Illustrirte Naturgeschichte Des Thierreichs
Erster Band
Forfatter: Eduard Pöppig
År: 1847
Forlag: Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
Sted: Leipzig
Sider: 312
UDK: St.f. 59 Pöp
Naturgeschichte der Säugethiere
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Saugethiere.
Fehitte Vrdnonjj.
benteii auf viele Beihkrafi. Von den Zahnen laht sich
in Hinstcht auf Gestalt ettoas Allgemeines kaum sagen;
fle kommen nur insofern uberein, als ste mehr Werk-
zeuge des Ergreifens und Festhaltens als des Kauens
find, geeignet, cine schlupfrige und Widerstand leistende
Beute zu packen oder in Stucken zu reisen, nicht aber
sie langsam mahlend zu zerkleinern. In den verschiedenen
Gattungen zeigen die Backenzahne eine sehr verschiedene
Gestalt und grostere oder geringere Zahl, theils einfache,
seltener mehrfache Wutzeln, eine zusammengedruckte,
verschieden eingeschnittene und daher rnehrspitzige, andere
Male eine einfache, konische Krone. Votberzahiie sind
oben vier bis stchs, unten zwei bis vier vorhanden; die
Eckzahne erscheinen stets sehr entwickelt und groh. Unter
den Sinnesorganen zieht das mit einer Nickhaut ver-
sthene Auge die Aufmerksamkeit aller minder erfahrenen
Beschauer durch seinen ungemein klugen, menschenahn-
lichen Ausdruck auf sich; es ist in der Regel sehr grosi
und hat wie dasjenige atter Wasserthiere jene eigenthum-
liche Gestaltung der Hornhaut, toelche das Sehen in
einem dichteren Elemente vermittelt. Die Nasenlocher
lassen sich nach Willkur durch eine Art von Klappen
schliehen; obgleich bei den mit kurzen Gestchtsknochen
versehenen Arten von Seehunden die Nafenhhhle nicht
sehr lief ist, so zeigt sie sich um so geraumiger und enl-
Halt so viele bunne, netzformig durchbrochene Stasenblat-
ter, uber welche die Riechhaut sich hin- und Herfaltet,
dah die Scharfe des atte Floffenfuher auszeichnenden Ge-
ruches wohl erklarlich wird. Den inittels einer Hautfalte
wie durch eine Klappe bei dem Untertauchen verschlieh-
baren Gehorgang umgiebt auhetlich entweder ein langer
vorragendes Ohr oder ein kurzer, von dem Kopfhaare
zugedeckter Rand. Da eigentlich das ausiere Ohr nie
fehlt, sondern attein verschiedene Grade der Entwickelung
erlangt, so Hal es in diesem Falle keine erhebliche physio-
logische Bedeutung, obgleich auf seine Langeverhaltniffe
die systematische Trennung der ganzen Ordnung in zwei
Gruppen vorgenommen tvorden ist. Sin Wasser muh
das Gehor toegen Abschliesiung des Canals unvollkont-
men sein; dasi es auf dem Lande viele Scharfe besitze,
tvissen die Seehundsjager, die sich bei Beschleichung der
am Strande liegenden Thiere vor jedem Gerausche huten.
