Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1847
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 312
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der Säugethiere
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Saugethiere.
Einleitung.
Bestimmung ubertoiesen ist, tritt von Allem diesen das
Gegentheil ein, bis zuletzt aus dem mit Zehen versehenen
Fuh eine toahre greifende Hand wird, die am Affen die
Hhchste Vollkonimenheit erlangt, an den Fledermausen,
die daher HandflLgler heisen, zum Werkzeuge eines eben-
so schnellen als gewandten Fluges sich umgestaltet. Mit
der Bestimmung dieser Glieder steht endlich ihre Lange und
die Bekleidung ihrer Endspitzen in Verbindung. In der
Regel sind die Vorderfusiekurzer als die Hinteren, zumalbei
springenden Saugetbieren (Springmausen, Springhasen)
haben die hinteren eine unverstaltnihmahige Lange; indessen
bringt dieses Verhaltnih bei getovhnlich gebildeten Ho-
rizontalen Thieren keine besonders abweichende Stellung
Hervor, indeni die Hinterfusie im Fersengelenk stets einge-
knickt sind. Langer muh der Vordersuh sein bei allen
kletternden Thieren, daher die abenteuerliche Bildung der
Langarinaffen und der Faulthiere. Wenn Gleiches an
der Giraffe bemerkt wird, so erklart sich die Nothwendigkeit
solcher bei Husthieren beispiellosen Baues aus derBestim-
mung, die Aeste von Bjumen abzuweiden. Bekleidet
sind die Zehen oder Finger mit Gebilden, die Hinsichtlich
ihreS physiologlschen Verhaltens sich gleichen, aber eine
auherlich abweichende Gestalt gewahren lafsen, dem Platt-
nagel (der Affen), der Kralle, die stets zusammengebruckt
unb gekrummt ist und aus der Oberseite oder aus der
Spitze des letzten Zehengliedes steht, endlich dem Huse,
welcher die Spitze der Zehe schuhformig umgiebt, einfach
oder mehrfach vorhanden sein kann. Wenn man erwagt,
welchen Einstuh diese verschiedenen Bekleidungen der Zehen
aus die Befahigung und Thatigkeit der Glieder Haben
mussen, die wiederuni mit den wichtigen Ernahrungswerk-
zeugen in genauer Beziehung stehen, so wird man zuge-
stehen muffen, dah die Eintheilung der ersten Classe in
Nagelthiere, Krallenthiere und Hufthiere aus
einer tieferen Anschauung beruhe. Aufder Art, wie ein
Saugethier bei dem Gehen auftritt, beruht endlich die
Eintheilung in Sohlenganger und Zehenganger.
Die ersteren sind die wenigst zahlreichen, denn bei den
meisten anderen steht der obenein sehr verlangerte Fersen-
knochen nicht in einer Ebene mit den Zehen, sondern unter
einem Winkel und mehr oder weniger vom Boden entfernt;
Wieberkauer, Dickhauter u. s. w. sind daher achte Zehen-
ganger. Zu den eigentlichen Bewegungsorganen gesellen
sich in seltenen Fallen noch Helfende Organe; dem Spring-
hasen und dem Kanguru dient der kraftige lange Schwanz
gleichsam als dritter Hinterfuh, als Stutze im Sitzen,
als Hebel im fortschleudernden Sprunge; Flughornchen
und Pelzslatterer empsingen an ihrer weit ausdehnbaren
Seitenhaut einen nutzlichen Fallschirm, der seboch einen
besonderen Knochenbau nicht nach sich gezogen Hat. Die
Bewegungen der Saugethiere selbst sind sehr mannichsaltig
und bedingen die verschiedenen Einrichtungen, die am Ske-
lett der springenden, kletternden, grabenden oder schivim-
menden durch ihre Zweckmahigkeit Bewunderung erregen.
