hånt erfcheint faltig,
grob unb rauh, erhebt sich auf bem Vorberkopfe unb
fliestt nach Hinten mit ein paar niebrigen Hautfatten zu-
fammeii, bie, unregelmahig Hin- unb Hergebogen unb zu
Warzen anschmellenb, unter bem Kinne sich vereinigen
unb ba einen Lappen bilben, ber toie bie fibrigen Theile
biefes Kopfanhanges in feineni halbknorpeligen Getoebe
toenige Gefaste birgt. Die grotze Ohroffnnng liegt Halb
verdorgen unter ber Schlafenfalte. Das fel-r in bie
Lange gezogene, lebhafte, hochrothe Ange liegt toeiter
nach hinten als bei ben Ablern. Der Oberkiefer ragt
lueit fiber ben Unterfiefer Hervor unb krfimmt stch zum
getoaltigen Halen um; ber fiberhaupt fehr groste Schna-
bel ist an ber Spitze toeistlich, soiist burchans bratingrau,
ber etwas keilfonnige Schtoanz im Berhaltnisse zum fibri-
gen Korper kurz unb in beiben Geschlechtern, bie sich fiber-
haupt fiusterlich kanin von einanber unterscheiben laffen,
von berfelben fchiuarzlichen Farbe. Europa Hat bis jetzt
nur ein ober ber anbere Conbor lebenb erreicht, inbein
er in ber Regel bei Durchschiffung ber Heisten Zone ftirbt.
In Chile unb Peru toirb er bistoeilen gefangeit gehalten,
ntup aber mit bem Friste angekettet toerben unb erlangt
niemals, fo viel Zahmheit, bast man ihm ohne Borsicht
nål-én bfirste. Bielleicht mogen Haufige Neckereien biefe
Wilbheit verursachen, benn ein lebenb nach Wien ge-
brachtes unb lange Zeit beobachtetes Paar gab an Zahni-
Heit, Gebulb unb Frennblichkeit gntgezogenen Hunben
nichts nach. Er fcheint ein hohes Alter zu erreichen.
Sein Name follte eigentlich Cnntnr geschrieben toerben,
benn er entspringt von bem Zeittovrte ber Quichuasprache
Cuntuni, toelches einen fibeln Geruch verbreiten bebeutet.
2. Tcr Konigsgeier. (Sareorhamphus Papa.) Sig. 1268.
Der eigentiiche Konigsgeier bewohnt einen grohen
Theil res tropifchen Amerika von Sfibbrasilien bis
Merico unb toirb bistoeilen fogar in Floriba gesehen,
too er inbessen an ber Granze seines Verbreitnngsbezir-
kes stehen bfirfte. Wahrenb ber Conbor bie Berge nur
auf kurze Zeit verlaht, halt sich ber Konigsgeier aus-
fchliehlich in heisten unb niebrigen, mit Walb bebeckten,
von grosten Flfissen unb Savanen unterbrochenen Ebe-
nen auf, too Hahlreiche Thiere toohnen unb Zerfetzung
bem Tobe mit Schneltigkeit folgt; er beherrscht bort bie
fibrigen Geiervogel, bie ihm, ohne je ben Kampf zu ver-
fuchen, ausiueichen unb bie aufgefunbene Bente fiber-
lassen, bie sie nicht eher zu berfihren toagen, bis jener
sich vollig gesattigt hat. Bistoeilen toerben sie zum
Mahle zugelassen, jeboch nie mit Familiaritat behanbelt,
toie Waterton wahrenb feiner Fal-rt auf bem Essegnibo-
flusse beobachtete. Dast ber Geruchssiun allein ben Ko-
nigsgeier bie Bente ansfinben lasse, glnudt berselbe Rei-
feiibe aus einem absichtkich gemachten Bersuche folgerit
zn famlen. Er verbarg eine fehr groste, eden getobtete
Schlange unter bem unburchsichtig bichien Laube einer
hohen Baunikrone. Wahrenb bes ersten Tages toarb,
mit Ausnahme eines hochfchtoebenben Aura, kein Aas-
vogel beinerkt, allein als am ztoeiten Nachmittage bas
faulenbe Reptil fible Gerfiche zu verbreiten begann, er-
fchienen gegen ztoanzig Aura's unb liesten sich auf
tiahen Baumeti nieber. Am britten Morgen kam ein
groster unb schoner Konigsgeier an, fetzte sich auf bie
enttoeber burch Krankheit abgestorbene ober vom Blitz-
strahle getroffene, blattlose Spitze eines erstaunlich hohen
Mora-Baumes unb toarb alsbalb herabgefchoffen. Balb
nachher traf ein ztoeiter ein, genost im Nebermaaste von
bem ganz faulen Schlangenkorper unb flog schwersallig
von bannen. Jetzt erst magten bie inztoischen noch zahl-
reicher getoorbeiien Aura's auf bie Reste Herabzustfirzen,
toelche in toenigen Minuten verschluanben. Es bebarf
fidrigens nicht ber Erinnerung, bast biefe Unterorbnung
kleinerer Geier nicht, toie alte Schriftsteller es barstellen,
aus einem angestaiumien Unterthanengeffihte, fonbern
aus Furcht vor bem toeit grosteren unb starkeren Ver-
toanbten entspringt. In Wahl feiner Nahrung gleicht
fibrigens ber Konigsgeier ben anberen Arten ber Familie;
er friht Schlangen unb kleinere Reptilien, verfaulte
Fische unb fiberhaupt jebe Unreinigkeit thierischen Ur-
sprunges eben so gern toie Fleisch tobter Saugethiere
unb legt bie bekaunte unersattliche Gier zu Tage. Trotz
seines angenehmen Aeusteren ist er boch nur ein uitrein-
licher, einen fehr fibeln Geruch verbreitenber Vogel.
Betoohnte Gegenben vermeibet er unb toirb um Stabte
unb Dorfer niemals, sonbeni ausschliehlich in Uriuålbern
angetroffen; mehrentheils fliegt er paarweis. Mit ihm
ist lange Zeit ber ahnliche weistschwnnzige Geier
(Vullur sacer) verwechselt worben, ber, wie Bartrant
versichert, in Ostfloriba in starken Gesettschaften eintrifft,
sobatb bie Jnbier bie ausgebehnten Savanen absicht-
lich anzfinben, um bns Wilb ben Jagern zuzutreiben,
ober ber Blitzstrahl sie in Feuer setzt. Rings uiither aus
ben verschont gebliebenen Baumen sich nieberlassenb,
Harren jene Schnaren, bis Ranch unb Feuer etwas tiach-
laffen, unb stfirzen bann Hinab, um aus ber noch Heisten
Afche bie zahlreichen haldgebratenen Eibechsen, Schlan-
gen unb Frosche Hervorzuholen, welchen es nicht gelang,
ber allgemeiiten Brunst zu entkommen. Der wahre