Die glatte Zunge hat eine bei Saugethieren seltene Ge-
stalt; sie ist an der Spitze verbreitert, zugerundet und
Herzfotinig ansgerandet. Der Tastsinn der Seehunde
muh aus einfachen Ursachen als sehr unvollkommen vot-
ausgesetzt toerben und fann Hochstens in den langen
Bartborsten seinen Sitz haben; vom Fuhlsinn toird toe-
gen der gleichformig dichten und Harten Bekleidung Aehn-
liches anzunehmen sein. Unter den Eigenthumlichkeiten
des inneren Banes verdienen getoisse auf den Unilauf
des Blutes bezugliche Vorrichtungen besondere Aufmerk-
samkeit. Man hat lange geglaubt, dah die Seehunde
ihre auffallende Fahigkeit, geraume Zeit unter dem Mas-
ser auszndauern, ohne zu athmen, einer Verbindung zivi-
schen den zwei Herzohteii verdankten, derjenigen ahnlich,
welche ini Fotus tvarmblutiger Thiere besteht und fur
das ans dem Umlaust ruckkehrende Blut die Nothtven-
digkeit des Durchganges durch die Lungen aufhebt. Dem
ist jedoch nicht so, vielmehr sammelt sich das ruckkehrende
und toahrend des Untertauchens in den Lungen keinen
Raum findende Blut in getvissen grohen Hohlen (Sinus)
der Leber an und toird in ben Unilauf erst nach Herge-
stellter Athmung toieber aufgenommen. Blui unb Mus-
keln sinb von toeit bunklerer Farbung als bei irgenb
einem anberen Saugethiere. Auf bas Untertauchen bei
Verfolgung ber Beute unb ber baher entstehenben Unter-
brechung ber Circulation bezieht sich tvahrscheinlich auch
bie elastische, bunkelrothe, ziemlich bicke Schicht eines
faserigen Getoebes, toelches ben Raum ztoischen ben
Muskeln unb ber zahen, dichten Korperhaut erfullt. Der
Darmcanal ist lang und ziemlich gleichartig, ber Magen
einfach unb hautig. Das Meibchen hat am Unterleibe
vier Zitzen, tvirst in ber Regel nur ein Junges unb
niinnit sich beffelben mit eben so groher Zartlichkeit als
Entschlossenheit an.
Eine sehr verbreitete Ansicht, welche bie im Masser
lebenben Thiere, namentlich bie Saugethiere, fur toeit
einfaltiger unb beschrankter erklart als bie auf bem Lanbe
sich aufhaltenben, finbet an ben Seehunben keine Besta-
tigung. Unter alten Raubthieren, zu welcheg Seehunbe
burch ihre Ernahrungsart gehoren, giebt es, soiveit ste
nicht stit alten Zeiten bem Menschen untertoorfen sinb,
keine Gruppe von so groher Zahmbarkeit unb von solcher
Fahigkeit zur bankbaren unb folgsamen Anerkennung er-
Haltener Pflege unb guter Behanblung. Gezahmte See-
hunbe erkennen ihren Marter von fern, lassen sich burch
Blick unb Betoegung herbeirnfen unb unterwerfen sich
ivillig unb gebulbig ben Versuchen, bie man macht, um
sie allerlei kleine Kunste zu lehren. Im freien Zu-
stanbe enttoickeln sie ba, too sie bereits Verfolgungen er-
litten haben, viele Vorstcht unb Mihtrauen. Unter ein-
anber leben sie gesellig unb auch in groher Einigkeit,
ausgenommen in ber Zeit ber Fortpflanznng, too bie
Mannchen sich touthenbe Gestchte liefern. Ihre Intelli-
genz ist groh, namentlich bei ben eigentlichen Seehunben
(Gattung Calocephalus), bie ein im Verhaltnisse eben
so grohes Hirn besitzen als bie obersten Gattungen ber
Affen. Alle sinb vortreffliche Schtoimmer unb Taucher,
hinsichtlich ihrer Nahrung ausschliehlich auf bas Meer
angetoiesen, ztoar sehr gesrahig, allein nicht grausam
ober ohne Noth Verlilger groher Mengen von Fischen.
Menige bursten auch Meichthiere, Kruftenthiere unb an-
bere Seegeschopst ber nieberen Classen fressen; bie
Mehrzahl nahrt sich von Fischen unb toirb freilich Hier-
burch an bevolkerten Kusten ben Fischern ost sthr schab-
lich, beren Stellnetze burch sie bistoeilen ausgeraubt
toerben. Mie alle ihre Nahrung ohne grohe Muhe unb
im Uebersiuh erlangenbe toarmblutige Wasserthiere toer-
ben auch bie Seehunbe leicht sehr sett; sie ziehen burch
biese Eigenschaften bie Verfolgung bes Menschen auf
sich. Ans einem ber sogenannten Seelotoen (Phoca pro-
boscidea) hat man schon an 24 Centner Thran erhalten.