AuSdauer, Starke und Schnelligkeit der Bewegungen sind
freilich von grohen, unserer Beobachtnng dargebotenen
Arten bekannt genug, benn Jedermann kennt die Leistungen
englischer Rennpferde, wie des beruhmten Eelipse, der in
der Secunde 58 Fuh zurucklegte; indessen sind sie da, wo
sie sich dem Blicke entziehen oder nicht beachtet werden,
ost nicht minder auherordentlich. Ein grabender Manl-
wurf betoaltigt einen Widerstand, der ini Verhaltnisi bie
Krafte zweier Menschen wahrscheinlich ubersteigt, unb
nach Scoresby schwimmt ber Harpnnirte Walfisch mit
reisienber Schnelle in einer Tiese von 5000 Fusi, ivo bie
aus i (un lastenbe Wassersaule bent Gewichte von brei Mil-
lionen Centnern gleichkommen wurbe.
Die Organe ber Ernahrung zeigen, soweit sie auherlich
sinb, nicht entfernt jene Mannichfaltigkeit wie an Jnsecten
unb anberen Glieberthieren; bie um bie Mnnboffnung
bes Kafers stehenben ost sehr kunstlichen Werkzeuge toerben
am Saugethiere tsteils burch merkwurbige Einrichtungen
bes Gebisses,'theils burch bie Mvglichkeit eines vielartige-
ren Gebrauchs ber Glieber ersetzt. Fiuben sich manche
Unterschiebe in ben Bebeckungen unb Umgebungen bes
Munbes, so sinb sie nie von sehr groher Erheblichkeit.
Ueberaus toichtig ist hingegen ber Bau ber Kiefern unb
Zahne unb ber Classe ber Nahrungsmittel unb ber Art,
wie biese ergriffen unb zerkleinert toerben, genau angepaht.
Starke, Einlenkung, Gestalt unb Beihkraft bes Kiefers,
Stellung, Gestalt unb innerer Bau ber Zahne verhalten
sich ganz anbers beim Raubtstiere als bent Pstanzenfresser;
ztoischen biesen ertremen Bilbungen liegen viele anbere,
einen vollig abgestuften Uebergang getoahrenb in ber
Mitte. Man unterscheibet brei Arten von Zahnen:
Vorberzahne, bie stets im ZtoischenkieferknocheN stehen;
Eckzahne, von toelchen nie mehr als einer jeberseits vor-
Hanben sein kann, unb beren Charakter allein barin besteht,
bah sie bie vorbersten im Kieferknochen sinb, also uninittel-
bar an bie Vorberzahne sich anreihen; enblich Backenzahne,
toelche ben ganzen ubrigen Raum einnehmen. Nicht
alle Saugethiere haben ein vollkommenes Gebih, b. H.
alle brei Arten von Zahnen; ben Wieberkauern fehlen bie
obereit, burch einen Knorpeltoulst ersetzten Vorberzahne,
ben Nagern bie Eckzahne. Vollig zahnlos sinb auherst
toenige. Der Zahn besteht aus einer ober mehreren
Schichten, erscheint am einfachsten an Delphinen als Hoh-
ler Kegel von Knochensubstanz, am zusammengesetztesten
an Elephanten, too ber Backenzahn aus einem toeicheren
Knochenkern besteht, ber mit einer Schicht von krystallini-
schem Harten Schmelz uberzogen unb mit benachbarten
ahnlichen Gebilben austoenbig burch eine britte Substanz,
ben Zahnkitt, zu einem einzigeit Zahn verbunben ist. Die
Wurzel ber Zahne ist einfach toie an Eckzahnen, ober
mehrfach toie an ben Backenzahnen, von toelchen seboch bie
vorbersten (Luckenzahne genannt) eintourzelig sinb; sie ist
vbllig geschlossen unb ferneres Wachsthum bes ausgebil-
beten Zahnes ist bann nicht moglich, ober sie ist offeu
unb ber Zahn machst in Einem sort unb zivar im Ver-
Haltnifse toie er oben burch Kauen abgenutzt toirb. Die
Krone ist balb platt, balb zusaminengebruckt, breit unb
eben ober in scharfe Spitzen, anbere Male in stumpfe
Hocker auslaufenb, balb ganz mit Schmelz uberzogen toie
am Affen ober Raubthiere, ober nur mit einzeln Hervor-
ragenben Schmelzfalten versehen, bie sich langsamer ab-
nutzen als bie ztoischenliegenben Schichten ber Knochensub-
stanz, so bah bie Kaustache immerbar eine unebene, bem
Mnhlsteine an Wirkung vergleichbare bleibt. Die Ans-
brucke Nagezahne, Hockerzahne, Mahlzahne, Reihzahne
sitr Zahnformen, beren toichtige Bebeutung meiterhin voll-
stanbige Erklarung erhalten toirb, berusten auf biesen Un-
terschieben bes Baues, bie eben so toie bie in berjetben
Gattung niemals abanbernbe Zahlber Zahne, fur bie syste-
matische Eintheilung ber ganzen Classe ein untrugliches
Hilfsmittel barbieten unb auf bie Ernahrungsart eines
SaugethiereS mit grohter Sicherheit zu schliehen gestalten.
Die Verbinbung unb gegenseitige Abhangigkeit ber Organe
ber Ernahrung unb ber Vetoegung liegt meist klar zn
Tage; sie låht sich ohne Schtoierigkeit alS nothtoenbige er-
keiinen, toenn man bas mit schneibenben Zahnen unb
scharfen Krallen versehene, nur burch Morb ober Geivalt-
samkeit sich nahrenbe Raubthier mit bem frieblichen
Wieberkauer vergleicht, bessen Mahlzahne nur zurZerklei-
nerung pstanzlicher Stoffe geschickt sinb, toahrenb ber ste-
lsuste Fuh, einen einfachen Ztoeck erfultenb, bie Nachtheile
sonstiger Wehrlosigkeit burch Ermoglichung rascher Flucht
anshebt. Solche Vergleiche koniien sich aber tioch viel
toeiter erstrecken, inbem bis in bie auhersten Einzelitheiten
Organisation unb Bestimmung eines Thieres zusammen-
Hnngen. Die Erkeniitnisi bieser nothtoenbigen Berbinbun-
gen ist bie Philosophie, aber zugleich anch ber anziesteubste
unb lohnenbste Theil ber Wissenschaft. — Unter ben iiine-
ren Verbaunngstoerkzeugen bietet ber Magen bie meisten
Verschiebensteiten, beren Kenntnih inbessen nicht in alten
Fallen eine erhohete Kenntnih bes Verbauungsgeschastes
nach sich ziestt. Einfach ist er bei ben meisten Saugethie-
ren, obtoostl von anbernben Umrissen; aus mehreren mit
einanber verbunbenen Abtheilungen besteht er bei Kangu-
rus, Stachelschtoeiit, Klipbas u. s. to., too seboch bie Noth-
toenbigkeit solcher Bilbung nicht fuglich aus ber Art ber
Nahrungsmittel zu erklaren ist; in bentlich getrennte Ab-
theilungen, von toelchen jebe einen besonberen Theil bes
Verbauungsgeschastes ubernimmt, zerfatlt er bei Wieber-
kauern. Der Darmeanal ist se nach ber Nahrung von
verschiebener Lange, kurz bei votlkommenen Fleischfressern,
gin langsten bei Grasfressern, toeil ba bas voluminofe
Futter langere Zeit im Korper vertoeilen muh, toenn seine
uahrenbeil Bestanbtheile vollstanbig ausgesogen iverben
sotlen ; ber gerablinig Hingelegte Darmeanal eines Schafes
ist 27 Mal langer als ber Korper bes "Thieres. Einziges
Werkzeng ver Athmung sinb bie Lungen; bie Bluttoarme
ist bei alten, unerhebliche Unterschiebe abgerechnet, bie-
selbe. Die Stimmen sinb bekanutlich sehr vielartig, nie-
mals melobisch, boch in seltenen Fallen (z. B. bei arkti-
scheil Hunben) sotoeit biegsam, bah Nachahinung frember
Tone moglich toirb. Befonbere Einrichtungen bes Kehl-
kopfes bienen (bei Brutlaffen, Pferb, Esel) bistoeilenbazu,
ber Stiinme ungemeine Starke ober einen brohnenben Laut
zu geben.