Svtoohl bie systematische Kenntnih bes Aeuheren, als
auch bie Kenntnih ber Lebensart unb Sitten liegt bei
ber Mehrzahl ber Arten noch sehr im Dunkel, unb von
ben toenigen genauer beobachteten auf bie grohe Menge
berjenigen zu schliehen, welche toeit entlegene ober nur
von ben Robbenschlagern besnchte Meere betoohnen,
mochte nicht zn billigen sein. Man kann bei einer Fami-
lie, toelche so mannichfache anhete Gestaltungen unb Ab-
weichungen bes Banes ber Zahne zeigt, nicht vorstchtig
genug verfahren hinsichtlich bes Generalistrens jener ver-
einzelten Thatsachen, bie in ben Berichten aller norbischen
Reisenben, wie Cranz, Pontoppiban, Steller, Egebe,
Cook, Thienemann, Graba, Roh, Parry u. v. a., ver-
zeichnet sinb. Fabeln sinb in alteren Beschreibungen
zahlreich untergelaufen, theils aus Unwissenheit bes
Berichterstatters, theils aus Mihverstanbnih bes Beob-
achters. So ertoahnt ber sonst sehr zuverlassige Steller,
bah bie Bstteiitobbe Thranen vergiehe, unb viel tounber-
licher sinb bie ben Gronlanbern nachetzahlteit Geschichten.
Die Alten kannten biese Thiere unb mengten sie in ihre
Mythologie. Die Heetben bes Neptun, toelche Proteus
Hutet, sinb Phoken, bie auch zu ben Sirenen unb Trito-
nen ber classischen Zeit unb zu ben Seemonchen unb
Seejungfrauen bes Mittelalters, toelche von Albrovanbi
abgebilbet toorben sinb, ben Stoff bargeboten haben.
Von bireetem Nutzen fur ben Menschen sinb bie Flossen-
fuher burch ihre Haute, bas Mollhaar ber Sungen unb
ihren Thran. Die Iagb auf bie Robben (Robbenschlag)
macht ein regelmahig betriebenes Geschaft aus; von
Hamburg, Bremen, Kopenhagen unb Schtoeben gehen
bie Schiffe nach bem Norben, von Englanb unb Norb-
amerika theils nach bem antarktischen Meere unb bem
grohen Ocean, theils nach Neufunblanb unb Labrabor.
Zwischen bem Eis bieser Kusten sieht man zeitig im
Sahre einige Hunbert kleiner, schnellstgelnber, aber fester
unb toohlausgerufteter Fahrzeuge (Schooner unb
Sloops), bie, mit 15— 20 erfahrenen unb abgeharteten
Matrosen bemannt, einige Monate See Halten und,
uberart in Buchten einbringenb, auf Boten unb burch
gelanbete Parteien ben Robbenfang betreiben. Ehebem
brachten grohere Fahrzeuge wohl an 100 Tonnen Thran
unb bie Felle von 4—5000 Thieren heim; Heutzutage
ist ber Ertrag toeit geringer, benn bie Vermehrung ber
Seehunbe hat mit ber ruckstchtslosen Austilgung nicht
gleichen Schritt halten konnen. In ben sublichen Polar-
meeren begann man diest Jagd um 1810 zu treiben.