Das Hiril als Mittelpunkr bes Nervenlebens ist ztoar
in seiner allgemeinen Beschaffenheit bei allen Sangethie-
ren sich gleito, lahl aber in Beziehung auf sein Verhalt-
nih zur Grohe bes Kopfes unb zum Gesicht bes ubrigen
Korpers bebeutenbe Abstufungen toahrnehmen. Ein
groher Umfang bes Kopfes berechtigt keinestoegs zum
Schlusse auf ein angemessenes Hirn; am Cachelot ober
Spermacetitoalfische betragt ber Kopf toeit uber ein Dritt-
theil ber ganzen Korperlange, allein bie Hirnhohle ist
nicht nur klein, fonbern zu einem grohen Theil mit einer
oligen, ben Umfang bes Hirnes beschrankenben Materie
erfullt. Die grohkopfigen Wieberkauer haben im Ver-
haltnih toeit toeniger Hirn als Mause unb anbere Nage-
thiere, benn air ihnen ist toesentlich ber Gesichtstheil bes
Schabels auf Kosten ber Hirnhohle enttoickelt. Da bas
Gesicht ober bie Schnauze sich auf bie thierischen Geschafte
namentlich ber Ernahrung bezieht, so kann man aus Ver-
gleichung besselben mit bem bas Hirn bergenben Schabel-
getoolbe ober, toas basselbe sein wurbe, mit ber Grohe
bes HirnS annåhernbe Schlusse auf bie intetlectuetlen
Fahigkeilen eines Thieres machen. Auf biesem Satze
beruht bie Messung bes Gestchtswinkels, bie uberall von
Interesse, besonbers bei Affen unb Hunberaffen toichtig
toirb. Inbem man ben Winkel miht, toelcher ztoischen
ztoei Linien sich siiibet, beren eine, uber ben vorragenbsten
Punkt ber Stirn unb uber bie Nasenhbhle bis zur Mitte
bes Oberkiefers gerabe Herablaufenb, auf eine anbere trifft,
bie von bem Oberkiefer horizontal bis zum Hinterhaupt-
loche gezogen ist, kann man bie burch Enttoickelung bes
Gesichts unb Beschranknng bes Schabelgewolbes bebingte
Neigung bes Profils leicht feftsetzen. Dem inenschlichen
Profil nabert sich am meisten basjenige ber Affen ; vogel-
ahnlich toirb es bei ben mit geringeni Instinkt versehenen
Ameisenfreffern. Die Siniie sinb stets in ber getoohn-
licheii Zahl vorhanden, aber von ungleicher Ausbilbung
unb Scharfe ; nur im Menschen offenbaren sie sich in voller
Gleichheit unb Harmonie. Die Berbinbung ztoischen
Bestimmung, Umfang und Art ber auf Selbsterhaltung
bezuglichen Beburfniffe und der Einrichtung ober Starke
ber Sinnesorgane ist auch hier nachtoeisbar. Unterirbische,
bes Lichtes nicht beburftige, mit unvollkommenen Augen
versehene Saugethiere besitzen nicht allein ein ungemein
scharfes Geststr, fonbern auch so grohe Empstnblichkeit
ber Oberstache, bah ihnen bie leiseste Erschutterung bes
Bobens nicht entgeht; ben auf nachtliches Leben Hinge-
toiesenen, toie bem Hasen, ersetzt scharfer Horsinn bas am
Tage toenig brauchbare Ange ; gewaltige Raubthiere, toie
Kasten, bie bei Tag unb Nacht gleich gut sehen, Haben
ztoar tein scharfes Gehor, aber enttoickelten Riechsinn;
amphibische, toie Spitzmaus unb Otter, vermogen bas
unter bem Wasser unnutzliche Ohr burch Klappen zu schlie-
Hen, unb ahnliche Fahigkeit besitzen bie nachtlichen Halb-
affen unb Flebermause, bei toelchen bieser Sinn so scharf