Unternehmende Nordamerikaner toagten zuerst, mit sehr
kleinen Fahrzeugen die sturmischen Meere um Cap Horn
nicht allein zu besuchen, sondern auch fur mehrere Mo-
nate zum Jagdgrunde zu machen. Sie vertieften sich in
ben grohen Archipel bes Feuerlanbes unb ber patagoni-
schen Mestkuste, lanbeten an vielen Orten ber Falklanb-
infetn, behnten spaterhin ihre Thatigkeit sogar auf bas
mit ervigem Eis bebeckte Neu - Subshetlanb aus, zogen
enblich bie sublichen Inseln bes grohen Oceans in ihren
Bereich unb haben bort so gehaust, bah bie Robben aus
allen besuchteren unb zuganglicheren Buchten verschroun-
ben sinb unb nur noch im Hintergrunde ber von Glet-
schern umringten unb ungemein ties in bas Lanb einbrin-
genben Meeresarme gefunben toerben. Einzelne bieser
unternehmenben Seefahrer gehorten ber unterrichteten
Classe an unb trugen, z. B. Webbell, viel bei zur Ver-
mehrung ber bis bahin sehr unvollkommenen Kenntnih
so toeit entlegener, untoirthbarer unb ber ubrigen Welt
hochst gleichgultiger Gestabe; manche Entbeckung, toelche
viel spater bie grohen Erpebitionen Englanbs gemacht
zu haben glaubten, Hatten sie toeit fruher bereitS gekannt,
aber ihres elgenen Nutzens toegen verheimlicht. Die
Iagb geschieht burch gelanbete Parteien von Seeleuten,
toelche bie Stellen erspaht haben, to o bie Robben an bas
Lanb zu gehen unb heerbentoels zu ruhen ober zu schla-
fen psiegen ; sie erforbert Uebung unb grohe Vorsicht.
Es kommt barauf an, ben Thieren ben Winb abzugewin-
nen, sie gerauschlos unb ungesthen zu beschleichen unb
ihnen ben Ruckzug abzuschneiben. Einmal eingeschlossen,
versuchen sie feineit ober boch nur erfolglosen Wiberstanb
unb toerben mit Keulen leicht erschlagen. Im Wasser be-
machtigt man sich ihrer mit groherer Schivierigkeit, benn
angeschossen tauchen sie unter unb sterben in unerreich-
baren Tiefen. Sie sinb zwar neugierig, unb einige Arten,
namentlich ber gemeine Seehunb, strecken, toenn man
pfeift, ben Kopf aus bem Wasser hervor, tauchen aber
bei bem geringsten Verbachte schnell toieber unter. Eine
Flintenkugel kantt ubrigens auf bie groheren, z. B. bie
20 — 25 Fuh lang toerbenbe Russelrobbe.ober ben See-
lotoett Anson's, toettig eintoitken, unb man erlangt sie
nur burch kuhnen Angriff mit Lanzen, toahrettb sie am
Lanbe verweilen. So tvenig bosartig Seehunbe aller
Arten auch sinb, so beihen sie boch, von Wuttben gepei-
nigt, tvuthenb tint sich Her, unb bie groheren tobten un-
fehlbar ben Menschen, ber unglucklichettveise erfaht toarb.
An Lebenszahigkeit gleichen sie ben Froschett, ertoachen
aus bent Scheintobe unb sturzen Halbgeschunben in bas
Meer, tint schtoimmenb sich zu retten. Ein starker Schlag
auf bie Nast tobtet inbessen bie meistett augenblicklich.
Die Benutzung ber Robben ist ubrigens uralt. Das
gratte Fell bes Walroffes giebt unvertoustliche Riettten,
bie im fruhesten Alter schon gebraucht tourben, toas
unter Anberem aus einent Berichte bes Normannen Other
an ben Konig Alfreb ben Grohen vom Jahre 890 Her-
vorgeht. — Die Verbreitung ber Familie reicht fast
uber ben ganzen Erbkreis; Afrika allein besttzt keine
eigenthumlichen Arten. In ben Meerett ber norblichen
Halbkugel toohnen attbere unb zahlreichere Arten als in
benjenigen ber sublichen. Sie zerfatten in systematischer
Hinstcht in eigentliche Robben unb bie Gattung Wal-
roh, bie stch toesentlich burch bas Gebih unterscheiben.
Die ersteren sind toieberum in Gattungen zerfallt
toorden, beten Begriff inbessen nicht auf ben besten